Bei KTG-Leistungen ist die wichtigste Frage, ob eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Sie ist die Voraussetzung, damit jemand überhaupt Taggelder erhält. Mit der Anspruchsberechtigung sind aber auch Pflichten verbunden. Was Sozialberatende dazu wissen müssen, und wie es um den sozialrechtlichen Versicherungsschutz während des KTG-Bezugs steht, erörtert dieser Beitrag.
Dreiteilige Serie zur Krankentaggeldversicherung
Im ersten Teil hat unser Sozialrechtsexperte Peter Mösch Payot die Grundlagen zu Ansprüchen und Leistungen, den Zusammenhang mit Lohnansprüchen nach dem Arbeitsrecht und die Möglichkeit des Übertritts in eine Einzelversicherung nach Beendigung der Anstellung dargestellt.
Im zweiten Teil ging es darum, wie KTG-Leistungen mit anderen Versicherungsleistungen koordiniert werden.
Im vorliegenden dritten Teil wird die Frage der Arbeitsunfähigkeit als Anspruchsvoraussetzung dargelegt. Ebenso werden die Pflichten (insbesondere Schadenminderungspflichten) der Versicherten beim Leistungsbezug sowie der Versicherungsschutz während des Bezuges von Krankentaggeldern beleuchtet.
Dieser Fokusartikel befasst sich mit drei Fragestellungen rund um Krankentaggeldleistungen, die in der Sozialberatung von Bedeutung sind:
- Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Bezug von Krankentaggeldern
- Schadenminderungspflichten der Versicherten, insbesondere bei längerfristiger Erkrankung
- Versicherungsschutz während des Bezuges von Krankentaggeldern
Die Ausführungen beziehen sich auf Taggelder, wie sie üblicherweise bei kollektiven Krankentaggeldversicherungen abgesichert werden.1
Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für Krankentaggelder
Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist in Art. 6 ATSG definiert:
Arbeitsunfähigkeit liegt vor bei einer Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit, die sich auf die Fähigkeit auswirkt, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten.
Bei «langer Dauer» (bei KVG-Taggeldversicherungen ab ca. sechs Monaten; bei VVG-Taggeldversicherungen häufig schon ab drei bis fünf Monaten) wird auch eine zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt.
Die Arbeitsunfähigkeit in diesem Sinn ist im Sozialversicherungsrecht von grösster Bedeutung, weil sie wichtig für die Bestimmung diverser Ansprüche ist:
- In der Unfallversicherung ist sie dafür ausschlaggebend, ob Taggelder gewährt werden.
- In der IV ist sie Voraussetzung für diverse Eingliederungsmassnahmen2 und eine der Voraussetzungen für die Rente3.
- Wichtig ist der Begriff aber ebenso in der Arbeitslosenversicherung, weil dort bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit Leistungen gewährt werden können, und weil die Arbeitsunfähigkeit der Vermittlungsfähigkeit entgegenstehen kann (vgl. Ausführungen Teil 2).
- In der beruflichen Vorsorge spielt die Arbeitsunfähigkeit eine Rolle bei der Frage, ob die invalidisierende Gesundheitsschädigung ihren Anfang genommen hat als (noch) eine Versicherungsunterstellung bestand, was für die Leistungspflicht der Pensionskasse matchentscheidend ist (Art. 23 BVG).
Ebenfalls ist die Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 6 ATSG eine Anspruchsvoraussetzung für Leistungen der Krankentaggeldversicherung nach KVG (Art. 72 Abs. 2 KVG).
Arbeitsunfähigkeit bei KTG nach VVG
Wie in Teil 1 dieser Serie dargestellt, sind die meisten der Krankentaggeldversicherungen solche nach Privatrecht, also nach Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Bei diesen ist die Arbeitsunfähigkeit nicht direkt aus Art. 6 ATSG ableitbar. Aber in den meisten Fällen nehmen die Allgemeinen Vertragsbedingungen (AVB) der Krankentaggeldversicherungen nach VVG auf diesen Begriff der Arbeitsunfähigkeit Bezug oder umschreiben sie in ähnlicher Weise.
