Fachinformationen Fokusartikel

Grundeinkommen - Ein sinnvoller Umbau des Sozialstaates?

Mai 2016 / Martin Heiniger (Text)

Am 5. Juni stimmt die Schweiz darüber ab, ob in der Schweiz lebende Menschen künftig ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten. Bei der Vorlage geht es um einen Grundsatzentscheid; die Details zu klären wäre dann Aufgabe des Parlaments. Die Debatte ist in Fahrt gekommen und hat viele lesenswerte Stellungnahmen und Artikel hervorgebracht. Die Übersichtlichkeit ist dadurch jedoch nicht gestiegen. Wir versuchen eine Auslegeordnung.  

Worüber stimmen wir ab?

Die Initiative "Für ein bedingungsloses Grundeinkommen" ist in ihrem Wortlaut überraschend kurz und bündig formuliert: Der Bund erhält den Auftrag, dafür sorgen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt wird, wobei dieses "der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen" soll. Die Frage der Finanzierung bleibt offen; sie soll im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses geregelt werden.  

Die Vorlage erhält dadurch den Charakter eines Grundentscheids, der die Details ungeklärt lässt und damit auch viel Raum für Spekulationen bietet. So ist beispielsweise der immer wieder genannte Betrag von Fr. 2500.- pro Kopf und Monat lediglich ein Vorschlag als Diskussionsgrundlage. (Quelle: Müller/Straub, Die Befreiung der Schweiz). Zu klären wäre nebst der Betragshöhe auch die Frage, wer in Genuss dieses Einkommens kommen würde. Gäbe es beispielsweise eine Wartefrist für Migrantinnen? Unklar bleibt ebenfalls, in welcher Beziehung das Grundeinkommen zu den bestehenden Sozialwerken stehen würde.  

Zentrale Fragen, die die Vorlage offen lässt:

  • Wie wird das Grundeinkommen finanziert? 
  • Wer hat Anrecht auf ein Grundeinkommen?
  • Wie ist es mit Migrantinnen?
  • Wie hoch ist der Betrag?
  • Wird das bestehende Sozialsystem teilweise oder ganz ersetzt?

Diese Offenheit ist von den InitiantInnen beabsichtigt. Wiederholt haben sie geäussert, dass sie nicht von einer Annahme ausgehen, aber schon die angestossene Debatte als Erfolg werten. Für die Stimmenden ist die Vorlage jedoch eine Herausforderung: auch wenn man die Idee eines Grundeinkommens befürwortet, so bleibt aufgrund der Vorlage offen, in welche Richtung der Umbau des Sozialstaates gehen würde.

Aus dem Sozialstaat Gurkensalat?

Wie sich ein bedingungsloses Grundeinkommen auf den Sozialstaat auswirken würde, ist unklar. Klar ist, dass unser heutiges System grundlegend tangiert würde; auf welche Weise hängt von der Umsetzung ab. Diese Unsicherheit ist ein nicht zu unterschätzender Knackpunkt dieser Vorlage. Eine Annahme garantiert noch lange nicht, dass sich die Lage der sozial und ökonomisch schlechter gestellten Bevölkerungsgruppen verbessern würde.

Bei den Diskussionen um die Finanzierung schlagen die Initiantinnen vor, dass die Kosten der bisherigen Sozialleistungen als Finanzierungsquelle dienen und mit den Ausgaben des Grundeinkommens verrechnet werden sollen. Ob damit das Sozialsystem durch das Grundeinkommen teilweise oder ganz ersetzt würde, bleibt offen. In einer neoliberalen Auslegung könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen dazu dienen, das heutige, historisch gewachsene System bedarfsorientierter Sozialleistungen auf einen Schlag obsolet zu machen und abzuschaffen. Wären die vorgeschlagenen 2500 Franken ein valabler Ersatz für die heutigen Sozialleistungen? Oder brächte das Grundeinkommen "eine gesellschaftliche Entsolidarisierung? Einen Ablass, um nicht über weiter gehende sozialpolitische Forderungen reden zu müssen?", wie die WOZ fragt? Mit anderen Worten: Was wäre nötig, um nicht nur das Überleben zu sichern, sondern auch die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen?

