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Digitalisierung in der heutigen und zukünftigen Ausbildung in Sozialer Arbeit

19.01.2023 - 18 Min. Lesezeit

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Forschung / Lehre
Portrait von Christine Mühlebach

Autor*innen

Studentinnen am Laptop

Fachpersonen der Sozialen Arbeit müssen in der Ausbildung auf die Anforderungen der Digitalisierung vorbereitet werden. Die Anfänge dazu sind gemacht. Bis aber die Digitalisierung systematisch Eingang in die Ausbildung in Sozialer Arbeit gefunden hat, wird es wohl noch einige Zeit dauern.

Eine Integrationsaufgabe für die Hochschule

Mittlerweile ist klar, dass die adäquate Reaktion auf die Digitalisierung eine Querschnittsaufgabe für alle Handlungsfelder der Sozialen Arbeit darstellt. Dies zeigt sich bspw. in der Veränderung der Formen, in denen der Gegenstand bearbeitet wird (z.B. Online-Beratung), in der Verschiebung von Anlässen, auf die reagiert wird (z.B. Cybermobbing) oder im Wandel der Rahmenbedingungen, in denen sich die Soziale Arbeit bewegt (z.B. New Work)1.

Diese Veränderungen in den Vollzügen Sozialer Arbeit lenken den Blick auch auf die Hochschulen, denen die Aufgabe zukommt, ihre Studierenden berufspraktisch zu befähigen. Sie sind gefordert, die Digitalisierung als Lehrinhalt in ihre Curricula zu integrieren, um die künftigen Fachpersonen der Sozialen Arbeit adäquat auf das Arbeiten auch unter den Bedingungen der Digitalisierung vorzubereiten.

Wege der Integration an Deutschschweizer Hochschulen

Einen Eindruck, wie diese Integrationsaufgabe von den Deutschschweizer Hochschulen in ihren Bachelorstudiengängen Sozialer Arbeit angegangen wird, liefern öffentlich einsehbare Dokumente wie Webseiten und Modulverzeichnisse der Hochschulen. Diese sichteten wir im Juni und Juli 2022 und haben sie inhaltlich auf semantische Bezüge zur Digitalisierung überprüft. Damit geraten zwar jene Module nicht in den Blick, die die Digitalisierung zum Gegenstand machen, ohne dies im Modulverzeichnis auszuweisen. Als bewusst hergestellte Dokumente bezeugen die analysierten Modulverzeichnisse und Webseiten dennoch eine gewisse Wertigkeit, die der Digitalisierung von den Autor*innen dieser Dokumente zum Zeitpunkt ihrer Verfassung beigemessen wurde. Zeigen lassen sich daran auch unterschiedliche Wege der Integration, die die Hochschulen wählen, um die Digitalisierung ins Curriculum einfliessen zu lassen. Konkret lassen sich in der Analyse auf der Ebene der Module vier Ausrichtungen holzschnittartig herausschälen:

  1. Anzutreffen sind Module, die sich der Digitalisierung in der Sozialen Arbeit schwerpunktmässig widmen. Beispiele sind das Modul «Soziale Arbeit digitalisiert» der BFH oder gar die aus mehreren Modulen bestehende Nebenvertiefung «Digitalisierung und Soziale Arbeit» der HSLU. Wermutstropfen dieser erfreulichen Entwicklung ist, dass diese Art der Module im Wahlbereich verortet ist.
  2. Manche Module der Sozialen Arbeit thematisieren Aspekte der Digitalisierung aus ihrer inhaltlichen Ausrichtung heraus. Dass im Modul zu Lebenslagen und Lebensweisen von Kindern und Jugendlichen an der FHNW oder im Modul zur Entwicklung und Sozialisation an der BFH auch digitale Medien ausgewiesen sind, sind Beispiele für diesen organischen Weg der Integration.
  3. Von manchen Hochschulen wird ein verhältnismässig breites interdisziplinäres Modulangebot bereitgestellt, das die Digitalisierung zum Thema macht und von allen Studierenden, auch jenen der Sozialen Arbeit, besucht werden kann. Ein Beispiel stellt das Angebot des interdisziplinären Kontextstudium (IDKS) der FH OST dar. Strukturell wird hier der Einsicht Rechnung getragen, dass die Digitalisierung eine interdisziplinär zu bearbeitende Aufgabe darstellt.
  4. Die systematische Integration, die dem Stellenwert der Digitalisierung als Querschnittsthema entsprechen würde, blieb in der Analyse eine unbesetzte Position.

