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Bundesasylzentren: NGOs alarmiert von Berichten über Gewalt

Juni 2021

Ein kürzlich von Amnesty International veröffentlichter Bericht sowie Medienbeiträge (z.B. von der Woz) zeigen auf, dass es in den Bundesasylzentren regelmässig zu gewalttätigen Übergriffen gegen Asylsuchende kommt. Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen sind alarmiert und fordern dringende Massnahmen gegen die systemimmanenten Ursachen.

Im März 2019 trat das revidierte Asylgesetz in Kraft. Es erlaubt dem Staatssekretariat für Migration (SEM), Asylgesuche bestimmter Personengruppen prioritär zu behandeln, um sie innerhalb von 140 Tagen abzuschliessen. Integraler Bestandteil dieses neuen Asylregimes sind 21 Bundesasylzentren (Baz) in 6 Asylregionen.

Nebst Betreuungspersonen und Rechtsvertreter*innen sind in den Zentren auch Sicherheitspersonen beschäftigt. Sie haben die Aufgabe, die Sicherheit in den Anlagen und deren Umfeld zu gewährleisten. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat dafür private Unternehmen beauftragt; das Mandat erhielten die Protectas AG und die Securitas AG.

Bundesasylzentren (Baz)

In den Bundesasylzentren mit Verfahrensfunktion werden Asylsuchenden für die Dauer des Asylverfahrens einquartiert, bis ihr künftiger Status geklärt ist.

In den Bundesasylzentren ohne Verfahrensfunktion werden Personen untergebracht, deren Asylverfahren unter das Dublin-Abkommen fällt, oder deren Asylgesuch bereits abgelehnt wurde.

In Besonderen Zentren werden Personen verlegt, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gefährden oder die in den normalen Zentren den Betrieb durch ihr Verhalten erheblich stören.

Quelle: SEM

Gemäss Amnesty International sind «mit Stand 25. April 2021 rund 1422 Asylsuchende, darunter 311 Kinder, in den 21 Bundesasylzentren untergebracht. 133 unbegleitete Minderjährige befinden sich derzeit in der Obhut des SEM.»

Schon bei der Einführung des neuen Asylgesetzes 2019 wies die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) darauf hin, dass Vorkehrungen getroffen werden müssen, um die Rechte der Asylsuchenden zu gewährleisten (unser Dossier zum Thema). Im Januar 2021 publizierte die SFH eine im Hinblick auf die Bundesasylzentren aktualisierte Version ihres Positionspapiers «Mindeststandards für die Unterbringung von Asylsuchenden». Darin hielt sie fest, dass die Reform neben «Änderungen im Verfahrensrecht auch grundlegend neue Anforderungen bei der Unterbringung der Asylsuchenden mit sich» bringe. Es sei «darauf zu achten, dass nicht die günstigsten, sondern die fachlich qualifiziertesten Leistungserbringer den Zuschlag erhalten.» Unter anderem forderte sie ein Gewaltpräventionskonzept für die Bundesasylzentren.

Auch Amnesty International äusserte im Februar 2020 Bedenken zu den neu geschaffenen Bundesasylzentren, insbesondere «zum sicherheitsorientierten Management der Zentren, zu den Zugangsschwierigkeiten für zivilgesellschaftliche Organisationen und zu den isolierten und abgelegenen Standorten einiger Zentren.»

Gewaltvorfälle an der Tagesordnung

Mittlerweile zeigt sich, dass diese Bedenken begründet waren. Bereits vor einem Jahr berichteten Wochenzeitung (Woz) und das Schweizer Fernsehen aufgrund gemeinsamer Recherchen, dass es im Bundesasylzentrum Basel in Konfliktsituationen zwischen Asylsuchenden und Sicherheitspersonal immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen gegen Asylsuchende komme. Weiterführende Recherchen zeigen nun, dass Basel kein Einzelfall ist, sondern dass es offenbar auch in anderen Bundesasylzentren zu Übergriffen kommt. Dies berichtet etwa die Woz in einer aktuellen Reportage.

