Zum Inhalt oder zum Footer

Wie Mitarbeitendenbindung auf der Verwaltung gelingen kann

05.12.2024 - 5 Min. Lesezeit

Sozialhilfe
Portrait von Martin Heiniger

Martin Heiniger

Fachredaktion Sozialinfo

Vier Personen sitzen an einem Tisch und unterhalten sich.

Öffentliche Verwaltungen sind grundsätzlich hierarchisch organisiert. Sind Dienststellen der Sozialen Arbeit in die Verwaltung eingebettet, unterliegen sie Vorgaben von übergeordneten Stellen. Wie wirkt sich dies auf die Gestaltung nachhaltiger Arbeitsverhältnisse aus?

Sozialinfo befasst sich intensiv mit Faktoren von nachhaltigen Arbeitsverhältnissen. Mit dem diesjährigen Prix Sozialinfo wurden Organisationen gewürdigt, die sich explizit um entsprechende Arbeitsbedingungen bemühen. Grundlage für die Beurteilung der Eingaben durch die Fachjury waren jene Faktoren von nachhaltigen Arbeitsverhältnissen, die wir in unseren Forschungsprojekten in Kooperation mit der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW gewonnen haben. 

Unser Versuch der Objektivierung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Organisationen im Sozialbereich sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen unterliegen. Dabei scheint vor allem eine Rolle zu spielen, ob eine Organisation eine private Trägerschaft hat oder einer öffentlich-rechtlichen Organisation, etwa einer Verwaltungsorganisation, angehört.  

Öffentlich-rechtliche Organisationen sind Teil einer übergeordneten Verwaltungshierarchie, und wir gehen davon aus, dass diese strukturellen Voraussetzungen ihnen, im Vergleich zu Organisationen mit privater Trägerschaft, weniger Gestaltungsspielraum eröffnen. Dies kann sie hindern, ihre Arbeitsbedingungen dem aktuellen Zeitgeist entsprechend zu gestalten. Damit haben sie  erschwerte Bedingungen, um Mitarbeitende langfristig an sich zu binden. 

Wie schaffen es öffentlich-rechtliche Organisationen dennoch, ein attraktives und nachhaltiges Arbeitsumfeld zu schaffen?  Eine exemplarische Antwort auf diese Frage liefert das Dienstleistungszentrum Soziales (DLZ) der Gemeinde Thalwil. Obschon das DLZ die Podestplätze im diesjährigen Prix Sozialinfo knapp verpasst hat, war die Jury von ihrem Engagement für «gute» Arbeitsbedingungen echt beeindruckt. Wir haben mit Benjamin Hohl, dem Teamleiter Sozialarbeit der Gemeinde gesprochen, um mehr zu erfahren. 

« Wir haben einen sehr kollegialen Umgang und leben eine wertschätzende und empathische Teamkultur. »

Portrait von Benjamin Hohl

Benjamin Hohl

Martin Heiniger / Sozialinfo: Haben öffentlich-rechtliche Dienststellen weniger Spielräume als Organisationen mit privater Trägerschaft?  

Benjamin Hohl: Ja, das sehe ich durchaus. Organisationen mit privaten Trägerschaften haben oft schlankere Strukturen und schnellere Entscheidungswege. Als Beispiel: Bei den drei Finalist*innen des Prix Sozialinfo sehe ich kollegiale Führungsstile, Entscheidungen, die bottom-up getroffen werden und interne Inklusion bis in die Geschäftsleitung. Dies ist bei uns als öffentlich-rechtliche Verwaltungsorganisation nicht umsetzbar. In unserem Konstrukt brauchen Beschlüsse aufgrund des politischen Prozesses eine gewisse Zeit und sind neben der Meinung der Fachpersonen letztendlich auch von politischen Ansichten und Überzeugungen beeinflusst.  

Gibt es auch Vorteile gegenüber Organisationen mit privaten Trägerschaften?  

