Sozialrecht Fokusartikel

Geplante Änderungen beim BVG: Was man für die Sozialberatung wissen muss

April 2024

Im Sommer 2024 wird die Reform der Altersleistungen der beruflichen Vorsorge ins Zentrum der öffentlichen Debatte rücken. Welche Änderungen sind geplant? Und was gibt es mit Blick auf diese Entwicklungen für die Sozialberatung zu wissen?

Die Altersvorsorge kommt nicht zur Ruhe: Am 1. Januar 2024 sind wesentliche Änderungen der Regeln zur Altersvorsorge im Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) in Kraft getreten und am 3. März 2024 ist per Volksabstimmung ein Rentenausbau mit einer 13. AHV-Rente angenommen worden. Derzeit wird über die Umsetzungsschritte zu deren Finanzierung diskutiert. 

Als nächste grosse Reform im Bereich der Altersvorsorge wird ab Sommer 2024 die berufliche Vorsorge (BVG) im Zentrum stehen. Wir zeigen im Folgenden auf, was man in der Praxis der Sozialberatung dazu wissen und beachten muss.  

Überblick über die geplante Revision der beruflichen Vorsorge

Die demografische Entwicklung führt dazu, dass die Renten der Betroffenen im Durchschnitt länger als früher aus den angesparten Vorsorgekapitalien finanziert werden müssen. Im Weiteren haben die letzten Jahrzehnte gezeigt, dass man sich im System der beruflichen Vorsorge nicht zu sehr darauf verlassen sollte, dass die riesigen angesparten Vorsorgeguthaben auf dem Kapitalmarkt hohe Erträge einbringen, welche die Renten mitfinanzieren.

Im Frühling 2023 haben National- und Ständerat eine Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Vorsorge (BVG) beschlossen. Gegen die Vorlage wurde dann im Sommer 2023 von linken Parteien und Gewerkschaften das Referendum ergriffen. Die Vorlage kommt somit zur Abstimmung, voraussichtlich im September 2024, spätestens aber im November 2024. 

  • In der beruflichen Vorsorge geht es gemäss der Bundesverfassung (Art. 113 BV) in Kombination mit der AHV darum, im Alter die bisherige Lebenshaltung zu sichern. 

  • Die Versicherung ist für Arbeitnehmende obligatorisch und für Selbständigerwerbende freiwillig. Die Arbeitnehmenden werden über ihre Arbeitgebenden versichert, wobei es auch eine eidgenössische Vorsorgeeinrichtung als Ersatz gibt (Stiftung Auffangeinrichtung). 

  • Die berufliche Vorsorge wird durch die Beiträge der Versicherten finanziert. Die Arbeitgebenden bezahlen mindestens die Hälfte der Beiträge ihrer Arbeitnehmenden. Zur Finanzierung tragen auch die Zinsen der angesparten Guthaben bei. Das gesamte angesparte Vorsorgevermögen der zweiten Säule beträgt derzeit mehr als 1200 Milliarden (!).

  • Das Bundesgesetz zur beruflichen Vorsorge und seine Verordnungen (zu den Leistungen insbesondere BVV 2) regeln nur den obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge. Es werden Mindestbeträge für Beiträge und Leistungen festgesetzt. Viele Vorsorgeeinrichtungen sehen darüber hinaus weitergehende, überobligatorische Leistungen vor. Deren genauer Umfang und die Finanzierung orientiert sich nach den jeweiligen Reglementen der Vorsorgeeinrichtungen. Die Gesetzgebung gibt auch für die Regelung dieses Überobligatoriums der beruflichen Vorsorge einen allgemeinen Rahmen vor. 

  • Anders als die AHV beruht die berufliche Vorsorge auf dem Kapitaldeckungsverfahren. Das heisst, dass die Altersleistungen in ihrer Höhe und im Umfang vom angesparten Kapital der Versicherten abhängen.  

  • Im Alter werden aus der Pensionskasse nur Leistungen gewährt, wenn beim Renteneintrittsalter noch eine Versicherungsunterstellung – in der Regel eine Anstellung – besteht. Wenn jemand einzig früher einmal in einer Pensionskasse war, können im Alter angesparte Kapitalien als Freizügigkeitsleistungen bezogen werden. Diese können jedoch oft den Lebensunterhalt im Alter nicht decken.  