Diese kurzen Schlaglichter zeigen, dass die Integration unterschiedlich gedacht werden kann. Erkennbar wird auch, dass sich die Hochschulen bereits auf dem Weg befinden, dem Querschnittsthema Digitalisierung curricular Rechnung zu tragen. Am Ziel der systematischen Integration sind sie – aus der Aussensicht bewertet – dabei noch nicht angelangt. Dies würde idealerweise eine organische Verflechtung der beschriebenen Ausrichtungen bedeuten. Das hiesse, zusätzlich zum Angebot eines Grundlagenmoduls alle bestehenden Module auf eine sinnhafte Integration des Gegenstands der Digitalisierung hin zu überprüfen und dies mit einem flankierenden interdisziplinären Angebot zu kombinieren.

Um aufzuzeigen, wo sich die Hochschulen auf diesem Weg befinden, wurden sie gebeten, geplante Entwicklungsschritte in den nächsten fünf Jahren zu skizzieren. Mit Ausnahme der ZHAW haben sich alle Deutschschweizer Hochschulen bereit erklärt, Einblick in ihre Überlegungen zu geben.

Ein Blick in die Zukunft: Die Stimme der Hochschulen

In der Gesamtschau zeigen die Rückmeldungen aus den Hochschulen, dass sie die Herausforderungen durch die Digitalisierung erkannt haben und diese Integrationsaufgabe aktuell oder in naher Zukunft angehen werden. Wie die Hochschulen dabei konkret vorgehen, zeigen die folgenden Stimmen aus den Hochschulen.

Daniel Krucher, Ausbildungsleiter, HSLU SA: «Die HSLU Soziale Arbeit will in den nächsten Jahren insbesondere im neuen Bachelor-Studiengang Entwicklungsräume schaffen, in denen Studierende, Dozierende und Fachkräfte aus der Praxis direkt und agil zusammenarbeiten. Dadurch können (neue) soziale Phänomene und aktuelle Entwicklungen im Berufsfeld der Sozialen Arbeit unmittelbar aufgenommen, gemeinsame Handlungsoptionen erarbeitet sowie neue Konzepte, Verfahren und Instrumente entwickelt und genutzt werden.

« Die inhaltliche Integration des Themas Digitalisierung erfolgt nicht ‚künstlich’, sondern aufgrund identifizierter sozialer Phänomene »

Daniel Krucher, HSLU SA

Die inhaltliche Integration des Themas Digitalisierung in die Studiengänge der Sozialen Arbeit erfolgt dadurch nicht ‚künstlich’ bzw. von der Hochschule ‚verordnet’, sondern aufgrund identifizierter sozialer Phänomene und aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen (z.B. veränderter Umgang mit Social Media) bzw. Entwicklungen im Berufsfeld der Sozialen Arbeit, die im Rahmen des Studiums aufgenommen werden (z.B. Nutzung von Assistenztechnologien)».

Myriel Enrico Ravagli, Fachverantwortung Digitale Lehre, FH OST: «Derzeit läuft am Departement Soziale Arbeit eine Curriculumsreform, in welcher die Digitalisierung und deren Auswirkungen auf die Profession und Disziplin systematisch berücksichtigt werden. Konkret haben wir bisher ein Grundlagenpapier erarbeitet, in dem wir der Frage nachgegangen sind, wie die Potenziale digital unterstützter Lehr- und Lernformen im zukünftigen B.A.-Studiengang Soziale Arbeit genutzt werden können. Darüber hinaus haben wir hier festgehalten, über welches digitale Wissen, z.B. digitale Teilhabefragen als Handlungsanlässe Sozialer Arbeit, und entsprechende technische Fähigkeiten die Studierenden am Ende ihres Studiums verfügen sollen.

« Eine Herausforderung sind die unterschiedlichen Tempi zwischen Prozessen der Curriculumsentwicklung und der dynamischen Entwicklung der Digitalisierung »

Myriel Enrico Ravagli, FH OST

Das Papier dient als Grundlage bei der Erarbeitung der neuen Modulinhalte. Ich stelle mir vor, dass in fünf Jahren das neue Curriculum umgesetzt und in den neuen Modulen die Digitalisierung und die Vermittlung der entsprechenden Kompetenzen verankert sind. Eine Herausforderung sind die unterschiedlichen Tempi zwischen Prozessen der Curriculumsentwicklung und der dynamischen Entwicklung der Digitalisierung. Im Sinne des lebenslangen Lernens wird daher wahrscheinlich auch eine kontinuierliche, berufsbezogene Weiterbildung über das Studium hinaus immer wichtiger werden».