Auf jeden Fall. Ich glaube, es gibt eine grössere Absicherung. Ein Projekt durchläuft bei uns mehrere Verwaltungsstufen und wird in verschiedenen Gremien abgewogen und diskutiert. Das ist zwar ein langwieriger Prozess, aber am Ende haben die Initiant*innen mehr Rückhalt. Auch die Rechtssicherheit ist gross, weil im Rahmen des Verwaltungshandelns alles rechtlich bis ins Detail verbindlich geregelt ist. Zudem ist die Gemeinde Thalwil eine innovative und moderne Arbeitgeberin, die Arbeitsplätze bietet, die weniger den konjunkturellen Schwankungen des Arbeitsmarktes unterliegen. Das vermittelt mir als Arbeitnehmer Sicherheit.    

Was macht das DLZ Soziales Thalwil zu einem attraktiven Arbeitgeber? 

Die externen Kriterien sind schnell erklärt: Wir sind eine mittelgrosse Gemeinde mit einer guten ÖV-Anbindung. Wir gehören zum Kanton Zürich, wo die Arbeitnehmenden fair entlöhnt werden – auch im Sozialdienst. Intern würde ich sagen, ist es vor allem das Team, das uns attraktiv macht. Wir haben einen sehr positiven, kollegialen Umgang miteinander und leben eine wertschätzende und empathische Teamkultur. Wir erhalten oft die Rückmeldung, dass die Bewerber*innen dies spüren, wenn sie beim Vorstellungsgespräch ins Haus kommen und das Team kennenlernen. Das freut uns natürlich. In der Zusammenarbeit tolerieren wir auch die individuell unterschiedlichen Bedürfnisse und Meinungen. Diese Teamkultur führt zum einen dazu, dass wir teils langjährige Mitarbeitende haben. Zum anderen gibt es Personen, die nach einer Zeit an einer anderen Arbeitsstelle wieder zu uns zurückgekommen sind. Von ihnen hören wir, dass bei uns in Thalwil etwas gelebt werde, was sie an anderen Orten nicht erlebt hätten und dass sie das sehr schätzen. 

Portrait von Benjamin Hohl

Benjamin Hohl

Sozialarbeiter FH
Bereichsleiter Sozialarbeit beim Dienstleistungszentrum Soziales der Gemeinde Thalwil

Im Rahmen des Prix Sozialinfo 2024 wurden verschiedene organisationale Aspekte beschrieben, die nachhaltige Arbeitsverhältnisse begünstigen. Wo liegen die Stärken Ihrer Organisation? 

Die Gemeinde Thalwil bekennt sich zu Werten wie einer wertschätzenden Führungskultur und flachen Hierarchien. Dies ermöglicht es, Mitarbeitenden grosses Mitspracherecht und Verantwortung zur selbstständigen Aufgabengestaltung zu übergeben. Wir können unsere Ziele gemeinsam erarbeiten, was die Zusammenarbeit in den Teams stärkt. Hinzu kommt, dass die Work-Life-Balance grossgeschrieben wird. So haben wir flexible Arbeitszeitmodelle und anderweitige gute Arbeitsbedingungen, beispielsweise Fitness-Angebote in der Mittagszeit oder abends – wie Crossfit, Yoga, Volleyball oder Schwimmen – die für die Mitarbeitenden gratis sind. Zudem haben wir eine offene Bürokultur; es ist ein wohlwollendes Miteinander. Das ist zum einen sehr schön, zum anderen kriegen die Mitarbeitenden aber auch mit, wenn etwas nicht gut läuft. Das führt mich zu unserer Fehlerkultur: Wir stehen dazu, wenn wir Fehler machen, innerhalb des Teams, aber auch seitens der Vorgesetzten. Indem wir offen darüber sprechen, können wir daraus auch lernen. Das schätze ich auch als Führungsperson sehr.   

Was ist die Quelle des Entscheids, diese Art des Miteinanders leben zu wollen? 

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Was sicher wichtig ist, sind die fünf Führungswerte, die unsere Gemeinde definiert hat. Die sind den Menschen auf der Verwaltung wichtig, und an denen orientieren sie sich. Sie beinhalten, dass wir respektvoll miteinander umgehen, dass wir Ziele gemeinsam festlegen, dass wir die Entwicklung Mitarbeitender unterstützen, dass wir die Verantwortung für unser eigenes Handeln übernehmen und dass wir eine konstruktive Feedbackkultur leben. Diese Grundsätze werden bereits bei den Vorstellungsgesprächen thematisiert, und dann gibt es dazu auch intern regelmässige Schulungen und Coachings, wie Führungspersonen diese Werte umsetzen können. Diese Haltungswerte sind auch von der politischen Seite, vom Gemeinderat abgestützt. 

