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Wie können Organisationen die Mitarbeitendenbindung stärken?

21.11.2024 - 30 Min. Lesezeit

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Portrait von Olivier Rode

Olivier Rode

Produktmanager Arbeitsmarkt

Drei Personen sitzen hinter einer Glasscheibe an einem Tisch und sprechen zusammen. Im Vordergrund gehen Menschen vorüber.

Um nachhaltige Arbeitsverhältnisse im Sozialwesen zu fördern, ist es entscheidend zu verstehen, warum Mitarbeitende bleiben oder ihre Arbeitsstelle wechseln. So können Organisationen gezielte und wirksame Massnahmen entwickeln, die Fachkräfte binden.

Zwischen April und September 2023 befragten Forschende von Sozialinfo und der Fachhochschule für Soziale Arbeit FHNW mehr als 1000 Fachpersonen aus verschiedenen Bereichen des Sozialwesens zum Thema «nachhaltige Rekrutierung». Der Onlinefragebogen lieferte Einblicke in die Motivationen von Beschäftigten, sowohl im Hinblick auf Faktoren, die sie an ihrer aktuellen Position halten, als auch auf ihre Beweggründe für einen Stellenwechsel. Die gewonnenen Erkenntnisse geben Aufschluss über die wichtigsten Einflussfaktoren für Arbeitszufriedenheit und -unzufriedenheit im Sozialwesen und bieten eine Grundlage für praxisorientierte Strategien zur Mitarbeitendenbindung. 

Empirische Untersuchung zu nachhaltigen Arbeitsverhältnissen

Im Rahmen des Forschungsprojektes «nachhaltige Rekrutierung» 2023 führte Sozialinfo in Kooperation mit der Fachhochschule für Soziale Arbeit FHNW eine umfassende Befragung von mehr als 1000 Fachpersonen aus verschiedenen Bereichen des Sozialwesens durch. Dieser Fokusartikel ist der dritte von drei Beiträgen, die daraus entstanden sind. Lesen Sie auch:

Wechselgründe im Sozialwesen 

Die Untersuchung der Wechselgründe im Sozialwesen zeigt, dass Mitarbeitende vor allem aufgrund struktureller und arbeitsbezogener Faktoren über einen Stellenwechsel nachdenken. Viele Fachkräfte im Sozialwesen sind mit den aktuellen politischen Rahmenbedingungen unzufrieden. Insbesondere Sparmassnahmen und der Mangel an politischer Unterstützung werden als belastend empfunden. Viele fühlen sich von den politischen Entscheidungsträger*innen im Stich gelassen und vermissen Anerkennung für ihre wichtige gesellschaftliche Arbeit. 

Ein weiterer bedeutender Grund für den Wunsch nach einem Stellenwechsel sind fehlende Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Organisation. Mitarbeitende, die eine langfristige Perspektive suchen, sind frustriert von fehlenden internen Karriereoptionen, was dazu führt, dass sie sich nach neuen Herausforderungen umsehen.  

Darüber hinaus wurden auch organisatorische Defizite als Wechselgründe genannt. Hierzu zählen mangelnde Kompetenzen der Führungskräfte und ein unzureichendes Qualitätsmanagement. Zudem wird kritisiert, dass nicht genügend auf die Gesundheit der Mitarbeitenden geachtet und dass ihre Expertise zu wenig genutzt würde.  

Die hohe Arbeitsbelastung spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle. Viele Befragte geben an, dass sie nicht genügend zeitliche Ressourcen hätten, um ihre Aufgaben in der erforderlichen Qualität zu erfüllen. Im Kombination mit fehlender Wertschätzung, etwa von Vorgesetzten, führt dies zu Stress und Burnout-Gefahr.

Bleibegründe im Sozialwesen 

Im Gegensatz zu den Wechselgründen blieben die Bleibegründe in der Untersuchung schwieriger fassbar. Trotzdem erlauben die erhobenen Daten Hinweise darauf, welche Faktoren dazu führen, dass Mitarbeitende im Sozialwesen an ihrer Stelle festhalten. Dabei wird deutlich, dass emotionale und soziale Aspekte eine Schlüsselrolle spielen. 

