Digitalisierung Fokusartikel

Digitale Medien: Welcher Nutzungstyp sind Sie?

März 2019

Nutzen Sie Digitale Medien in Ihrer Praxis der Sozialen Arbeit? Was sind Ihre Überlegungen bei der Verwendung oder Nicht-Verwendung Digitaler Medien? Was sind Chancen und Gefahren für Ihre Praxis? Zur Untersuchung dieser und ähnlicher Fragen wurde im Rahmen des hier ausschnittweise dargestellten Dissertationsprojektes eine Fachkräfte-befragung durchgeführt.

Insgesamt haben 277 Personen aus der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz die Fragen zur Nutzung von Digitalen Medien und ihren Einstellungen dazu beantwortet. Erste Auswertungen geben einen Einblick in das Nutzungsverhalten von Fachkräften der Sozialen Arbeit und liefern Anhaltspunkte dazu, welche Faktoren zu einem gesteigerten Einsatz von Digitalen Medien in der Praxis führen.

Für die Erhebung wurden Fachleute aus der Sozialen Arbeit darüber befragt, welche Digitalen Medien sie verwenden, wofür und wie häufig. Nach der Auswertung des Nutzungsverhaltens der befragten Fachkräfte lassen sich drei unterschiedliche Nutzungstypen erkennen:

Caroline Pulver ist dipl. Sozialarbeiterin MSc und arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berner Fachhochschule, Soziale Arbeit. Ihre Schwerpunkte in der Lehre sind Beratung, professionelles Handeln und Praxisausbildung. Im Rahmen ihrer Dissertation forscht sie zu den Themen digitale Ungleichheit und die Mediatisierung professionellen Handelns.

1. Der konservative Typ
Dieser Typ nutzt maximal zwei unterschiedliche Medien, eines davon ist die E-Mail (100%) und das andere ist in den meisten Fällen (93.2%) ein medienähnliches Arbeitsprogramm, welches teilweise Internet und Intranet gestützte Funktionen aufweist. Dem konservativen Typ entsprechen 21.7% der Fachkräfte innerhalb des Samples. Davon sind 71.2% Frauen und 28.8% Männer.

2. Der neue Standard
Dieser Nutzungstyp arbeitet mit drei oder vier Digitalen Medien. Die Klassiker E-Mail und medienähnliche Arbeitsprogramme werden von praktisch allen Personen dieses Typs benutzt. Weitere Medien, die von dieser Gruppe häufig genutzt werden, sind Messenger-Programme, Foren, Skype und Soziale Medien. Noch sehr selten nutzen Fachkräfte dieser Gruppe berufliche Netzwerke. Dem Typ neuer Standard entsprechen 55.6% des Samples. Davon sind 73.4% Frauen und 26.6% Männer.

3. Der progressive Typ
22.7% der Befragten sind progressive Nutzende. Sie nutzen für ihre Arbeit fünf und mehr unterschiedliche Medien. In dieser Gruppe werden die E-Mail, medienähnliche Arbeitsprogramme und Messenger-Programme von praktisch allen genutzt. Die Nutzung von Foren, von Sozialen Medien und von Skype beträgt bei diesem Typ rund drei Viertel. 6 von 10 Personen des progressiven Typs nutzt zudem berufliche Netzwerke. Es erstaunt nicht, dass der Anteil der Personen, die andere Digitale Medien angegeben haben, als die die in der Auswahlliste verfügbar waren, in dieser Gruppe ebenfalls am höchsten ist. Es fällt ausserdem auf, dass in dieser Gruppe der relative Männeranteil deutlich höher ist als in den anderen beiden Gruppen.