Im Kern ist eine Arbeitsunfähigkeit dann gegeben, wenn eine Einbusse des funktionellen Leistungsvermögens im bisherigen Beruf besteht.4 Der Grad der Arbeitsunfähigkeit gibt dabei an, in welchem Umfang die betroffene Person aus krankheitsbedingten Gründen nicht (mehr) nutzbringend tätig sein kann.
Als Beispiel: 60% Arbeitsunfähigkeit bedeutet, dass man in der vorgegebenen Zeit der Anstellung noch zu 40% nutzbringend sein kann. Das kann sachlich bedeuten, dass die bisherigen Tätigkeiten noch zu 40% möglich sind, oder zeitlich, dass in der vorgesehenen Zeit noch 40% der Leistung erbracht werden kann. Häufig kombinieren sich die sachliche und zeitliche Komponente der Arbeitsunfähigkeit.
Bei Teilzeit-Tätigkeiten können Unklarheiten entstehen, wenn ärztliche Zeugnisse sich nicht klar auf die entsprechende Teilzeit-Tätigkeit beziehen. Im Zweifel ist ratsam, bei den entsprechenden Arztpersonen nachzufragen, inwieweit die entsprechende Teilzeit-Tätigkeit – sachlich und/oder zeitlich – noch möglich ist.
Eine Arbeitsunfähigkeit kann auch vorliegen, wenn die Tätigkeit zwar möglich, aber nicht mehr zumutbar ist, etwa wegen einer erheblichen Gefahr, dass die weitere Tätigkeit den Gesundheitszustand verschlimmern würde.5 Bei kollektiven Krankentaggeldversicherungen nach VVG führt Arbeitsunfähigkeit in der Regel nur dann zu einer Leistung, wenn die Erkrankung einen Erwerbsausfall, also einen Lohnverlust, zur Folge hat.6 Bei Krankentaggeldversicherungen nach KVG muss dabei für Leistungen eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 50% vorliegen.7 Bei Taggeldversicherungen nach VVG kann auch ein Ausfall zu einem tieferen Grad versichert sein, je nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen.
Beweis der Arbeitsunfähigkeit
Die Arbeitsunfähigkeit ist eine Voraussetzung für die Leistungen der KTV.8 Dabei gilt für das Privatrecht, dass immer die Person die entsprechenden Tatsachen beweisen muss, welche daraus Rechte ableitet (Art. 8 ZGB). Bei Sozialversicherungen wie der Krankenversicherung nach KVG muss jedoch der Versicherungsträger abklären, ob die Voraussetzungen für den Anspruch vorliegen (Art. 43 ATSG), wobei die versicherte Person eine Mitwirkungspflicht hat und sich den entsprechenden Abklärungen unterziehen muss (Art. 28 ATSG).
Wenn jedoch die Arbeitsunfähigkeit nicht genügend belegt werden kann, trägt immer die betroffene Person die Folgen, weil dann der Anspruch nicht (mehr) besteht. Bei KTV nach VVG sind die entsprechenden Abklärungsinstrumente und die dazugehörigen Verpflichtungen der Versicherten häufig auch in den Allgemeinen Vertragsbedingungen (AVB) beschrieben.
Das zentrale Beweismittel einer Arbeitsunfähigkeit ist ein entsprechendes ärztliches Zeugnis. Dabei dürfen Krankentaggeldversicherungen, sowohl nach KVG als auch nach VVG, detaillierte Arztzeugnisse verlangen, welche aussagekräftigere Auskunft über die noch bestehende funktionale Arbeitsfähigkeit geben (siehe dazu etwa die Vorlagen von Swiss Insurance Medicine). Ein solches Zeugnis sollte die Modalitäten der Untersuchung und Behandlung umschreiben. Es beinhaltet im Idealfall die ärztliche Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit auf der Basis eines Arbeitsplatzbeschriebes und kann dadurch einen stärken Beweiswert haben als ein simples Arztzeugnis.
