Die Stellen in der Jugendarbeit
Achter Monitor des Stellenmarktes im Sozialwesen der Schweiz
Bei der Jugendarbeit handelt es sich – gemessen an den ausgeschriebenen Stellen – um eines der grössten Arbeitsfelder im Sozialwesen der Schweiz. Von den 6083 Stellen, die im Jahr 2017 im Stellenmarkt von sozialinfo.ch ausgeschrieben wurden, betreffen 945 die Jugendarbeit. Dieser Anteil von 16 Prozent an allen Stelleninseraten entspricht demjenigen der Vorjahre: Seit 2011 bewegt er sich zwischen 15 und 17 Prozent. Lediglich in den Arbeitsfeldern Erziehung/Bildung (19 Prozent) und Behindertenarbeit (20 Prozent) wurden im Jahr 2017 mehr Stellen ausgeschrieben.
Mit Abstand am häufigsten wird von den BewerberInnen im Arbeitsfeld Jugendarbeit eine höhere Berufsbildung verlangt (44 Prozent). Der Anteil Inserate, in denen lediglich eine berufliche Grundbildung gefordert wird, ist mit 24 Prozent im Vergleich zu anderen Arbeitsfeldern klein. Am seltensten werden in der Jugendarbeit jedoch Bewerbende mit einem Hochschulabschluss gesucht (15 Prozent). Verglichen mit anderen Arbeitsfeldern des Sozialwesens ist diese Zahl eher tief. Als Grund für diesen vergleichsweise geringen Anteil an Stelleninseraten, die einen Hochschulabschluss fordern, sieht Marcus Casutt, Geschäftsleiter des Dachverbands Offene Kinder- und Jugendarbeit, die Schwierigkeit, offene Stellen zu besetzen. Arbeitgebende würden aufgrund dieser Schwierigkeiten die Schwelle bezüglich der Ausbildung zum Teil bewusst tiefer ansetzen, um so mehr Stellensuchende zu erreichen. Für Frieder Recht, Gesamtleiter der Sonnenhof Arlesheim AG, einer Einrichtung, in der Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsbedarf begleitet werden, hängt es auch damit zusammen, dass Hochschulabschlüsse in der Jugendarbeit vor allem für Leitungsfunktionen gefordert werden. Diese Funktionen seien seltener als andere. Zudem sei die Fluktuation bei Leitungspositionen tiefer. (Grafik 1)
Viele Praktikums- und Zivildienststellen
Wie im Arbeitsfeld Behindertenarbeit1 ist auch in der Jugendarbeit der Anteil Stelleninserate für Praktikums- und Zivildienststellen mit 20 Prozent sehr hoch. Dies erklären sowohl Frieder Recht als auch Marcus Casutt unter anderem damit, dass es in der Jugendarbeit eine lange Tradition gibt, Berufsleute im Rahmen von Praktika auszubilden. Die Jugendarbeit eigne sich dank der Art und Vielfalt der Aufgaben sehr gut dafür, BerufseinsteigerInnen zu beschäftigen. Eliane Michel, Direktorin des kantonalen Jugendheims Lory in Münsingen, führt die vielen Praktikumsstellen darauf zurück, dass in der Jugendarbeit relativ bald praktisch gearbeitet werden kann und rasch ein Nutzen für die Arbeitgebenden spürbar wird. Allerdings könne bei Organisationen mit knappen finanziellen und personellen Ressourcen auch der finanzielle Aspekt eine Rolle spielen, wie Marcus Casutt ergänzt. Die meisten Inserate betreffen jedoch Stellen für die qualifizierte Fachmitarbeit (61 Prozent). Lediglich jeweils sechs Prozent sind ausgeschriebene Kader- und Teamleitungsstellen. Andere Funktionen wie beispielsweise Stellvertretungen oder Freiwilligenarbeit machen bei den Stellen im Bereich der Jugendarbeit etwa sieben Prozent der Inserate aus.
