Per 1. Januar 2024 wird wie jedes Jahr eine Reihe von Änderungen im ganzen Bereich der Sozialversicherungen in Kraft treten. Insbesondere zu AHV, IV, EO und Krankenversicherung gibt es für die Sozialberatung und die Soziale Arbeit Verschiedenes zu wissen und zu beachten. Die wichtigsten Änderungen werden im Folgenden zusammengefasst.
Das Wichtigste in Kürze
- Die ersten Teile der Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung 21 treten per 01.01.2024 in Kraft. Namentlich die Änderungen zum flexiblen Vorbezug und Aufschub der Rente gelten ab sofort. Die Erhöhung des Rentenalters und entsprechende Kompensationsmassnahmen gelten erst ab 2025.
- In der Invalidenversicherung wird für die Berechnung des IV-Grades bei Personen, deren Invalideneinkommen nach statistischen Tabellen erhoben wird, von diesen neu ein genereller Abzug von 10% vorgenommen. Dies verbessert die Situation rund um den möglichen Rentenanspruch etwas.
- Wenn ein Elternteil kurz nach der Geburt eines Kindes stirbt, verlängert sich neu der Mutterschafts- bzw. der Vaterschaftsurlaub für den hinterbliebenen Elternteil.
- Volljährig gewordene Kinder haften ab dem 01.01.2024 nicht mehr für allfällige Schulden der Eltern bei der Krankenversicherung.
- In der obligatorischen beruflichen Vorsorge werden die Renten für Invalide und Hinterlassene erhöht.
Änderungen bei der Alters- und Hinterlassenenversicherung
Die Revision der AHV (AHV 2021) tritt ab 2024 schrittweise in Kraft. Folgende Änderungen gelten ab dem neuen Jahr:
- Ab 01.01.2024 erhöhen sich die Mehrwertsteuerbeiträge für die AHV. Der Normalsatz erhöht sich um 0,4 Prozentpunkte auf 8,1 Prozent. Der reduzierte Satz (Güter des täglichen Bedarfs) und der Sondersatz (Beherbergung) steigen um 0,1 Prozentpunkte auf 2,6 Prozent bzw. auf 3,8 Prozent.
- Ebenfalls ab 01.01.2024 werden neue Möglichkeiten eingeführt, Renten teilweise vorzubeziehen oder einen Teil der Rente aufzuschieben.
- Versicherte, die über das Referenzalter von 65 hinaus weiter erwerbstätig sind, können neu auf den Freibetrag (CHF 1400 pro Monat) verzichten. Die Beiträge, die nach 65 einbezahlt werden, sind neu rentenwirksam, wobei den Versicherten nach 65 einmal die Möglichkeit offensteht, die Rente neu berechnen zu lassen (Vgl. Art. 29bis Abs. 3 AHVG und Art. 52dbis AHVV).
- Mit den Beiträgen vom 65. bis zum 70. Altersjahr können Versicherte allfällige Beitragslücken auffüllen. Dafür müssen sie allerdings ein Mindesteinkommen von 40% ihres während der Beitragspflicht für die AHV erzielten durchschnittlichen Erwerbseinkommens verdienen (Art. 29bis Abs. 4 AHVG).
- Für den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der AHV muss die Hilflosigkeit neu nur noch sechs Monate bestehen (und belegt sein), statt wie bisher ein Jahr.
Wie die Einführung der Altersreform weitergeht
Die Erhöhung des Rentenalters der Frauen wird per 2025 bis 2028 schrittweise eingeführt. Die dazugehörigen Ausgleichsmassnahmen werden bis 2034 teilweise eine Kompensation bringen. 2027 werden die Kürzungssätze beim Vorbezug und die Zuschläge beim Aufschub gekürzt und an die Lebenserwartung angepasst. Ebenfalls werden dann geringe Einkommen beim Vorbezug weniger stark gekürzt werden.
Reform der Hinterlassenenrenten
Für die nächsten Monate ist eine weitere Reform in der AHV in der Pipeline: die Reform der Hinterlassenenrente. Der Bundesrat hat vor kurzem einen Gesetzgebungsentwurf in die Vernehmlassung geschickt, der noch zu reden geben wird.
BSV (2023). Witwen- und Witwerrenten der AHV: Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens
Mösch, P. (2023): Kommentar auf LinkedIn
IV: Realistischere hypothetische Einkommen
Um die Höhe einer IV-Rente zu berechnen, stellt die IV häufig auf ein hypothetisches Einkommen (Invalideneinkommen) der betroffenen Person ab, die auf statistischen Lohntabellen der Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik beruhen. Studien haben gezeigt, dass dabei regelmässig von zu hohen Einkommensmöglichkeiten Behinderter ausgegangen wird. In Reaktion auf eine überwiesene Motion hat der Bundesrat deshalb eine Änderung der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV) per 01.01.2024 beschlossen.
Auf den Invalideneinkommen wird neu ein Pauschalabzug von 10% vorgenommen. Den Einschränkungen Betroffener auf dem Arbeitsmarkt soll damit besser Rechnung getragen werden.