Versichernde können zusätzlich ärztliche Berichte einholen. Solche beinhalten zusätzlich zum (detaillierten) Arztzeugnis Hinweise zur Krankengeschichte und eine summarisch begründete Diagnose. Oftmals werden auch Angaben gemacht, welche die Zumutbarkeit einer Tätigkeit bestimmen lassen.
Bei längeren Arbeitsunfähigkeiten wird von versicherten Personen im Sinne der Mitwirkungspflicht oft verlangt, sich einer vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Bei VVG-Versicherungen sind die entsprechenden Pflichten in den AVB geregelt. Dabei müssen sich die Informationen, welche die untersuchende Arztperson der Versicherung weitergibt, auf dasjenige beschränken, was zur Prüfung des Anspruchs notwendig ist.
Wenn die KTV unter Verweis auf solche Berichte und vertrauensärztliche Untersuchungen Leistungen ablehnt, ist gut zu prüfen, wer mit welchem Fachwissen in welcher Qualität die entsprechenden Untersuchungen vorgenommen hat. Sozialberatende können mittels Akteneinsicht und ev. Einverlangen einer zusätzlichen Einschätzung der behandelnden Arztpersonen die entsprechende Einschätzung in Frage stellen, wenn nötig.
Wenn versicherte Personen ihre Mitwirkungspflichten verletzen, etwa indem sie an vertrauensärztlichen Abklärungen nicht teilnehmen, wird das meist streng sanktioniert. Versichernde können dann Leistungen ablehnen oder einstellen. Bei VVG-Versichernden ist dabei die Regelung in den AVB entscheidend, die in solchen Fällen kritisch zu prüfen ist. Sozialberatende sollten Betroffene darauf hinweisen, dass sie allfällige Mitwirkungspflichten unbedingt wahrnehmen sollen. Im Fall, dass eine Teilnahme nicht möglich ist, müssen sie dies unmittelbar an die Versicherung mit Begründung und womöglich Beleg melden.
Einschränkungen der Leistungen durch Vorbehalte
Grundsätzlich gilt ein Anspruch unabhängig davon, welche Erkrankung Grund für die Arbeitsunfähigkeit ist. Die Krankentaggeldversicherungen können aber generell in den Versicherungsbedingungen (AVB) oder konkret für die*den Antragsteller*in eine Gesundheitsprüfung vorsehen und Gesundheitsvorbehalte anbringen.
Oft werden etwa vorbestehende Leiden vom Versicherungsschutz ausgenommen. Manchmal wird in den AVB für bestimmte (z.B. psychische) Erkrankungen ein genereller Vorbehalt vorgesehen. Es können zudem so genannte arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeiten von der Leistungspflicht ausgenommen sein (siehe unten).
Ausschlüsse des Versicherungsschutzes der VVG-Taggeldversicherungen, etwa für bestimmte Erkrankungen, sind in der Sozialberatung kritisch zu prüfen. Bei Ausschlüssen in AVB ist Folgendes zu beachten:
Sie sind nur zulässig, wenn sie klar und eindeutig festgelegt sind. Unklare Formulierungen von Versicherungsausschlüssen dürfen nicht zu Ungunsten von Versicherten ausgelegt werden.9
Sie führen häufig dazu, dass die Krankentaggeldabsicherung nicht mehr gleichwertig ist wie die Pflicht zur Lohnfortzahlung des Arbeitgebers (Art. 324 Abs. 2 OR) oder ev. auch die weitergehende Verpflichtung aus einem Arbeitsvertrag/Personalreglement oder einem Gesamtarbeitsvertrag (siehe Teil 1). Das führt dazu, dass die Lohnfortzahlung des Arbeitgebers bzw. die weitergehende Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag oder GAV wieder auflebt und gewährt werden muss.
