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Qualifikationsanforderungen im Sozialwesen

03.04.2019 - 7 Min. Lesezeit

SM
PZ

Autor*innen

Liniendiagramm bzgl. Entwicklung der Qualifikationsanforderungen nach Bildungsabschluss (2011-2018)

Über die Qualifikationsanforderungen im Sozialwesen wird zurzeit viel diskutiert. Der Berufsverband AvenirSocial hat die Kampagne «Eine Ausbildung bürgt für Qualität» gestartet. Auch die Laufbahn- und Fachkräftestudien von SAVOIRSOCIAL haben sich mit dem Thema Ausbildungen im Sozialwesen beschäftigt.

Neunter Monitor des Stellenmarktes im Sozialwesen der Schweiz

Die Auswertung der Stelleninserate, die auf dem Stellenportal von Sozialinfo ausgeschrieben werden, liefert Antworten auf die Frage, welche Ausbildungsabschlüsse Stellensuchende im Sozialwesen mindestens mitbringen müssen. Insbesondere die Entwicklung der Qualifikationsanforderungen über die Jahre hinweg zeigt spannende Ergebnisse (siehe Grafik 1): Der Anteil Stelleninserate, in denen eine höhere Berufsbildung (zum Beispiel Sozialpädagogik HF, Kindererziehung HF) verlangt wird, macht zwar nach wie vor mit Abstand den grössten Teil aus, ist jedoch seit 2011 gesunken. Auch der Anteil geforderter Hochschulabschlüsse (zum Beispiel Soziale Arbeit FH) hat abgenommen. Angestiegen ist hingegen der Anteil ausgeschriebener Stellen, die eine berufliche Grundbildung (zum Beispiel Fachperson Betreuung EFZ) erfordern. Laut Barbara Beringer, Geschäftsführerin von Sozialinfo, sind diese Entwicklungen hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass sich die Ausbildungen im Sozialbereich in den letzten Jahren stark verändert haben. Véréna Keller, Vizepräsidentin von AvenirSocial, teilt diese Einschätzung: Die berufliche Grundbildung im Bereich Soziale Arbeit existiert erst seit etwa zehn Jahren und die Nachfrage nach Personen mit einer solchen Ausbildung sei seither rasant gestiegen. Da die beruflichen Grundausbildungen zu einem grossen Teil in den Organisationen stattfinden, versprechen sie eine weitgehende Passung zwischen der Ausbildung und den Anforderungen am Arbeitsplatz. Ein weiterer Grund für die Veränderungen könnte laut Keller jedoch auch bei den finanziellen Rahmenbedingungen zu finden sein: «In Zeiten von Spardruck sind zahlreiche Betriebe versucht, bei den Löhnen zu sparen und deshalb weniger Personal mit tertiärer Ausbildung anzustellen». Monika Weder, Präsidentin von SAVOIRSOCIAL, sieht den Grund für diese Entwicklungen bei den Qualifikationsanforderungen vor allem im Wachstum einzelner Bereiche der Sozialen Arbeit. Sie stellt fest, dass in den letzten Jahren beispielsweise die Anzahl Kindertagesstätten in der Deutschschweiz stark gestiegen ist: «In diesen bestehen die Teams zum grossen Teil aus Fachfrauen und Fachmännern Betreuung, was zu einem Teil erklärt, weshalb die Anzahl Stelleninserate, in denen eine berufliche Grundbildung verlangt wird, zugenommen hat.»

Liniendiagramm bzgl. Entwicklung der Qualifikationsanforderungen nach Bildungsabschluss (2011-2018)

9. Arbeitsmarktmonitor: Entwicklung der Qualifikationsanforderungen nach Bildungsabschluss (2011–2018) | Sozialinfo & FHNW

Arbeitsfelder

Die 6643 Stelleninserate, die im Jahr 2018 auf Sozialinfo ausgeschrieben wurden, gewähren einen Einblick in Unterschiede, die zwischen verschiedenen Arbeitsfeldern hinsichtlich der Qualifikationsanforderungen bestehen. So zeigen sie beispielsweise, dass sich die vier Arbeitsfelder mit den meisten Stelleninseraten (Erziehung/Bildung, Sozialhilfe, Jugendarbeit und Behindertenarbeit) stark in ihren Qualifikationsanforderungen unterscheiden (siehe Grafik 2). Während bei der Hälfte der Inserate aus dem Arbeitsfeld der Sozialhilfe ein Hochschulabschluss verlangt wird, trifft dies lediglich auf 16 Prozent der Inserate aus dem Feld Erziehung/Bildung, 21 Prozent der Inserate der Jugendarbeit und 7 Prozent derjenigen der Behindertenarbeit zu. Bei der Erziehung/Bildung und der Jugendarbeit stellen Inserate, in denen eine höhere Berufsbildung gefordert wird, den grössten Anteil dar. In der Behindertenarbeit sind es Stellen, die durch Personen mit einer beruflichen Grundbildung besetzt werden können.