Dieser Abzug wird ab 2024 für alle neuen Rentenfälle angewendet, in denen wegen eines fehlenden Einkommens ein hypothetisches Einkommen zum Tragen kommt. Bereits laufende Renten müssen die IV-Stellen innerhalb von drei Jahren nach den neuen Regeln revidieren.
Fachpersonen müssen in der Sozialberatung vor allem die Übergangsbestimmungen im Detail beachten. Dabei ist zu unterscheiden zwischen
Die Anpassung bringt für betroffene Versicherte zwar eine Verbesserung der Situation. Die Kritik an der Bemessung des Invalideneinkommens bleibt jedoch bestehen und wird auch weiter in der Rechtsprechung thematisiert, namentlich ob in diesem Bereich der Bundesrat mit der Verordnung überhaupt legiferieren darf.
Wer ist betroffen? Es geht um Fälle, bei denen noch kein rechtskräftiger Rentenentscheid erfolgte und bei denen der IV-Grad und insbesondere das Invalideneinkommen unter Beizug von Tabellenlöhnen festgestellt werden muss. Das ist der Fall, wenn es nicht möglich ist, tatsächliche Löhne für die Berechnung des Invalideneinkommens heranzuziehen. Also wo etwa gar keine reale Erwerbstätigkeit nach der Invalidität vorliegt.
Was ändert sich per 1.1.2024? Das Invalideneinkommen zur Feststellung des IV-Grades ist unter Berücksichtigung des neuen 10%-Abzuges vom Tabellenlohn vorzunehmen. Er kann auch kombiniert werden mit einem allenfalls schon bestehenden Abzug von 10%, weil nur noch eine Teilzeittätigkeit bis 50% möglich ist (vgl. Art. 26bis Abs. 3 IVV).
Es ist ratsam, neue IV-Vorbescheide, bzw. Verfügungen daraufhin zu prüfen, ob die Neuerung Berücksichtigung findet. Es ist auch in der Verfahrensführung darauf zu achten, dass die Fälle zeitlich so gelegt werden können, dass für die rechtskräftige Festlegung des IV-Grades die Neuerung zur Anwendung kommt.
Wer ist betroffen? Personen, bei denen der IV-Grad und insbesondere das Invalideneinkommen unter Beizug von Tabellenlöhnen festgestellt wurde.
Ausgenommen sind jene Personen, die bereits am 1. Januar 2022 das 55. Altersjahr erreicht hatten und bereits damals eine IV-Rente bezogen. Für diese Personengruppe gelten die früheren rechtlichen Bestimmungen, die bis Ende 2021 gültig waren. So auch die Anwendung des leidensbedingten Abzuges von maximal 25% von den Tabellenlöhnen. Diese Renten sind nicht betroffen von der Neuerung.
Was ändert sich per 1.1.2024 für diese Personen? Die bestehenden Renten sind innerhalb von zwei Jahren zu revidieren. Dabei muss der neue 10%-Abzug vom Tabellenlohn vorgenommen werden. Er kann auch kombiniert werden mit einem allenfalls schon bestehenden Abzug von 10%, weil nur noch eine Teilzeittätigkeit bis 50% möglich ist (vgl. Art. 26bis Abs. 3 IVV). Dabei werden aber auch andere Änderungen seit der letzten IV-Renten-Entscheidung berücksichtigt, etwa Änderungen des Gesundheitszustandes.
Die Erhöhung der Rente wegen der Neuregelung des 10%-Abzuges erfolgt rückwirkend auf den 1.1.2024.
Es ist ratsam, die entsprechende Rentenrevision bei der IV-Stelle zu beantragen bzw. nachzufragen, wann sie wie erfolgt. Das gilt vor allem dann, wenn zusätzlich weitere Gründe für eine Überprüfung zu Gunsten des/der Versicherten sprechen, insbesondere eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder die hypothetisch gesteigerte Erwerbstätigkeit, wenn die Invalidität nicht eingetreten wäre, oder aufgrund von Veränderungen in der Familiensituation.
Eine Anpassung des Rentenanspruchs erfolgt dann, wenn diese Überprüfung dazu führt, dass der IV-Grad sich insgesamt um mindestens 5% ändert (vgl. Art. 17 Abs. 1 lit. a ATSG).
BSV (2023). Bemessung des Invaliditätsgrades
EO: längerer Urlaub für hinterbliebene*n Partner*in
In Situationen, wo ein Elternteil unmittelbar nach der Geburt stirbt, tritt 2024 für die Familie und das Neugeborene eine Verbesserung in Kraft. Gemäss einer Änderung im Bundesgesetz über den Erwerbsersatz (EOG) hat der/ die hinterbliebene Partner*in künftig Anspruch auf einen längeren Mutterschafts- bzw. Vaterschaftsurlaub.
Dies gilt für folgende Fälle:
- Wenn die Mutter innerhalb von 14 Wochen nach der Geburt stirbt, wird dem Vater des Kindes ein 14-wöchiger Urlaub gewährt – und zwar zusätzlich zu den bereits bestehenden zwei Wochen Vaterschaftsurlaub.
