Gemäss dem «Mobiliar DigitalBarometer» 2024 verfügt rund ein Drittel der Schweizer Bevölkerung über ungenügende digitale Grundkompetenzen. Bildungsanbietende bekunden Mühe, diese Zielgruppe für Bildungsangebote zu erreichen. Fachpersonen der Sozialen Arbeit können durch ihre Beratungsarbeit Zugang schaffen.
Wer nicht über die notwendigen digitalen Kompetenzen verfügt, um den Alltag zu bewältigen, läuft Gefahr, aus diversen Bereichen ausgeschlossen zu werden oder nur mit erhöhtem finanziellen und/oder persönlichen Aufwand partizipieren zu können. Dazu wurden bereits Artikel auf Sozialinfo publiziert: Digitale Kompetenzen sind ungleich verteilt oder Digitale Welt: Ohne Kompetenzen bleibt der Zugang verwehrt.
Seit 2019 wird im «Mobiliar DigitalBarometer»1 jährlich die Stimmung der Schweizer Bevölkerung zu unterschiedlichen Themen, welche mit der Digitalisierung einher gehen, erhoben. In der Ausgabe 2024 liegt der Schwerpunkt auf den Themenfeldern «Digitale Inklusion» und «Künstliche Intelligenz». Diese Studie zeigt deutlich, dass bezüglich digitaler Kompetenzen innerhalb der Bevölkerung der Schweiz grosse Unterschiede bestehen. Bei 31% sind die grundlegenden Kompetenzen für die digitale Alltagsbewältigung nicht ausreichend.
Digitale Grundkompetenzen
umfassen gemäss «Orientierungsrahmen Grundkompetenzen in Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)»2 des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI folgende Handlungskompetenzbereiche:
- Nutzen von digital gesteuerten Geräten
- Benutzen des Internets
- Kommunizieren über IKT
- Gewährleisten der eigenen Sicherheit beim Einsetzen von IKT
- Nutzen von Onlinedienstleistungen
Der Orientierungsrahmen bezieht sich auf die Lösung spezifischer Aufgaben im täglichen Leben und am Arbeitsplatz. Dabei werden die Handlungskompetenzen in verschiedene Niveaus eingeteilt und mit transversalen Kompetenzen ergänzt. Unterschiedlich ausgeprägte Kompetenzen führen zu einer digitalen Ungleichheit, was in der Digital-Divide-Forschung3 als Second Level Digital Divide (digitale Spaltung) bezeichnet wird. Ergänzt wird dieser durch den First Level Digital Divide (unterschiedlicher Zugang zu digitaler Infrastruktur). Die Anschaffung digitaler Geräte kann gerade für armutsbetroffene beziehungsweise -gefährdete Personen eine Herausforderung darstellen.
Geringe Bildung, tiefes Einkommen und hohes Alter haben sich als besondere Risikofaktoren für mangelnde digitale Grundkompetenzen herauskristallisiert, wobei der Bildungshintergrund den wichtigsten Einflussfaktor bildet. Bei Personen mit tiefstem Bildungsstand verfügen sechs von zehn nicht über ausreichende digitale Grundkompetenzen, bei Personen mit Universitäts- und Fachhochschulabschluss trifft dies nur auf eine von zehn Personen zu. Menschen im Aufbau ihrer digitalen Grundkompetenzen unterstützen, muss gemäss «Mobiliar DigitalBarometer» auf zwei Ebenen erfolgen: Es braucht einerseits die Sensibilisierung der Betroffenen und der verschiedenen Akteur*innen wie Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Andererseits geht es um die Befähigung in den für die jeweilige Person notwendigen digitalen Kompetenzen. Damit dies gelingen kann, muss die Förderung dieser Kompetenzen zielgruppenspezifisch und adressat*innengerecht erfolgen. Digitale Grundkompetenzen sind die Basis, um weitere Kompetenzen aufbauen zu können. Fehlen diese, besteht die Gefahr, dass die Lücke aufgrund der fortlaufenden Digitalisierung immer grösser und somit das Exklusionsrisiko immer höher wird.
Wie kann die Zielgruppe erreicht werden?