Wenig hohe Arbeitspensen
Der Anteil ausgeschriebener Vollzeitstellen2 unterscheidet sich mit neun Prozent kaum vom Durchschnitt aller Arbeitsfelder im Sozialbereich (10 Prozent). Der grösste Unterschied lässt sich bei hohen Teilzeitpensen mit über 80 Stellenprozenten ausmachen: Während diese bei der Gesamtheit der auf sozialinfo.ch ausgeschriebenen Stellen mehr als einen Fünftel aller Stelleninserate ausmachen (22 Prozent), beträgt ihr Anteil in der Jugendarbeit lediglich einen Zehntel (11 Prozent). Demgegenüber sind Stellen mit mittleren Teilzeitpensen von 41 bis 60 Stellenprozenten in der Jugendarbeit deutlich stärker vertreten als in anderen Arbeitsfeldern (27 Prozent gegenüber einem Durchschnitt von 19 Prozent). Laut Frieder Recht ist dies auf die höhere Flexibilität zurückzuführen, die den Betrieben durch mehrere Mitarbeitende mit mittleren Teilzeitpensen ermöglicht wird. Krankheitssituationen und Sonderbedürfnisse können so besser abgedeckt werden. Auch die hohe Arbeitsbelastung der einzelnen Mitarbeitenden kann auf diese Weise besser abgefedert werden: «Die Erfahrungen zeigen, dass die Arbeit derart kräftezehrend ist, dass Mitarbeitende mit hohen Arbeitspensen rascher ausbrennen und nicht die Regenerationszeit haben, die sie eigentlich benötigen», so Recht. (Grafik 2)
Im stationären Bereich kommt hinzu, dass Mitarbeitende oft im Heim übernachten müssen, erläutert Eliane Michel, Direktorin des Jugendheims Lory: «Bei diesen sogenannten Pikettdiensten wird für die Nacht eine finanzielle Entschädigung ausgerichtet – die Stunden werden aber nicht an die Arbeitszeit angerechnet. Dadurch fällt die Präsenz um einige Stunden höher aus als die effektive Arbeitszeit.» Daher seien Mitarbeitende mit einem Beschäftigungsgrad von mehr als 80 Prozent einer sehr hohen Belastung ausgesetzt.
Die vollständigen Interviews sowie weitere Monitorberichte lesen Sie auf www.monitoring-sozialwesen.ch.
1 Vgl. 7. Monitor in SozialAktuell 3/2018
2 Hier wird jeweils mit durchschnittlichen Stellenprozenten gerechnet. Wenn beispielsweise ein Pensum von 80-100 Stellenprozenten ausgeschrieben wird, rechnen wir mit 90 Stellenprozenten.
Datenquelle und Grafiken: sozialinfo.ch und FHNW
Jugendarbeit – ein guter Einstieg in die Soziale Arbeit
Der Stellenmarkt in der Jugendarbeit aus Arbeitgebersicht
Die Entwicklung des Stellenmarktes ist auch für Personalverantwortliche ein Thema. Giacomo Dallo ist seit 2011 Geschäftsführer der Offenen Jugendarbeit Zürich. Seine Einschätzungen zum Stellenmarkt in der Jugendarbeit.
Sarah Madörin: Im mit Abstand grössten Teil der Stelleninserate im Bereich Jugendarbeit – bei 44 Prozent – wird von den Bewerbenden eine höhere Berufsbildung verlangt. Einen Hochschulabschluss fordern hingegen eher wenige, nur 15 Prozent. Weshalb ist das so?
Giacomo Dallo: Jugendarbeit bietet nach wie vor für viele Personen einen Einstieg in die Soziale Arbeit – und zwar unabhängig davon, ob sie bald nach Abschluss des Gymnasiums einsteigen, erst Jahre später als Quereinsteigende in die Soziale Arbeit wechseln oder ob sie neben der Arbeit an einer Fachhochschule (FH) oder einer Höheren Fachschule (HF) studieren. Selbst TeamleiterInnen wachsen oft direkt aus der Jugendarbeit in ihre erste Führungsfunktion hinein und absolvieren erst in dieser Funktion und berufsbegleitend weiterbildende Studiengänge. Deshalb ist ein Hochschulabschluss meist nicht zwingend nötig.
GIACOMO DALLO
ist seit 2011 Geschäftsführer der OJA Offene Jugendarbeit Zürich. Zuvor hat er in der Offenen Jugendarbeit und in der Quartierarbeit in einem Gemeinschaftszentrum in der Stadt Zürich gearbeitet und dieses anschliessend mehrere Jahre geleitet. Er hat ein Diplom der Höheren Fachschule in Soziokultureller Animation und einen Master of Advanced Studies in Public Management.