Auch Amnesty International befasst sich mit dieser Thematik und hat im Mai 2021 einen Bericht veröffentlicht, der Menschenrechtsverletzungen an Asylsuchenden in Schweizer Bundesasylzentren dokumentiert. Folgendes Zitat veranschaulicht Ausmass und Charakter der dem Sicherheitspersonal vorgeworfenen Tätlichkeiten gegen Asylsuchende: «Acht der von Amnesty International befragten Asylsuchenden, die entweder in den Bundesasylzentren Giffers, Basel oder Altstätten untergebracht waren, berichteten, dass sie von Wachleuten geschlagen wurden […]. In einem Fall wurde eine Person, die an Asthma litt, mit Pfeffergel besprüht und verlor daraufhin das Bewusstsein, bis sie ins Krankenhaus kam. […] In vier Fällen berichteten Personen Amnesty International, dass das Sicherheitspersonal entweder mit dem Fuss ihren Kopf nach unten drückten oder Fusstritte gegen den Kopf gaben, während sie auf dem Boden lagen. […] Sechs Personen, die Opfer von Schlägen wurden, erlitten Verletzungen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten […]. Die dokumentierten Fälle geben Anlass zur Besorgnis über Misshandlungen durch Sicherheitskräfte, die in einzelnen Fällen der Folter gleichkommen könnten. Schockierend sind die Berichte von sechs Personen gegenüber Amnesty International, die in einen «Besinnungsraum» oder einen anderen separaten Raum gebracht wurden, wo sie entweder anschliessend vom Sicherheitspersonal geschlagen wurden oder die Schläge, die draussen begonnen hatten, im Raum fortgesetzt wurden.» Dass Gewalt offenbar auch gegenüber Kindern und unbegleiteten minderjährigen Asylsuchende (Uma) angewendet wird, wiegt für Amnesty International besonders schwer.

Der Amnesty-Bericht beschreibt zudem fremdenfeindliche und rassistische Haltungen mancher Sicherheitsangestellter. Ein Sicherheitsangestellter wird im Bericht folgendermassen zitiert: «Das Problem ist, dass einige Sicherheitsmitarbeitende nicht verstehen, dass dies kein Gefängnis ist. Einige Wachleute sind angewidert von den Asylsuchenden und behandeln sie alle wie Kriminelle. Es gibt Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Dieses Verhalten ist den Kollegen und Vorgesetzten bekannt.»

Reaktionen und Forderungen der NGOs

Die SFH zeigt sich schockiert über die berichteten Vorfälle. Die Geschäftsprüfungskommission müsse klären, ob das SEM seine Aufsichtspflicht umfassend wahrnehme. Da eine solche Untersuchung langwierig sei, fordert die SFH die «sofortige Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle für alle Gewaltbetroffenen», damit die Betroffenen einen niederschwelligen Zugang zu Unterstützung erhalten. Um systemische Mängel erkennbar zu machen, sei der Aufbau eines Monitorings aller gemeldeten Gewaltvorfälle notwendig.

Als Auftraggeber der Sicherheitsdienste müsse das SEM griffige Massnahmen zur Gewaltprävention umsetzen, damit aufkommende Konflikte zwischen Sicherheitsdienstleistern und Asylsuchenden rechtzeitig erkannt und verhindert werden könnten. Gegenüber der Rundschau von SRF äusserte Daniel Bach, Kommunikationsverantwortlicher des SEM, das Personal sei für verbale Deeskalation ausgebildet. Alle Sicherheitspersonen würden durch die Flüchtlingshilfe in der Kommunikation mit den Flüchtlingen ausgebildet. Die SFH hingegen hält fest, sie habe «keinen Bundesauftrag für die Aus- oder Weiterbildung der Sicherheitsdienste in den BAZ. Sie bietet lediglich einen eintägigen Weiterbildungskurs in transkultureller Kompetenz an, der aber keinesfalls die gründliche Schulung des Sicherheitspersonals und Präventionsmassnahmen in den BAZ ersetzen kann.» Das SEM stehe in der Verantwortung, die entsprechende Aus- und Weiterbildung des Sicherheitspersonals von den mandatierten Sicherheitsfirmen zu verlangen und auch regelmässig zu kontrollieren, schreibt die SFH.

Das Forum für kritische Sozialarbeit (Kriso) stellt die Vorfälle in Zusammenhang mit der Ökonomisierungslogik, die in der Unterbringung geflüchteter Menschen Einzug gehalten habe. Die Wettbewerbslogik und die Privatisierung sozialstaatlicher Aufgaben führten zu Deprofessionalisierung der Sozialen Arbeit und zu prekären Lebensverhältnissen der Adressat*innen.

Gewalt hat systemischen Charakter

Auch wenn die Gewaltvorfälle letztlich Handlungen von Einzelpersonen sind, wäre es zu simpel, sie einfach diesen Personen anzulasten. Auf den systemischen Charakter der Gewalt bezieht sich auch die NGO Solidarité sans frontières (Sosf) in ihrer Stellungnahme zu diesem Thema. Nebst dem, dass die Asylsuchenden wie menschliche Wesen behandelt werden müssten, müssten auch die Arbeitenden in Bundeszentren würdige Bedingungen erhalten. Sie sieht in mangelhafter Ausbildung, fehlenden Deeskalationsstrategien oder strapaziösen Arbeitszeiten Vorbedingungen, die aus der Gewalt in den Zentren ein systemisches Phänomen machen. Es seien die Lagerstrukturen, die in den vergangenen 20 Jahren geschaffen worden seien, die dies begünstigten, sagt auch das Basler Kollektiv «3 Rosen gegen Grenzen» im Beitrag der Rundschau. Es sei ein System geschaffen worden, in dem alle einander deckten.

