Ausbildungsplätze, Praktika und Zivildienststellen
Sechster Monitor des Stellenmarktes im Sozialwesen der Schweiz
Dieser Monitor beschäftigt sich mit Ausbildungsplätzen, Praktika und Zivildienststellen in Organisationen der Sozialen Arbeit. Die Auswertungen basieren auf Stelleninseraten, die im Jahr 2016 auf der Stellenplattform von sozialinfo.ch publiziert wurden.
Seit 2011 haben die Stelleninserate für Ausbildungsplätze im Sozialwesen nur minim zugenommen (von ca. 45 auf 70), während sich die Zahl ausgeschriebener Praktikums-/Zivildienststellen1 beinahe verdoppelt hat (von ca. 435 auf 800). Im Jahr 2016 gab es somit elfmal mehr Stelleninserate für Praktika und Zivildienststellen als für Ausbildungsplätze.
Laut Marcus Casutt2, dem Geschäftsführer des Dachverbands Offene Kinder- und Jugendarbeit Schweiz (DOJ), könnte dies unter anderem daran liegen, dass Ausbildungsplätze aufgrund der grossen Nachfrage auch ohne Stellenausschreibung besetzt werden können. Studierende erhalten die Kontakte von Institutionen, die Ausbildungsplätze anbieten, teilweise direkt von ihren Ausbildungsstätten. Hinzu komme, dass es für Institutionen aufwändiger sei, einen neuen Ausbildungsplatz zu schaffen als eine neue Praktikums- oder Zivildienststelle. Zudem werden Praktikums- und Zivildienststellen häufiger neu besetzt als Ausbildungsplätze.
Arbeitspensum
Ausbildungsplätze und Praktikums-/Zivildienststellen unterscheiden sich relativ stark bezüglich des Arbeitspensums: Ausbildungsplätze werden am häufigsten mit 60 Stellenprozenten ausgeschrieben, Praktikums-/ Zivildienststellen am häufigsten als Vollzeitstellen.
Bei den Ausbildungsplätzen machen mittlere Teilzeitpensen von 41 bis 70 Stellenprozenten rund die Hälfte der ausgeschriebenen Stellen aus, während diese bei Praktika und Zivildienststellen mit rund 10 Prozent vergleichsweise selten sind. Dafür sind hohe Teilzeitpensen und Vollzeitstellen bei Praktikums- und Zivildienststellen sehr stark vertreten, bei den Ausbildungsplätzen hingegen weniger häufig, da neben der Praxisausbildung meist eine (Hoch-)Schulausbildung absolviert wird.
Arbeitsfelder
Den grössten Anteil an allen Ausbildungsplätzen und Praktikums-/Zivildienststellen haben die Arbeitsfelder Jugendarbeit, Erziehung/Bildung und Behindertenarbeit (s. Grafik 2).
In anderen Arbeitsfeldern wiederum wur- den im Jahr 2016 keine Ausbildungsplätze ausgeschrieben (z.B. Betriebliche Sozialar- beit, Opferhilfe, Schulsozialarbeit, Straf- vollzug/Bewährung). In der Schulden-, Scheidungs- und Paarberatung wurden weder Ausbildungsplätze noch Prakti- kums-/Zivildienststellen ausgeschrieben. Mögliche Gründe für diese ungleiche Verteilung der Ausbildungs- und Praktikums-/ Zivildienststellen sieht Marcus Casutt unter anderem darin, dass es in Bereichen wie der Jugendarbeit und Behindertenarbeit eine lange Tradition gibt, Berufsleute im Rahmen von Praktika oder berufsbegleitend auszubilden. Zudem würden sich diese Arbeitsfelder durch ihre Vielfalt möglicherweise eher dafür eignen, Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger zu beschäftigen, als andere eher spezialisierte Arbeitsfelder. In einzelnen Bereichen mit knappen finanziellen und personellen Ressourcen werde laut Marcus Casutt auch der finanzielle Aspekt dabei ausschlaggebend sein, ob Praktika oder Ausbildungsplätze angeboten werden.