Im Vergleich zu anderen Arbeitsfeldern werden in der Jugendarbeit viele Praktikumsund Zivildienststellen ausgeschrieben. Woran könnte das liegen?
Gerade weil Jugendarbeit ein Einstiegsfeld der Sozialen Arbeit ist, sind viele an einem Praktikum zum Kennenlernen des Arbeitsfeldes interessiert. Die Offene Jugendarbeit Zürich (OJA) versteht sich als Ausbildungsorganisation und bietet praktisch in jeder Einrichtung einen Praktikumsplatz an.
Weshalb werden in der Jugendarbeit verglichen mit anderen Arbeitsfeldern mehr Stellen mit mittleren Teilzeitpensen um die 50 Stellenprozent und weniger mit hohen Teilzeitpensen in der Grössenordnung von 90 Stellenprozenten ausgeschrieben?
Bei den aktuell neun Einrichtungen der OJA Zürich stellt sich jeweils die Frage, ob das Team besser mit zwei bis drei Mitarbeitenden mit hohen Teilzeitpensen oder mit drei bis vier Mitarbeitenden mit mittleren Teilzeitpensen aufgestellt ist. Aufgrund der Aufgaben und Aktivitäten sind hier mehr Mitarbeitende mit mittleren Teilzeitpensen die wirksamste und effizienteste Lösung. Hinzu kommt, dass die OJA Zürich in jeder Einrichtung nach Möglichkeit eine Studentin oder einen Studenten beschäftigt und einen Praktikumsplatz anbietet, was ebenfalls nur mit einem mittleren Teilzeitpensum möglich ist. Beide Feststellungen treffen wohl für die meisten Organisationen der Jugendarbeit zu. In der OJA Zürich gibt es viele Mitarbeitende, die mit dem Stellenpensum zufrieden sind. Es gibt aber auch immer wieder die Situation, dass Mitarbeitende ein höheres Stellenpensum wünschen, dies aber in ihrer Einrichtung aus finanziellen oder inhaltlichen Gründen nicht möglich ist.
Wie schätzen Sie den Stellenmarkt in der Jugendarbeit ein?
Ich erachte den Stellenmarkt als ausgesprochen heterogen. Es bewerben sich einerseits Personen mit langjähriger Berufserfahrung, andererseits auch solche mit wenig oder keiner Berufserfahrung. Personen also, die ihre Ausbildung in Sozialer Arbeit gerade abgeschlossen haben beziehungsweise diese erst noch absolvieren wollen. Dies bietet die Möglichkeit, aus einer grossen Bandbreite die jeweils passende Person für eine offene Stelle zu finden. Eine eindeutige Tendenz – über die Jahre hinweg – beobachte ich nicht, jedoch von Ausschreibung zu Ausschreibung teilweise grosse Unterschiede bei der Anzahl und Qualität der eingehenden Bewerbungen. Diese lassen sich nicht immer eindeutig erklären. In den letzten Jahren wurde ein Teil der freien Stellen durch Personen besetzt, die bereits ein Praktikum in der OJA Zürich absolviert hatten. Das ist nicht nur für diese Personen ein Gewinn, sondern auch für unsere Organisation, da so die Kontinuität in der Jugendarbeit und der OJA unterstützt werden kann.
Sehen Sie in unseren Auswertungen etwas, das Sie beunruhigt?
Grundsätzlich zeigen die Auswertungen keine Überraschungen. Sie bilden die Lage in der OJA realistisch ab. Handlungsbedarf für die Zukunft sehe ich darin, mehr höherprozentige Teilzeitpensen um die 80 Prozent zu schaffen – aktuell haben lediglich die Leitungspersonen ein solches Stellenpensum. Damit könnte noch mehr Fachwissen und Erfahrung in der Organisation gehalten werden, da Mitarbeitende mit höherem Pensum erfahrungsgemäss länger in der Organisation bleiben. Andererseits ist eine gewisse Fluktuation gerade in der Jugendarbeit wichtig, damit sich die Organisation weiterentwickelt und am Puls der Lebenswelt der Jugendlichen bleibt. Die OJA hat diesbezüglich aktuell eine gute Mischung.
Worauf achten Sie bei der Personalsuche und welche Qualifikationen sind Ihnen bei den Bewerbenden wichtig?
