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Fehlerhafte Triage und zu kurze Fristen im Asylverfahren

Oktober 2020

Asylsuchende sollen rasch wissen, ob sie in der Schweiz bleiben dürfen oder nicht. So die Idee des neuen Asylgesetzes. Das funktioniert aber nur, wenn die Verfahren fair ablaufen. Ein Bericht zeigt nun, wie fehleranfällig das neue System ist.

Im aktuellen Asylverfahren ist es für Asylsuchende entscheidend, ob ihr Gesuch im sogenannten beschleunigten Verfahren behandelt oder dem erweiterten Verfahren zugeteilt wird. Das verdeutlicht ein Bericht, den das Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich anfangs Oktober 2020 herausgegeben hat.

Abklärungen vor der Triage

Die meisten Asylsuchenden reichen ihr Asylgesuch in einem der sechs Bundesasylzentren ein. Das Zentrum führt dann innerhalb von 21 Tagen erste Vorabklärungen durch. In dieser Zeit entscheidet das Staatssekretariat für Migration (SEM) unter anderem, ob ein anderer Dublin-Staat für das Asylgesuch zuständig ist. Es finden erste Anhörungen zu den Asylgründen statt. Danach entscheidet die Behörde, welches der beiden Verfahren zum Zuge kommt.

Beschleunigtes Verfahren in klaren Fällen

Eine Zuteilung in das beschleunigte Verfahren erfolgt, wenn weitere aufwändige Abklärungen nicht nötig erscheinen. Die Behörde fällt hier innerhalb von acht Arbeitstagen einen positiven oder negativen Entscheid. Bei einem positiven Entscheid kommen die Asylsuchenden in eine kantonale Unterkunft. Bei einem negativen Entscheid ordnet die Behörde eine Wegweisung an. Falls die Wegweisung nicht innert 140 Tagen erfolgen kann, kommen auch diese Personen in einen Kanton, der dann für die Wegweisung und die Nothilfe zuständig ist. Gegen einen negativen Entscheid können Asylsuchende innerhalb von sieben Tagen Beschwerde einreichen. 

Gratis Rechtsschutz

Damit trotz kurzer Fristen das Verfahren rechtsstaatlich korrekt abläuft, sieht das Gesetz vor, dass Asylsuchende in den Bundesasylzentren eine staatlich finanzierte und mandatierte Rechtsvertretung erhalten.

Es ist den Asylsuchenden aber freigestellt, eine unabhängige externe Rechtsvertretung zu suchen. Hier kommen seit Einführung des neuen Gesetzes öfters Beratungsstellen des Bündnisses zum Zug, die Fälle übernehmen, welche die mandatierte Rechtsvertretung aufgegeben hat.

Triage oft falsch

Die Liste der festgestellten Mängel im Bericht des Bündnisses ist lang. Ein zentraler Kritikpunkt betrifft die Triage. Gemäss dem Bündnis teilt das SEM Asylgesuche zu oft und fälschlicherweise dem beschleunigten Verfahren zu. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Punkt das SEM bereits in einem Urteil gerügt, wie Humanrights ausführlich kommentiert hat

Zum Zeitpunkt der Untersuchung hat das SEM rund 80 Prozent im beschleunigten Verfahren abgewickelt. Wenn die Behörde in der kurzen Abklärungsphase jedoch eine Situation falsch einschätzt oder einen wichtigen Aspekt übersieht, hat dies gravierende Auswirkungen für die Betroffenen. Statt 30 Tage bleiben nur sieben Tage, um eine Beschwerde einzureichen. Wenn noch weitere Unterlagen eingeholt oder beispielsweise eine medizinische Abklärungen gemacht werden muss, stellt dies alle Beteiligten häufig vor fast unüberwindbare Hürden. 

Das Bündnis kritisiert, dass das SEM die Termine zum Teil nicht einhalten kann. Aber statt einen Fall ins erweiterte Verfahren zu leiten, bleiben diese oft im beschleunigten Verfahren.

Rechtsmandat voreilig abgegeben

In der statistischen Auswertung der Fälle hat das Bündnis festgestellt, dass die mandatierte Rechtsvertretung ihr Mandat oft voreilig niederlegt. Indiz dafür ist, dass das Bundesverwaltungsgericht viele Fälle, welche anschliessend eine unabhängige Rechtsvertretung übernommen hat, nicht von vorneherein als aussichtslos beurteilt hat. Die Erfolgsquote der unabhängigen Rechtsvertretungen war denn auch mit 23 Prozent erstaunlich hoch, was bestätigt, dass es sich gelohnt hätte, wenn die staatliche Rechtsvertretung in diesen Fällen drangeblieben wäre. Einen Grund für die vorzeitige Niederlegung vermutet das Bündnis hauptsächlich im Zeitdruck, dem die mandatierte Rechtsvertretung ausgesetzt ist.

Regionale Unterschiede

Die statistische Auswertung hat weiter gezeigt, dass es regional sehr grosse Unterschiede gibt. So beträgt der prozentuale Anteil an Beschwerden in der Romandie 19 Prozent, in der Ostschweiz lediglich 4 Prozent. 

Im Asylbereich gibt es nur eine einzige Beschwerdeinstanz. Wer mit dem Entscheid des SEM nicht einverstanden ist, kann sich an das Bundesverwaltungsgericht wenden. Diese Urteile können danach aber nicht mehr weitergezogen werden, was ihre Bedeutung erhöht. Das Bündnis stellt im Bericht jedoch fest, dass das Gericht teilweise ungenau gearbeitet und Sachverhalte übersehen hat. 

Die Antwort des SEM

Konfrontiert mit den Ergebnissen und den Daten aus der Untersuchung sagt Lukas Rieder, Mediensprecher des SEM gegenüber SRF aus, dass viele Beschwerden grundsätzlich ein gutes Zeichen seien. Es zeige, dass die Rechtsvertreterinnen und Rechtsvertreter gute Arbeit leisten würden. Gegenüber der WOZ hält der Mediensprecher fest, dass das SEM die Prozesse bezüglich medizinischer Prüfungen anpassen werde. Weiter: «Wo es nötig ist, werden Asylgesuche im erweiterten Verfahren geprüft.» Den markanten regionalen Unterschieden bei den Beschwerden will das SEM in einer Evaluation nachgehen. Mit Resultaten sei im Sommer 2021 zu rechnen.

SKMR

Evaluation zum Rechtsschutz und der Entscheidqualität im beschleunigten Asylverfahren

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) mit einer Evaluation des Rechtsschutzes und der Entscheidqualität bei der Anwendung des neuen Asylverfahrens beauftragt. Der Bericht des vom SKMR eingesetzten Teams, das sich während zwei Jahren mit den Fragen befasst hat, ist nun veröffentlicht und kann als Voll- und als Kurzversion abgerufen werden.

Humanrights.ch

Beschleunigung auf Kosten der Rechtsstaatlichkeit

Im beschleunigten Asylverfahren soll in nicht komplexen Fällen innerhalb von 140 Tagen ein rechtskräftiger Asylentscheid gefällt und vollzogen werden. Gemäss Bundesverwaltungsgericht wendet das Staatssekretariat für Migration diese Praxis jedoch auch in Fällen an, welche dem erweiterten Verfahren gebühren – und verletzt damit die Verfahrensrechte der Asylsuchenden.


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