Ansprüche auf Krankentaggelder bei arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeiten
In der Praxis stellt sich seit einigen Jahren die Frage, ob für Krankentaggeldversicherungen nach KVG oder VVG auch bei der so genannten arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit eine Leistungspflicht besteht.10 Dabei geht es um Fälle psychischer Belastung, insbesondere bei Konfliktsituationen, Mobbing oder Stress, wo sich die Arbeitsverhinderung auf die konkrete Stelle bezieht und im Übrigen keine oder kaum Einschränkungen für eine Arbeitstätigkeit bestehen.
Bei KVG-Taggeldversicherungen gilt im Prinzip ein Anspruch, weil Art. 72 Abs. 2 KVG und Art. 6 ATSG erfüllt sind und eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit also ein versichertes Ereignis darstellt.
Bei den viel häufiger vorkommenden VVG-Versicherungen gilt grundsätzlich, dass bei Arbeitsunfähigkeit auch dann ein Anspruch besteht, wenn diese arbeitsplatzbezogen ist. Ausnahmen können bestehen, wenn die Vertragsbedingungen (AVB) die arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeiten ausschliessen.11 Das ist in der Praxis der Entwicklung der Versicherungsbedingungen zunehmend der Fall, weil das Bundesgericht für diese Fälle bei der verwandten Frage des zeitlichen Kündigungsschutzes (Sperrfrist bei Arbeitsunfähigkeit) den Schutz der Arbeitnehmenden in seiner Rechtsprechung stark gelockert hat. Das hat möglich gemacht, dass eine Kündigung in vielen Fällen ohne Abwarten der Sperrfrist möglich ist, wenn die Arbeitsunfähigkeit wirklich nur arbeitsplatzbezogen ist.12 Zu prüfen sind die gleichen Regeln wie bei anderen Ausschlüssen.
Schadenminderung
Bei Krankentaggeldversicherungen nach KVG ist gemäss Art. 21 Abs. 1 ATSG zu beachten, dass Leistungen in zwei Fällen gekürzt oder verweigert werden können: Erstens, wenn der Versicherungsfall (also die Arbeitsunfähigkeit) bei der Ausübung eines Vergehens oder eines Verbrechens herbeigeführt oder verschlimmert wurde. Zweitens, wenn die Arbeitsunfähigkeit vorsätzlich selbst herbeigeführt wurde.
Bei längerer Dauer (in der Praxis sind ca. sechs Monate gemeint) liegt eine Arbeitsunfähigkeit nur noch vor, wenn sie nicht mehr nur für den bisherigen Arbeitsplatz besteht, sondern auch weitere zumutbare Tätigkeiten, so genannte Verweistätigkeiten, betrifft. Bei langer Dauer der Erkrankung ist nämlich gemäss Art. 6 Abs. 2 ATSG eine Arbeitsunfähigkeit nicht mehr gegeben, wenn nur die bisherige Tätigkeit funktional ausgeschlossen oder beschränkt wäre, eine Verweistätigkeit aber möglich und zumutbar ist.13
Bei den Krankentaggeldversicherungen nach VVG geht die so genannte Schadenminderungspflicht weiter, wobei die allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) zu beachten sind. Dazu gehört oft, dass sich die Betroffenen bei der ALV oder der IV anmelden, oder dass sie zumutbare medizinische Behandlungen oder Eingliederungsmassnahmen, etwa der IV, auf sich nehmen. Bei Verletzungen dieser Bedingungen können die Leistungen gekürzt oder eingestellt werden.
VVG-Taggeldversichernde dürfen bei einer länger dauernden Arbeitsunfähigkeit überdies in Anwendung von Art. 61 VVG eine angemessene Frist von ca. drei bis fünf Monaten ansetzen, innert welcher ein Stellenwechsel bzw. ein Berufswechsel zu erfolgen habe, und gleichzeitig die Leistungseinstellung androhen.14 Eine längerfristige Arbeitsunfähigkeit ist nur versichert, wenn auch andere Tätigkeiten und Berufe nicht mehr möglich oder zumutbar sind.