Je nach Teamzusammensetzung in der Einrichtung suchen wir entweder Mitarbeitende mit einer Ausbildung auf FH- oder HF-Stufe und Erfahrung im Arbeitsfeld. Oder Mitarbeitende, die ins Arbeitsfeld einsteigen und eine Ausbildung absolvieren wollen. Personen, die weder eine Fachausbildung besitzen noch eine besuchen wollen, stellen wir also nicht ein. Für die Jugendarbeit ist Neugier und das Interesse für jugendspezifische Themen und Entwicklungen Voraussetzung. Wichtig ist aber auch Erfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen. Je nach Ausschreibung bedeutet das, Berufserfahrung oder Erfahrungen im freiwilligen und ehrenamtlichen Bereich zu haben. Bewerbende müssen sowohl eigenständig als auch im Team arbeiten können, kommunikativ und initiativ sein und Erfahrung in Projektarbeit oder ein Flair dafür mitbringen. Eine hohe Verbindlichkeit und Verlässlichkeit sind sowohl für die Arbeit mit den Jugendlichen als auch im Kontakt mit Kooperationspartnern wichtig.
weitere Interviews
Marcus Casutt ist Geschäftsleiter des Dachverbands Offene Kinder- und Jugendarbeit (DOJ).
Sarah Madörin: Herr Casutt, in dem mit Abstand grössten Teil der Stelleninserate wird von den Bewerbenden eine höhere Berufsbildung verlangt (44 Prozent). Einen Hochschulabschluss fordern hingegen eher wenige (15 Prozent). Weshalb ist das so?
Marcus Casutt: Erstmal vorweg: Meine Einschätzungen beziehen sich ausschliesslich auf den Stellenmarkt in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA), die ein Teil der Jugendarbeit ist. In anderen Bereichen, wie zum Beispiel bei sozialpädagogischen und kirchlichen Einrichtungen, die mit Jugendlichen arbeiten, kann die Lage anders sein.
Je nach Region und ganz allgemein ist es nicht immer einfach, alle Stellen in der OKJA zu besetzen. Dies mag verschiedene Gründe haben, wie zum Beispiel mangelndes Interesse respektive fehlendes Wissen über die Attraktivität des Arbeitsfeldes der OKJA. Auch kann es vorkommen, dass in einer bestimmten Region zu wenig Fachkräfte vorhanden sind. Ich vermute, dass Arbeitgebende die Schwelle bezüglich der Ausbildung deswegen zum Teil bewusst tiefer ansetzen, indem sie nicht zwingend einen Hochschulabschluss fordern. Dazu kommt, dass Arbeitgebende für verschiedene Funktionen (Stellenleitung, Projektleitung oder Mitarbeitende) BewerberInnen mit unterschiedlichen Ausbildungen suchen. Möglicherweise hängt es auch mit dem hohen Anteil an Praktikums- und Zivildienststellen zusammen, bei welchen in der Regel «nur» eine höhere Berufsbildung oder gar eine berufliche Grundbildung vorausgesetzt wird.
Im Vergleich zu anderen Arbeitsfeldern werden in der Jugendarbeit viele Praktikums- und Zivildienststellen ausgeschrieben. Woran könnte das liegen?
Ich denke, es hängt damit zusammen, dass es in der OKJA eine lange Tradition gibt, Berufsleute im Rahmen von Praktika oder berufsbegleitend auszubilden. Hinzu kommt, dass sich die Offene Kinder- und Jugendarbeit durch ihre Vielfalt eher eignet, um BerufseinsteigerInnen zu beschäftigen als andere eher spezialisierte Arbeitsfelder, wie beispielsweise die Sozialberatung. In den freiwilligen Leistungsfeldern wie der OKJA wird bei einzelnen Stellen mit knappen finanziellen und personellen Ressourcen auch der finanzielle Aspekt ausschlaggebend sein, wenn eine Praktikumsstelle oder ein Ausbildungsplatz angeboten wird.
Weshalb werden in der Jugendarbeit verglichen mit anderen Arbeitsfeldern mehr Stellen mit mittleren Teilzeitpensen (um die 50 Stellenprozente) und weniger mit hohen Teilzeitpensen (um die 90 Stellenprozente) ausgeschrieben?
