26.10.2023 - Bundesrat führt Pauschalabzug zur Bemessung des IV-Grades ein
Um die Höhe einer IV-Rente zu berechnen, stellt die IV auf ein hypothetisches Einkommen (Invalideneinkommen) der betroffenen Person ab. Studien haben belegt, dass dabei regelmässig von zu hohen Beträgen ausgegangen wird, die mit den realen Einkommensmöglichkeiten nicht übereinstimmen (siehe Dossier). Dies wirkt sich negativ auf die Höhe der berechneten IV-Renten aus.
Mit der Motion 22.3377 hat der Nationalrat den Bundesrat beauftragt, «eine Bemessungsgrundlage für die IV einzuführen, die der Einkommensrealität von Menschen mit Behinderung besser Rechnung trägt». Als Antwort darauf hat der Bundesrat nun eine Änderung der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV) per 1.1.2024 beschlossen. Damit soll den Einschränkungen Betroffener auf dem Arbeitsmarkt besser Rechnung getragen werden, indem auf den Invalideneinkommen ein Pauschalabzug von 10% vorgenommen wird.
Diese Anpassung bringt für betroffene Versicherte zwar eine Verbesserung der Situation. Die Kritik an der Bemessung des Invalideneinkommens wird jedoch wohl weiter bestehen. So kritisiert etwa Pro Mente Sana die Verordnungsänderung, da der Pauschalabzug zu tief angesetzt sei und damit die Motion nicht angemessen umgesetzt werde.
Worauf es dabei in der Sozialberatung zu achten gilt, erläutert unser Sozialrechtsexperte Peter Mösch.
Was man für die Sozialberatung wissen muss
Für die Sozialberatung sind unmittelbar vor allem die Übergangsbestimmungen zu beachten. Dabei ist je nach Situation zu unterscheiden zwischen Personen, bei denen a) noch kein Rentenentscheid erfolgte; b) Personen mit bestehenden Renten und c) Personen, bei denen früher eine Rente abgelehnt wurde.
Wer ist betroffen? Es geht um Fälle, bei denen noch kein rechtskräftiger Rentenentscheid erfolgte und bei denen der IV-Grad und insb. das Invalideneinkommen unter Beizug von Tabellenlöhnen festgestellt werden muss. Das ist der Fall, wenn es nicht möglich ist, tatsächliche Löhne für die Berechnung des Invalideneinkommens heranzuziehen. Also wo etwa gar keine reale Erwerbstätigkeit nach der Invalidität vorliegt.
Was ändert sich per 1.1.2024? Das Invalideneinkommen zur Feststellung des IV-Grades ist unter Berücksichtigung des neuen 10%-Abzuges vom Tabellenlohn vorzunehmen. Er kann auch kombiniert werden mit einem allenfalls schon bestehenden Abzug von 10%, weil nur noch eine Teilzeittätigkeit bis 50% möglich ist (vgl. Art. 26bis Abs. 3 IVV).
Es ist ratsam, neue IV-Vorbescheide, bzw. Verfügungen daraufhin zu prüfen, ob die Neuerung Berücksichtigung findet. Es ist auch in der Verfahrensführung darauf zu achten, dass die Fälle zeitlich so gelegt werden können, dass für die rechtskräftige Festlegung des IV-Grades die Neuerung zur Anwendung kommt.
Wer ist betroffen? Personen, bei denen der IV-Grad und insb. das Invalideneinkommen unter Beizug von Tabellenlöhnen festgestellt wurde.
Ausgenommen sind jene Personen, die bereits am 1. Januar 2022 das 55. Altersjahr erreicht hatten und bereits damals eine IV-Rente bezogen. Für diese Personengruppe gelten die früheren rechtlichen Bestimmungen, die bis Ende 2021 gültig waren. So auch die Anwendung des leidensbedingten Abzuges von maximal 25% von den Tabellenlöhnen. Diese Renten sind nicht betroffen von der Neuerung.
Was ändert sich per 1.1.2024 für diese Personen? Die bestehenden Renten sind innerhalb von zwei Jahren zu revidieren. Dabei muss der neue 10%-Abzug vom Tabellenlohn vorgenommen werden. Er kann auch kombiniert werden mit einem allenfalls schon bestehenden Abzug von 10%, weil nur noch eine Teilzeittätigkeit bis 50% möglich ist (vgl. Art. 26bis Abs. 3 IVV). Dabei werden aber auch andere Änderungen seit der letzten IV-Renten-Entscheidung berücksichtigt, etwa Änderungen des Gesundheitszustandes.
Die Erhöhung der Rente wegen der Neuregelung des 10%-Abzuges erfolgt rückwirkend auf den 1.1.2024.
Es ist ratsam, die entsprechende Rentenrevision bei der IV-Stelle zu beantragen, bzw. nachzufragen, wann sie wie erfolgt. Das gilt vor allem dann, wenn zusätzlich weitere Gründe für eine Überprüfung zu Gunsten des/der Versicherten sprechen. Insb. eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder die hypothetisch gesteigerte Erwerbstätigkeit, wenn die Invalidität nicht eingetreten wäre, oder aufgrund von Veränderungen in der Familiensituation.
Eine Anpassung des Rentenanspruchs erfolgt dann, wenn diese Überprüfung dazu führt, dass der IV-Grad sich insgesamt um mindestens 5% ändert (vgl. Art. 17 Abs. 1 lit. a ATSG).
Wer ist betroffen? Personen, bei denen der IV-Grad und insbesondere das Invalideneinkommen unter Beizug von Tabellenlöhnen festgestellt wurde und eine Rente vor dem 1.1.2024 rechtskräftig wegen eines zu geringen Invaliditätsgrades verweigert wurde.
Was ändert sich per 1.1.2024 für diese Personen? Anders als im Regelfall für Neuanmeldungen, wird auf eine erneute Anmeldung bereits dann eingetreten, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Berechnung des Invaliditätsgrades durch die Anwendung der Neuregelung neu zu einem Rentenanspruch führt.
In der Sozialberatung ist ratsam, abgelehnte Rentenentscheide der letzten Jahre zu überprüfen, ob die Berechnung des Invalideneinkommens unter Berücksichtigung des neuen 10%-Abzuges zu einem Rentenanspruch führen kann.
Die entsprechenden Fälle sind neu anzumelden, unter Beilage der Berechnung, welche glaubhaft macht, dass der Abzug vom Tabellenlohn zu einem Rentenanspruch führt bzw. führen kann.
Es ist dann seitens der IV auf diese Gesuche einzutreten. Die genaue Prüfung des Rentenanspruchs erfolgt nach den üblichen Regeln unter Berücksichtigung der Neuregelung zum Invalideneinkommen.
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