BVG-Reform im Detail: Das ändert sich

Mit der Revision werden primär die angesparten Beiträge erweitert und gleichzeitig der Prozentsatz des Kapitals, das pro Jahr als Rente zu gewähren ist (Umwandlungssatz) gesenkt. Als Ausgleichsmassnahme für die Übergangsgeneration soll 15 Jahrgängen nach der Einführung ein lebenslanger Zuschlag zur Rente gewährt werden, abgestuft nach Jahrgang und nach der Höhe des Vorsorgekapitals.  

Gleichzeitig würde der Umfang der versicherten Personen und Löhne etwas erweitert. Namentlich soll die Eintrittsschwelle auf 90 Prozent des heutigen Wertes gesenkt werden und ein neuer Koordinationsabzug von 20 Prozent des AHV-Lohnes den heutigen fixen Betrag ersetzen.  

Die Revision betrifft nur den obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge. Beim überobligatorischen Teil haben die meisten Pensionskassen, die einen solchen kennen, den Umwandlungssatz bereits gesenkt. 

Im Folgenden stellen wir die zentralen Änderungen der geplanten Reform des BVG nun genauer dar.

Senkung des Umwandlungssatzes im Obligatorium

Im obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge soll der Umwandlungssatz von 6,8 auf 6 Prozent gesenkt werden. Das bedeutet, dass z.B. bei einem Vorsorgeguthaben von 1 Million neu pro Jahr CHF 60’000 statt CHF 68’000 Rente ausbezahlt werden.  

Kompensationsmassnahmen

Von den ersten 15 Jahrgängen, die nach den Änderungen das Rentenalter erreichen (Übergangsgeneration), sollen ca. 50 Prozent lebenslang einen frankenmässig festgelegten Rentenzuschlag auf der beruflichen Vorsorge erhalten. Dafür sind allerdings sehr restriktive Voraussetzungen definiert (vgl. Art. 47c BVG rev.).

Die Person muss kumulativ:

  • bei Beginn des Rentenbezugs in einer Vorsorgeeinrichtung versichert sein 
  • das Mindestalter für den Vorbezug der AHV-Altersrente erreicht haben 
  • während mindestens 15 Jahren als Arbeitnehmer*in oder als Selbstständigerwerbende*r für das Alter versichert gewesen sein 
  • unmittelbar vor dem Beginn des Rentenbezugs während mindestens zehn aufeinanderfolgenden Jahren in der AHV versichert gewesen sein  
  • mindestens 50 Prozent ihrer Altersleistung als Rente beziehen (Ausnahmen davon in Sonderfällen gemäss BVV möglich; vgl. Art. 47c Abs. 6 BVG neu) 
  • ein Vorsorgeguthaben von nicht mehr als CHF 430’200 aufweisen.  

In diesen Fällen wird ein voller Zuschlag gewährt, wenn das Altersguthaben CHF 220'500 oder weniger beträgt. Für Altersguthaben zwischen CHF 220'500 und CHF 441'000 wird ein degressiv gesenkter Zuschlag bezahlt.  

Der volle Zuschlag beträgt gestaffelt nach Jahrgang nach Inkrafttreten (Art. 47e BVG neu) 

  • Fünf Jahrgänge: CHF 200/Monat 
  • Fünf Jahrgänge: CHF 150/Monat 
  • Fünf Jahrgänge: CHF 100/Monat

Der Zuschlag ist frankenmässig gesetzlich festgelegt, eine jeweilige Anpassung an die Teuerung ist nicht vorgesehen.  