Während Ausbildungsplätze in allen Arbeitsfeldern jeweils einen sehr kleinen Teil ausmachen (der höchste Anteil findet sich mit drei Prozent in der Jugendarbeit), spielen Praktikums-/Zivildienststellen in einigen Arbeitsfeldern eine wichtige Rolle: In den Tagesstätten und im Arbeitsfeld Erziehung/Bildung machen Praktikums-/Zivildienststellen beispielsweise fast ein Viertel aller Inserate aus, in den Werkstätten und in den Arbeitsfeldern Behindertenarbeit und Jugendarbeit ca. ein Fünftel.
Bereicherung für die Institutionen
Gefragt nach den Erfahrungen, die er mit Auszubildenden gemacht hat, betont Marcus Casutt, dass er sie jeweils als Bereicherung für die Mitarbeitenden und die Institution erlebt hat: «Als Institution profitiert man aus meiner Sicht immer, wenn neue Leute von aussen dazu kommen. Meistens bringen sie neue Ideen ein oder sie stellen bestehende Abläufe und Angebote in Frage. Dadurch kann sich die Institution weiterentwickeln. Hinzu kommt, dass man als Institution durch Studierende immer auch am Puls der neusten Entwicklungen an den Fachhochschulen ist.»
Das vollständige Interview mit Marcus Casutt sowie alle in SozialAktuell erschienen Monitorberichte und weitere Infos lesen Sie auf unserer Website: www.monitoring-sozialwesen.ch
1 Aufgrund der Datenlage ist es leider nicht möglich, zwischen Praktikums- und Zivildienststellen zu unterscheiden.
2 Als Praxisausbildner bei verschiedenen Arbeit- gebenden sammelte Marcus Casutt während der letzten zwölf Jahre viel Erfahrung in der Begleitung von Studierenden in Praktika und in der berufsbegleitenden Ausbildung.
Datenquelle und Grafiken: sozialinfo.ch/FHNW
Interviews
Marcus Casutt ist Geschäftsführer des Dachverbands Offene Kinder- und Jugendarbeit Schweiz (DOJ). Als Praxisausbildner bei verschiedenen Arbeitgebenden sammelte Marcus Casutt während der letzten 12 Jahre viel Erfahrung in der Begleitung von Studierenden in Praktika und in der berufsbegleitenden Ausbildung.
Sarah Madörin: Herr Casutt, was denken Sie, weshalb hat der Anteil Praktikums-/Zivildienststellen seit 2011 zugenommen, während der Anteil an Ausbildungsplätzen konstant blieb?
Marcus Casutt: Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass Ausbildungsplätze aufgrund der grossen Nachfrage auch besetzt werden können, ohne dass eine Stellenausschreibung gemacht werden muss. Zum Beispiel weil die Studierenden von Ausbildungsstätten direkt die Kontakte von Institutionen erhalten, die Ausbildungsplätze anbieten. Hinzu kommt, dass es für Institutionen aufwändiger ist, einen neuen Ausbildungsplatz zu schaffen als eine neue Praktikums- oder Zivildienststelle. Zudem ist der Rhythmus, in welchem Praktika und Zivildienststellen (jährlich/halbjährlich) neu besetzt werden, höher als bei Ausbildungsplätzen (alle 3-4 Jahre).
Weshalb ist der Anteil der Arbeitsfelder Jugendarbeit, Erziehung/Bildung und Behindertenarbeit an den Ausbildungs-, Praktikums- und Zivildienststellen so gross, während in anderen Arbeitsfeldern kaum bis keine Ausbildungsplätze und Praktikums-/ Zivildienststellen ausgeschrieben werden?
Ich denke es hängt damit zusammen, dass es in diesen Bereichen zum Teil eine lange Tradition gibt, Berufsleute im Rahmen von Praktika oder berufsbegleitend auszubilden. Hinzu kommt, dass sich diese Arbeitsfelder durch ihre Vielfalt vielleicht eher eignen, um Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger zu beschäftigen als andere eher spezialisierte Arbeitsfelder (Sozialberatung etc.). In den freiwilligen Leistungsfeldern wie zum Beispiel der Offenen Kinder- und Jugendarbeit wird bei einzelnen Stellen mit knappen finanziellen und personellen Ressourcen auch der finanzielle Aspekt ausschlaggebend sein, um eine Praktikumsstelle oder einen Ausbildungsplatz anzubieten.
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht mit Personen, die Praktika/Zivildienst- oder Ausbildungsstellen besetzt haben? Welches sind die speziellen Herausforderungen einer Institution an deren Begleitung?