- Wenn der Vater innerhalb von 6 Monaten nach der Geburt des Kindes stirbt, hat die Mutter im Falle des Todes Anspruch auf einen zweiwöchigen Urlaub, zusätzlich zum Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen.
Weil die Regelung zum bisherigen Vaterschaftsurlaub neu auch bei gleichgeschlechtlichen Paaren - für die Ehefrau der Mutter - gilt, wird diese Entschädigung neu als «Entschädigung des anderen Elternteils» bezeichnet. Die Ehepartnerin wird dabei auch dann als rechtlicher Elternteil anerkannt, wenn das Kind mittels Samenspende gezeugt wurde.
BSV (2023). Taggelder für den hinterlassenen Elternteil
Im Bereich der EL steht im Weiteren die Diskussion um Änderungen der Berücksichtigung von Pflege- und Betreuungsleistungen als Krankheits- und Behinderungskosten im Rahmen des betreuten Wohnens älterer Menschen an.
Krankenversicherung: Volljährige haften nicht mehr für Prämienschulden ihrer Eltern
Am 01.01.2024 tritt Art. 61a KVG in Kraft. Er sieht vor, dass die Prämien für das Kind bis zum Ende des Monats, in dem dieses volljährig wird, ausschliesslich von dessen Eltern geschuldet sind. Das bedeutet, dass neu das Kind für diese Prämien auch nach Eintritt der Volljährigkeit nicht belangt werden kann. Eine dazu eingeleitete Betreibung ist nichtig. Gleiches gilt für die Kostenbeteiligungen (Art. 64 Abs. 1bis KVG).
Die Eltern schulden dabei die entsprechenden Prämien und Kostenbeteiligungen solidarisch. Der eine Elternteil schuldet jene Prämien allerdings dann allein, wenn der andere Elternteil nachweist, dass er gemäss einem Unterhaltsvertrag oder einem gerichtlichen Entscheid verpflichtet ist, Unterhaltsbeiträge für das Kind zu bezahlen, welche die Prämien enthalten – und diese Unterhaltsbeiträge auch bezahlt hat.
Betroffene Versicherte, die 18 Jahre alt werden, können zudem auf Ende des Kalenderjahrs neu auch dann den Versicherer wechseln, wenn Prämien oder Kostenbeteiligungen, Betreibungskosten oder Verzugszinse aus der Zeit ihrer Minderjährigkeit ausstehen. Die Versicherer müssen die Versicherten über diese Möglichkeit informieren (Art. 64a Abs. 7bis KVG; Art. 105l KVV).
Unmittelbar wichtig für die Sozialberatung sind auch hier die Übergangsbestimmungen:
- Die Neuerungen sind gemäss den Übergangsbestimmungen auf Versicherte anzuwenden, die beim Inkrafttreten am 01.01.2024 minderjährig sind. Sie gelten auch für die Prämien, Kostenbeteiligungen, Verzugszinse und Betreibungskosten dieser Versicherten, die vor dem Inkrafttreten unbezahlt waren.
- Für betroffene junge Erwachsene, die nicht in den Genuss der Regelung kommen, weil sie vor dem 01.01.2024 volljährig wurden, ist ratsam, bei der betreffenden Krankenversicherung nachzufragen, ob aus Kulanzgründen auf die Auferlegung der Kosten verzichtet werden kann. Ein Teil der Krankenversicherungen wird dazu ganz oder teilweise Hand bieten.
Gleichzeitig wurden zusätzliche Änderungen zur Verbesserung der Situation wegen Prämienschulden beschlossen:
- Neu können die Versicherer höchstens zwei Betreibungsverfahren pro Jahr und versicherter Person einleiten, die Prämien und Kostenbeteiligungen betreffen.
- Neu können die Kantone sich die Verlustscheine übertragen lassen und so effizienter gegen die Verschuldung der Versicherten vorgehen.
- Neu können Versicherte, deren Einkommen gepfändet wird, das Betreibungsamt mit der Zahlung ihrer laufenden Prämien beauftragen. Diese Änderung tritt allerdings erst am 01.07.2024 in Kraft.
BVG: Erhöhung Invalidenrenten und Hinterlassenenrenten
Per 01.01.2024 werden die Invaliden- und die Hinterlassenenrenten der obligatorischen beruflichen Vorsorge, die seit 2020 laufen, um 6% angehoben.
Da im Jahr 2024 die AHV-Renten nicht angepasst werden, gibt es keine nachfolgende Anpassung für Renten, die vor 2020 entstanden sind. Diese werden dann mit der nächsten Anpassung der AHV-Renten erhöht, also frühestens per 1. Januar 2025.
Für die Altersrenten schreibt das BVG keinen periodischen Teuerungsausgleich vor. Anpassungen erfolgen nach den Möglichkeiten und dem Entscheid der Vorsorgeeinrichtungen (Art. 36 Abs. 2 BVG).
Die Renten und Beiträge der ersten Säule (AHV, IV, EO etc.) und der ALV bleiben 2024 unverändert.
Autor*in
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Peter Mösch Payot
Co-Präsident und verantwortlicher Experte Rechtsberatung
E-Mail: moeschpeter@bluewin.ch