Fachinformationen Fokusartikel

Kinderrechte: Trotz Fortschritten bleibt viel zu tun

Juli 2021

Die Schweiz hat bei der Verwirklichung von Kinder- und Jugendrechten einige Fortschritte erzielen können. Nach wie vor liegt aber noch manches im Argen. Dies zeigen sowohl der offizielle Bericht des Bundesrates, als auch der NGO-Bericht zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Untersucht wurde zudem, wo sich die Betroffenen selbst Verbesserungen wünschen.

Bundesrat sieht Schweiz auf gutem Weg

Die Schweiz hat im Jahr 1997 die UN-Kinderrechtskonvention (KRK) ratifiziert. Damit hat sie sich verpflichtet, dem UN-Kinderrechtsausschuss regelmässig über den Stand der Umsetzung Bericht zu erstatten. Letztmals geschah das im Dezember 2020. In diesem Bericht nimmt der Bundesrat Stellung zu den Bestrebungen der Schweiz, bestehende Lücken zu schliessen, die der UN-Kinderrechtsausschuss in seiner «List of Issues» bemängelt hat.

Der Bundesrat konstatiert, dass die Schweiz seit der letzten Überprüfung im Jahr 2015 Fortschritte gemacht habe. So habe sie unter anderem das 3. Fakultativprotokoll ratifiziert, mit dem das Recht auf eine Individualbeschwerde beim UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes verankert wird. Des Weiteren seien etwa eine nationale Plattform für Heimerziehung und Familienpflege lanciert und ein Gesetzesentwurf über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele vorgelegt worden, schreibt der Bundesrat in seiner Mitteilung. In seinem Bericht geht er detailliert auf die in der «List of Issues» aufgeführten Kritikpunkte ein.

NGO-Bericht ist weniger euphorisch

Parallel zu diesem staatlichen Bericht gibt es jeweils einen, der die Umsetzung der Kinderrechtskonvention aus Sicht von Nichtregierungsorganisationen darstellt. Dieser NGO-Bericht wird in der Schweiz durch das Netzwerk Kinderrechte Schweiz verfasst, dem über 50 Organisationen angehören, die sich für die Interessen von Kindern und Jugendlichen engagieren.

Dieser Bericht sieht die Kinderrechte in der Schweiz nach wie vor ungenügend umgesetzt. Die Coronakrise habe dies noch verschärft, da durch sie der Gesundheitsschutz auf Kosten von Kindesschutzaspekten in den Vordergrund geraten sei. Gerade in Krisenzeiten seien jedoch die Rechte auf Schutz, Förderung und Partizipation besonders wichtig. Die Coronakrise zeige, dass «Bildungs- und Betreuungsangebote für junge Kinder, ein funktionierender Kindesschutz sowie die Kinder- und Jugendhilfe systemrelevant» seien.

Kritisch beurteilt der NGO-Bericht auch das neue «Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus». Dass dieses der Polizei die Kompetenz gibt, Zwangsmassnahmen auch gegen Minderjährige einzusetzen, ist bezüglich Kinder- und Jugendrechten problematisch.

Aus der Fülle der Themen seien einige exemplarische Punkte herausgegriffen, zu denen sich der NGO-Bericht äussert:

  • Das Netzwerk Kinderrechte empfiehlt, die Bedingungen für Familienzusammenführung und -nachzug zu entschärfen, indem etwa die Wartefrist von 3 Jahren abgeschafft würde. Weiter müsse eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, damit unbegleitete minderjährige Asylsuchende ihre im Ausland lebenden Familien nachziehen können.
  • Der Bericht bemängelt das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für eine ganzheitliche Familienpolitik auf Bundesebene. So fehle zum Beispiel eine umfassende Strategie zum Schutz von Kindern vor Gewalt. Das bedeute, dass «der Wohnort und der sozioökonomische Familienhintergrund» entscheide, welche Unterstützungsangebote für Kinder und Eltern zur Verfügung stehen.
  • Der NGO-Bericht empfiehlt auch, eine Verbesserung der Datenlage anzustreben. So sei diese etwa in den Bereichen Kindesschutz, Entwicklungsverläufe von Kindern, kinderbezogene Cyberkriminalität, in Bezug auf minderjährige Opfer von Menschenhandel oder auch von Kindern mit Behinderungen unzureichend.
  • Ein weiterer Punkt betrifft das Partizipationsrecht des Kindes (Art. 12 UN-KRK). Bislang würden Kinder längst nicht in allen Verfahren angehört, die es betreffen. Dies gelte nebst Scheidungsverfahren beispielsweise auch für asyl- und migrationsrechtliche Verfahren.
  • In der Schweiz leben rund 260000 Kindern in Armut bzw. prekären Verhältnissen. Den damit verbundenen Gefahren materieller Benachteiligung, sozialer Ausgrenzung und schlechterer Bildungschancen sei mittels «flächendeckender Ergänzungsleistungen» zu begegnen.
  • Als besonders benachteiligt schätzt der NGO-Bericht geflüchtete Kinder ein. In den Asylzentren fehle es an geeigneten kindergerechten Räumen und Spielmöglichkeiten. Die Gefahr für die Entstehung psychischer Probleme sei besonders gross. Der Bericht fordert daher eine familien- und kindgerechte Unterbringung geflüchteter Kinder. Auch müssten diesen Kindern unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus ermöglicht werden, an Bildungsangeboten teilzunehmen.