Ein Grundeinkommen könnte das Sozialsystem administrativ stark vereinfachen. Die aufwändigen Bedarfsabklärungen und Kontrollen würden wegfallen, und damit auch der Gang zum Fürsorgeamt, den viele Sozialhilfeempfängerinnen als entwürdigende erleben. Ein Grossteil der bürokratischen Struktur, die heute die Verwaltung und Vergabe von Sozialleistungen regelt, entfiele, womit jedoch auch Arbeitsplätze verloren gingen, die direkt oder indirekt mit der Verwaltung von Sozialleistungen zu tun haben.

Offen bleibt, ob damit auch die "eigentliche Soziale Arbeit" wegfiele, die bereits seit längerem bedroht wird: die Beratung von Menschen, die Mithilfe an der Verbesserung von individuellen Lebensumständen - jenseits der Ausrichtung von Fürsorgegeldern. Das ist für die Soziale Arbeit eine der interessantesten,  aber auch vitalsten Fragen. Sie könnte mit einem Grundeinkommen je nach  Auslegung sowohl zurückgedrängt als auch auf ihre ursprünglichen Qualitäten zurückgeführt werden. Nicht auszuschliessen ist dabei, dass durch diesen Wechsel der Bedarf an professionellen SozialarbeiterInnen zurückgehen könnte.

Wenn man davon ausgeht, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens mit einer Änderung der Einstellung gegenüber der Erwerbsarbeit einhergeht – was eines der Hauptanliegen der InitiantInnen ist – könnte sich das auf den Auftrag der Sozialen Arbeit direkt auswirken. Denn damit würde sich die gesellschaftliche Auffassung einer gelingenden Lebensführung ändern, und hier hätte die Soziale Arbeit viel beizutragen.

Professionelle der Sozialen Arbeit bringt diese Initiative in ein gewisses Dilemma. Aus Gründen der Berufsethik sind Ziele wie grössere individuelle Autonomie oder eine würdige Lebensführung, die mit dem Grundeinkommen verknüpft werden, eindeutig zu befürworten. Als Arbeitnehmer hingegen haben sie auch das Eigeninteresse, ihre Arbeitsstelle nicht zu verlieren – eine durchaus reale Gefahr. Dem Berufsstand ist zu wünschen, dass die Einzelnen bei der Entscheidung vor allem durch die Frage leiten lassen, ob sie für ihre Zielgruppen – die benachteiligten Bevölkerungsgruppen – wirkliche Verbesserungen bringen kann.

In den nächsten 30 Jahren werden nur noch zwei bis drei Prozent der Weltbevölkerung gebraucht, um all die Güter zu erzeugen, die wir auf dem Planeten benötigen

Bernard Litaer

Am Ende der (Erwerbs-)Arbeit für alle?

Ein bedingungsloses Grundeinkommen entkoppelt das Einkommen von einer Arbeitsleistung. Diese Idee ist nicht neu, und auch nicht völlig unbekannt: unser bedarfsorientiertes Sozialversicherungssystem basiert teilweise auf einer solchen Entkoppelung, da manche Leistungen von Erwerbseinkommen unabhängig sind (z.B. Familienzulagen oder Stipendien). Dennoch orientiert es sich an einer normalen Erwerbsbiographie; schliesslich sind die meisten versicherten Risiken im Grunde immer auch Erwerbsrisiken. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens will diesen Fokus ändern. Mit dem Einkommen soll gleichzeitig ein menschenwürdiges Dasein garantiert werden, ohne dass eine Erwerbsarbeit vorausgesetzt wird.

