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Sozialdienst: Welche Unterstützung sich Nutzer*innen wünschen

Mai 2021

Was macht gute Beratung auf dem Sozialdienst aus? Eine Forschungsgruppe der BFH hat bei einer Nutzer*innen-Befragung wichtige Qualitätskriterien herausgearbeitet. Zudem hat sie ein neues Modell für Befragungen entwickelt.

Armutsbetroffene Menschen möchten stärker einbezogen werden, wenn es um Massnahmen zur Prävention von Armut geht. Je nach Institution und den gegebenen Rahmenbedingungen sehen die Partizipationsmöglichkeiten von Betroffenen unterschiedlich aus. Eine Studie des Bundesamtes für Sozialversicherungen hat aufgezeigt, was möglich wäre. Wir haben im Dossier vom 20. August 2020 auf das Thema hingewiesen.

Der Sozialdienst Biel bezieht zum Beispiel Sozialhilfebeziehende bei der Gestaltung von betrieblichen Abläufen gezielt ein. Sozialhilfebeziehende können aber auch zur Weiterentwicklung von Unterstützungsleistungen beitragen, wie eine Nutzer*innen-Befragung der Berner Fachhochschule, Soziale Arbeit (BFH) zeigt. Im nachfolgenden Interview erläutert Simon Steger, Dozent und Projektleiter an der BFH, welche Erfahrungen er mit der Befragung gemacht hat und welche Empfehlungen für Sozialdienste er daraus ableitet.

Interview mit Simon Steger

Was unterscheidet Ihre Befragung von herkömmlichen Befragungen im Rahmen eines Qualitätsmanagements?

Simon Steger: Der Hauptunterschied ist, dass die Befragten in jener Sprache antworten konnten, die ihnen am nächsten liegt. Damit haben wir auch jene erreicht, die sonst üblicherweise in Untersuchungen untervertreten sind. Weiter haben wir keine schriftliche Befragung durchgeführt, sondern die Leute angerufen und mit ihnen gesprochen.

DR. SIMON STEGER

ist Dozent und Projektleiter an der Berner Fachhochschule, Soziale Arbeit.

Haben Sie deutschsprachige Personen nicht berücksichtigt?

Doch, doch. Deutschsprachige und fremdsprachige Personen waren angemessen vertreten. Der Unterschied ist nur, dass fremdsprachige Personen stärker vertreten waren als dies sonst der Fall ist. Für die Befragung haben wir fünf Studierende verpflichtet, welche neben der Landessprache auch eine weitere sprechen. So konnten wir auch in Albanisch, Tamilisch, Türkisch, Arabisch und Tigrinya befragen.

Hinweis zur Befragung

Der betreffende Sozialdienst möchte nicht namentlich genannt werden, da die Ergebnisse bisher noch nicht mit dem Auftraggeber diskutiert wurden. 

Was unterscheidet Ihre Befragung von jenen, die bei Sozialdiensten im Rahmen des Qualitätsmanagements gang und gäbe sind?

Bei unserem Auftraggeber stand der Wunsch im Vordergrund, nicht nur nach der Zufriedenheit zu fragen, sondern explizit nach Verbesserungshinweisen der Klient*innen. Wir haben deshalb nicht nur gefragt, wie zufrieden sie waren, sondern auch, welche Verbesserungsideen sie haben. Das ist für die Organisation sehr wertvoll.

Das heisst, Sie haben offene Fragen gestellt?

Genau, neben geschlossenen, auch offene Fragen. Das ist grundsätzlich auch mit einer schriftlichen Online-Befragung möglich, setzt jedoch Computerkenntnisse und Schreibkompetenz voraus. Wir haben deshalb eine computergestützte Telefonbefragung durchgeführt. Die Fragen wurden für die Interviewerinnen – aber nicht für die Befragten - am Bildschirm eingeblendet. Sie haben dann die Fragen im Gespräch gestellt. Das längste Gespräch dauerte übrigens rund zwei Stunden. Das ist für uns Ausdruck davon, dass es einem Bedürfnis von Betroffenen entspricht, sich zur Art und Weise der Unterstützung zu äussern.

Bei unserem Auftraggeber stand der Wunsch im Vordergrund, nicht nur nach der Zufriedenheit zu fragen, sondern explizit nach Verbesserungsideen.

Simon Steger

Welche Bedürfnisse haben die Befragten gegenüber der Organisation?