Nutzungstyp, Bildungsgrad und Alter

Mit zunehmendem Bildungsabschluss steigt tendenziell auch die Anzahl Digitaler Medien, die genutzt werden. Allerdings ist das Bild nicht so eindeutig, wie vielleicht hätte erwartet werden können. In allen drei Nutzungstypen ist die Gruppe der Personen, die über keine Ausbildung in der Sozialen Arbeit verfügen, mit ca. 10% vertreten. Unterschiedlicher ist die Verteilung der Gruppe jener, die noch in Ausbildung sind oder ihren Abschluss ausserhalb der Schweiz erworben haben. Mit 18.3% machen sie den grössten Anteil der Konservativen aus. Bei den Progressiven sind sie hingegen nur mit einem kleinen Anteil von 3.2% vertreten. Mit einem Abschluss ab Bachelor steigt die Anzahl Digitaler Medien, die genutzt werden. Das hat sicherlich mit den unterschiedlichen Aufgaben zu tun, die von Fachkräften mit unterschiedlicher Ausbildung in einer Organisation übernommen werden. Dieser Deutung entspricht auch ein hoher Anteil von 64.5% BA oder MA bei den Progressiven, ein etwas tieferer Anteil von 54.6% beim neuen Standard und ein noch tieferer von 48.4% bei den Konservativen. Spannend ist zudem die Verteilung der HF-Absolventinnen und -Absolventen. Diese sind mit 16.7% bei den Konservativen und mit 18.8% beim neuen Standard, allerdings nur mit 11.1% bei den Progressiven vertreten.

Das Alter hat entgegen gängiger Erwartungen in Bezug auf Digitale Medien keinen grossen Einfluss darauf, zu welchem Nutzungstyp jemand gehört. Die meisten der befragten Fachkräfte waren zwischen 31 und 40 Jahren alt und diese Gruppe stellt auch bei allen Nutzungstypen die grösste dar. Die kleinste Gruppe insgesamt und auch je Nutzungstyp waren die über 60-Jährigen. Tendenziell verteilt sich die Gruppe der Progressiven am besten über die unterschiedlichen Altersgruppen hinweg und der relative Anteil der 31- bis 40-Jährigen ist nicht etwa bei den Progressiven, sondern bei den Konservativen am grössten sowie auch die Gruppe der unter 31-Jährigen nicht bei den progressiven Nutzenden am höchsten ist. Das Alter hat also insgesamt wenig Einfluss auf die Nutzung von Digitalen Medien innerhalb des Samples und die auffälligen Beobachtungen zeigen auf, dass der jüngere Anteil des Samples eher untervertreten ist bei den progressiven Nutzenden.

Nutzungstyp und Arbeitsfelder

Im Gegensatz zum Alter hat hingegen das Arbeitsfeld durchaus einen Einfluss auf den Nutzungstyp. Personen aus einem offenen Arbeitsfeld (u.a. Kinder- und Jugendarbeit, Prävention) entfallen lediglich zu 4.8% auf den konservativen Typ, aber zu 33.3% auf den progressiven und 61.9% zählen zum neuen Standard. Bei den Personen in der gesetzlichen Sozialarbeit (u.a. Sozialhilfe, Bewährungshilfe) beträgt der Anteil der konservativen Nutzenden dann bereits 24.8% und der Anteil Progressiver nur noch 14.3%. Auch hier zählen 60.9% zum neuen Standard. 

Bei Personen in freiwilligen Beratungskontexten (u.a. Familienberatung, Spitalsozialdienst) beträgt der relative Anteil am Typ neuer Standard 63.6%. Der Anteil konservative Nutzender ist bei Personen, die in freiwilligen Beratungskontexten arbeiten, mit15.9% eher klein. Allerdings ist mit dem grossen Anteil neuer Standard auch der Teil, der auf die progressiven Nutzenden entfällt mit 20.5% nicht so gross. Personen, die in Arbeitsfeldern arbeiten, die sich nicht ohne Weiteres in eine klare Gruppe einordnen lassen (Andere; u.a. Migrationsarbeit, Arbeitsintegration) gehören zu 43.1% zum neuen Standard. Der Anteil progressiver Nutzenden ist bei diesen Arbeitsfeldern mit 32.8% fast gleich gross wie bei den offenen Arbeitsfeldern.

Am ausgeglichensten verteilen sich die Nutzungstypen auf die Personen, die in sozialpädagogischen Einrichtungen arbeiten (u.a. Institutionen für Erwachsene mit Mehrfachbehinderungen oder sozialpädagogische Einrichtungen für Jugendliche). 25% gehören zum konservativen Typ, 47.5% zum neuen Standard und 27.5% zum progressiven Typ.