Bereits heute bestehen diverse Bildungsangebote, die digitale Grundkompetenzen fördern. Doch deren Kursanbietende erreichen ihre Zielgruppe nur schwer – das hat eine Befragung ergeben, die der Schweizerischen Verband für Weiterbildung SVEB durchgeführt hat und sich an ebensolche Kursanbietende richtete.4 Bildung wird zunehmend wichtiger, gleichzeitig ist die Bildungsbeteiligung von armutsbetroffenen bzw. -gefährdeten Personen deutlich geringer ist als diejenige von sozial besser gestellten. Mögliche Gründe dafür wurden in der Studie vom Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) “Förderung der Qualifizierung Erwachsener: armutsgefährdete und –betroffene Personen in ihren Lebenswelten erreichen” untersucht. Diese Studie wurde im Rahmen der Nationalen Plattform gegen Armut in Auftrag gegeben.5 Sie macht deutlich, dass ein komplexes Wechselspiel besteht zwischen
- strukturellen Faktoren (tiefliegende Strukturen sozialer Ungleichheit und Benachteiligung)
- institutionellen Faktoren (faktische Zugänge zu Bildung und Arbeit)
- situationalen Faktoren (relevante Merkmale der Lebenssituation wie familiäre Situation oder Gesundheit)
- dispositionalen Faktoren (biographisch geprägte Erfahrungen und Einstellungen in Bezug auf Bildung)
Zugang schaffen in der Beratungsarbeit
Anbietende von Förderangeboten betonen den hohen Wert von zuweisenden Stellen, um die Zielgruppe zu erreichen.4 Denn Fachpersonen der Sozialen Arbeit sind in ihrem Alltag häufig im Kontakt mit derjenigen Personengruppe, die für digitale Exklusion besonders gefährdet ist. Doch wie soll dieses Thema neben allen anderen in der Beratung «untergebracht» werden? Wie soll eine Fachperson der Sozialen Arbeit die digitalen Kompetenzen ihrer Adressat*innen einschätzen können? Ein Ansatzpunkt bildet die aktuelle Lebenssituation der Klient*innen. Fachpersonen der Sozialen Arbeit können in ihrer Beratungspraxis mit den Adressat*innen anhand realer Alltagssituationen besprechen, in welchen Lebensbereichen und für welche Tätigkeiten ein Förderbedarf an digitalen Kompetenzen besteht.
Beispiele:
- Wohnungssuche: Verfügt die Person über die nötigen Kompetenzen, um ein digitales Suchabonnement einzurichten, online Formulare auszufüllen oder Anhänge per Mail mitzusenden?
- Finanzen: können (und wollen!) die Adressat*innen eBanking nutzen und darüber ihr Konto verwalten? Können Transferleistungen aufgrund digitaler Anforderungen geltend gemacht werden (z.B. Online-Schulung RAV)?
- Integration: können digitale Tickets für den öffentlichen Verkehr gelöst werden? Kann Kontaktpflege über digitale Kommunikationsmittel erfolgen?
Dabei geht es um diejenigen Bereiche, in denen Adressat*innen im Alltag vor realen digitalen Herausforderungen stehen. Anhand dieser Lücken können Fachpersonen der Sozialen Arbeit mit den Adressat*innen nach geeigneten Unterstützungsangeboten suchen. Dort erfahren sie «digitale Erfolgserlebnisse» für ihre Alltagsbewältigung, was sich positiv auf ihre weitere Lernmotivation auswirkt.
Konkrete Unterstützungsangebote
Auch wenn sich ein Förderbedarf abzeichnet, sind nicht alle Adressat*innen bereit oder in der Lage, sich auf ein Förderangebot einzulassen. Die Studie des BSV zählt folgende mögliche Hinderungsgründe auf:
- Nicht-Können: Die Lebenssituation und der soziale Hintergrund erschweren den Zugang zu Bildung (z.B. die gesundheitliche Situation, existenzielle Sorgen, fehlende Kinderbetreuung, negative Erfahrungen in Lernsituationen).
- Nicht-Wissen: Das Wissen zu Bildungswegen und -angeboten fehlt oder ist lückenhaft.
