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Rassismusstrafnorm ist gesellschaftlich etabliert

März 2021

Die vor 25 Jahren eingeführte Rassismusstrafnorm hat den gesellschaftlichen Diskurs über rassistische Diskriminierung massgeblich mitgeprägt. Eine Studie zur Gerichtspraxis zeigt, dass das Gesetz juristisch gut handhabbar ist. Manche gesellschaftlichen Entwicklungen stellen die Gerichte jedoch vor neue Herausforderungen.

Im Jahr 1995 trat die Rassismusstrafnorm in der Schweiz in Kraft. Seither sind rassistisch diskriminierende Äusserungen und Handlungen strafbar (siehe Kasten). Zum 25-jährigen Bestehen der Rassismusstrafnorm hat die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) eine Studie zur Umsetzung der Strafnorm durch die Gerichte in Auftrag gegeben. Die Juristin Vera Leimgruber analysierte dazu 1000 Urteile im Zusammenhang mit Art. 261bis des Strafgesetzbuches (StGB). Die Erweiterung auf sexuelle Orientierung, welche die Stimmberechtigen 2020 guthiessen, ist darin noch nicht berücksichtigt.

Rassismusstrafnorm

Artikel 261bis StGB, die sogenannte Rassismusstrafnorm, verbietet den Aufruf zu Hass oder Diskriminierung, die Verbreitung rassistischer Ideologien, Äusserungen, die das Ziel haben, Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion herabzusetzen sowie die Verweigerung einer Leistung aus denselben Gründen. Die Norm bestraft auch die Leugnung von Völkermord oder anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Am 9. Februar 2020 hat das Schweizer Stimmvolk mit 63,1 % die Erweiterung der Strafnorm um die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung angenommen.
(Quelle: EKR)

Meinungsäusserungsfreiheit wenig tangiert

Die Meinungsäusserungsfreiheit wird durch die Rassismusstrafnorm laut der Studie nicht übermässig eingeschränkt. Zudem hätten sich in den vergangenen Jahren die Gewichte eher zugunsten der Meinungsäusserungsfreiheit verschoben, vor allem in politischen und wissenschaftlichen Debatten. Anhand von Beispielen zeigt die Autorin auf, dass die Gerichte bei der Abwägung verschiedener Rechte sehr differenziert urteilen. So darf das Recht auf freie Meinungsäusserung nicht so ausgeübt werden, dass Grundrechte anderer – etwa die Menschenwürde – verletzt werden. In politischen Auseinandersetzungen seien jedoch kritische Aussagen über bestimmte Bevölkerungsgruppen nach wie vor erlaubt. Diese könnten auch übertrieben sein, so lange sie insgesamt sachlich blieben und sich auf objektive Gründe stützten, so der Bericht.

Offene Fragen bei Online-Rassismus

Laut der Untersuchung macht Rassendiskriminierung im Internet seit 2016 jeweils ein Viertel bis ein Drittel der angezeigten Fälle aus. Dieses Phänomen existierte bei der Einführung der Rassismusstrafnorm noch gar nicht. Die Rechtsprechung zeigt gemäss der Studie jedoch eine gute Anpassungsfähigkeit in der Anwendung dieses Gesetzes auf neue Formen von Rassismus. Klar ist, dass Online-Plattformen grundsätzlich als öffentliche Räume betrachtet werden und damit unter die Rassismusstrafnorm fallen. Dies gilt auch für private Gruppen etwa bei Facebook oder WhatsApp.

Klärungsbedarf gibt es hingegen bei der Verantwortung von Internetprovidern für Inhalte auf Plattformen, die von ihnen zur Verfügung gestellt werden. Eine weitere Frage ist die nach dem räumlichen Geltungsbereich des Schweizerischen Strafrechts. Gemäss dem Prinzip der Territorialität können nur Taten nach StGB geahndet werden, die in der Schweiz erfolgen. Dies ist bei Äusserungen, die online gemacht werden, nicht zwingend der Fall. So wurde beispielsweise ein Fall nicht weiterverfolgt, in dem der Beschuldigte einen strafrechtlich relevanten Post aus Guatemala abgesetzt hatte.

Rassistische Symbole und Völkermord

Bei der Leugnung oder Verharmlosung von Völkermord stellt die Studie fest, dass die Gerichte unterschiedliche Situationen unterschiedlich behandeln. So wird die Leugnung des Holocaust strenger geahndet, als die Leugnung anderweitiger Fälle von Völkermord, die historisch weniger breit anerkannt sind. Genannt wird beispielsweise der Genozid an den Armenier*innen.

Unschärfen bestehen zudem bei der Anwendung der Strafnorm auf rassistische Symbole. Diese sind in der Schweiz nicht grundsätzlich verboten. Strafbarkeit ist nur dann gegeben, wenn sie zur Verbreitung einer Ideologie verwendet werden, die Angehörige einer „Rasse“, Ethnie oder Religion herabsetzt. Diese Beurteilung ist in der Rechtsprechung nicht immer eindeutig.

Fazit

Auch wenn es in manchen Bereichen offene Fragen gibt, kommt die Studie zum Schluss, dass die Rassismusstrafnorm insgesamt gut anwendbar ist. Sie attestiert ihr zudem eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz, was sich auch an der Aufnahme des Tatbestandes der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung im Jahr 2020 zeige.

Trotzdem blieben bei manchen Fragen noch Unsicherheiten und Unterschiede bei der Anwendung.

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