Mit Blick auf prognostizierte, möglicherweise gravierende Umwälzungen im Arbeitsmarkt, erhält diese utopische Idee eine neue Plausibilität. Begriffe wie "Industrie 4.0", „Disruption“ oder "digitale Transformation" kündigen Veränderungen der Arbeitswelt an, die die Frage der Beschäftigung in ganz neuer Weise stellen. Die Prognosen deuten darauf hin, dass durch den fortschreitenden Einsatz automatisierter Produktion weit mehr Arbeitsplätze verloren gehen könnten, als durch diese neuen Industriezweige geschaffen werden. In den nächsten 10-20 Jahren werden dieser Entwicklung auch Berufe zum Opfer fallen, bei denen man das bisher nicht erwartete. Dadurch können je nach Einschätzung bis zur Hälfte der gut bezahlten Jobs verloren gehen.

Durch diese Veränderungen dürften einerseits vor allem hochqualifizierte Arbeiten übrig bleiben, sowie Arbeiten im Niedriglohn-Sektor, die prekär, schlecht bezahlt, gefährlich und/oder entwürdigend sind. Das Denknetz fragt deshalb zu Recht, ob das Grundeinkommen dazu beitragen könnte, „den Kampf für decent work, für Mindestlöhne, anständige Arbeitsbedingungen, Arbeitszeitverkürzungen sowie für gute soziale Sicherungssysteme voranzubringen.“ (Denknetz Infobrief #12). Die Antwort auf diese Frage hängt auch hier davon ab, wie das Grundeinkommen umgesetzt würde.

Der vorgeschlagene Betrag von 2500 Franken provoziert zudem die Frage, ob das genug ist, um Arbeiten abzugelten, die bislang unbezahlt geleistet werden. So formuliert in der WOZ: "sind 2500 Franken auch eine echte Antwort auf das eigentliche Problem, dass immer mehr Menschen von ihrer Arbeit kaum leben können? Jährlich werden in der Schweiz vor allem von Frauen 190 Millionen Stunden unbezahlte Pflegearbeit allein für ältere Menschen geleistet. Sind 2500 Franken ein genügender Lohn dafür?"

Einem prognostizierten Mangel an würdiger Erwerbsarbeit steht damit eine grosse Menge an geleisteter Arbeit gegenüber, die gesellschaftlich wichtig ist, aber bislang nicht vergütet wird. Das Grundeinkommen könnte hier je nach Auslegung die Chance auf eine Umdeutung und Neubewertung des Arbeitsbegriffs bieten, der sich nicht nur auf die Bedürfnisse der Wirtschaft richtet, sondern auch darauf, was gesellschaftlich wünschenswert ist.

Schon heute verdankt sich unsere wirtschaftliche Herrlichkeit, die für weite Teile des Serviceproletariates so herrlich keineswegs ist, dem Umstand, dass unsere Gesellschaft durch eine Unzahl von nicht bezahlter Arbeit zusammengehalten wird

Daniel Fischer, Journal 21

Keine Lizenz zur Faulheit

Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen ist die Hoffnung verbunden, das Leben für alle BürgerInnen freier, unabhängiger und würdiger zu machen. Befreit von existenziellen Fragen, sollen insbesondere Menschen in prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen entscheiden können, ob sie eine Arbeit annehmen oder nicht. Unbezahlte, aber wertvolle Arbeit soll entschädigt und damit aufgewertet werden, was vor allem auch Frauen zugutekommen würde, die einen grossen Teil der Care-Arbeit leisten. Das Grundeinkommen könnte das "Recht auf ein würdiges und erfülltes Leben jenseits der Verwertbarkeit von Arbeitskraft für die Vermehrung von Kapital" verwirklichen.

