Mit dem digitalen Wandel der Gesellschaft Schritt halten zu können, stellt spezifische Anforderungen an Fachpersonen der Sozialen Arbeit. Ein an der FHNW entwickeltes Kompetenzmodell gibt Aufschluss über die Anforderungen.
Bewegungen sind erkennbar
Die Digitalisierung ist in den Aus- und Weiterbildungen der Sozialen Arbeit noch nicht vollständig angekommen. Obwohl diese Bereiche in Bewegung sind, werden die Studierenden und Weiterbildungsteilnehmenden bislang nicht mit allen erforderlichen Kompetenzen und Kenntnissen ausgestattet, um sich professionell positionieren und handeln zu können.
Das an der FHNW entwickelte Kompetenzmodell «Digitalisierung und Soziale Arbeit» gibt einen Überblick darüber, was eine Fachperson der Sozialen Arbeit können und wissen muss, um in ihrem beruflichen Kontext im Hinblick auf Digitalisierung und Digitalität handlungsfähig zu werden oder zu bleiben.
Es braucht Orientierung
Im einem Bachelorentwicklungsprojekt fand an der Hochschule für Soziale Arbeit der FHNW eine Auseinandersetzung darüber statt, welche Kompetenzen Fachpersonen der Sozialen Arbeit im Kontext der Digitalisierung benötigen. Ein Teilprojekt legte den Fokus auf Digitalisierung & Soziale Arbeit und bearbeitete die Frage, woraufhin die Studierenden ausgebildet werden sollen und wie diese fachlichen Inhalte in der Bachelor- und Masterausbildung untergebracht werden können.
Ein Kompetenzmodell sollte dabei als Rahmung dienen. Die bisher existierenden Modelle (Beispiele ganz am Schluss) sind unterschiedlich ausdifferenziert und ermöglichen eine allgemeine Verortung. Für die Soziale Arbeit sind diese jedoch zu unspezifisch. Deshalb wurde ein eigenes Modell für die Bachelorausbildung Soziale Arbeit entwickelt, das die Kompetenzanforderungen ganzheitlich, systematisch und mit einem anschlussfähigen theoretischen Hintergrund beschreibt.
Kompetenzmodell für die Soziale Arbeit
Grundgerüst dieses Kompetenzmodells bildet zum einen das ökosystemische Modell nach Uri Bronfenbrenner. Darin beschreibt er die Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit der Umwelt als interaktionistischen Prozess zwischen Individuum und seiner sozialen Umwelt. Dies geschieht auf verschiedenen, sich gegenseitig beeinflussenden Ebenen (siehe Abbildung 1). Im Kontext von Digitalisierung und Sozialer Arbeit lassen sich auf allen Ebenen unterschiedliche Einflussfaktoren identifizieren, wie beispielsweise die veränderte digitale Lebenswelt der Adressat*innen mit ihren Chancen und Herausforderungen, neue(re) Formen der Dienstleistungserbringung oder Anpassungen im Einsatz von IT in der Administration.
Zum anderen fusst das Kompetenzmodell auf der Lerntaxonomie nach Benjamin Bloom, welche verschiedene Lernziel-Stufen differenziert. Fachpersonen der Sozialen Arbeit benötigen in ihren jeweiligen Handlungsbezügen angepasste Kompetenzen im Umgang mit der fortschreitenden Digitalisierung, die Anforderungen an die Tiefe und den Umfang sind dabei ebenfalls unterschiedlich. Im vorliegenden Kompetenzmodell «Digitalisierung und Soziale Arbeit» wurden aus dem Modell die Stufen verstehen, bewerten, gestalten und reflektieren integriert.
Kompetenzmodell Digitalisierung und Soziale Arbeit | FHNW/Sozialinfo
Abb. 1: Kompetenzmodell «Digitalisierung und Soziale Arbeit» nach dem ökosozialen Modell von Bronfenbrenner (Darstellung nach Weber J., Berger R., Hörmann M., Mühlebach C., 2024)
Basierend auf diesem Kompetenzmodell wurden insgesamt 20 digitale Kompetenzen für Fachpersonen der Sozialen Arbeit abgeleitet.
Diese Kompetenzen werden den im Bachelor-Studiengang gängigen Kategorien Selbst- und Sozialkompetenz, Fachwissen sowie Fach- und Methodenkompetenz zugeordnet. Dieser Aufbau ermöglicht, für das jeweilige Handlungsfeld und abhängig von Funktion und Aufgabe spezifisch zu definieren, welche Kompetenzen in welchem Ausmass gefordert sind.
Bei der Betrachtung der Kompetenzen fällt auf, dass technische Aspekte nicht im Vordergrund stehen. Aus gutem Grund: Digitalisierung wird verstanden als vielschichtiger Prozess, bei dem es nicht nur um die Frage geht, womit etwas gemacht wird, sondern – und darauf richtet die Tabelle den Fokus – wie, warum und wozu.
