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Care Leaver: Von der Kinder- und Jugendhilfe vernachlässigt

April 2020

Junge Menschen, die fremdplatziert waren, werden nach Erreichen der Volljährigkeit meist nicht mehr weiter begleitet. Dabei ist das Erwachsenwerden für sie besonders anspruchsvoll.

Mit der Volljährigkeit endet für die meisten jungen Menschen, die einen Teil ihres Lebens in einem Heim, einer Wohngruppe oder einer Pflegefamilie verbracht haben, die Unterstützung durch die Kinder- und Jugendhilfe. Solche jungen Menschen, die sich im Übergang ins Erwachsenenleben befinden, werden ‚Care Leaver‘ genannt.

Es gibt zwar Pflegefamilien, welche die jungen Menschen auf freiwilliger und privater Basis weiterhin bei sich wohnen lassen, doch finanzielle Fragen und Abmachungen zum Zusammenleben müssen sie ab diesem Zeitpunkt selber aushandeln. Es gibt keine fallführende Person mehr, die für die Koordination zuständig ist und auch keine finanzielle Absicherung von Unterstützungsangeboten, die über die Volljährigkeit hinaus gehen. Auch eine Beratung oder Begleitung in anderer Form für die Care Leaver fällt ab diesem Zeitpunkt in den meisten Fällen weg. Einzelne Heime bieten eine Nachbetreuung an, die aber gleich im Anschluss an einen Heimaufenthalt erfolgt und nicht zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch genommen werden kann.

Benachteiligung gegenüber Gleichaltrigen

Junge Menschen, die bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen, bleiben häufig nach der Volljährigkeit noch weiter bei ihrer Familie wohnen. Forschungen haben gezeigt, dass manche auch nach dem Ausziehen zeitweise wieder ins Elternhaus zurück kehren, etwa nach einem Auslandaufenthalt, wenn sie  eine neue Ausbildung oder ein Studium beginnen oder in einer Krisensituation. Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass "25 das neue 18" ist.

Care Leaver hingegen müssen nach ihrer Volljährigkeit oder spätestens nach Abschluss ihrer Ausbildung quasi von einem Tag auf den anderen selbständig werden. Eine zeitweilige Rückkehr in die Institution oder die Pflegefamilie ist meist nicht mehr möglich und eine Rückkehr in die Herkunftsfamilie häufig keine Option. Im Gegensatz zu Gleichaltrigen haben sie in der Regel noch ein weniger zuverlässiges Beziehungsnetz und können von ihrem Umfeld oft weniger auf emotionale Unterstützung hoffen.

Forschungen zeigen denn auch, dass Care Leaver einem hohen Risiko ausgesetzt sind, an den Rand der Gesellschaft gedrängt und sozial benachteiligt zu werden.

Argumentarium für Politik und Fachwelt

Das Problem ist in der Fachwelt nicht unbekannt. Forschende der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) haben Forschungs- und Entwicklungsprojekte unter Einbezug von Betroffenen durchgeführt. Im 2019 fand eine von der FHNW und der ZHAW organisierte Tagung für interessierte Fachpersonen statt. Die FHNW bietet im 2020 nun auch ein Fachseminar zum Thema an. Weiter sind in den letzten Jahren Websites entstanden, die den Betroffenen Hilfe, Information und zum Teil Beratung anbieten.

Die Internetplattform Leaving Care versteht sich als Kompetenzzentrum und wurde 2019 von den Fachverbänden Curaviva, Integras und Pach gegründet. Obwohl das Thema inzwischen von der Fachwelt wahrgenommen wird, fehlt es immer noch an einer Institutionalisierung von Unterstützungsangeboten. Im April 2020 hat das Kompetenzzentrum Leaving Care deshalb ein Argumentarium für Politiker*innen und Fachleute herausgegeben. Es liefert Argumente und Begründungen, weshalb Unterstützungsangebote für diese Zielgruppe nötig sind.

integras

«Care Leaver erforschen Leaving Care» – Was kommt nach dem Heim oder der Pflegefamilie?

Was benötigen junge Menschen nach dem Austritt aus einer stationären Erziehungshilfe oder einer Pflegefamilie für einen erfolgreichen Übergang in ein eigenverantwortliches Leben? Die Fachhochschule für Soziale Arbeit FHNW suchte im Forschungsprojekt «Care Leaver erforschen Leaving Care» mit jungen Erwachsenen Antworten auf diese Frage. 

Moses online

Careleaver - Positionspapier und Handlungsempfehlungen

Deutschland

Das Careleaver Kompetenznetz hat in einem Verbund von Careleavern und Organisationen Handlungsempfehlungen für freie und öffentliche Jugendhilfeträger erarbeitet.Mit den Handlungsempfehlungen wird das Ziel verfolgt, die Übergänge aus der Jugendhilfe (in Einrichtungen und Pflegefamilien sowie ambulanten Hilfen) in ein eigenständiges Leben für die jungen Menschen zu verbessern. Die Empfehlungen basieren auf den Erfahrungen und Verbesserungsvorschlägen von Careleavern, und außerdem auf der Expertise von Fachkräften, die am „Übergang in die Verselbstständigung“ arbeiten.Das PositionspapierHandlungsempfehlungen

Kompetenzzentrum Leaving Care

CareLeaverTalk - ehemalige Heim- und Pflegekinder sensibilisieren und diskutieren

Am 13. September 2021 startet die vom KLC initiierte multimediale Kampagne «CareLeaverTalk» . Die Kampagne rückt Care Leaver*innen mit ihren Erfahrungen und Anliegen in den Fokus. Mit Plakaten zum Slogan «Deplatziert? – Typisch Heim- und Pflegekind» gelangt man via QR-Code auf den Youtube-Kanal der Kampagne.

PACH integras ARTISET

Kompetenzzentrum Leaving Care

Chancengleichheit für Care Leaver*innen beim Übergang aus dem Heim oder der Pflegefamilie in die Selbständigkeit – dafür setzt sich das Kompetenzzentrum Leaving Care ein: vorhandenes Wissen und Erfahrungen werden gebündelt, Bestrebungen und Initiativen in der ganzen Schweiz werden unterstützt und Care Leaver*innen, Pflegeeltern und Fachpersonen erhalten Support.


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