Kinderrechte aus Sicht der Betroffenen

Unabhängig vom NGO-Bericht haben UNICEF Schweiz und das Institut für Soziale Arbeit und Räume (IFSAR) der Ostschweizer Fachhochschule (OST) gemeinsam eine Umfrage unter Kindern und Jugendlichen durchgeführt. Damit sollte untersucht werden, wie sie als Betroffene die Umsetzung der Kinderrechte in der Schweiz und in Liechtenstein einschätzen.

Ein Frageblock betraf das «Recht auf Förderung und Wohlbefinden». Hier zeigte sich etwa, dass sich rund ein Viertel der befragten Kinder und Jugendlichen mehr Räume wünscht, an denen sie sich ungestört aufhalten können. Auch mangelt es einem guten Drittel der Befragten an genügend Freizeit, wohingegen ein zu hoher Leistungsdruck erlebt wird.

Ein weiteres Thema der Umfrage war die Betroffenheit von Gewalt und Diskriminierung, welche für einen grossen Teil der befragten Kinder und Jugendlichen eine alltägliche Erfahrung ist. Am häufigsten erleben sie psychische oder physische Gewalt durch Gleichaltrige, aber auch Eltern und Lehrkräfte werden als Täter*innen genannt. Mit 41 Prozent hat ein grosser Teil der Befragten auch schon Diskriminierungserfahrungen gemacht, etwa in Bezug auf ihre Herkunft oder ihr Geschlecht.

Ein grosses Manko zeigt die Umfrage weiter in Bezug auf Partizipationsmöglichkeiten. So geben etwa 55 Prozent der Befragten an, in der Schule nicht in Entscheidungsprozesse einbezogen zu werden.

In allen Themenbereichen zeigte sich ausserdem, dass armutsbetroffene Kinder und Jugendliche, in ihren Möglichkeiten stärker eingeschränkt sind und ihre Rechte weniger gut wahrnehmen können als solche aus besser gestellten Familien.

Netzwerk Kinderrechte startet Kampagne

Um dem Thema Kinderrechte mehr Nachdruck zu verleihen und die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren, hat das Netzwerk Kinderrechte Schweiz am 8. Juni 2021 hat die Kampagne  «Kinder haben Rechte!» lanciert. Das Netzwerk hat über 400 Kinder und Jugendliche aus allen Landesteilen in die Kampagne einbezogen. Dabei sind kurze Videos entstanden, in denen sie zur Bedeutung von Kinderrechten Stellung nehmen.

BSV

Der Bundesrat verabschiedet den Staatenbericht der Schweiz zur Umsetzung der UNO-Kinderrechtskonvention

Die Vertragsstaaten des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes sind verpflichtet, regelmässig Berichte über die Anwendung des Übereinkommens auf ihrem Staatsgebiet vorzulegen. An seiner Sitzung vom 18. Dezember 2020 hat der Bundesrat den 5. und 6. Staatenbericht zur Kinderrechtssituation in der Schweiz verabschiedet. Der Bericht wird nun dem UNO-Kinderrechtsausschuss unterbreitet.

Netzwerk Kinderrechte Schweiz

Kinderrechte ungenügend umgesetzt

Das Netzwerk Kinderrechte Schweiz lanciert heute seine Kampagne «Kinder haben Rechte!». Sie soll die Bevölkerung und die Politik für das Thema sensibilisieren. Gleichzeitig integriert das Netzwerk erstmals beim Berichterstattungsverfahren an den UNKinderrechtsausschuss die Sicht von Kindern und Jugendlichen zum Aufwachsen in der Schweiz und die Verwirklichung ihrer Rechte in einem «Kinder- und Jugendbericht».

UNICEF Schweiz

Kinderrechte aus Kinder- und Jugendsicht

Kinderrechte-Studie Schweiz und Liechtenstein 2021

Kinder und Jugendliche haben eigene Rechte und sind Expertinnen und Experten ihres Lebens. Fragt man sie selbst, wie es um die Umsetzung der Kinderrechte in der Schweiz und in Liechtenstein steht, kristallisieren sich diverse Herausforderungen und Lücken heraus. 


Zurück zur Übersicht