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Neues Polizeigesetz tangiert Menschenrechte

April 2021

Das neue «Bundesgesetz über Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus» (PMT) sieht vor, dass das Bundesamt für Polizei deutlich mehr präventive Handlungskompetenzen erhält. Gegen das Gesetz gibt es aus menschenrechtlicher Sicht Bedenken. Jungparteien haben das Referendum ergriffen, weshalb es am 13. Juni 2021 zur Abstimmung kommt.

Die Schweizerischen Behörden gehen davon aus, dass die terroristische Bedrohung in der Schweiz zunimmt. Um dieser Gefahr zu begegnen, haben Bundesrat und Parlament zusätzliche strafrechtliche Instrumente entwickelt. So werden neu nicht nur terroristischen Aktivitäten, sondern bereits Vorbereitungshandlungen geahndet werden können. Zudem wird die internationale Zusammenarbeit verstärkt. Diese Neuerungen treten per 1. Juli 2021 in Kraft.

Als weiteres Mittel zur Terrorismusbekämpfung will die Regierung die Kompetenzen der Polizei erweitern. Das neue «Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus» (PMT) setzt dabei vor allem auf präventive Zwangsmassnahmen. Die Bundespolizei soll die Kompetenz erhalten, freiheitsbeschränkende Massnahmen selbstständig anzuordnen. Dazu gehören Melde- und Gesprächsteilnahmepflichten, Kontaktverbote, räumliche Ein- und Ausgrenzungen, Ausreiseverbote, elektronische Überwachung und Mobilfunklokalisierungen sowie Ausreisebeschränkungen. Einzig für die Anordnung von präventivem Hausarrest ist eine richterliche Überprüfung vorgesehen. Die meisten dieser Massnahmen sollen schon gegen Jugendliche ab 12 Jahren eingesetzt werden können; beim Hausarrest läge die Altersgrenze bei 15 Jahren.

Kritik aus Menschenrechtlicher Sicht

Mit Blick auf Menschen- und Grundrechte ist das PMT in verschiedener Hinsicht problematisch. Die Jungen Grünliberalen, die Jungsozialist*innen, die Jungen Grünen und die Piratenpartei haben deshalb das Referendum ergriffen. Mit Erfolg: anfangs März ist es offiziell zustande gekommen, weshalb die Stimmberechtigten der Schweiz am 13. Juni 2021 über das neue Gesetz abstimmen werden.

Dem Kampf gegen diese Gesetzesvorlage haben sich namhafte Organisationen und NGOS, wie etwa Humanrights.ch, Grundrechte.ch, Unser Recht, Amnesty Schweiz oder das Netzwerk Kinderrechte Schweiz angeschlossen. Zudem kritisieren über 60 Schweizer Rechtsexpert*innen, die Menschenrechtskommissarin des Europarats und hochrangige UNO-vertreter*innen das neue Gesetz.

Begriff der Gefährder*in

Die Gesetzesvorlage folgt der Idee, terroristische Akte schon im Keim zu ersticken. Statt lediglich begangene Straftaten zu verfolgen und aufzuklären, soll die Polizei Taten verhindern können, bevor sie geschehen. Damit werden die Hürden für polizeiliches Eingreifen massiv gesenkt. Denn bereits die Annahme einer künftigen Gefahr würde ausreichen, um Zwangsmassnahmen anzuwenden. Hierbei spielt der Begriff der Gefährder*in eine zentrale Rolle. Er bezeichnet eine Person, bei der Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er oder sie in Zukunft eine terroristische Aktivität ausüben wird. Das bedeutet, dass Personen auch aufgrund blosser Verdachtsmomente als terroristische Gefährder*innen eingestuft werden können.

Dies birgt die Gefahr von Willkür. «Es erlaubt der Bundespolizei, eigenmächtig Zwangsmassnahmen gegen Personen einzusetzen, die sie für gefährlich hält. Dabei könnten auch Einzelpersonen für klimaaktivistische Aktionen, für grundsätzliche Kritik am kapitalistischen System oder bei rechtsradikalen Äusserungen ins Visier geraten“, schreibt Humanrights.ch.

Eine weitere Befürchtung ist, dass bestimmte Personengruppen lediglich wegen ihrer Herkunft unter Generalverdacht geraten. «Die Gefahr ungerechtfertigter Freiheitsbeschränkungen ist dann am grössten, wenn diejenigen, auf welche die Beschränkung zugeschnitten ist, eine Teilgruppe darstellen, die man leicht von „uns“ abspalten kann», schreibt Anna Coninx, Assistenzprofessorin für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Luzern. Man müsse sich deshalb die Frage stellen, wie es wäre, wenn unsere politischen Gegner entsprechende Massnahmen für uns vorsehen würden.