Betreuung Asylsuchender ist anspruchsvoll

Die Ereignisse, die jemanden dazu bringen, zu flüchten, wie auch die Flucht selbst sind oft traumatisch. Menschen unterschiedlicher Herkunft mit ihren je eigenen Fluchtschicksalen in einem gemeinsamen Zentrum unterzubringen, birgt an sich bereits Konfliktpotenzial. Die Betreuung dieser Menschen und die Gewährleistung eines geordneten Betriebs ist für das zuständige Personal eine äusserst anspruchsvolle Aufgabe. Auf keinen Fall dürfen dabei Grund- und Menschenrechten verletzt werden. 

Um einen effektiven Schutz zu ermöglichen, müsse die Betreuung dieser Personen durch entsprechend ausgebildetes Personal und rund um die Uhr gewährleistet sein, hält die SFH in ihrem Positionspapier fest. Während der Nacht reiche die alleinige Präsenz von Sicherheitspersonal nicht aus, da dieses eine andere Rolle und Expertise, also keinen eigentlichen Betreuungsauftrag habe.

Aufgrund der publizierten Berichte und Reportagen hat das SEM am 5. Mai angekündigt, eine interne Überprüfung der Situation und eine externe Untersuchung bestimmter Fälle durchzuführen. Ebenfalls will es die Möglichkeit der Einrichtung eines unabhängigen Beschwerdemechanismus prüfen.

WOZ

Die Rapporte der Gewalt

In den Bundesasylzentren kommt es schweizweit zu Übergriffen gegen Asylsuchende. Aufgrund der Recherchen von WOZ, «Rundschau» und RTS kündigt das Staatssekretariat für Migration eine Untersuchung durch Altbundesrichter Niklaus Oberholzer an.

Amnesty International Schweiz

«Ich verlange nur, dass sie Asylsuchende wie Menschen behandeln»

Menschenrechtsverletzungen in Schweizer Bundesasylzentren

Dieses Briefing enthält die Erkenntnisse einer Untersuchung von Amnesty International zu Menschenrechtsverletzungen an Asylsuchenden in Schweizer Bundesasylzentren. Es basiert auf Interviews mit 32 Personen, darunter Opfer, aktuelle und ehemalige Sicherheitsangestellte, Rechtsvertreter*innen, Betreuer*innen und Sozialpädagog*innen, sowie auf medizinischen Gutachten, offiziellen Strafanzeigen und anderen relevanten Dokumenten und Informationen.

Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH

Gewaltvorfälle: Behörden müssen ihre Verantwortung wahrnehmen

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) ist sehr betroffen über das Ausmass der von Amnesty International geschilderten Gewaltvorfälle in den Bundesasylzentren. Die Geschäftsprüfungskommission muss aus Sicht der SFH klären, ob das Staatssekretariat für Migration (SEM) seine Aufsichtspflicht umfassend wahrnimmt oder ob sich der Vorwurf von Behördenversagen bestätigt. Die SFH fordert zudem den sofortigen Aufbau eines systematischen Monitorings aller Gewaltvorfälle, damit allfällige systemische Mängel erkennbar werden. Zudem braucht es dringend eine unabhängige Beschwerdestelle für alle Gewaltbetroffenen.

Amnesty International Schweiz

Amnesty fordert Ende von Menschenrechtsverletzungen in Bundesasylzentren

Amnesty International hat Berichte über Gewalt gegen Asylsuchende in Schweizer Bundesasylzentren eingehend untersucht. Die Recherche deckt Verstösse durch das Sicherheitspersonal auf, die auf schwere Misshandlungen hinweisen. Amnesty International schlägt Alarm angesichts der Menschen-rechtsverletzungen gegen Asylsuchende – darunter unbegleitete Minderjährige – und ruft die Behörden auf, dringend Massnahmen zu ergreifen, um den Missbrauch zu stoppen.

Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH

Gewalt im Bundesasylzentrum Basel

Medienrecherchen zeigen: Im Bundesasylzentrum Basel kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen dem Sicherheitspersonal und Asylsuchenden. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) ist äusserst besorgt über diese Vorfälle. Sie fordert eine unabhängige Untersuchung und griffige Massnahmen zur Gewaltprävention in den Bundesasylzentren (BAZ).


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