An erster Stelle der Bleibegründe steht gemäss vorliegender Analyse die Sinnhaftigkeit der Arbeit. Die meisten Befragten sehen einen hohen gesellschaftlichen und persönlichen Wert in ihrer Tätigkeit. Diese intrinsische Motivation trägt wesentlich zur Arbeitszufriedenheit bei. 

Ein weiteres wichtiges Element für den Verbleib in der aktuellen Position ist ein positives Arbeitsklima und die gute Zusammenarbeit im Team. Unterstützung im Team und kollegialer Austausch werden sehr geschätzt. Viele Mitarbeitende, die ihre Stelle schätzen, fühlen sich in ihrem Team gut aufgehoben und empfinden dies als stabilisierenden Faktor. Gestaltungsfreiraum bei der eigenen Tätigkeit und die Möglichkeit zum fachlichen Austausch sowie weiteren Vernetzungsmöglichkeiten tragen ebenfalls zur Arbeitszufriedenheit bei.   

Die Identifikation mit den Zielen und Werten der Organisation spielt eine wichtige Rolle. Viele Mitarbeitende schätzen die ethischen Grundsätze ihrer Einrichtung und fühlen sich der Mission ihrer Organisation stark verbunden. Diese Übereinstimmung fördert die Loyalität und das Zugehörigkeitsgefühl. 

Die Möglichkeit fachlicher und persönlicher Weiterentwicklung wird ebenfalls als positiver Aspekt genannt. Mitarbeitende, die das Gefühl haben, dass ihre Expertise gefragt ist und sie sich weiterentwickeln können, sind motivierter, in ihrer aktuellen Position zu bleiben. Weiterbildungsangebote und die Förderung individueller Kompetenzen werden als Motivationstreiber gesehen. 

Was können arbeitgebende Organisationen tun? 

Die Erkenntnisse zu den Wechsel- und Bleibegründen zeigen, dass es möglich ist, mit gezielten Massnahmen Fachkräfte zu binden. Welche Hebel können arbeitgebende Organisationen im Sozialbereich ansetzen, um ihre Arbeitsverhältnisse nachhaltiger zu gestalten?  

Personalressourcen  

Ein zentrales Thema, das sowohl bei den Wechsel- als auch bei den Bleibegründen eine Rolle spielt, ist die Frage der Personalressourcen. Während der Personalmangel und die damit verbundene hohe Arbeitsbelastung oft als Wechselgrund genannt werden, sehen viele Mitarbeitende in einem gut funktionierenden Team einen Grund, zu bleiben. Dies zeigt, dass es nebst einer genügenden Anzahl Mitarbeitender auch auf die Qualität der Zusammenarbeit und den kollegialen Rückhalt im Team ankommt. Organisationen, die die Möglichkeit haben, ihre Personalressourcen gezielt zu stärken und die Arbeitsbelastung auf genügend Schultern zu verteilen, motivieren ihre Mitarbeitende eher, zu bleiben.  

Attraktive Rahmenbedingungen  

Materielle und strukturelle Aspekte wie der Lohn oder Aufstiegsmöglichkeiten spielen bei den Wechselgründen eine grössere Rolle als bei den Bleibegründen. Wechselwillige Mitarbeitende klagen häufig über fehlende Karrierechancen, unattraktive Rahmenbedingungen und fehlende Alternativen zum jetzigen Job. Gleichzeitig motivieren immaterielle Werte wie die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit oder das positive Arbeitsklima diejenigen, die in ihrer Position bleiben. Dies zeigt, dass in der Sozialen Arbeit zwar finanzielle und karrieretechnische Anreize wichtig, aber nicht allein entscheidend sind.  

Für arbeitgebende Organisationen empfiehlt es sich, attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen, die sowohl materielle als auch immaterielle Aspekte berücksichtigen. So kann etwa eine transparente und nachvollziehbare Lohnstruktur, beispielsweise unter Einbezug des Lohnrechners vom Gewerkschaftsbund, die Zufriedenheit fördern. Eine korrekte Einstufung verhindert Ungerechtigkeiten und stärkt das Vertrauen der Mitarbeitenden in die Organisation. 