Wir konnten fünf Qualitätskriterien herauskristallisieren – auch indem wir nach den Stärken des beteiligten Sozialdienstes fragten. Erstens wünschen sie einen menschlichen und respektvollen Umgang. Zweitens wünschen sie sich ordnungsgemässe und pünktliche finanzielle Hilfen. Drittens legen sie Wert auf eine schnelle und professionelle Reaktion und Hilfestellungen. Eine Person sagte zum Beispiel, dass sie auf eine Anfrage schnell eine Antwort erhielt. Diese fiel zwar negativ aus, aber sie war begründet und die betreffende Person schätzte es sehr, dass sie rasch eine Antwort erhielt. Der vierte Punkt war der Wunsch nach transparenter Kommunikation und einer verständlichen Informationsvermittlung. Dieser Punkt stach bei unserer Befragung vermutlich stärker heraus, weil wir auch fremdsprachige Personen befragten. Der fünfte Punkt betraf die Unterstützung bei der Arbeitssuche und in der Antrittsphase einer neuen Arbeitsstelle.

Welche Schlussfolgerungen haben Sie aus der Befragung gezogen? 

Wir haben empfohlen, die Hilfebeziehenden laufend in die Weiterentwicklung der Unterstützungsmassnahmen miteinzubeziehen. Das englische Schlagwort dazu ist User-Involvement (Chiapparini et al., 2020). Dies hat den Vorteil, dass Betroffene ihre Erfahrungen und ihre Sichtweise regelmässig einbringen können. So tragen sie dazu bei, dass die Praktiken und Leistungen der Organisation laufend verbessert und die Wirkung der Unterstützungsmassnahmen erhöht wird. Wir haben auch gefragt, wer denn interessiert wäre, zum Beispiel in einer Gruppe von Klient*innen mitzuarbeiten. Zu unserem Erstaunen gaben 33 Prozent aller Befragten an, dass sie dazu bereit oder eher bereit wären. Das Interesse besteht also über den eigenen Fall hinaus.

Wir haben empfohlen, die Hilfebeziehenden laufend in die Weiterentwicklung der Unterstützungsmassnahmen einzubeziehen.

Simon Steger

Wie haben die Betroffenen die Qualität der Beratung bewertet? 

Ein zentrales Ergebnis der Befragung war, dass die Betroffenen den Respekt, der ihnen entgegengebracht wird, sehr schätzten. Es wird ihnen aufmerksam zugehört. Und in der überwiegenden Mehrheit werden ihnen die Dinge verständlich erklärt. Etwas weniger gut bewerteten sie hingegen die Wirkung der Unterstützung. Also inwiefern sie zur Problemlösung beiträgt. Diese beiden Faktoren sind jedoch ausschlaggebend für die Zufriedenheit. Das heisst, die Zufriedenheit ist ein Produkt aus den Erfahrungen im Umgang einerseits, aber eben auch aus der wahrgenommenen Wirkung der Unterstützung andererseits. Wir haben der Institution deshalb empfohlen, dass die Erwartungen über die Wirkung der Unterstützung zu Beginn einer Beratung explizit geklärt werden und dass die individuelle Zielarbeit darauf ausgerichtet wird.

Wird die Gemeinde oder der Sozialdienst nun konkret etwas ändern? 

Der Behörde werden die Ergebnisse demnächst präsentiert. Der operative Leiter, der uns im Namen der Behörde mit der Befragung beauftragt hat, hat sie jedoch sehr offen aufgenommen. Das widerspiegelt die Haltung dieser Institution, die sich wirklich dafür interessiert, was Betroffene denken und die wissen möchte, wie sie ihre (Dienst-)Leistungen weiterentwickeln kann.

Haben Sie dem Sozialdienst bestimmte Änderungen vorgeschlagen? 

Wir haben der Institution empfohlen, die von uns herauskristallisierten Kriterien zu nutzen, um sich konkrete Qualitätsziele zu setzen. Das könnte zum Beispiel in Form eines Klient*innen-Rats geschehen. Eine weitere Empfehlung ist, dass die Institution ihre erfolgreichen Fälle vermehrt analysiert. So kann sie von diesen effektiver lernen. Das könnte zum Beispiel geschehen, indem sie von den Betroffenen regelmässig gezielt ein Feedback einholt und dies in die Unterstützungsmassnahmen einbaut.

BFH, Soziale Arbeit

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Begriff Nutzer*in

Den Begriff «Nutzer*in» haben wir für dieses Dossier von der Forschungsgruppe der BFH übernommen. Die Forschenden haben sich für diesen Begriff entschieden, weil sie erforschen, welche Aspekte des sozialarbeiterischen Handelns sich den Menschen «als nützlich für die Bewältigung der sich stellenden Aufgaben der Lebensführung erweisen und auf welche Weise sie diese nutzen» (Oelerich und Schaarschuch 2006, S. 190).

Ausführlich in: 10.1007/978-3-531-19096-9_14.pdf (springer.com)


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