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Arbeitsintegration älterer Erwerbsloser: Verein fordert bessere Unterstützung statt Zwang

Januar 2015 / Regine Strub (Interview)

Um über 50-jährige Erwerbslose in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wären dringend Reformen bei den Arbeitsmarktbehörden und der Sozialhilfe notwendig. Aus- und Weiterbildungen sollten gefördert und Unternehmen stärker in die Pflicht genommen werden. Heidi Joos, Geschäftsleiterin des Verbands Avenir50plus (vormals: 50plus outIn work), erklärt im Interview, welche Unterstützung hilfreich wäre.

Geschäftsstelle sozialinfo.ch: Der Verein 50plus outIn work hat Ende November die Petition «Stopp der Zwangszuweisung in abeitsmarktliche Massnahmen» lanciert. Weshalb?Heidi Joos: Wir haben immer wieder Klagen von älteren Versicherten erhalten, die wegen einer willkürlichen Zuweisung in eine Beschäftigungsmassnahme depressiv wurden. Vor allem bestandene Arbeitskräfte, die keine Mühe haben, sich selbst eine Tagesstruktur zu geben, empfinden es als Schikane, wenn sie gegen ihren Willen zu einem Einsatz im zweiten Arbeitsmarkt "verdonnert" werden, von dem sie sich keinen Nutzen versprechen. Gemäss Seco-Studien kommt es zudem bei vielen Programmen zum sogenannten "lock-in-Effekt". Das heisst, die Integration wird eher behindert als gefördert, weil es zu einem Verharren in der Arbeitslosigkeit führt. Ein Einspracherecht, wie wir es für Zuweisungen der Arbeitsmarktbehörde fordern, könnte willkürliche Behördeneingriffe in Persönlichkeitsrechte minimieren, es könnte aber auch als Teil eines Qualitätsmanagements mithelfen, Fehlzuweisungen zu verhindern und somit Kosten zu reduzieren.

HEIDI JOOS: ENGAGIERT DANK EIGENER ERFAHRUNG

Heidi Joos leitet die Geschäfte des Vereins seit dessen Gründung ehrenamtlich. Sie war in einer Führungsfunktion bei der Arbeitsmarktbehörde Luzern tätig und Bereichsleiterin 50plus bei der Stiftung Speranza, welche Menschen bei der Integration ins Erwerbsleben unterstützt. Die heute 60-Jährige ist ausgebildete Sozialpädagogin, Verlagsmanagerin, Yogalehrerin, NLP-Trainerin und Coach. Sie hat selbst erfahren, was es bedeutet, als über 50-Jährige die Kündigung zu erhalten und sich beruflich neu orientieren zu müssen. Heute führt sie als Selbständig Erwerbende ein Consultingbüro und bietet für Einzelpersonen und Teams Beratungen und Workshops an.

Warum haben über 50-Jährige mehr Mühe, einen Job zu finden als Junge?
Es sind verschiedene Faktoren, die eine Integration von älteren Arbeitnehmenden erschweren. Einerseits drängt die Globalisierung Unternehmen zur Minimierung der Kosten. In der Folge lagern sie Arbeitsplätze ins Ausland aus oder einfache Tätigkeiten werden durch Automatisierung verdrängt. Anderseits lässt die politische Lage es zu, junge und billige Arbeitskräfte aus dem Ausland zu holen, um ältere Mitarbeitende mit höheren Lohnkosten zu ersetzen. Der aktuelle OECD-Bericht spielt die höheren BVG-Arbeitgeberbeiträge für ältere Mitarbeitende als wichtigen Stolperstein für die Arbeitsmarktintegration aus unserer Sicht zu Unrecht herunter. Die Kosten sind ein zentraler Faktor bei der Personalselektion und benachteiligen Ältere nachweisbar. Viele ältere Erwerbslose finden nur noch ein Arbeitsverhältnis "auf Abruf", welches weder Versicherungsschutz bei Arbeitslosigkeit noch im Alter bietet. Dass die Langzeitarbeitslosigkeit von Älteren in der Schweiz über dem OECD-Durchschnitt liegt, muss uns nachdenklich stimmen.

Wie unterstützen die RAV's ältere Erwerbslose?
Wir nehmen die RAV's in erster Linie als Kontrollorgane wahr. Sie lösen weder den Anspruch der Vermittlung noch jenen der Beratung ein. Oft fehlt es an profunden Kenntnissen des Arbeits- und Bildungsmarktes. Ein Case-Management-Modell wie es die IV für die Früherfassung kennt, wäre zweckdienlicher. Das würde auch sicherstellen, dass die Beratenden Kontakt zu Arbeitgebern haben. Zudem ist das Konzept, bei arbeitsmarktlichen Massnahmen vor allem Kollektivmassnahmen zu verordnen, nicht mehr zeitgemäss. Die Praxis zeigt immer wieder Fälle, in denen die RAV's Versicherte in kollektive Kurse oder Programme zuweisen, einzig weil es noch freie, bereits eingekaufte Plätze hat. Die Anforderungen auf dem globalisierten Arbeitsmarkt verlangen nach neuen Konzepten. Es braucht individuelle Massnahmen, die im konkreten Austausch mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen sowie Bildungsfachleuten geschaffen werden.