Tabelle Digitalisierung & Soziale Arbeit | FHNW/Sozialinfo
Abb. 2: Digitale Kompetenzen für die Soziale Arbeit (Darstellung nach Weber J., Berger R., Hörmann M., Mühlebach C., 2024)
Das Kompetenzmodell in der Praxis
Der Umgang mit der Digitalisierung beschäftigt nicht nur die Ausbildungsorganisationen der Sozialen Arbeit. Die Frage nach dem Umfang der dafür geforderten Kompetenzen und nach den Möglichkeiten, diese zu erwerben, stellt sich auch in der sozialarbeiterischen Praxis. Dabei ist zu klären, welche Kompetenzen bei den einzelnen Mitarbeitenden, aber auch der Gesamtorganisation bereits vorhanden sind und wo Entwicklungsbedarf besteht. Werden diese in der Organisation erfasst? Wenn ja, in welcher Form? Wer ist dafür zuständig? Dies ermöglicht, fehlende digitale Kompetenzen systematisch aufzubauen und gleichzeitig einen Überblick über bestehende Ressourcen zu erhalten.
Je nach Funktion der Person sind andere Anforderungen und Fragestellungen mit den jeweiligen Kompetenzen verbunden. Aufgrund der dynamischen Entwicklung der Digitalisierung ist es angezeigt, die damit verbundenen Anforderungen an digitale Kompetenzen fortlaufend zu erheben. Dieses Thema können Organisationen beispielsweise im Rahmen der Personalentwicklung fest verankern. Auf diese Weise erkennen sie einerseits Entwicklungsbedarfe rechtzeitig, gleichzeitig werden Ressourcen ersichtlich, welche sie team- oder organisationsintern nutzen können. Dies können Jobenrichments sein, etwa in Form von Spezialfunktionen in Digitalisierungsprojekten oder Coachings von anderen Mitarbeitenden.
Anwendung konkret
Nachfolgend zeigen wir anhand von drei ausgewählten Kompetenzen exemplarisch auf, wie digitale Kompetenzen in der Praxis erfasst werden können. Dafür werden konkrete Fragestellungen verwendet, welche im eigenen Handlungsfeld entstehen können.
Digitalisierungsprozesse in Organisationen (mit-) gestalten
- Allgemein: Was weiss ich über Digitalisierungsprozesse in der Organisation?
- Welche Auswirkungen sehe ich für mein tägliches Handeln? Gibt es eine Digitalstrategie?
- Kenne ich die zuständigen Ansprechpersonen?
- Kenne ich meine Möglichkeiten zur Mitgestaltung?
- Welchen Beitrag kann/will ich leisten?
- Wie schätze ich meine eigenen digitalen Kompetenzen für bevorstehende Prozesse ein?
- Wo erhalte ich bei Bedarf Unterstützung?
- Wie/wo kann ich sozialarbeiterische Überlegungen einbringen?
- Wie wirken sich die Digitalisierungsprozesse auf meine Tätigkeit mit den Adressat*innen aus?
- Wie wird die Perspektive der Adressat*innen in Digitalisierungsprozessen mitberücksichtigt (Kompetenzen, Bedürfnisse, Infrastruktur) resp. habe ich die Möglichkeit, diese Sichtweise bei den relevanten Personen/Stellen einzubringen?
- Verfügt die Organisation über eine Digitalstrategie?
- Welchen Handlungsspielraum habe ich?
- Wo sehe ich Digitalisierungspotential?
- Wo sehe ich Risiken?
- Wer sind meine Ansprechpersonen?
- Wie/durch wen wird der Prozess kommuniziert, sind die Ziele klar?
- Besteht teamintern Klärungsbedarf?
- Wo steht mein Team in Bezug auf Digitalisierungsprozesse?
- Welche Ressourcen sind vorhanden?
- Wo braucht es Unterstützung und in welcher Form?
- Welche Auswirkungen haben die Digitalisierungsprozesse auf die Arbeit mit den Adressat*innen und der Dienstleistungserbringung?
Die professionelle Rolle im Digitalen reflektieren
- Wie schaffe ich Rahmenbedingungen für die Reflexion der Rolle zu diesem Thema im Team?
- Was ist meine Aufgabe als Leitungsperson bei Digitalisierungsprozessen, auf welcher Ebene (Teamführung, strategische Dienstleitungsentwicklung etc.)?
- Wie gehe ich mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen (inkl. der eigenen) um?
- Wie wird das Thema Digitalisierung in unserer Organisation umgesetzt?
- Welche Perspektiven werden einbezogen?
- Wie ist die Kompetenzverteilung?
- Orientieren sich unsere Dienstleistungen an der Lebenswelt der Adressat*innen?
- Wissen wir um deren Bedürfnisse?
- Wo bestehen in meinem Handlungsfeld Bezüge zum Thema Digitalisierung?
- Wie ist meine persönliche Haltung zu diesem Thema und wie beeinflusst diese mein professionelles Handeln?
- Welcher Auftrag lässt sich aus dem Berufskodex in Bezug auf Unterstützung/Förderung digitaler Kompetenzen der Adressat*innen ableiten?