Nutzungstyp und Einstellungen

Die Fachkräfte wurden nach einer Selbsteinschätzung ihrer Kompetenzen im Umgang mit Digitalen Medien gefragt. Obwohl die Fachkräfte ihre Fähigkeiten insgesamt eher gut eingeschätzt haben, lässt sich klar erkennen, dass die Selbsteinschätzung der Fähigkeiten in Zusammenhang steht mit der Anzahl Medien, die genutzt werden. So schätzt der progressive Typ seine Fähigkeiten besser ein als der neue Standard und der neue Standard immer noch besser als der konservative Typ. Ob nun die Fähigkeiten durch die Nutzung von Medien besser werden oder die Fähigkeiten dazu führen, dass Digitale Medien überhaupt erst genutzt werden, lässt sich anhand der Daten nicht abschliessend beantworten.

Methodik und der Durchführung der Befragung

Die Verbreitung des Fragebogens erfolgte über unterschiedliche Kanäle, um möglichst viele Fachkräfte zu erreichen. Ein wichtiger Zugang erfolgte über den Newsletter des Berufsverbandes Avenir Social. Ein grosser Teil von 19% kam denn auch via Newsletter zur Umfrage. 81% nahmen teil, nachdem sie die Umfrage per E-Mail zugestellt erhielten.
In Bezug auf die Geschlechterverteilung innerhalb des Samples lässt sich feststellen, dass diese mit 70% Frauen und 30% Männer ziemlich genau dem Geschlechterverhältnis der Mitglieder von Avenir Social entspricht. Die Studierendenzahlen der BFH, Departement Soziale Arbeit, bewegen sich eher in der Grössenordnung von 75% (Frauen) zu 25% (Männer) und die Zahlen des Bundesamts für Statistik weisen je nach Befragung ebenfalls einen tieferen Männeranteil von 21.3% auf. Insgesamt gibt es also Anhaltspunkte, dass der Männeranteil in der Befragung eher etwas höher ist als in der Berufspraxis, was mit der Tatsache korrespondiert, dass bei Onlinebefragungen die männlichen Teilnehmenden meistens eher übervertreten sind.

Erstaunlich sind die Resultate zur Einstellung Digitaler Medien als wichtiges Arbeitsinstrument. Da ist der relative Anteil derer, die damit voll und ganz zustimmen bei den Konservativen am höchsten und der Anteil derer, die mit dieser Aussage überhaupt nicht übereinstimmen, bei den Progressiven. Insgesamt sind die Zustimmungswerte zu dieser Einstellung zwar hoch bis sehr hoch, aber entgegen der Erwartung hat die Einstellung, ob Digitale Medien als wichtiges Arbeitsinstrument gesehen werden oder eher nicht, keinen eigentlichen Einfluss darauf, ob Digitale Medien tatsächlich genutzt werden oder nicht.

Beim Interesse an Digitalen Medien und der Bereitschaft, Neues zu lernen, zeigt sich dann wieder das erwartete Bild: Je mehr Interesse und Bereitschaft vorhanden sind, desto mehr werden Digitale Medien genutzt. Das heisst beim progressiven Typ sind die Zustimmungswerte entsprechend höher als beim konservativen Typ.

Weiteres Forschungsinteresse

Nach einer ersten Auswertung der Resultate aus der Befragung geht die Studie insgesamt in eine zweite Phase der Datengewinnung. Zwar lassen sich klar drei Typen aus den Daten herauslesen, aber es ist dennoch nicht klar, wie die Fachkräfte, die sich hinter den Typen verbergen, die Situation tatsächlich einschätzen und was die genauen Beweggründe für die Nutzung oder die Nicht-Nutzung Digitaler Medien sind. Um diesbezüglich ein gehaltvolleres Bild zu erhalten, werden in einer zweiten Runde Fokusgruppen befragt. Sollten Sie sich für die Teilnahme an einer solchen Fokusgruppe interessieren, weil Sie sich in einem der skizzierten Nutzungstypen wiedererkennen, zögern Sie nicht Kontakt aufzunehmen! Kontakt: caroline.pulver@bfh.ch


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