Ein oft gehörtes und gelesenes kritisches Argument gegen das bedingungslose Grundeinkommen lässt sich auf die kurze Formel bringen: "Wer würde dann noch arbeiten?" Darin offenbart sich die Grundannahme, dass wir grundsätzlich faul seien und uns lieber "mit dem vom Staat erhaltenen Geld ein einfaches, aber nicht unattraktives Leben" gönnen, als tätig zu sein. Bei manchen Jobs mag das verständlich sein: um harte, anstrengende schmutzige, schlecht bezahlte Arbeiten würde sich wohl nicht viele reissen, und es wäre interessant zu sehen, ob gerade solche Jobs in Bezug auf Löhne eventuell stark aufgewertet werden müssten. Das Denknetz argumentiert, dass statt die Pflicht zu "demütigender, schädigender, schlecht bezahlter oder dequalifizierter Arbeit" abzuschaffen und damit die Arbeitsbereitschaft zu schwächen, dafür gekämpft werden, die Zumutbarkeit von Arbeit wiederherzustellen, indem "allen Individuen die Teilnahme an gesellschaftlich nötiger Arbeit ermöglicht wird", die "den Bedingungen dessen entspricht, was von der ILO als „decent work“ bezeichnet wird."

Laut Umfragen würden die meisten Menschen ohnehin so weiter arbeiten wollen, wie bisher. Laut Demoscope geben nur 10% an, nicht mehr arbeiten zu wollen. Das sind allerdings Antworten von Menschen die vom aktuellen Wirtschaftssystem geprägt sind. Spekulativ bleibt die Frage nach den Auswirkungen, die ein Systemwechsel auf kommende Generationen hätte.

Wenn die InitiantInnen argumentieren, dass ein Grundeinkommen uns von Arbeitszwängen befreit, dann stellen sie nicht in Abrede, dass viele Menschen in erster Linie wegen dem Geld arbeiten. Dass wir durch das Grundeinkommen mit Fragen zu unserem Verhältnis zur Arbeit konfrontiert würden, deuten sie daher positiv: Was ist meine Motivation zu arbeiten? Würde ich überhaupt arbeiten, wenn nicht das Einkommen davon abhinge? Und wenn ja, was? Diese Freiheit bringt eine neue individuelle Verantwortung mit sich, und möglicherweise könnte gerade diese "Autonomieandrohung" auch manche Menschen abschrecken.

Die GegnerInnen des Grundeinkommens sehen durch die Initiative ein bewährtes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell in Gefahr. Die InitiantInnen hingegen verstehen ihr Anliegen als Konkretisierung einer Utopie: der Mensch soll vom Zwang zur Arbeit befreit werden, sich auf seine Möglichkeiten und Interessen besinnen können. Dabei soll ein altes Versprechen der Industrialisierung eingelösten werden: alle sollen von der Effizienzsteigerung profitieren , indem wir weniger Zeit mit Lohnarbeit verbringen müssen. Statt in die Falle des Wachstumszwangs zu tappen– mit all seinen negativen Folgen für die Menschen und die Umwelt, die immer offensichtlicher werden – könnte mit dem Grundeinkommen ein Mechanismus geschaffen werden, der die Gewinne der Produktion zumindest teilweise unabhängig von der geleisteten Arbeit umverteilt. Der Gewinn der Wirtschaft wäre, dass damit auch Menschen als KundInnen erhalten bleiben, die für den Produktionsprozess nicht benötigt werden. Wie kann aber verhindert werden, dass das Grundeinkommen dadurch den Charakter einer „Ablassprämie für die 'Überflüssigen'“ erhält? Im utopischen Bild wäre der Gewinn für die Gesellschaft, dass diese Menschen Tätigkeiten nachgehen können, die bislang schlecht oder gar nicht entschädigt wurden, aber einen hohen Wert für das gute Zusammenleben haben. Damit sind wir bei einer ur-philosophischen Frage angelangt: der Frage nach dem guten Leben. Unsere industrialisierte Kultur entwickelt sich so rasant, dass sie uns immer wieder vor vollendete Tatsachen stellt. Die Frage, wie wir leben wollen, erhält dadurch eine zunehmende Bedeutung. Wie können wir ein Zusammenleben einrichten, das für alle funktioniert? Das müsste auch sowohl Benachteiligte Zeitgenossen wie auch zukünftige Generationen einschliessen. Die Überlegungen zum bedingungslosen Grundeinkommen müssen solche Erwägungen unbedingt berücksichtigen.