Einerseits ist es eine Realität, dass in einigen Gemeinden immer noch wenig Ressourcen für die OKJA zur Verfügung stehen. JugendarbeiterInnen sind dort zum Teil als «EinzelkämpferInnen» mit kleinen Pensen angestellt. Dazu kommt, dass man versucht, in Angeboten der OKJA möglichst beide Geschlechter vertreten zu haben. Dies kann dazu führen, dass man sich als Gemeinde für eine Anstellung von zwei Personen mit kleineren Pensen entscheidet statt für die Anstellung einer Person mit einem grösseren Pensum.
Wie schätzen Sie den Stellenmarkt in der OKJA ein?
Ich denke, es ist wichtig, weiterhin daran zu arbeiten, dass die OKJA ein attraktives Arbeitsfeld bleibt beziehungsweise wird, wo sie es noch nicht ist. Damit sie ein attraktives Arbeitsfeld sein kann, braucht es gute Rahmenbedingungen. Gute Rahmenbedingungen bedeuten das Vorhandensein eines politischen Auftrages und strategische Grundlagen, ein auf eine Bedarfsanalyse aufbauendes Konzept sowie genügend Ressourcen.
In Bezug auf den Stellenmarkt in der OKJA: Was finden Sie gut, was beunruhigt Sie?
Beunruhigend finde ich, dass im Rahmen von Sparrunden in Gemeinden immer wieder bei den Ressourcen der Offenen Kinder- und Jugendarbeitsstellen angesetzt wird.
Frieder Recht ist Gesamtleiter der Organisation Sonnenhof Arlesheim AG, in der Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Entwicklungs- bzw. Unterstützungsbedarf begleitet werden.
Sarah Madörin: Herr Recht, in dem mit Abstand grössten Teil der Stelleninserate wird von den Bewerbenden eine höhere Berufsbildung verlangt (44 Prozent). Einen Hochschulabschluss fordern hingegen eher wenige (15 Prozent). Weshalb ist das so?
Frieder Recht: Wir benötigen im Alltag insbesondere Fachkräfte mit praktischer Berufserfahrung und dem Potential, den eigenen Arbeitsstil zu reflektieren. Die aktuellen akademischen Ausbildungen entsprechen nicht dem Begleitbedarf unserer Klientel. Hochschulabschlüsse eignen sich zum Beispiel für Teamleitungsfunktionen; diese Funktionen sind im Vergleich zu den anderen Teamfunktionen jedoch selten. Zudem wechseln Leitungspersonen auch nicht so oft die Stelle.
Im Vergleich zu anderen Arbeitsfeldern werden in der Jugendarbeit viele Praktikums- und Zivildienststellen ausgeschrieben. Woran könnte das liegen?
Hier denke ich, dass die Gewohnheit eine grosse Rolle spielt. Der Ursprung geht vermutlich auf Zeiten zurück, in denen noch kein ausgeprägtes Fachbewusstsein vorhanden war. Der aktuelle, auch politisch gesteuerte Trend geht ja klar in eine andere Richtung. So sollen beispielsweise Praktikumsplätze zunehmend nur noch dann angeboten werden, wenn ein anschliessender Ausbildungsplatz zugesichert wird. Diese Bewegung kommt aus dem Kita-Bereich, in denen unzählige PraktikantInnen bei minimaler Bezahlung angestellt werden und denen ein anschliessender Ausbildungsplatz in Aussicht gestellt wird. Die meisten gehen am Ende des Praktikums jedoch leer aus, weil nur ein Ausbildungsplatz auf mehrere PraktikantInnen kommt.
Dem gegenüber steht eine zweite Bewegung: Diese geht in die Richtung, dass aufgrund des zunehmenden Spardrucks eine Senkung der Fachquote angestrebt wird, das heisst, es werden tendenziell mehr Mitarbeitende ohne fachspezifische Ausbildung angestellt und durch wenige Fachpersonen angeleitet. Ich gehe davon aus, dass diesbezüglich beispielsweise die Vorgaben der Interkantonalen Vereinbarung für Soziale Einrichtungen (IVSE) mittelfristig angepasst werden.
Diese Senkung der Fachquote führt jedoch nicht zu mehr PraktikantInnen, sondern eher zu regulären Mitarbeitenden ohne Ausbildung. Auch diese kosten die Organisationen weniger und im Vergleich zu PraktikantInnen sind diese länger in einer Stelle tätig und bringen daher eine grössere Stabilität und Kontinuität in die Organisationen.