In der Regel habe ich Personen, die Praktika/Zivildienst- oder Ausbildungsstellen besetzt haben, als Bereicherung für die Mitarbeitenden und die Institution erlebt. Häufig sind sie ihre Arbeit unbeschwert und engagiert angegangen, ohne Berührungsängste und voller Tatendrang. Als Institution profitiert man aus meiner Sicht immer, wenn neue Leute von aussen dazu kommen. Meistens bringen sie neue Ideen ein oder sie stellen bestehende Abläufe und Angebote in Frage. Dadurch kann sich die Institution weiterentwickeln. Hinzu kommt, dass man als Institution durch Studierende und durch die Praxisgespräche immer auch am Puls der neusten Entwicklungen an den Fachhochschulen ist.
Damit als Institution eine gute Begleitung gewährleistet werden kann, muss jedoch unbedingt genügend Zeit in die Praxisausbildung investiert werden und die PraxisbegleiterInnen müssen über das nötige Rüstzeug und die zeitlichen Ressourcen verfügen.
Marina Haiss studierte berufsbegleitend an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW und absolvierte bereits vor dem Studium ein Praktikum. Im Herbst 2017 schloss sie ihr vierjähriges Studium ab.
Sarah Madörin: Frau Haiss, in was für Praktikums- bzw. Ausbildungsstellen haben Sie gearbeitet?
Marina Haiss: Ich habe meine Ausbildung in einem Schulwohnheim in der Nähe von Aarau absolviert. Ich begleitete und förderte die Jugendlichen auf einer Wohngruppe im Internat unter der Woche. Bereits ein Jahr zuvor hatte ich im Tageshort der gleichen Institution ein Jahrespraktikum gemacht. Ich wurde dann angefragt, ob ich für die Ausbildung bleiben möchte. Während des Praktikums hatte ich ein 100%-Pensum, während der Ausbildung dann ein 60%-Pensum.
Aus welchen Gründen haben Sie sich für dieses Arbeitsfeld entschieden?
Die Sozialpädagogik ist ein gutes Arbeitsfeld, um erste Erfahrungen in der Sozialen Arbeit zu sammeln. Mich interessierte die Arbeit mit Jugendlichen, weil ich mich als zwanzigjährige selber gut mit dieser Altersgruppe identifizieren konnte.
Was für Erfahrungen haben Sie in diesen Stellen gemacht?
Ich wurde im Team gut aufgenommen und ich baute schnell ein starkes Vertrauensverhältnis zu meiner Praxisausbildnerin auf. Die Anforderungen stiegen während den vier Jahren kontinuierlich, die Erwartungen in Bezug auf den Kompetenzerwerb wurden auch von Jahr zu Jahr erhöht. Im Team erfuhr ich viel Wertschätzung. Auch von den Jugendlichen und deren Eltern wurde ich als Professionelle der Sozialen Arbeit wahrgenommen und geschätzt. Ich konnte als Sozialpädagogin in Ausbildung in vielen Arbeitsgruppen und Organisationskomitees mitarbeiten. Die Wertschätzung der Erziehungsleitung gegenüber uns SozialpädagogInnen in Ausbildung war unterschiedlich spürbar: Teilweise enorm gross, in gewissen Situationen wiederum eher kleiner. Grundsätzlich würde ich meine Ausbildung wieder in der gleichen Institution machen.
Die Verknüpfung mit dem Studium gelang mir erst nach 2 oder 3 Jahren. Ich denke, viele unterschätzen, was sie wirklich in den vier Jahren Studium gelernt haben. Es war mir manchmal gar nicht bewusst, was ich in dieser Zeit alles verinnerlicht habe. Vor allem bei Gesprächen mit KommilitonInnen wird mir jedes Mal aufs Neue bewusst, was wir alles wissen.
Es wird sich zeigen, was mir das Studium nun in einem anderen Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit bringen wird. Ich wechsle per Oktober von der Sozialpädagogik zur Sozialberatung und bin gespannt, was vom Studium ich dort gebrauchen kann.
Wie unterscheiden sich die Aufgaben, die sie in der Praktikumsstelle ausgeführt haben, von jenen an ihrem Ausbildungsplatz?
Das Praktikum war auf dem Tageshort. Da ging es um Mittagessensbetreuung, Klassenassistenzen und Hausaufgabenhilfe der externen Schülerinnen und Schüler.
