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In der Sozialhilfe – und hoch verschuldet

Februar 2019 / Lisa Stalder

Viele von Armut betroffene Menschen sind hoch verschuldet, der Weg zurück in ein Leben ohne Schulden ist voller Hindernisse. Eine vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte Studie will der Problematik auf den Grund gehen – nicht zuletzt, damit gezielte Angebote geschaffen werden können.

Mit der Miete im Verzug, die Krankenkassenprämie oder die Steuern noch nicht bezahlt und dazu kommen Schulden bei der Bank. Für viele Bezügerinnen und Bezüger von Sozialhilfe ist dies die Realität. Eine Realität, die sich so schnell nicht ändern lässt, kennt doch die Schweiz kein Restschuldbefreiungsverfahren. Erschwerend kommt hinzu, dass Schulden Betroffene nicht nur finanziell einschränken, sondern die Betroffenen auch psychisch belasten. Dieser zusätzliche Stress führt dazu, dass es Ihnen noch schwerer fällt, sich von der Sozialhilfe zu lösen. Mit dieser Situation werden Verschuldete oftmals alleingelassen, nicht zuletzt, weil entsprechende Angebote fehlen oder weil den Betroffenen erst geholfen werden kann, wenn später wieder ein verlässliches Einkommen besteht. 

Doch wie genau wirkt sich die Verschuldung auf die betroffenen Sozialhilfebezügerinnen und –bezüger aus? Was belastet sie neben den fehlenden finanziellen Mittel sonst noch? Und welche Hilfsangebote würden Ihnen helfen, um sich dereinst von den Schulden befreien und von der Sozialhilfe lösen zu können? Dies will ein Team um Christoph Mattes, Dozent an der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) nun herausfinden. Die Studie „In der Sozialhilfe verfangen – Hilfsprozesse bei Armut, Schulden und Sozialhilfe“ wird vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert. 

Ein gesamtheitliches Bild der Situation

Die Hochschule für Soziale Arbeit beschäftige sich schon seit über zehn Jahren mit dem Thema „Armut und Verschuldung“, sagt Studienleiter Christoph Mattes auf Anfrage. Kleinere Studien hätten sich bereits mit der Situation von verschuldeten Personen und Haushalten befasst. Dabei habe sich unter anderem gezeigt, dass Schulden Betroffene regelrecht lähmten, sodass es kaum mehr möglich sei, die vielgepriesene Eigenverantwortung wahrzunehmen. Gleichzeitig sei es für die Sozialdienste oftmals schwierig, die passende Hilfe anzubieten oder Perspektiven aufzuzeigen. Die Studie soll nicht zuletzt dazu beitragen, die Hilfe für verschuldete Personen zu verbessern, um deren Ablösung von der Sozialhilfe gezielter gestalten zu können. 
Um ein möglichst gesamtheitliches Bild zu erhalten, haben Mattes und sein Team alle Sozialdienste der Schweiz angeschrieben und sie eingeladen, an der Studie teilzunehmen. Noch haben die Sozialdienste Zeit, sich für die Studie anzumelden. Allerdings zeichne sich bereits jetzt ab, dass sich Sozialdienste aus allen Kantonen und Sprachregionen beteiligen werden, sagt Mattes. Neben Sozialdiensten aus grösseren Städten hätten sich auch solche aus kleinen, ländlichen Gemeinden gemeldet. Diese Vielfalt erlaube es, Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Gebieten oder auch zwischen den Sprachregionen zu beleuchten. 
Geplant ist, dass während drei Monaten – zwischen April und Juni 2019 – alle Personen befragt werden, die einen Antrag auf Sozialhilfe stellen. Es lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzen, wie viele Fälle dies sein werden, sagt Mattes. Er geht von einer Fallzahl zwischen 1500 und 5000 aus. In einer zweiten Etappe sollen zudem Fachpersonen aus den Sozialdiensten befragt werden. Die Studie dauert bis 2021. Mattes hofft, dass erste Zwischenergebnisse bereits im November dieses Jahres präsentiert werden können.

Aktuelle Politik kaum förderlich

Die Studie greift somit ein Thema auf, das in der aktuellen Politik oftmals ausgeblendet wird. So pochen Politikerinnen und Politiker aus bürgerlichen Parteien heute vor allem darauf, die Sozialhilfekosten zu kürzen. Dies als Anreiz für Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfeleistungen, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Christoph Mattes glaubt, dass die Verschuldung bei Sozialhilfebezügerinnen und –bezüger durch eine Reduktion der Sozialhilfegelder zunehmen wird. „Ich gehe davon aus, dass es zu mehr Kontoüberziehungen kommen wird und dass sich die Betroffenen noch mehr über Kreditanbieter im Internet verschulden.“ Irgendwo würden sich diese Kürzungen bemerkbar machen. 