Säulendiagramm bzgl. Qualifikationsanforderungen nach Arbeitsfeld 2018

9. Arbeitsmarktmonitor: Qualifikationsanforderungen nach Arbeitsfeld für das Jahr 2018 (ohne Praktikums- und Zivildienststellen) | Sozialinfo & FHNW

Kaderstellen

Die Analysen der Stelleninserate zeigen weiter, dass es in den Arbeitsfeldern Erziehung/Bildung und Behindertenarbeit auch für Kaderstellen meist genügt, einen Abschluss einer höheren Berufsbildung zu besitzen – im Gegensatz zum Arbeitsfeld der Sozialhilfe, wo mit Abstand am häufigsten ein Hochschulabschluss verlangt wird. Monika Weder erklärt diesen Unterschied damit, dass es im Arbeitsfeld Erziehung/ Bildung für viele Berufe keine einschlägigen Hochschulabschlüsse gibt (zum Beispiel für die Arbeit in Kindertagesstätten und schulergänzenden Betreuungsangeboten): «Im Gegensatz dazu gibt es keinen Abschluss Sozialhilfe auf Stufe Höhere Fachschule. Wenn Arbeitgebende Kaderpersonen mit branchenspezifischer Ausbildung anstellen möchten, beschränkt sich ihre Auswahl auf HochschulabsolventInnen.»

Gruppen- und Teamleitungsstellen

Auch die Auswertung von Inseraten für Gruppen- und Teamleitungsstellen zeigt einen grossen Unterschied zwischen den Arbeitsfeldern. So haben Personen mit einer beruflichen Grundbildung in den Arbeitsfeldern Erziehung/Bildung und Behindertenarbeit gemäss den Inseraten verhältnismässig grössere Chancen auf eine Gruppen- oder Teamleitungsstelle als in der Sozialhilfe oder in der Jugendarbeit. Laut Roger Gafner, Projektkoordinator von Terre des Hommes Schweiz, genügt eine berufliche Grundbildung in den Berufsfeldern der Erziehung/Bildung und der Behindertenarbeit meist, um die Arbeit als Gruppen- beziehungsweise Teamleitung gut ausführen zu können. Häufig gebe es Mitarbeitende, die organisationsintern aufsteigen. Während Roger Gafner betont, dass Führungskompetenzen erarbeitet werden können und sich nicht unbedingt an einer höheren Ausbildung festmachen lassen, findet Véréna Keller diese Sachlage nicht unproblematisch: «Gerade im institutionellen Rahmen mit langjährigen Abhängigkeitsverhältnissen von Menschen in fragilen Lebenslagen ist eine hochstehende Ausbildung unabdingbar, um Routinen und Misshandlung vorzubeugen und die Qualität der Leistungen durch ein dynamisches Arbeitsklima zu gewährleisten.» Laut Monika Weder hängen die Qualifikationsanforderungen neben der Teamzusammensetzung und den finanziellen Rahmenbedingungen zu einem grossen Teil von den Aufgaben der Teamleitung ab. So mache es einen Unterschied, ob es sich lediglich um eine personelle oder auch um eine fachliche Leitungsposition handelt.

Passung zwischen Ausbildung und Berufsalltag

Die Laufbahnstudie von SAVOIRSOCIAL hat gezeigt, dass eine mangelhafte Passung zwischen Ausbildung und Berufsalltag mitunter ein Grund dafür sein kann, dass Personen aus dem Sozialwesen aussteigen (EHB 2018, S. 36-37). Auch dass die Nachfrage nach Personen mit einer beruflichen Grundbildung in den Inseraten gestiegen ist, zeigt, dass die Passung zwischen Ausbildung und Tätigkeit wichtig ist. Véréna Keller sieht darin jedoch auch Gefahren: Es könne vorkommen, dass bei der Ausbildung – insbesondere bei Lehren – eher die Interessen der Organisation im Vordergrund stehen als eine qualitativ hochstehende Ausbildung. Um eine «Passung» zwischen Ausbildung und Berufsalltag zu erreichen, reicht es laut Véréna Keller nicht, nur bei der Ausbildung anzusetzen und sie auf «die Praxis» auszurichten: «Tätigkeiten und Einrichtungen sind unterschiedlich, nicht immer optimal und verändern sich im Kontext neuer Problematiken und Strukturen.» Roger Gafner plädiert dafür, dass Ausbildungen und Tätigkeiten noch stärker ineinanderfliessen und sich besser ergänzen sollen: «Es würde die Position von BerufsanfängerInnen aufwerten, da bereits viel Tätigkeitserfahrung vorhanden wäre und umgekehrt wieder neue Erkenntnisse aus der Ausbildung direkt in die Institutionen fliessen würden. Eine solche, symbiotische Beziehung zwischen Alltagswissen und wissenschaftlichem Wissen käme auch den AdressatInnen zugute, was aus Sicht der Sozialen Arbeit und sozialpolitisch sehr viel Sinn macht.»

Die Qualifikationsanforderungen im Sozialwesen aus Sicht des Berufsverbands AvenirSocial

AvenirSocial setzt sich als Berufsverband der Sozialen Arbeit dafür ein, dass in der Sozialen Arbeit tätige Personen eine gute Ausbildung aufweisen. Wir haben Véréna Keller, die Vizepräsidentin von AvenirSocial, nach ihren Einschätzungen zu den Qualifikationsanforderungen in Stelleninseraten des Sozialwesens gefragt.

Autor*innen

Sarah Madörin

Jeremias Amstutz

Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozen

Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement

Co-Projektleiter der Freiform

Peter Zängl