In der Ausbildung hatte ich eine tragende Rolle im Team und wurde als vollwertiges Teammitglied angesehen. Ich hatte für zwei Jugendliche pro Jahr das Bezugspersonenmandat, vertrat an deren Standortgesprächen die sozialpädagogische Sichtweise, schrieb die kooperative Prozessgestaltung, pflegte Elternkontakte, kooperierte mit anderen Fachstellen etc. Ich konnte in diversen Arbeitsgruppen und Organisationskomitees mitarbeiten und innovativ in der Qualitätsentwicklung der Institution mitwirken. Somit war meine Rolle, die ich in der Ausbildung eingenommen habe um einiges grösser als diejenige im Praktikum.
Was für Erfahrungen haben Sie in Bezug auf die Verantwortung gemacht, die man Ihnen gegeben hat?
Die Verantwortung war angemessen. Ich wusste auch immer, dass meine Praxisausbildnerin hinter mir steht. Bei Unklarheiten konnte ich immer auf die Hilfe meiner Praxisausbildnerin zählen.
Wie haben Sie das studienbegleitende Arbeiten erlebt? Wo sehen Sie Chancen, wo Herausforderungen eines solchen Modells?
Professionelle der Sozialen Arbeit kooperieren täglich mit den unterschiedlichsten Menschen. Das berufsbegleitende Studium ist eine grosse Chance, um während des Studiums auf dem Boden der Tatsachen bzw. mit Menschen in Berührung zu bleiben und sich nicht irgendwo in Theorien oder Modellen zu verlieren. Nur wer sich mit Menschen in realen Situationen beschäftigt, hat auch eine Chance, diese zu verstehen.
Die grösste Herausforderung sehe ich vor allem in den ersten zwei Jahren des Studiums. Da hatte ich enorm viele Pflichtmodule, Schule bis um 19 Uhr und dann Nachtdienst. Zudem war ich neu im Arbeitsfeld der Sozialpädagogik. Das war sehr herausfordernd. Nach den ersten zwei Jahren wurde das Studium etwas ruhiger, ich bin in der Sozialpädagogik und im Studium angekommen, der grösste Teil der Pflichtmodule war geschafft und ich konnte zum ersten Mal ein Modul wählen, das mich persönlich sehr interessierte und nicht von der FHNW vorgegeben war.
Der/die Studierende studiert im fünften Semester an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW und absolvierte bereits ein Praktikum und einen Zivildienst im Sozialwesen.
Sarah Madörin: In was für Praktikums-/Zivildienststellen haben Sie gearbeitet?
Studierende/r: Den Zivildienst habe ich sieben Monate lang in einem Tageszentrum mit Rehabilitationsauftrag geleistet (im Bereich Ergo-, und Physiotherapie). Vor dem Fachhochschulstudium habe ich zudem ein Vorpraktikum in einer stationären Organisation für verhaltensauffällige Jugendliche absolviert. Beides waren Vollzeit-Stellen. Das Praktikum ging dann während des Studiums noch für ein Jahr mit einem 60%-Pensum weiter. Danach habe ich die Praktikumsstelle verlassen.
Aus welchen Gründen haben Sie sich für diese Arbeitsfelder entschieden?
Bei der Zivildienststelle hatte ich Bekannte, die bereits dort arbeiteten. Die Suche der Vorpraktikumsstelle ging ich pragmatisch an: Ich hatte eine Liste mit sozialen Organisationen, die ich telefonisch angefragt habe, ob noch Vorpraktikumsstellen frei sind. Ich wollte die Suche bewusst offen angehen, weil es mir hauptsächlich darum ging, Erfahrungen zu sammeln - in welchem sozialen Bereich spielte nicht so eine grosse Rolle. Zudem bestand ein Druck, überhaupt ein Praktikum zu finden, um den Zugang zur Hochschule zu erhalten. Dann habe ich mich für zwei Stellen beworben und beide waren ein Treffer. Für mich war dann entscheidend, dass ich die eine Stelle als grosse Herausforderung ansah. Ich hatte viele Mitbewerbende und dass ich die Stelle erhielt, lag laut Rückmeldungen daran, dass ich an den Schnuppertagen selbstbestimmt und initiativ auftrat.