Weitere Informationen zur Studie finden Sie unter 
www.forum-schulden.ch


Viele leben auf Pump – und es werden mehr

Ein Grossteil der Schweizerinnen und Schweizer findet, dass man das Geld zuerst verdienen müsse, bevor man es ausgibt. Die Realität sieht indes ganz anders aus: Rund 40 Prozent der Schweizer Haushalte haben Schulden – Tendenz steigend.

Das Auto ist geleast, der Computer wird auf Raten bezahlt, die Steuern aus dem Vorjahr sind noch nicht abgestottert und da sind noch die Schulden bei der Cousine – das Leben auf Pump ist in der Schweiz weit verbreitet. 2013 lebten vier von zehn Personen (oder 39 Prozent) in einem Haushalt, der mindestens eine Art von Verschuldung aufwies. Diese Zahlen wurden vom Bundesamt für Statistik (BFS) erhoben. Hypotheken wurden in der Erhebung nicht berücksichtigt. Auch die Höhe der Schulden wurde nicht erfasst.

Fast 8 Prozent der Bevölkerung lebten 2013 demnach in einem Haushalt, der mindestens drei Schuldenarten aufwies. Die Gruppen, die am häufigsten in diese Kategorie fallen, waren von materieller Entbehrung betroffene Personen (36 Prozent), Arbeitslose (17 Prozent) sowie Ausländerinnen und Ausländer (14 Prozent).

Jeder Zehnte lebt in Haushalt mit Steuerschulden

Der häufigste Grund, sich in Schulden zu stürzen, sind nicht fristgerecht bezahlte Rechnungen. So lebten 18 Prozent in einem Haushalt mit mindestens einem Zahlungsrückstand. Am weitesten verbreitet waren dabei Steuerschulden. Eine von zehn Personen gehört einem Haushalt mit Ausständen beim Fiskus an. Zudem lebte 2013 fast ein Drittel der Bevölkerung in einem Haushalt mit mindestens einem Kredit. Dazu zählen auch Ratenzahlungen und Schulden bei Freunden oder Verwandten. Häufigster Grund für eine Kreditaufnahme ist ein neues Auto: Gut 18 Prozent der Einwohner fanden sich in Haushalten mit mindestens einem auf Kredit gekauften Fahrzeug.

Personen aus Südeuropa, Familien mit einem oder zwei Kindern und Personen zwischen 25 und 49 Jahren wohnen gemäss BFS am häufigsten in einem Haushalt mit mindestens einem geleasten oder auf Kredit gekauften Wagen. Romands und Tessiner sind zudem in solchen Haushalten fast doppelt so stark vertreten wie Deutschschweizer. 

Grosses Unwissen über geschuldeten Zins

Gefragt wurde in der Erhebung des BFS auch nach dem Bezug der Bevölkerung zum Geld. Über 90 Prozent äusserten klar die Ansicht, dass man dieses zuerst verdienen sollte, bevor man es ausgibt, oder dass es ihnen besonders unangenehm ist oder wäre, Schulden zu haben (87 Prozent). Allerdings räumten laut BFS 9 Prozent der Befragten ein, dass es für sie sehr schwierig sei, ihr Budget im Griff zu behalten. Fast die Hälfte gab an, nie spontan etwas von einem gewissen Wert zu kaufen (ab 100 Franken), während 11 Prozent dies ein- oder mehrmals pro Monat tun.

Etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung ab 16 Jahren wusste nicht, wie hoch der Zinssatz für ausstehende Kreditkartenrechnungen ist. Frauen gaben häufiger an, diesen Zinssatz nicht zu kennen, während Männer eher dazu neigten, ihn zu unterschätzen. 

Verschuldung nimmt zu

Im Sommer 2019 wird das BFS die neusten Zahlen zur Verschuldung von Privatpersonen präsentieren. Und es ist davon auszugehen, dass die Verschuldung seit der letzten Erhebung weiter zugenommen hat. Mitverantwortlich für diese Entwicklung ist gemäss Fachleuten auch das Internet. Dies wegen Online-Shops und Online-Spielen, aber auch, weil es für Verschuldete im Netz einfacher ist, an einen Kredit zu kommen. Gerade Menschen, die von Armut betroffen sind, geraten so schnell in einen Teufelskreis, aus dem es kaum einen Ausweg gibt.


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