Wie sieht es in der Sozialhilfe aus?
In der Sozialhilfe erhalten ältere Jobsuchende nur in Einzelfällen ein begleitendes Coaching. Sie ermöglichen weder Weiterbildungen, noch finanzieren sie Massnahmen, um die Gesundheit zu fördern. Einzig den Druck auf die Betroffenen, sich weiterhin zu bewerben, erhalten sie aufrecht. Zusätzlich demütigt man ältere Jobsuchende, in dem man sie in Basisarbeitsprogramme steckt, die ihnen das Gefühl vermitteln, sie seien arbeitsscheu. Das kürzlich vom Verwaltungsgericht Zürich gefällte Urteil zur Einsprache einer 49-jährigen Sozialhilfe-Empfangenden lässt aufhorchen. Darin rechtfertigt das Gericht den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte mit dem Hinweis auf ein Recht der Sozialbehörden auf Gegenleistung. Letzteres Recht ist aber keineswegs verbrieft, im Gegensatz zu den Persönlichkeitsrechten. Das ist Stimmungsmache gegen Sozialhilfe-Beziehende. Damit wird verschleiert, dass der Arbeitsmarkt gar nicht bereit ist, diese Menschen zu beschäftigen.

Welche Unterstützung benötigen über 50-jährige Erwerbslose stattdessen?
Die Tatsache, dass der Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung in den nächsten Jahren immer grösser wird, erfordert grundlegende Reformen in der Arbeitswelt, aber auch bei Arbeitsmarkt- und Sozialbehörden. Wir können es uns auf Dauer nicht leisten, immer mehr rüstige Arbeitnehmende aufs Abstellgleis zu stellen. Das bedingt entsprechende Öffentlichkeitskampagnen durch die Behörden, die auf die Vorteile der Einstellung von älteren Mitarbeitenden hinweisen. Die Behörden sollten Unternehmen vermehrt in die Pflicht nehmen und darauf drängen, dass diese auch ältere Arbeitnehmende einstellen.

Was heisst das konkret?
Ohne Inländervorrang und klarer Eindämmung der Rekrutierungsmöglichkeiten von billigen Arbeitskräften aus dem Ausland, einer altersneutralen BVG-Lösung sowie vermehrten Investitionen in die Weiterbildung auch von älteren Arbeitnehmenden, lässt sich das Problem nicht in den Griff bekommen. Es ist bedenklich, wenn Gemeinden sich aufgrund ihrer hohen Sozialkosten dazu verleiten lassen, Leistungskürzungen vorzunehmen statt in unterstützende Massnahmen zu investieren. Wir haben öfters erlebt, dass Sozialhilfe-Beziehende aufgrund der tiefen Mietzinsobergrenzen nebst der Arbeit auch noch ihre Wohnung verlieren. Die Leistungsgestaltung in der Sozialhilfe soll nicht nur in einem Rahmengesetz auf Bundesebene geregelt werden, sie soll bei der Leistungsgestaltung auch die besonderen Bedürfnisse des Alters in Bezug auf Gesundheit, Arbeit und Bildung berücksichtigen. Ausserdem sollte die Finanzierung auf eine solide, einheitliche Basis gestellt werden. 

Was raten Sie jenen, die trotz allen Bemühungen keine Arbeit finden?
In solchen Fällen ist eine sorgfältige Begleitung und Trauerarbeit wichtig. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass spirituelle Arbeit helfen kann, die Erfahrung von gesellschaftlicher Ausgrenzung besser zu verarbeiten. Alles andere als hilfreich sind Verunglimpfungen von Sozialhilfe-Beziehenden durch gewisse politische Kreise. Für das Wohlbefinden und die Gesundheit der Betroffenen wäre es wohl besser, wenn wir ein "bedingungsloses Grundeinkommen" hätten. Das würde sie etwas vom sozialen Druck befreien, der viele krank macht.

Der Bund

«Die heutige Lösung treibt Arbeitslose in die Altersarmut»

Ergänzungsleistungen statt Sozialhilfe für Arbeitslose über 55 Jahren. Das fordert die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe. Warum, erklärt ihr Co-Präsident. Arbeitslose über 55 Jahren haben mehr Mühe, wieder eine Stelle zu finden als Jüngere.Mehr zum Thema: Netz für ältere Arbeitslose kostet 25 Millionen (BZ)Ergänzungsleistungen statt Sozialhilfe für ältere Arbeitslose (NZZ)Skos will der Altersarmut vorbeugen (SRF)

SKOS

Ergänzungsleistungen statt Sozialhilfe für ältere Arbeitslose

Ältere Arbeitslose sollen über die Rahmenfrist der Arbeitslosenversicherung hinaus durch die Regionale Arbeitsvermittlung betreut werden und dabei Ergänzungsleistungen statt Sozialhilfe erhalten. Dies fordert die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS). Dass diese Lösung für ältere Arbeitslose, die zuvor viele Jahre lang gearbeitet haben, rechtlich rasch umsetzbar und finanziell tragbar ist, zeigen zwei im Auftrag der SKOS erstellte Gutachten.


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