- Wie kann ich diesen umsetzen? Wo sind die Grenzen dieses Auftrages?
- Wie setze ich digitale Möglichkeiten in meinem Berufsalltag ein?
- Sind diese adressat*innengerecht und kann ich diese individuell einsetzen?
- Verfüge ich selbst über die dafür nötigen Kompetenzen (z.B. Online-Beratungen) und falls nein, wie kann ich diese erwerben?
- Wie nutze ich die IT in der Administration/Dokumentation fachlich? Wo sehe ich fachliche Risiken in diesen Anwendungen?
- Wie beeinflusst dies mein Handeln in der Praxis?
Digitale Lebenswelt(en) der Adressat*innen verstehen und angemessen berücksichtigen
- Welchen Stellenwert haben digitale Kompetenzen der Adressat*innen in unserem Organisationsverständnis?
- Haben die Fachpersonen den entsprechenden Raum, mit den Adressat*innen dieses Thema zu bearbeiten?
- Kennen wir die digitalen Bedürfnisse unserer Zielgruppe in Bezug auf unser Angebot?
- Sind unsere Zugänge entsprechend ausgerichtet?
- Erfassen wir laufende Entwicklungen systematisch und berücksichtigen wir diese in der strategischen Ausrichtung?
- Nutzen wir dazu das Wissen und die Erfahrungen der Mitarbeiter*innen aus dem direkten Kontakt mit den Adressat*innen?
- Was weiss ich über die Lebenswelt meiner Adressat*innen?
- Lässt sich daraus ableiten, welche Bedeutung digitale Kompetenzen für sie haben?
- In welchen Lebensbereichen sind digitale Kompetenzen für die Adressat*innen relevant?
- Kenne ich Exklusionsrisiken aufgrund fehlender digitaler Kompetenzen?
- Kenne ich Unterstützungsangebote?
- Verfügen die Adressat*innen über die für sie notwendigen Kompetenzen?
- Falls nein, stehen andere Ressourcen (soziales Umfeld etc.) zur Verfügung oder sind entsprechende Anlaufstellen bekannt?
- Verfügen die Adressat*innen über die notwendige Infrastruktur?
- Falls nein, besteht die Möglichkeit, sie dabei zu unterstützen?
- Wie erfasse ich Veränderung in den digitalen Lebenswelten der Adressat*innen?
Diese oder weiterer Fragestellungen können als Basis für einen fortlaufenden Austausch zum Thema Digitalisierung sowohl auf individueller wie auch auf organisatorischer Ebene genutzt werden. Dabei können inhaltliche, dem Handlungsfeld und den Kompetenzen entsprechende Schwerpunkte gesetzt werden. Als erster Schritt kann in einem Teammeeting die Übersicht über die Kompetenzen vorgestellt werden. Die Mitarbeitenden wählen ein bis zwei Kompetenzen aus, welche ihnen für ihre tägliche Arbeit wichtig erscheinen. In bilateralen Gesprächen können diese mit der Vorgesetzten besprochen, ein allfälliger Handlungsbedarf erkannt und gegebenenfalls notwendige Schritte in die Wege geleitet werden. Daran kann sowohl in den jährlichen Standortgesprächen wie auch im Austausch mit dem Team gearbeitet werden. Besteht Bedarf, das Thema Digitalisierung mit Fokus auf die Organisation systematisch weiter zu bearbeiten, bietet der DigitalCheck Orientierung.
Weber J., Berger R., Hörmann M., Mühlebach C. (2024): Digitalisierung und Soziale Arbeit. Überlegungen zu einem ökosystemischen Kompetenzmodell auf Hochschulebene. In: Soziale Arbeit. Zeitschrift für soziale und sozialverwandte Gebiete. 2024. Bd. 73, Nr. 1, S. 16-23.
Computational Social Thinking
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DigComp
Vuorikari, R., Punie, Y., Carretero, S., Van den Brande, L. (2016): DigComp2.0: The Digital Competence Framework for Citizens. Update Phase 1: The Conceptual Reference Model. Luxembourg Publication Office of the European Union. Luxembourg.
Digital Capabilities for Social Workers
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Digital Competence in Social Work Practice and Education
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Digitale Kompetenz
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Digital Intelligence Competencies
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Digitalisierung in Studium und Weiterbildung Sozialer Arbeit
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Digitalizing Social Work Education Framework
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Kompetenzen und Grundwerte im digitalen Zeitalter
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Medienkompetenz Blended Counseling
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Dimensionen der Medienkompetenzmodell
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Qualifica Digitalis
Schmeling, J., Bruns, L. (2020): Qualifica Digitalis – Metastudie. Kompetenzen, Perspektiven und Lernmethoden im digitalisierten öffentlichen Sektor. (abgerufen am 23.3.2022)
Standards for Technology in Social Work Practice
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Studium im Spiegel der Digitalisierung
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Use of Technology and Numerical Skills
Quality Assurance Agency for Higher Education (2019): Subject Benchmark Statement. Social Work. (abgerufen am 26.1.2021)