Zu beachten sind aber die Rahmenbedingungen der Schadenminderung. Die entsprechenden Verweistätigkeiten müssen medizinisch und tatsächlich möglich, realisierbar und zumutbar sein, damit die Arbeitsunfähigkeit für die Zukunft abgelehnt und die Leistungen eingestellt werden können.
Praxisfrage 8
Was sollten Beratungspersonen prüfen, wenn eine KTV bei längerer Erkrankung eine Arbeitsfähigkeit in Verweistätigkeiten behauptet und die Leistungen einstellt?
Achtung: Die nachfolgenden Aspekte zur Zulässigkeit der Einstellungen gelten allgemein. In AVB der VVG-Taggeldversicherungen können jedoch eindeutig und klar formulierte Abweichungen zulässig sein.
Ist der Gesundheitszustand stabil und durch die weitere Behandlung keine wesentliche Verbesserung der Arbeitsfähigkeit für die frühere Tätigkeit zu erwarten?15
Nur wenn dies bejaht wird, ist es zulässig, die weiteren Leistungen wegen der Arbeitsfähigkeit in einer anderen Tätigkeit abzulehnen.
Ist die Tätigkeit in einer Verweistätigkeit medizinisch möglich und zumutbar?
Dazu sind die bestehenden medizinischen Indizien auf ihren Inhalt und ihre Aussagekraft zu prüfen, ev. mittels Akteneinsicht bei der Krankentaggeldversicherung.
Sind die medizinisch möglichen Verweistätigkeiten tatsächlich realisierbar?
- Bestehen für die Tätigkeiten überhaupt Arbeitsstellen auf dem realen Arbeitsmarkt?
- Ist eine Eingliederungsmassnahme (der IV) konkret geplant oder noch im Gange? Eine konkret vorgesehene oder laufende Eingliederungsmassnahme steht der Realisierbarkeit der Arbeitsfähigkeit in einer Verweistätigkeit entgegen.16
- Ist eine entsprechende Tätigkeit für die betroffene Person mit Blick auf persönliche Faktoren wie Alter, familiäre Verhältnisse oder soziale Stellung realisierbar und zumutbar?17
Wurde die Frist eingehalten, die zur Realisierung der Verweistätigkeit mindestens zu gewähren ist?
Bei VVG-Taggeldversicherungen beträgt sie je nach AVB mindestens drei bis fünf Monate18; bei KVG-Taggeldversicherungen mindestens sechs Monate19. Während dieser Zeit sind die Taggelder weiterhin zu gewähren, sofern die anderweitigen Voraussetzungen erfüllt sind.
Ist es der versicherten Person hypothetisch möglich und zumutbar, aus der Verweistätigkeit einen Lohn zu verdienen, der mindestens dem versicherten Lohn entspricht?
Ist nur eine Verweistätigkeit zumutbar, die einen tieferen als den versicherten, früher erzielten Lohn möglich macht, so muss die Lohndifferenz weiter gewährt werden.20
Bei gerechtfertigter Einstellung der Taggelder: Besteht noch ein Arbeitsverhältnis und ist in diesem Fall
- wieder eine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsvertrag oder dem GAV gegeben?
- die Möglichkeit gegeben, dass der Arbeitgeber im Rahmen der Fürsorgepflicht eine angepasste Tätigkeit anbietet?
- bei Anbieten der angepassten Arbeitstätigkeit, ohne dass ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt wird, ein Schadenersatzanspruch gegeben wegen Gläubigerverzug?
Praxisfrage 9
Wie können Beratungspersonen zur Wahrnehmung des Rechtsschutzes vorgehen, insbesondere auch bei VVG-Krankentaggeldversicherungen?
Im Zweifelsfall empfehlen sich folgende Schritte:
1. Genaue Erklärung und schriftliche Begründung zur Kürzung oder Ablehnung verlangen und bei VVG-Taggeldversicherungen AVB einverlangen und selber prüfen.