Dr. Judith Studer, Co-Studiengangsleitung Bachelor Soziale Arbeit / Caroline Pulver, Dozentin, BFH: «Blicken wir in die Zukunft, so blicken wir auf eine zweistufige Hochschulausbildung für Soziale Arbeit. Sie bietet den Studierenden Lerngelegenheiten, diejenigen Kompetenzen zu entwickeln, die es für die Bearbeitung aktueller und zukünftiger Herausforderungen der Sozialen Arbeit braucht, und erlaubt es ihnen, Soziale Arbeit als Profession und Disziplin weiterzuentwickeln und voranzutreiben.

« Die Berücksichtigung der Digitalisierung der Sozialen Arbeit erfolgt gleichermassen selbstverständlich wie die Berücksichtigung anderer aktueller und zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklungen. »

Dr. Judith Studer / Caroline Pulver, BFH

Die Berücksichtigung der Digitalisierung der Sozialen Arbeit erfolgt dabei gleichermassen selbstverständlich wie die Berücksichtigung anderer aktueller und zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklungen, die ebenfalls Einfluss auf die Ausgestaltung der Profession Soziale Arbeit haben. Unsere Absolvierenden verfügen über die Kompetenzen, gesellschaftliche Entwicklungen in ihre Arbeit als Fachpersonen zu integrieren, darauf zu antworten und sie bestmöglich für ihre Klientel nutzbar zu machen».

Prof. Dr. Patrick Oehler, Leiter Bachelor-Programm, FHNW: «Seit 2021 sind wir intensiv mit dem Weiterentwicklungsprojekt des Studiengangs Soziale Arbeit beschäftigt. Der Notwendigkeit, die Digitalisierung nachhaltig und systematisch als Gegenstand in der Ausbildung zu verankern, tragen wir im Teilprojekt Digitalisierung und Soziale Arbeit explizit Rechnung. Um fassen zu können, welcher Lehrinhalte und Kompetenzen es für eine digitalisierte Soziale Arbeit bedarf, haben wir eigens ein Kompetenzmodell ‚Digitalisierung und Soziale Arbeit’ entwickelt.

« Um fassen zu können, welcher Lehrinhalte und Kompetenzen es für eine digitalisierte Soziale Arbeit bedarf, haben wir eigens ein Kompetenzmodell ‚Digitalisierung und Soziale Arbeit’ entwickelt. »

Prof. Dr. Patrick Oehler, FHNW

Dieses wurde in theoretischer Hinsicht, aber auch aus der Perspektive der Praxis und der Studierenden in verschiedenen Schlaufen diskutiert und dadurch gesättigt. Aktuell dient es uns als Grundlage, um der Frage nachzugehen, wie diese Kompetenzen künftig im B.A.-Studium verankert und vermittelt werden können. In Kombination mit weiteren Teilprojekten wird der Studiengang künftig in der Lage sein, rasch auf relevante Entwicklungen – auch mit Blick auf die Digitalisierung – in der Praxis zu reagieren.»

Fazit

Die Digitalisierung als Gegenstand in der Ausbildung ist bei den Hochschulen auf der Agenda. Dies kann als Höhepunkt einer Entwicklung gelesen werden, die bereits im letzten Jahrhundert ihren Anfang nahm.2 Daran zeigt sich auch, dass die Digitalisierung nicht mehr nur randständig thematisiert, sondern mittlerweile als relevantes Querschnittsthema in der Sozialen Arbeit verhandelt wird.3 Spannend zu beobachten wird sein, wie die Hochschulen in den nächsten Jahren das Verhältnis zwischen der Integration der Digitalisierung in bestehende Module und der Schaffung neuer Module ausbalancieren werden. Aus einer fachlichen Überlegung heraus benötigt es beide Bewegungen. Wie aber neue Module konkret zu füllen und wie über bestehende Module verteilte thematische Splitter insgesamt zu orchestrieren sind, ist Gegenstand aktueller Auseinandersetzungen.

Autor*innen

Joshua Weber

Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW

E-Mail: joshua.weber@fhnw.ch