Gute Rahmenbedingungen können zum Beispiel auch durch transparente Aufstiegsmöglichkeiten sowie ein Arbeitsumfeld geschaffen werden, das Wert auf Sinnhaftigkeit und ein positives Klima legt.  

Gestaltungsspielräume und Anerkennung  

Mitarbeitende, die über einen Wechsel nachdenken, äussern oft Unzufriedenheit mit der Führungsqualität oder den Organisationsstrukturen. Mangelnde Fach- und Führungskompetenz sowie organisatorische Defizite wie unklare Zuständigkeiten oder unzureichendes Qualitätsmanagement, werden häufig als Gründe genannt. Die Pflege einer positiven und wertschätzenden Teamkultur, zum Beispiel durch regelmässige Austauschformate und gemeinsame Visionen, kann den Zusammenhalt stärken. Teamevents und soziale Anlässe fördern die soziale Integration und das Gemeinschaftsgefühl im Team. Gleichzeitig fühlen sich Mitarbeitende wertgeschätzt, wenn ihre Expertise anerkannt wird und sie über Gestaltungsfreiräume verfügen. Dies unterstreicht die Bedeutung von kompetenter Führung und klaren Organisationsstrukturen. 

Für Organisationen lohnt es sich daher, in die Entwicklung von Führungskräften zu investieren, transparente Strukturen zu schaffen und ihre Mitarbeitenden in wichtige Entscheidungsprozesse einzubinden. Transparenz in Entscheidungsprozessen und die Einbindung der Mitarbeitenden fördern die organisatorische Integration und erhöhen die Zufriedenheit. Möglichkeiten zum kollegialen Austausch und Unterstützung bei emotionaler und fachlicher Belastung steigern das Wohlbefinden der Mitarbeitenden.  

Arbeitsumfeld und Infrastruktur 

Eine angenehme Arbeitsumgebung und eine gute Infrastruktur sind weitere Faktoren für die Arbeitszufriedenheit. So erleichtert etwa die Bereitstellung moderner und gut funktionierender IT-Geräte die tägliche Arbeit und zeigt Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden. Mit Investitionen in zeitgemässe Arbeitsmittel und gesundheitsfördernde Arbeitsplätze können Organisationen dazu beitragen, die Effizienz und Zufriedenheit zu steigern. 

Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben 

Ein weiterer Faktor, der sowohl bei den Wechsel- als auch bei den Bleibegründen eine Rolle spielt, ist die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.  Für viele wechselwillige Mitarbeitende ist die fehlende Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung ein ausschlaggebender Grund, die Organisation zu verlassen. Dies gilt insbesondere für stationäre Einrichtungen, in denen die hohe Anzahl von Nacht- und Wochenenddiensten als belastend empfunden wird. Demgegenüber loben bleibewillige Mitarbeitende, die in flexibleren Arbeitsumgebungen tätig sind, die Möglichkeit, ihre Arbeitszeiten selbstständig zu gestalten und so eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erreichen. Organisationen, die möglichst flexible Arbeitszeitmodelle anbieten, haben eine höhere Chance, ihre Mitarbeitenden zu halten.  

Ausblick

Fachpersonen nicht nur zu finden, sondern auch zu halten, ist ein wichtiges Mittel, um personellen Engpässen zu begegnen und um qualitativ hochwertige Arbeit gewährleisten zu können. Unsere Untersuchung hat uns erste Hinweise weist darauf hingegeben, welche Faktoren zu einer nachhaltigen Mitarbeitendenbindung beitragen. Darauf aufbauend werden wir uns im Rahmen unseres Kompetenzfeldes Arbeitsmarkt auch künftig damit auseinandersetzen, wie Arbeitgebende im Sozialbereich aktiv nachhaltige Arbeitsverhältnisse schaffen und fördern können. 

Autor*in