Guten Tag
Ich habe eine Frage zur folgenden Situation
Ein 12-jähriger Junge ist seit Februar 2020 in einem Heim in der Gemeinde X im Aargau platziert. Es gibt einen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach Art. 310 ZGB; dieses liegt nun bei der ortsansässigen KESB. Mit dem Heimwechsel wurde von der zuständigen KESB verfügt, dass der Junge am Ort des Heims seinen zivilrechtlichen Wohnsitz begründet. Ferner wurde verfügt, dass die Gemeinde X keine Gemeindebeiträge an die Platzierung zu leisten, aber die Elternbeiträge/Nebenkosten zu bevorschussen hat, diese wiederum bei dem Unterstützungswohnsitz Y in Rechnung stellen kann.
Die Eltern sind geschieden. Der Vater lebt in Gemeinde Y, wo er von Arbeislosengeldern und ergänzender Sozialhilfe lebt. Die Mutter lebt in Gemeinde Z. Über ihre Arbeitssituation ist nichts bekannt, jedoch hat sie seit Dezember 2019 die monatlichen Unterhaltsbeiträge in Höhe von CHF 400.-, die sie an den Sozialdienst der Gemeinde Y leistete, nicht mehr bezahlt.
Nun fordert die Gemeinde Y die Gemeinde X mit Bezug auf die Legalzession (Art. 289 Abs. 2) auf, die Unterhaltsbeiträge zu bevorschussen.
Frage:
Ist die Gemeinde X tatsächlich dazu verpflichtet, die Alimente zu bevorschussen? Und wie muss die Gemeinde X vorgehen, um die bevorschussten Gelder zurück zu erhalten?
Besten Dank für eine Antwort.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Sehr geehrte Herr Reinhard
Der zivilrechtliche Wohnsitz Minderjähriger richtet sich nach Art. 25 ZGB. Die KESB klärt nach Art. 315 ZGB ihre Zuständigkeit ab. Sie kann aber den zivilrechtlichen Wohnsitz eines Minderjährigen nicht per Verfügung festlegen, dafür ist sie nicht zuständig.
Wenn ein vollstreckbarer Unterhaltstitel vorliegt (vgl. Handbuch Soziales des Kantons Aargau Kapitel 22.2.3, abrufbar auf https://www.ag.ch/de/dgs/gesellschaft/soziales/handbuch_soziales/inhaltsverzeichnis_2/inhaltsverzeichnis_3.jsp), können Alimente bevorschusst werden, wenn die weiteren Voraussetzungen für die Bevorschussung erfüllt sind (vgl. dazu Kapitel 22.3.). Vorliegend wurde die Mutter zu Unterhaltszahlungen von Fr. 400 pro Monat verpflichtet und ich nehme an, dass es sich dabei um einen vollstreckbaren Unterhaltstitel handelt. Sollte es sich bei den Fr. 400 hingegen um Elternbeiträge handeln, die die Gemeinde Y mit der Mutter freiwillig vereinbart hat, liegt kein vollstreckbarer Unterhaltstitel vor (zu den Elternbeiträge siehe SKOS F.3.3.).
Nach § 33 i.V.m. § 36 SPG ist die Gemeinde am zivilrechtlichen Wohnsitz des Kindes für die Bevorschussung zuständig (vgl. Kapitel 22.1. und 22.3.4.). Diese Gemeinde wird ihre Zuständigkeit, also den zivilrechtlichen Wohnsitz des Kindes, ebenfalls prüfen.
Die Unterhaltsbeiträge sind nach § 29 Abs. 2 SPV von der gesetzlichen Vertretung des unterhaltsberechtigten Kindes geltend zu machen (vgl. Kapitel).
Die Gemeinde Y ist m.E., obwohl sie für einen Teil der Platzierungskosten aufkommt und in diesem Umfang in den Unterhaltsanspruch nach Art. 289 Abs. 2 ZGB subrogiert, nicht legitimiert, die Alimentenbevorschussung zu beantragen. Ich wurde in einer Literatur- und Rechtsprechungsrecherche nicht weiter fündig. Deshalb rate ich der Gemeinde Y, sich beim kantonalen Sozialamt über die Legitimation zu erkundigen.
Wenn ein Gemeinwesen die Bevorschussung leistet, hat sie die Behelfe des SchKG, um die Gelder von der zu Unterhalt verpflichteten Person einzutreiben. Häufig gibt es Verlustscheine, die von der bevorschussenden Stelle verwaltet werden. Regelmässig wird bei dieser Verwaltung die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners überprüft und Verlustscheine können erneut in Betreibung gesetzt werden. Weitere Möglichkeiten sind die die Schuldneranweisung nach Art. 291 ZGB sowie die Strafanzeige wegen Vernachlässigung von Unterhaltspflichten nach Art. 217 StGB.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich
Luzern, 11.8.2020
Karin Anderer