Das BGE ist das kommende Sozialwerk in der Tradition der AHV

Oswald Sigg

Und wer soll das alles bezahlen?

Die Frage der Finanzierung ist eine weitere Frage, an der sich die Geister scheiden. Basierend auf dem vorgeschlagenen Betrag von 2500 Franken pro erwachsene Person - bzw. 625 Franken pro Kind bis 18 Jahre – rechnet der Bundesrat mit Kosten von 25 Milliarden Franken pro Jahr. Das ist die Summe, die übrig bleibt, nachdem die Kosten des Grundeinkommens (208 Mrd.) mit den wegfallenden Ausgaben der bisherigen Sozialleistungen (55 Mrd.) verrechnet wurden, sowie mit dem, was durch Lohnabzüge generiert wird (128 Mrd.). Die InitiatInnen schlagen eine Konsumsteuer – bzw. Mehrwertssteuererhöhung – vor, um diesen Fehlbetrag zu decken. Einen anderen Vorschlag hat Oswald Sigg in die Diskussion eingebracht: er schlägt vor, eine automatische Mikrosteuer auf alle finanziellen Transaktionen einzuführen, von denen die meisten im Bereich der Finanzwirtschaft stattfinden. 

Für viele GegnerInnen ist die unklare Finanzierung das Hauptargument gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Nebst dem Zweifel, dass das Unternehmen überhaupt finanzierbar wäre, gibt es auch kritische Einwände gegenüber dem vorgeschlagenen Finanzierungsmodell. Die Umlagerung der bisherigen Sozialleistungen impliziert, dass das Grundeinkommen substitutiv ausgelegt wird; d.h. das Grundeinkommen ersetzt das bisherige System bedarfsabhängiger Sozialleistungen. Damit ist das Risiko verbunden, dass auch die „immateriellen sozialen Unterstützungsleistungen“ abgebaut werden. Zudem wird eingewandt, dass die Finanzierung über die Mehrwertssteuer grundsätzlich unsozial ist, da sie tieferen Einkommen verhältnismässig stärker belastet und damit die Umverteilung von unten nach oben verstärkt.

Die Frage der Finanzierung ist ein weiterer Punkt, der bei einer Annahme der Initiative ausgehandelt werden müsste, und von dem abhängt, ob die Ziele grösserer Freiheit und Würde für alle verwirklicht werden könnten. 

Fazit: Chancen und Gefahren

Wie sich die Annahme des Grundeinkommens auf unsere Gesellschaft auswirken würde ist in vielen Hinsichten spekulativ. Entscheidend wird sein, wie dieses Projekt konkret ausgestaltet und umgesetzt würde. Die wesentlichen Fragen zur Umsetzung und Konkretisierung wären Gegenstand der Gesetzgebung. Es ist abzusehen, dass dieser Prozess sehr reich an Auseinandersetzungen und komplexen Fragen wäre.

Die von den Initianten skizzierte Umsetzung ist manchen zu simpel und birgt die Gefahr, dass die gesetzten Ziele nicht erreicht werden können. Eine bedenkenswerte Alternative hat etwa das Denknetz erarbeitet. Unter der Bezeichnung „Mosaik-BGE“ schlagen sie ein Modell vor, das das Grundeinkommen mit weiteren Massnahmen kombiniert, wie einer allgemeinen Erwerbsversicherung und einem bedingungslosen Sabbatical für alle.