Was ist der Haupttreiber dafür? Stehen dahinter eher ökonomische Überlegungen, da zufriedene Mitarbeiter*innen bessere Arbeit leisten, oder folgt man einer Idealvorstellung, wie Menschen behandelt werden sollten? 

Ich glaube, es ist sowohl als auch. Für die politischen Gremien steht wahrscheinlich eher das Ziel im Vordergrund, die Mitarbeitenden an die Gemeinde zu binden, weil langjährige und zufriedene Mitarbeitende einen deutlichen Mehrwert für die Gemeinde bedeuten. Das ist auch völlig legitim. Die Führungspersonen in der Verwaltung andererseits haben eher im Blick, dass es beispielsweise wertvoll für eine positive Teamkultur ist, wenn wir langjährige Mitarbeitende halten können, den Teams Gestaltungsspielräume ermöglichen oder jungen Mitarbeitenden eine Chance geben, sich zu entwickeln und zu verwirklichen. Diese beiden Sichtweisen widersprechen sich nicht, sondern wirken vielmehr zusammen. 

Gibt es Ideen zur weiteren Entwicklung?  

Wir haben junge Menschen in Führungspositionen, die frischen Wind in die Gemeindeverwaltung bringen. Dadurch werden Themen wie Arbeitswelt 4.0, New Work, agile Organisation und Führungsstil nicht einfach als Zukunftsmusik abgetan, sondern ernst genommen. Auch die übergeordneten Führungsebenen wollen dem auf den Grund gehen und überlegen sich immer wieder, ob es beispielsweise Möglichkeiten für Co-Leitung gibt, wie sich Prozesse besser digitalisieren lassen, wie wir KI besser für unsere Verwaltungsarbeit nutzen können oder welche Arbeiten wir auslagern könnten. Ich glaube, diese moderne und innovationsfreundliche Einstellung trägt auch zur Bindung der Mitarbeitenden bei. 

Sie haben es als Gemeinde geschafft, eine Verwaltungskultur zu etablieren, die sehr Arbeitnehmer*innenfreundlich ist. Welche Tipps würden Sie anderen Verwaltungsorganisationen geben, die das auch anstreben? 

Ich glaube, Offenheit für Neues ist zentral. Als Verwaltung sind wir beeinflusst vom gesellschaftlichen Wandel und es ist wichtig, mit der Zeit zu gehen und auch mal etwas zu wagen, das noch nicht total durchstrukturiert ist. Dabei ist es wichtig, auch Vorschläge ernst zu nehmen, die nicht aus übergeordneten Strukturen, sondern eben von den Arbeitnehmenden kommen, die ihre Ideen aus der Praxis einbringen möchten, oder von jüngeren Menschen, die in der Praxis ausprobieren möchten, was sie im Studium gelernt haben. Gerade Ideen für Angebote, die auf Bedürfnisse der Bevölkerung antworten, kommen oft von denjenigen, die mit den Menschen aus der Gemeinde in direktem Kontakt sind, sei es an einem Mittagstisch, in einem Hort, in der Schule oder eben auch im Sozialdienst. Manchmal braucht es für eine Veränderung, die grosse Auswirkungen hat, gar nicht so einen grossen ökonomischen Aufwand. Was Team- und Mitarbeitendenbindung betrifft, sind gemeinsame Führungswerte der wichtigste Ansatz. Wenn das gelebt wird, dann fühlen sich  Mitarbeitende ernst genommen und sind auch als Einzelpersonen bereit, das umzusetzen.   

Sie selbst arbeiten seit sechs Jahren auf der Verwaltung in Thalwil. Was ist es, was Sie hält? 

Für mich ist es wichtig, dass ich etwas bewirken kann. Ich habe hier die Stelle als Sozialarbeiter direkt ab Studium angetreten und vier Jahre später erhielt ich die Möglichkeit,  in die Teamleitung einzusteigen. Mir wurde sehr schnell Verantwortung übergeben, ich konnte mitgestalten und meine Ideen einbringen. Meine Vorgesetzten haben das auch ernst genommen und umgesetzt und da habe ich sehr viel Wertschätzung erlebt. Es macht Spass, so mitarbeiten zu dürfen. 

Autor*in