2. Juristischen Rat zur Prüfung der Auskunft der Versicherung einholen.
3. Ev. Ombudsstellen einbeziehen.
- Ombudsstelle bei VVG- oder KVG-Krankentaggeldversicherungen, die von Krankenkassen angeboten werden;
- Privatversicherungs-Ombudsstelle bei VVG-Krankentaggeldversicherungen, die von Privatversicherungen angeboten werden.
4. Einsprache prüfen (bei KVG-Taggeldversicherungen die Frist von 30 Tagen beachten!) oder eine Klage (VVG-Taggeldversicherungen) prüfen. Juristische Unterstützung ist dabei vor allem für eine Klage bei VVG-Versicherungen unabdingbar.
Versicherungsschutz während des Bezuges von Krankentaggeldern
Wenn eine Person Krankentaggelder bezieht, stellt sich die Frage, ob sie während der Zeit des Bezuges Beiträge an die Sozialversicherungen bezahlen muss und entsprechend vom Versicherungsschutz profitiert. Die Antwort ist je nach Sozialversicherung verschieden.
AHV/IV/EO
Auf Krankentaggeldern werden keine Beiträge erhoben (Art. 6 Abs. 2 lit. b AHVV). Anders sieht es aus für Lohnersatzleistungen der Arbeitgebenden. Auf diese werden dieselben Abzüge wie auf einen Lohn erhoben.
Bei Arbeitnehmenden, welche längere Zeit Krankentaggelder beziehen, sollten Beratungspersonen bei der Ausgleichskasse nachfragen, ob und wann eine Anmeldung als Nichterwerbstätige Person notwendig ist.
ALV
Auf Krankentaggeldern werden keine ALV-Abzüge vorgenommen. Aber solange das Arbeitsverhältnis besteht, wird die Zeit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als Beitragszeit angerechnet, unabhängig davon, ob Krankentaggelder gewährt werden (Art. 13 Abs. 2 lit. c AVIG). Hingegen sind Krankentaggelder während der Zeit, in der kein Arbeitsverhältnis besteht, nicht beitragswirksam.
UVG
Für die Unfallversicherung werden während des Bezuges keine Prämienbeiträge erhoben. Ein Versicherungsschutz ist gegeben, solange ein Anspruch auf mindestens die Hälfte des Lohnes besteht. Allfällige Krankentaggelder werden dabei als Bestandteil dem Lohn angerechnet (Art. 7 Abs. 1 lit. b UVV).
BVG
Krankentaggelder gelten nicht als versicherter Lohn. Solange aber ein Arbeitsverhältnis noch besteht und eine Lohnfortzahlungspflicht nach OR bestehen würde (Art. 8 Abs. 3 BVG), ist der Lohn weiterhin versichert.
Bei längeren Arbeitsunfähigkeiten sind für den Versicherungsschutz die Reglemente der Pensionskasse zu beachten, bzw. bei diesen nachzufragen. Je nach Pensionskasse besteht eine weitere Absicherung als Versicherungsleistung (so genannte Beitragsbefreiung) oder es besteht die Möglichkeit, freiwillig die Risiken Invalidität, Hinterlassenenschaft und ev. auch Alter weiter zu versichern.
Familienzulagen
Grundsätzlich ist der Anspruch auf Familienzulagen an den Lohnanspruch und das Arbeitsverhältnis gekoppelt (Art. 13 Abs. 1 FamZG). Bei Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit und einem Erlöschen des Lohnanspruchs bleibt aber der Anspruch auch bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den laufenden und drei weitere Monate bestehen (Art. 10 FamZV).21
Wenn die Familienzulagen nicht weiter über den früheren Arbeitsvertrag gewährt werden, sollten Beratungspersonen prüfen, ob gemäss den AVB der KTV die Familienzulagen über die Versicherung gewährt werden. Falls nicht, so kann bei der Ausgleichskasse abgeklärt werden, ob die Familienzulagen über eine andere anspruchsberechtigte Person gewährt werden können, oder ob die betroffene Person als nichterwerbstätige Person einen Anspruch geltend machen kann.