Die Schwierigkeit besteht darin, dass man aus Sicht sozialer Gerechtigkeit das Grundeinkommen nur unter der Voraussetzung annehmen kann, dass die Situation aller, besonders auch schlechtergestellter Menschen, gestärkt würde. Genau das bleibt jedoch aufgrund der offenen Formulierung der Initiative im Ungewissen. Unter diesen Umständen eröffnet die Einführung eines Grundeinkommens Chancen, birgt aber auch Gefahren. Je nach Auslegung sind folgende Gefahren und Chancen absehbar

Chancen

  • Vereinfachung des Sozialsystems
  • keine Stigmatisierung der EmpfängerInnen von Sozialleistungen
  • Verbesserung der Lage von ArbeitnehmerInnen
  • Antwort auf zunehmenden Mangel an Arbeit
  • Eröffnung von neuen Möglichkeiten der individuellen Lebensgestaltung
  • Stärkung der Eigenverantwortung
  • Anerkennung bisher unbezahlter Arbeit

Gefahren

  • Nicht finanzierbar oder unsoziale Finanzierung
  • gesellschaftliche Entsolidarisierung (bei neoliberaler Auslegung)
  • Schwächung im Kampf um gute Arbeitsbedingungen („decent work“)
  • Lohnsubventionen im Niedriglohnsektor

Falls das Grundeinkommen am 5. Juni angenommen wird, fangen die Auseinandersetzungen um eine soziale, gerechte und für alle förderliche Auslegung und Umsetzung erst an.


"Grundsätzlich ja, aber..." die Position von AvenirSocial

AvenirSocial hat sich eingehend mit der Vorlage befasst und ein Positionspapier dazu erarbeitet. Nach einem kurzen Überblick auf die Geschichte des BGE und die konkrete Vorlage, wird in diesem Papier das Thema anhand von 5 Punkten beleuchtet. AvenirSocial stellt zur Diskussion, "inwiefern ein BGE es vermögen würde, die anstehenden sozialen Probleme effizienter als bisher zu lösen", und " ob ein BGE nicht die bestehenden (ungenügenden) Sicherheiten aushebeln könnte".

AvenirSocial stellt in diesem Papier mehr Fragen als beantwortet werden. Der Verband gibt auch keine Abstimmungsempfehlung. Aus seiner Sicht ist ein BGE zwar im Grundsatz richtig. Dass damit die soziale Ziele - wie beispielsweise gute Arbeitsbedingungen, Verteilungsgerechtigkeit, soziale Sicherheit und Solidarität - erreicht werden können, ist jedoch damit nicht automatisch gewährleistet. 

Zum Positionspapier BGE von AvenirSocial

Leseempfehlungen von sozialinfo

Nachfolgend finden Sie Links zu weitergehender Lektüre. 

Journal 21: Grundeinkommen: eine Chance
Eine klare Ja-Empfehlung aus links-grüner Sicht von daniel Vischer (ehem. NR der Grünen)

Denknetz: Zusammenfassung "Würde, bedingungslos"
Diese Zusammenfassung eines Buches von Ruth Gurny, Beat Ringger und Ueli Tecklenburg beschreibt in Kürze das Modell "Mosaik-BGE". Dies ist ein Vorschlag des Denknetztes, wie mit dem Grundeinkommen die angestrebten Sozialziele erreicht werden könnte.

AvenirSocial: Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE): Position von AvenirSocial
Aus Sicht von AvenirSocial ist ein BGE zwar im Grundsatz richtig. Dass damit die soziale Ziele - wie beispielsweise gute Arbeitsbedingungen, Verteilungsgerechtigkeit, soziale Sicherheit und Solidarität - erreicht werden können, ist jedoch damit nicht automatisch gewährleistet.

WOZ: Die zwei Gesichter des Grundeinkommens
Die WOZ warnt vor den Gefahren einer neoliberalen Auslegung des Grundeinkommens.

Denknetz: Die linke Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen (BGE)
Für vertiefte Informationen zur Geschichte und den verschiedenen Auslegungen der Idee eines Grundeinkommens. Auch wenn das Dokument etwas länger ist (14 S.) lohnt sich die Lektüre.


Zurück zur Übersicht