Ausrichtung auf präventive Massnahmen problematisch

Die Ausrichtung des PMT auf Prävention birgt noch weitere Probleme. So gibt Coninx etwa zu bedenken, dass es «unmöglich ist, künftige Ereignisse auch nur annährend präzise vorherzusehen». Das bringt eine grosse Unschärfe mit sich und kalkuliert das Risiko mit ein, dass Zwangsmassnahmen auch auf Personen angewendet werden, die nie tatsächlich terroristisch aktiv geworden wären. Für Personen, die als Gefährder*innen eingestuft werden, ergibt sich damit eine Umkehrung der Beweislast: «die Zielperson muss den unmöglichen Beweis erbringen, dass von ihr keine potentielle Gefahr ausgeht.», wie Humanrights.ch schreibt.

PMT tastet rechtsstaatliche Grundsätze an

Da neue PMT würde erlauben, empfindlich in die Freiheitsrechte von Personen einzugreifen, die sich noch in keiner Weise terroristisch betätigt haben. Dies wiegt für Humanrights.ch besonders schwer, «weil mit Ausnahme des Hausarrests keine der genannten Präventivmassnahmen der richterlichen Überprüfung unterliegt.» Dies berge die Gefahr unverhältnismässiger Anwendung von Zwangsmassnahmen.

Zudem verletzt das PMT internationale Standards. So verstösst die vorgesehene Regelung des Hausarrests gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, wie Coninx ausführt. Dieser stelle einen Freiheitsentzug dar und falle damit unter Art. 5 EMRK. Demgemäss sei eine präventive Inhaftierung nicht zulässig, «ohne dass sich eine genauer definierte schwere Straftat abzeichnet».  

PMT tangiert Kinderrechte

Aus kinderrechtlicher Sicht sind die vorgesehenen Altersgrenzen für polizeiliche Zwangsmassnahmen ebenfalls problematisch. Massnahmen wie Kontaktverbote, räumliche Ein- und Ausgrenzungen, Ausreiseverbote oder elektronische Überwachung sollen schon bei Jugendlichen ab 12 Jahren angewandt werden können. Bei Hausarrest liegt die Altersgrenze bei 15 Jahren. Dies steht laut dem Netzwerk Kinderrechte Schweiz im Widerspruch zur UN-Kinderrechtskonvention, die der Resozialisierung Vorrang gibt. Strafrechtliche Sanktionen müssen daher dem Grundsatz von «Schutz und Erziehung» folgen. Die im PMT vorgesehenen Massnahmen würden jedoch wohl eher zur Stigmatisierung und Kriminalisierung der Betroffenen beitragen.

Das Netzwerk Kinderrechte fordert daher, dass die mit dem PMT vorgesehenen Massnahmen nicht auf Minderjährige angewendet werden dürfen. Sie empfiehlt aus diesem Grund, das Gesetzt abzulehnen.

EJPD

Terrorismusbekämpfung: Bundesrat setzt verschärftes Strafrecht in Kraft

Der Bundesrat setzt die neuen strafrechtlichen Instrumente gegen den Terrorismus auf den 1. Juli 2021 in Kraft. Zudem wird das entsprechende Übereinkommen des Europarats mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll auf diesen Zeitpunkt hin in Kraft treten. Dies hat der Bundesrat an seiner Sitzung vom 31. März 2021 beschlossen. Die Verschärfung des Strafrechts ist eine von mehreren Massnahmen, mit denen terroristische Taten wirksamer verhindert und bekämpft werden können.

Humanrights.ch

Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus – Argumentarium

Mit dem neuen Bundesgesetz über Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) sollen die präventiven Kompetenzen des Bundesamtes für Polizei massiv ausgebaut werden. Die im Gesetzentwurf enthaltenen Begriffe und polizeilichen Handlungsspielräume gefährden die Grund- und Menschenrechte der Bevölkerung in der Schweiz.

Verein grundrechte.ch

Referendum gegen das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus

grundrechte.ch hat die parlamentarische Debatte zusammen mit die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz eng begleitet und von Anfang kritisiert, dass mit den im Gesetz vorgesehen Massnahmen und Definitionen der staatlichen Willkür Tür und Tor geöffnet wird.

fedpol

Nationaler Aktionsplan zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus: Umsetzung an Fachtagung diskutiert

Am heutigen 25. November 2020 findet die zweite Ausgabe der vom Sicherheitsverbund Schweiz organisierten und vom Bundesamt für Polizei (fedpol) finanziell unterstützten Fachtagung im Rahmen der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus (NAP) statt. 


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