Ein analoger Anspruch ist für Beziehende einer BVG-IV-Rente vorgesehen (vgl. zu Details Art. 47d BVG neu), wenn diese nach dem Beitragsprimat berechnet wird (d.h. nach dem Vorsorgeguthaben, das bis zum Eintritt der Invalidität angespart wurde). Ebenso ist ein Anspruch möglich bei Personen, die vor dem Renteneintrittsalter eine BVG-IV-Rente erhielten, die dann gemäss deren Pensionskassenreglement im Alter durch eine tiefere Altersrente abgelöst wird. Bei einer Rente von mind. 60 Prozent ist ein voller Zuschlag vorgesehen und ein halber Zuschlag bei Rente von 40 bis 59 Prozent (vgl. zu Details Art. 47d BVG neu). 

Beim Tod der versicherten Person fällt der Zuschlag weg (Art. 47c Abs. 3 BVG neu). Er wird also nicht auf allfälligen Hinterlassenenleistungen gewährt.  

Sonderfragen wie etwa der Umgang mit geteiltem Vorsorgeguthaben bei Scheidungen oder mit Freizügigkeitsguthaben werden in der Verordnung geregelt (Art. 47c Abs. 7 BVG neu). Diese liegt zurzeit (April 2024) noch nicht vor. 

Die genannten Kompensationsleistungen werden durch die Vorsorgeeinrichtung (VE) selbst und durch Zuschüsse des Sicherheitsfonds, welche durch Beiträge aller VE gespiesen wird, finanziert (Art. 47f. BVG neu).  Die Pensionskassen können hierfür bei Versicherten und Arbeitgebenden paritätisch Lohnbeiträge erheben. 

Versicherter Lohn soll erweitert werden

Grundsätzlich sollen die Beiträge erhöht werden, um die Rentenverluste, die mit der Senkung des Umwandlungssatzes zusammenhängen, etwas auszugleichen. Dazu soll  

  • die heutige Eintrittsschwelle auf 90 Prozent des heutigen Wertes gesenkt werden, also von derzeit CHF 22’050 auf CHF 19’845. 
  • bei Löhnen über der Eintrittsschwelle im Rahmen des Obligatoriums immer 80 Prozent des Lohnes versichert werden. Der bisherige Koordinationsabzug fällt weg. Dies erhöht den versicherten Lohn und somit auch die entsprechenden Beiträge beträchtlich, insbesondere bei tieferen Einkommen.  
  • die bisherigen Abstufungen der Beitragssätze je nach Alter geändert und etwas geglättet werden.  

Neu sollen bei 25- bis 44-Jährigen minimal 9 Prozent und ab 45 Jahren bis zum Referenzalter 14 Prozent des Lohnes als BVG-Beiträge vorgesehen werden. Die Beiträge werden mindestens zur Hälfte von der Arbeitgeberschaft getragen. Bei jüngeren Arbeitnehmenden bis 35 Jahren führt dies zu einem höheren minimalen Beitragssatz, bei allen anderen zu tieferen Beitragssätzen als bisher (siehe Beispiel zu den Folgen). 

Kennzahlen versicherter Lohn BVG (aktuelle Gesetzgebung)

Höchstversicherter AHV-Lohn Obligatorium CHF 88’200
Koordinationsabzug Obligatorium CHF 25’725
Mindestversicherter Verdienst bei AHV-Löhnen über Eintrittsschwelle CHF 3675
Eintrittsschwelle CHF 22’050

Heutige minimale Beitragssätze berufliche Vorsorge

Alter Beitragssatz
25-34 7%
35-44 10%
45-54 15%
55-65 18%

Beispiel für die Folgen der Revision für eine 55jährige Person mit einem Lohn von CHF 80’000:

Heutiges Recht BVG-Obligatorium 

  • Lohn CHF 80’000 
  • Versicherter Lohn nach Koordinationsabzug: CHF 54’275 
  • Altersgutschrift: 18% von CHF 54'275: CHF 9770 

Geplante Gesetzesreform 

  • Lohn CHF 80’000 
  • Versicherter Lohn (80%): CHF 64’000 
  • Altersgutschrift: 14% von CHF 64’000:  CHF 8960 

Fazit zu den Folgen der Revision:  

Der Effekt der Erweiterung der versicherten Löhne für die BVG-Altersvorsorge würde bei älteren Versicherten durch niedrigere Beitragssätze bei Löhnen über dem Niedriglohnbereich reduziert oder gar kompensiert, bzw. führte gar zu tieferen Beiträgen für die Altersvorsorge als die geltende Regelung. Das hätte für diese Gruppe dann zur Folge, dass auch das Alterskapital geringer wäre als im heutigen Recht. Mit Blick darauf, dass der Koordinationsabzug gesenkt würde, würde die Höhe der Renten aus der beruflichen Vorsorge für die Betroffenen doppelt verschlechtert. In bestimmten Fällen könnte aber die Kompensation einen kleineren Teil davon ausgleichen.  