Wie erklären Sie sich, dass es im Sozialwesen andere Arbeitsfelder gibt, in denen weniger oder keine Praktikumsplätze ausgeschrieben werden (z.B. Betriebliche Sozialarbeit, Opferhilfe, Schulsozialarbeit, Strafvollzug/Bewährung, Schulden-, Scheidungs- und Paarberatung)?
Ich denke, dass es ich bei den Arbeitsfeldern mit wenig oder keinen Praktikumsplätzen um Arbeitsgebiete mit sensiblen Themen handelt. Aus Vorsicht werden daher eher keine Mitarbeitende ohne fachlichen Hintergrund und ohne die Kompetenz und Erfahrung sich abzugrenzen angestellt.
Weshalb werden in der Jugendarbeit verglichen mit anderen Arbeitsfeldern mehr Stellen mit mittleren Teilzeitpensen (um die 50 Stellenprozente) und weniger mit hohen Teilzeitpensen (um die 90 Stellenprozente) ausgeschrieben?
Die Erfahrungen zeigen, dass die Arbeit derart kräftezehrend ist, dass Mitarbeitende mit hohen Arbeitspensen rascher ausbrennen und nicht die Regenerationszeit haben, die sie eigentlich benötigen. Zudem erhöht sich die Flexibilität bei mittleren Teilzeitpensen und es können Krankheitssituationen und Sonderbedürfnisse einfacher abgedeckt werden.
Wie schätzen Sie den Stellenmarkt im Arbeitsfeld Jugendarbeit ein?
Generell scheint die Belastbarkeit abzunehmen. So schwindet zum Beispiel auch die Bereitschaft die Bedürfnisse der Klientel in den Fokus zu stellen. Die eigenen Bedürfnisse stehen bei den Mitarbeitenden oftmals im Vordergrund. Zum einen könnte das daran liegen, dass durch den heutigen unreflektierten Medienkonsum (z.B. von Games und Filmen) die Empathiefähigkeit abnimmt.
Zum anderen stelle ich fest, dass es den Mitarbeitenden bei der Verrichtung ihrer Arbeit teilweise nicht mehr um ein humanistisches Ideal geht, wie es früher der Fall war. Sie betrachten ihre Arbeit als reinen Job und sind hauptsächlich auf ihre eigene Sicherheit – im Sinne von Lohn und eigenen Rechten – bedacht. So beobachte ich beispielsweise, dass früher eher die KlientInnen und ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt standen. Heute nehmen die Mitarbeitenden hingegen vor allem das Arbeitsrecht sehr ernst: Wenn Sie wissen, Ihnen steht eine Pause zu, bestehen Sie auf dieser Pause, auch wenn es den Bedürfnissen der KlientInnen entgegenläuft. Das war meines Erachtens früher anders, da haben die Mitarbeitenden noch viel mehr aus einem Idealismus heraus gearbeitet und gehandelt.
Interessant ist beispielsweise auch meine Beobachtung, dass vor allem Hochschulabsolvierende viel weniger Idealismus mit sich bringen und mehr auf ihrem Recht beharren als Personen mit einer praktischen Ausbildung. Diese wissen noch viel eher, wie wichtig Beziehungsgestaltung ist, und sind gegenüber den Bedürfnissen der KientInnen weniger abgestumpft.
Gibt es etwas, das Sie in Bezug auf den Stellenmarkt in der Jugendarbeit beunruhigt?
Die Ausbildungsgänge müssten sich stärker am aktuellen Bedarf orientieren. So bestehen beispielsweise keine Ausbildungsgänge, welche die Absolventen und Absolventinnen befähigen, mehrfachbehinderte Kinder mit herausforderndem Verhalten zu fördern und zu begleiten. Für den Sonnenhof wäre jedoch gerade das wichtig.
Auf was achten Sie bei der Personalsuche? Welche Qualifikationen sind Ihnen bei den Bewerbenden wichtig?
Die Motivation, die Flexibilität und die Empathiefähigkeit. Auch die Reflexionsfähigkeit spielt eine wichtige Rolle.
Eliane Michel ist Direktorin des Kantonalen Jugendheims Lory in Münsingen (BE) und liefert Einschätzungen zum Stellenmarkt im stationären Bereich der Jugendarbeit.