- Nicht-Wollen: Aktuell besteht für die Person kein Anlass, ihre digitalen Kompetenzen zu erweitern, beispielsweise weil die Aufgaben durch das soziale Netzwerk übernommen werden. Dabei handelt es sich um eine Momentaufnahme. Die Motivation kann sich ändern.
- Nicht-Erhalten (Support): Es fehlt an Beratung zu möglichen Förderangeboten wie auch an finanzieller Unterstützung für beispielsweise Kurskosten oder die Anschaffung eines Gerätes.
Diese Typologie kann helfen, gezielt Hinderungsgründe zu eruieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Ist ein Förderbedarf identifiziert und die Bereitschaft da, ein Angebot in Anspruch zu nehmen, stehen je nach Region unterschiedliche Unterstützungsangebote zur Verfügung. Diese reichen von niederschwelligen Treffpunkten bis hin zu spezifischen Kursen. Um eine gezielte Triage vornehmen zu können ist es notwendig, dass sich Fachpersonen der Sozialen Arbeit einen Überblick über Unterstützungsangebote verschaffen. Im Alltag lassen sich die fehlenden Kompetenzen jedoch nicht immer einfach eingrenzen, was die Zuweisung zu einem entsprechenden Angebot erschwert. Sind die fehlenden Kompetenzen unspezifisch oder umfassend, gibt es mehrere Möglichkeiten. Fachpersonen der Sozialen Arbeit können solche Personen z. B. an einen niederschwelligen Treffpunkt verweisen, damit diese dort anhand konkreter Anwendungssituationen eine genauere Einschätzung bekommen. Oder die betroffenen Personen wenden sich an das nationale Beratungstelefon des Schweizer Dachverbandes Lesen und Schreiben (Telefonnummer 0800 47 47 47). Dort erhalten sie eine persönliche, auf die individuellen Bedürfnisse ausgerichtete und kostenlose Beratung zu den regionalen Bildungsangeboten für digitale Grundkompetenzen. Über die Homepage «Einfach besser» finden sie ebenfalls nach Regionen und Themenschwerpunkte gegliederte Kursangebote, teilweise mit Hinweisen, wo Personen weitere Beratung erhalten. Fehlt es an der Infrastruktur, können sie über den Verein «Wir lernen weiter» für armutsbetroffene Personen professionell aufbereitete und preisgünstige Laptops beschaffen.
Fachpersonen der Sozialen Arbeit leisten einen wichtigen Beitrag zur Inklusion und zur autonomen Lebensgestaltung ihrer Adressat*innen, wenn sie diese dabei unterstützen, erwünschte digitale Kompetenzen zu erwerben.
Unterstützend kann dabei die «Handreichung Beratung digitale Kompetenzen» sein, welche im Rahmen meiner Masterthesis entwickelt wurde.
Schweizer Dachverband Lesen und Schreiben. Nationales Beratungstelefon.
(abgerufen am 15.07.2024)
Kampagne «Einfach besser»
(abgerufen am 15.07.2024)
Verein «Wir lernen weiter»
(abgerufen am 15.07.2024)
1 Stiftung Risiko-Dialog (Hg.): Mobiliar DigitalBarometer 2024. Die Stimme der Schweizer Bevölkerung.
(abgerufen am 10.07.2024)
2 Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI (2019). Orientierungsrahmen Grundkompetenzen in Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)
(abgerufen am 17.07.2024)
3 Schelisch, L./ Spellerberg, A. (2021): Digital Divide. Soziale Aspekte der Digitalisierung
(abgerufen am 17.07.2024)
4 Märki, C./ Poopalapillai, S. (2022). SVEB-Branchenmonitor 2021 – Report Grundkompetenzen: Entwicklung der Grundkompetenzangebote. Zürich: SVEB.
5 Mey, E. et al. (2022): Förderung der Qualifizierung Erwachsener: armutsgefährdete und -betroffene Personen in ihren Lebenswelten erreichen. Forschungsbericht Nr. 14/22. Studie im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV). Bern: Bundesamt für Sozialversicherungen.