Merke für die Praxis zu Änderungen in der beruflichen Vorsorge:

Ob die BVG-Reform angenommen wird, ist offen. Im Moment deuten die Umfragen eher auf eine Ablehnung hin. Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung ist die berufliche Vorsorge für viele Personen ein zentraler Bestandteil der Altersvorsorge. Es ist für die Beratung wichtig, rechtzeitig aufgrund der Reglemente zu prüfen, welche Konditionen im jeweiligen Fall bestehen. Folgende Fragen stehen dabei im Vordergrund: 

  • Zu welchen Zeitpunkten ist ein Rentenbezug zu welchen Konditionen möglich (Referenzalter; Teilrenten; Höhe im Vergleich zum späteren Rentenbezug; Rentenaufschub; Übergangsrenten)? 
  • Zu welchem Zeitpunkt ist ein Kapitalbezug oder Teilbezug zu welchen Konditionen möglich? 

In diesem Zusammenhang sind auch Steuerfolgen, die Lebenserwartung, die familiäre Situation und die eigenen Möglichkeiten einer Kapitalanlage zu beachten.  

Eine umfassende spezialisierte Beratung unter Einbezug externer Berater*innen ist häufig unumgänglich. 

Wird die BVG-Reform angenommen, so müssen zukünftige Neurentner*innen mit tieferen Renten im BVG-Obligatorium (Umwandlungssatz) rechnen, wobei die Kompensationsmassnahmen nur einen beschränkten Ausgleich schaffen werden. Dadurch, dass der Koordinationsabzug wegfällt, sinkt die Eintrittsschwelle in die berufliche Vorsorge. Besonders bei tieferen Einkommen und jüngeren Personen ist mit höheren Abzügen von den Löhnen und somit einer tieferen Kaufkraft zu rechnen. 

Wird die BVG-Reform angenommen, so ist zu prüfen, welche Betroffenen in den Genuss der Übergangsbestimmungen gelangen. Um die konkreten Folgen für die Beiträge und die Leistungen abzuschätzen, braucht es eine genaue Prüfung des Reglements der jeweiligen Pensionskasse und allenfalls eine Beratung durch deren Vertreter*innen. Da die geplanten Änderungen nur die obligatorischen Anteile betreffen, nicht aber die überobligatorischen, werden die geplanten Änderungen bei vielen Pensionskassen keine oder nur indirekte Auswirkungen haben. 

Bei einer geplanten Beschäftigung über das AHV-Referenzalter hinaus ist mit Blick auf die Ausgestaltung des Altersrücktritts und eine allfällige Weiterbeschäftigung rechtzeitig die Absprache mit der Arbeitgeberschaft zu suchen.  

Unabhängig von dieser Reform sind die Inflation und die Mietzinserhöhungen ein Risiko für Rentner*innen. Bestehende Renten aus der beruflichen Vorsorge werden nicht von Gesetzes wegen an die Teuerung angepasst. Dies obliegt vielmehr der Entscheidung der einzelnen Pensionskassen. Es damit zu rechnen, dass die Kaufkraft von Rentner*innen eher abnehmen wird. Tipps zum Sparen werden wieder bedeutsamer für die Beratung. 

PETER MÖSCH PAYOT

Professor Hochschule Luzern; lic. iur. LL.M. manager nonprofit NDS FH
Verantwortlicher Experte für die Bereiche Sozialversicherungsrecht sowie Datenschutz, Persönlichkeitsschutz und Haftung bei Sozialinfo

Kontakt: moeschpeter@bluewin.ch 


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