Was für Erfahrungen haben Sie in diesen Stellen gemacht?
In beiden Stellen wurden meine Aufgabenfelder zunächst eingegrenzt. Ich durfte lediglich dabei sein und kleine Aufträge wie Aufsicht, Begleiten oder Einkäufe erledigen. Prozesse mitgestalten durfte ich nicht. Ich wusste aber auch noch nicht viel von Prozessgestaltung im sozialen Bereich. Diese Situationen waren für mich neu, da ich zuvor in einem technischen Beruf gearbeitet habe und dort bereits als Jugendlicher in der Lehre deutlich mehr Verantwortung und Aufgabenbereiche hatte als in diesen Praktika. Mittlerweile weiss ich, dass ich eigene Lernfelder brauche, in denen ich viel Spielraum habe, um Dinge auszuprobieren, um selbstbestimmt denken und auch mal scheitern zu können. Man lernt jedoch immer etwas. Deshalb sehe ich beide Praktika als gute Erfahrungen an.
Spannend fand ich auch die Erfahrung, dass die fachlichen Hintergründe in einer Organisation der Sozialen Arbeit ganz verschieden sein können. Dies sehe ich nach meinen Beobachtungen als Bereicherung an, solange alle diese Sicht teilen und sich auf Kooperationen einlassen.
Sie haben gesagt, dass sie die Praktikumsstelle nach einer Weile verlassen haben. Was für Gründe spielten dabei eine Rolle?
Ich hatte das Gefühl, ich konnte mich im Praktikum nicht weiterentwickeln oder steckte zu lange in einer Rolle fest, welche mich nicht weiterbrachte. Mir war nicht klar, wie ich aus dieser Rolle herauskomme. Die Mitarbeitenden erachteten die Arbeit in der Organisation als sehr schwierig, weshalb sie jeweils mit Bedacht vorgingen und mir in der Gestaltung meiner Betreuungen nur wenig Spielraum liessen. Ich konnte sehr wenig selbst bestimmen und war zunehmend verunsichert, wie ich nun alles richtig machen kann. Dies führte zu verschiedenen Schwierigkeiten, so dass es für mich schlussendlich nicht mehr stimmte. Rückblickend denke ich, dass das auch am Organisationssystem lag. Für mich war es wichtig, dass ich das System verlassen und wieder neue Rollen einnehmen konnte, um mich weiterzuentwickeln. Heute versuche ich, diese Erfahrungen positiv zu sehen: Ich konnte aus dieser schwierigen Situation viel lernen und würde auch nicht mehr auf die Erfahrungen verzichten wollen.
Wie unterscheiden sich die Aufgaben, die sie in den verschiedenen Praktikums-/Zivildienststellen ausgeführt haben?
In meinen Arbeitsstellen waren das Umfeld und die Klientel jeweils verschieden. Auch die Anforderungen an das eigene Verhalten, gerade in der Betreuung, waren sehr unterschiedlich.
Nach meiner Einschätzung unterscheiden sich die Ausbildungsplätze im sozialen Bereich allgemein stark. Ich habe unterdessen diverse Schnupperbesuche gemacht und verschiedene Eindrücke gesammelt. Auch andere Studierende berichten jeweils von ganz unterschiedlichen Erfahrungen, die sie in Organisationen der Sozialen Arbeit gemacht haben. Je nach Konzept der Organisation, Leitbild, Zusammenstellung des Teams, Auftrag und Klientel können die Praktikumsstellen komplett anders aussehen. Dies hat den Vorteil, dass man einen breiten Einblick bekommt und viel Verschiedenes lernen kann, wenn man verschiedene Praktika absolviert.
Was für Erfahrungen haben Sie in Bezug auf die Verantwortung gemacht, die man Ihnen gegeben hat?
