"Erziehung zur Arbeit": Schweizer Zwangsarbeit im Wirtschaftsboom
Bis Mitte der 1970er-Jahren gab es Zwangsarbeit in der Schweiz – mit Erziehungsauftrag. Profitiert haben auch Schweizer Industriefirmen.
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Bis Mitte der 1970er-Jahren gab es Zwangsarbeit in der Schweiz – mit Erziehungsauftrag. Profitiert haben auch Schweizer Industriefirmen.
Mit Infotafeln und Plakaten will der Kanton Bern das schwere Leid von Verding- und Heimkindern, administrativ Versorgten, Zwangsadoptierten und Fahrenden sichtbar machen.
Der Kanton Zug hat die Geschichte der sozialen Fürsorge aufgearbeitet. Sie ist geprägt von viel Leid – aber nicht nur.
Im Kinofilm «Hexenkinder» kommen administrativ Versorgte zu Wort – und nur sie. Der Filmemacher Edwin Beeler wollte ihnen eine Stimme geben.
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 27. November 2019 vom Schlussbericht der von ihm eingesetzten Unabhängigen Expertenkommission "Administrative Versorgungen" (UEK) Kenntnis genommen. Zudem liess er sich über den Stand der Arbeiten zur Umsetzung des Bundesgesetzes über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG) informieren: Die über 9000 Gesuche um einen Solidaritätsbeitrag für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen werden bis Ende Jahr bearbeitet und die Beiträge bis Ende März ausbezahlt sein. Das ist ein Jahr früher als vorgesehen.
Die Praxis der «administrativen Versorgung» ist ein dunkles Kapitel in der neueren Schweizer Geschichte, das nun umfangreich aufgearbeitet worden ist. Wie die Schweiz mit Menschen umgeht, die nicht der Norm entsprechen, bleibt aber weiterhin ein Thema.
Noch bis 1981 sperrten Behörden in der Schweiz Personen ein, wenn sie als „moralisch verwahrlost“ galten, also vermeintlich der Norm nicht entsprachen. Jetzt geht es um Wiedergutmachung.
Über Jahrzehnte wurden in der Schweiz Menschen, mit denen die Gesellschaft nichts anzufangen wusste, weggesperrt und mussten unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. Mindestens 60'000 Menschen waren davon betroffen. Es handelte sich um Verdingkinder, aber auch um Menschen am Rande der Gesellschaft. Nun hat eine Expertenkommission den Geschichte aufgearbeitet. Was hat die Schweiz daraus gelernt und wer muss heute noch mit Zwangsmassnahmen rechnen?
Sie wurden auf Bauernhöfen verdingt, in Heime eingewiesen, zwangssterilisiert. Als kleine Wiedergutmachung haben Menschen, die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen wurden, Anrecht auf einen Solidaritätsbeitrag von 25'000 Franken. Allerdings: Die Anmeldefrist dafür ist schon vor anderthalb Jahren abgelaufen. Doch möglicherweise bietet sich die Möglichkeit, diese Frist zu verlängern.
Während rund vier Jahren untersuchten die Forschenden der Unabhängigen Expertenkommission (UEK) die administrativen Versorgungen in der Schweiz. Die Forschenden gehen davon aus, dass im 20. Jahrhundert mindestens 60 000 Personen in Anstalten eingewiesen wurden, ohne dass sie straffällig gewesen wären. Betroffen waren vor allem Personen am Rande der Gesellschaft.
Die von der UEK verfasste Geschichte der administrativen Versorgung muss durch konkrete politische Massnahmen, für die teilweise neue Gesetzesbestimmungen erforderlich sind, in die Gegenwart gebracht werden, indem bestehende Initiativen erweitert werden. Die Empfehlungen der UEK (Punkt 2) sind Teil des Versuchs, die menschlichen, sozialen und politischen Brüche zu verringern, die durch diese Geschichte aufgezeigt werden, sowie das Wissen und künftige Überlegungen über aktuelle Massnahmen zum Schutz von Erwachsenen und Kindern, aber auch generell über Armut, Ausgrenzung und Randständigkeit zu fördern.
Mit der Veröffentlichung der Synthese ihrer Forschungsergebnisse schliesst die Unabhängige Expertenkommission (UEK) ihre Arbeiten ab. Diese historische Aufarbeitung trägt zur Rehabilitierung der Personen bei, die in der Schweiz von administrativen Versorgungen betroffen waren.