1 Für Selbständige, die für sich eine freiwillige Krankentaggeldversicherung abschliessen, gelten zum Teil andere Regelungen. Dafür sind im Besonderen deren Allgemeine Geschäftsbedingungen zu konsultieren. Vgl. dazu insb. Häberli, C. / Husmann, D. (2015). Krankentaggeld, versicherungs- und arbeitsrechtliche Aspekte. Stämpfli: Bern.
2 Vgl. etwa bzgl. Integrationsmassnahmen: Art. 14a Abs. 1 lit. a IVG ; bgzl. Arbeitsvermittlung: Art. 18 IVG.
3 Vgl. Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG: so genanntes Wartejahr. Bitte beachte, dass gemäss BGer 9C_543/2018 vom 21. November 2018 E. 4 eine rein arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit dieses Wartejahr nicht auszulösen vermag.
4 So schon das Bundesgericht in BGE 114 V 281 E. 3c
6 Bei KTV für Selbständige kann je nach Vertrag eine Absicherung auch ohne bewiesenen Erwerbsausfall versichert sein. Man spricht dann von Summenversicherungen. Zur Frage, inwieweit überhaupt eine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen werden muss und zum Verhältnis zur Lohnfortzahlung gemäss Art. 324 OR: Vgl. Teil eins dieser Serie.
7 Vgl. Art. 72 Abs. 2 KVG
8 Siehe dazu Kunz, L. / Meier, P. (2023). Das Arbeits(un)fähigkeitszeugnis, in: Jusletter 13. November 2023 mit weiteren Hinweisen.
9 BGE 148 III 57 E.2.2.2 (so genannte Unklarheitsregel)
10 Vgl. BGer 1C_595/2023 vom 26. März 2024 zur Frage, wie sich die arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit auf die Lohnfortzahlung nach OR und auf die Kündigungssperrfrist auswirkt. Vertiefend: Pärli, K. / Kunz, L. (2024). Arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit, in: Jusletter 19. August 2024.
11 Siehe etwa Gloor, W. (2024). Certificat médical à géométrie variable et protection contre le licenciement; commentaire de l’arrêt du Tribunal Fédéral 1C_595/2023, Newsletter DroitDuTravail.ch, Mai 2024.
12 Vgl. BGer 1C_595/2023 vom 26. März 2024 zur Frage, wie sich die arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit auf die Lohnfortzahlung nach OR und auf die Kündigungssperrfrist auswirkt. Vertiefend Pärli, K. / Kunz, L. (2024). Arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit, in: Jusletter 19. August 2024.
13 Vgl. BGer 9C_177/2022 vom 18. August 2022 E. 6.4
14 Vgl. BGer 4A_73/2019 vom 29. Juli 2019 E. 3.3
15 Vgl. EVGer vom 4.11.1999.
16 BGE 111 V 235; BGE 129 V 460.
17 Vgl. BGer 9C_177/2022 vom 18. August 2022: Bei einem fast 59-jährigen Polier ist das aufgrund der kurzen Zeitdauer bis zu einem möglichen frühzeitigen Altersrücktritt (60 Jahre) nicht der Fall.
18 BGer 4A_304/2012 vom 14. November 2012, E. 2.2.
19 Vgl. Pärli, K. / Petrik, A. (2024). Arbeit, Krankheit, Invalidität. Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Aspekte. Zürich: Schulthess. Rz. 44 m.H.
20 EVG K 121/03 vom 10.8.2004.
21 Ein weitergehender Anspruch kann bei weiter bestehendem Arbeitsverhältnis noch bestehen, wenn weiter ein Taggeld nach EOG, IVG oder nach der Militärversicherung von mind. CHF 630 pro Monat gewährt wird. Ebenso in Fällen, wo noch Leistungen der EO, etwa der Mutterschaftsversicherung, gewährt werden.
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Autor*in

Peter Mösch Payot
Co-Präsident und verantwortlicher Experte Rechtsberatung
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