Sarah Madörin: Frau Michel, in dem mit Abstand grössten Teil der Stelleninserate wird von den Bewerbenden eine höhere Berufsbildung verlangt (44 Prozent). Einen Hochschulabschluss fordern hingegen eher wenige (15 Prozent). Weshalb ist das so?
Eliane Michel: Unsere Stellenausschreibungen in Sozialpädagogik richten sich jeweils sowohl an Bewerbende mit einer höheren Berufsausbildung wie auch an solche mit einem Hochschulabschluss. Ohne über statistisches Material zu verfügen, habe ich den Eindruck, dass sich bei uns mehr Bewerbende mit einer höheren Berufsbildung melden. Faktisch ist es so, dass aktuell rund 60 Prozent der von uns beschäftigten Mitarbeitenden eine höhere Berufsausbildung haben und 40 Prozent einen Hochschulabschluss.
Arbeiten im stationären Bereich bedeutet zu einem grossen Teil basale Frontarbeit. Dies beinhaltet zum Beispiel Themen der praktischen Lebensgestaltung wie Haushaltführung oder Freizeitgestaltung, aber auch die direkte Auseinandersetzung mit den zu Betreuenden, was den Aufbau einer Beziehung voraussetzt. Mitarbeitende mit einer höheren Berufsbildung fühlen sich offensichtlich eher von einem solchen Tätigkeitsgebiet angesprochen.
Im Vergleich zu anderen Arbeitsfeldern werden in der Jugendarbeit viele Praktikums- und Zivildienststellen ausgeschrieben. Woran könnte das liegen?
Dies kann damit zusammenhängen, dass in der Jugendarbeit relativ bald praktisch gearbeitet werden kann und rasch auch ein Nutzen für die Arbeitgebenden spürbar wird. So können auch Erfahrungen aus der Pfadi oder Sportvereinen in der Jugendarbeit sehr wertvoll sein, wogegen beispielsweise in der gesetzlichen Sozialarbeit fachliche und rechtliche Kenntnisse unabdingbar sind, um auf die Klientschaft „losgelassen“ zu werden.
Weshalb werden in der Jugendarbeit verglichen mit anderen Arbeitsfeldern mehr Stellen mit mittleren Teilzeitpensen (um die 50 Stellenprozente) und weniger mit hohen Teilzeitpensen (um die 90 Stellenprozente) ausgeschrieben?
Arbeit im stationären Bereich beinhaltet in der Regel auch Übernachtungen im Heim. Bei diesen sogenannten Pikettdiensten wird für die Nacht eine finanzielle Entschädigung ausgerichtet – die Stunden werden aber nicht an die Arbeitszeit angerechnet. Dadurch fällt die Präsenz um einige Stunden höher aus, als die effektive Arbeitszeit. Mitarbeitende mit einem Beschäftigungsgrad von mehr als 80 Prozent haben dadurch eine sehr hohe Belastung. Persönlich finde ich im stationären Bereich Beschäftigungsgrade von 70-80% ideal.
Gibt es etwas, das Sie in Bezug auf den Stellenmarkt in der Jugendarbeit beunruhigt?
In einigen Kantonen (so zum Beispiel auch im Kanton Bern) sind Mitarbeitende in der stationären Jugendhilfe finanziell schlechter entlöhnt als Mitarbeitende im ambulanten Bereich – dies bei gleicher Ausbildung. Zieht man noch die unregelmässigen Arbeitszeiten hinzu, bedeutet dies in Bezug auf die Arbeitsbedingungen eine klar tiefere Attraktivität. Zurzeit ist es immer noch möglich, die Stellen mit geeigneten Personen zu besetzen. Ich kann mir aber vorstellen, dass dies in den nächsten Jahren zunehmend schwieriger wird.
Auf was achten Sie bei der Personalsuche? Welche Qualifikationen sind Ihnen bei den Bewerbenden wichtig?
Soweit möglich achten wir auf eine gute Alters- und Geschlechterdurchmischung. Wir erwarten den Abschluss einer vom Bundesamt für Justiz anerkannten fachspezifischen Ausbildung sowie Erfahrung im stationären Bereich, wenn möglich im Bereich unserer Klientel. Daneben achten wir auf Mitarbeitende mit guter „Bodenhaftung“, die mit sich rasch ändernden und schwierigen Situationen umgehen können.
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