Ich denke, man hat mir jeweils von Beginn an zu wenig Verantwortung gegeben. Ich hätte mir gewünscht, mehr in das Anlegen von Prozessen mit der Klientel miteingebunden zu werden. Auch bei den kleinen Arbeitsaufträgen hätte ich mir mehr Spielraum gewünscht. Das war in der Organisation für Jugendliche aber auch schwer umzusetzen, da sie allgemein stark strukturiert war. Ich hoffe, in meiner nächsten Stelle kann ich mehr Verantwortung übernehmen. Als Voraussetzung dafür sehe ich, dass eine Vertrauensbasis vorhanden ist, ich muss Risiken eingehen können und Fehler sollten erlaubt sein. Doch auch der Organisationsaufbau und das Programm für PraktikantInnen sind mitentscheidend. Verantwortung allein reicht nicht, wenn kein lustvoller und spielerischer Umgang auf der Arbeit da ist. Auch im Studium finde ich es schade, wenn man die Dinge zu ernst und trocken betrachtet. Was mich antreibt, sind neue Ideen, die eigene Motivation und der spielerische Umgang mit Fehlern. Es klingt nun bewusst utopisch, aber ich wünsche mir für die Gesellschaft sowie auch für die Soziale Arbeit, dass Probleme und Aufgaben im Leben lustvoll und kreativ gelöst werden können, wobei auch die Klientel dazu motiviert werden sollte aktiv mitzuentscheiden. So könnte eventuell auch die Verantwortung zunehmend von der Klientel mitgetragen werden.
Wie haben Sie das studienbegleitende Arbeiten erlebt? Wo sehen Sie Chancen, wo Herausforderungen eines solchen Modells?
Ich habe etwas weniger als ein Jahr studienbegleitend gearbeitet. In dieser Zeit habe ich gesehen, dass zwischen dem Studium und der Praxis teilweise eine Kluft besteht: Sowohl die Praxisorganisation als auch die Fachhochschule hatten eine Art blinden Fleck gegenüber dem, was in der jeweils anderen Organisation gerade passiert bzw. was man dort lernt oder was dort relevant ist. Ich sehe da Potenzial für einen besseren Austausch und fände es wichtig, dass sowohl die Praxis als auch die Hochschule auf aktuelle Fragen und Problemlagen aus dem jeweils anderen Bereich eingehen würden.
Ein wesentlicher Punkt bezüglich Chancen ist, dass sich das Studium, wenn man studienbegleitend ein Praktikum absolviert, in der Regel finanzieren lässt. Im Vollzeitstudium hat man diesbezüglich eher Schwierigkeiten. Viele Studierende sind schon älter, wohnen nicht mehr bei den Eltern und haben je nachdem bereits Kinder. Die Praktikumsplätze, die man während eines Vollzeitstudiums absolvieren kann, sind in der Regel unterbezahlt. Da sehe ich eine Gefahr, dass sich Studierende in dieser Lebenslage verschulden oder das Studium abbrechen müssen.
Mir ist aufgefallen, dass das studienbegleitende Praktikum einen grossen Einfluss auf die eigenen Einstellungen und Ziele hat. Rückblickend stelle ich fest, dass ich mich aufgrund meiner Arbeitsstelle schon während des Studiums gedanklich festgelegt habe, wie und was ich zukünftig arbeiten werde. So hätte ich mich beinahe zugunsten der Organisation auf die Fachrichtung Jugend konzentriert und mir diese auch längerfristig zum Ziel gesetzt. Im Moment orientiere ich mich jedoch eher in Richtung Projektmanagement, soziale Innovationen etc., was meiner Meinung nach aber auch der Arbeit in Praxisorganisationen zugutekommen kann.
Umgekehrt hat auch das Studium einen grossen Einfluss darauf, was man aus dem Praktikum mitnimmt. So entscheidet beispielsweise die Reihenfolge der Module, die man an der Fachhochschule besucht, mit darüber, was man in der Praxisorganisation lernt. Da im studienbegleitenden Modell, die Reihenfolge der Module vorgegeben ist, konnte ich das Modul "Sozialisation, Entwicklung und Bildung" beispielsweise erst nach einem Jahr besuchen. In diesem Modul habe ich viel über Janusz Korczak gelernt. Das Betreuen nach Grundsätzen Korczaks hat mich sehr interessiert und ich habe vieles davon in meinem damaligen Teilzeitjob, bei dem ich in einem Freizeitzentrum Kindergeburtstage betreut habe, ausprobiert. Das war sowohl von Seiten der Kinder als auch der Eltern jedes Mal ein voller Erfolg. Dies hat mir gezeigt, wie wichtig Fachwissen sein kann, wenn es einen selbst packt und interessiert und man Möglichkeiten hat, es direkt auszuprobieren und die damit verbundenen Risiken einzugehen.
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