Wenn Leute ohne Urteil weggesperrt wurden, hiess das «administrative Versorgung». Dieses Kapitel Schweizer Geschichte ist nun aufgearbeitet. Wie die Gesellschaft mit Personen umgeht, die sie nicht in ihrer Mitte will, wird uns aber weiter beschäftigen. Ein Plädoyer gegen das Vergessen.
Bis in die sechziger Jahre wurden in der Schweiz Zehntausende von Menschen zwangsversorgt. Oft nur, weil ihr Lebenswandel nicht gängigen Vorstellungen entsprach. Die Initiative von Betroffenen, die sich als Opfer outeten, hat das Unrecht ans Licht gebracht. Doch die Aufarbeitung des «Verdingkinderwesens» zeitigt befremdende Nebeneffekte.
Ein Analyseverfahren, angewendet auf die fürsorgerischen Zwangsmassnahmen
Bis ins Jahr 1981 wurden in der Schweiz fürsorgerische Zwangsmassnahmen umgesetzt, darunter die Fremdplatzierung von sogenannten Verdingkindern oder die administrative Versorgung von Personen, deren Verhalten von gesellschaftlichen Normen abwich. Die historische Aufarbeitung hat gezeigt, dass zwischen Armut, fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und der Sozialen Arbeit, insbesondere der Fürsorge, enge Zusammenhänge bestehen.
Einblicke in die administrative Versorgung
Die Geschichte der administrativen Versorgung handelt von Ordnung, Arbeit, Ausbildung, Armut, Familie, Sexualität und Gesundheit. In wechselseitiger Abhängigkeit sind diese Themen miteinander verflochten – gestern wie heute. Der Band beleuchtet sie anhand von Quellenbeispielen, Forschungseinblicken, literarischen Beiträgen, realen und fiktiven Gesprächen und schafft so einen Zugang zur administrativen Versorgung und ihrer historischen Aufarbeitung.
Administrative Versorgungen und Behördenpraxis / Internements administratifs et pratique des autorités
Soziale Risiken waren in der Schweiz lange Zeit nicht ausreichend versichert. Ein Teil der Bevölkerung blieb im Bedarfsfall vom Ermessen der Fürsorge und Vormundschaftsbehörden abhängig. Besonders arbeitslose, kranke oder verarmte Personen wurden in geschlossene Anstalten eingewiesen statt finanziell unterstützt. Die Gesetze ermöglichten es, solche administrativen Versorgungen mit «Arbeitsscheu», «Liederlichkeit» und «Trunksucht» zu begründen.
Zwischen Anstaltsinternierung und Entlassung / De l’internement à la libération / Dall’internamento in istituto alla liberazione
Wie sah das Leben hinter Anstaltsmauern aus? Welche Wege führten aus der Anstalt heraus? Und was kam danach? Am Beispiel von fünf Institutionen aus den Kantonen Bern, Freiburg, Tessin und Zürich zeigt der Band Entwicklungen der Durchsetzung administrativer Internierung bis 1981 auf.
Quellen zur Geschichte der administrativen Versorgung / Histoire de l’internement administratif: sources / Storia dell’internamento amministrativo: fonti
Die administrative Versorgung war von einer Zuchthausstrafe oft nur dadurch zu unterscheiden, dass sie von Behörden ohne ordentliches Gerichtsverfahren verfügt und nach Ermessen verlängert werden konnte. In Briefen an Behörden und Verwandte protestierten die administrativ Entrechteten gegen ihre Behandlung, Presseberichte und Lebenserinnerungen schildern die Entbehrungen und Schikanen, die sie erlitten. Ihrer Stimme gibt der Quellenband der UEK besonderes Gewicht.
Zahlen zur administrativen Versorgung und zur Anstaltslandschaft
In der Schweiz wurden bis 1981 Menschen in Arbeitsanstalten, Psychiatrien, Strafanstalten oder Trinkerheilstätten eingewiesen, ohne eine Straftat begangen zu haben. Es handelt sich nicht um Einzelfälle, von der Massnahme waren Zehntausende Personen betroffen. Wie viele es waren, wie ihre Zahl überhaupt bestimmt werden kann, versucht der Band in einer differenzierten Schätzung zu umreissen.