Liebes Arbeitsrecht-Team
Bei einer Neuanmeldung unserer polyvalenten Sozialberatung haben sich folgende Themen ergeben:
1. mit dem Aprillohn (und dann auch mit dem Mailohn) werden meinem Klienten je Fr. 1`523.75 abgezogen.
- laut meinem Klienten hat er aber nicht mehr Ferien bezogen als ihm zustehen (Lohnkürzung 11.5 Tage wegen zu viel bezogenen Ferien und 1.75 Tage infolge Krankheit/Unfall).
- ist eine Kürzung in dieser Höhe rechtens?
Der Klient hat vor meiner Beratung ein Gesuch bei der Schlichtungsstelle eingereicht, gibt es noch eine weitere Möglichkeit, was er machen kann? Zumal er ungedeckte Rechnungen aufgrund der Lohnkürzung hat.
2. hatte mein Klient im 3/22 einen Arbeitsunfall. Nach 2-3 Monaten war er wieder 100% arbeitsfähig. Dann im 12/22 hatte er einen Unfall-Rückfall (nach Einschätzung des Hausarztes). Im 02/23 hatte der Klient eine neurologische Untersuchung. Aufgrund dieser wurde kein Kausalzusammenhang zwischen Unfall und aktuellen Beschwerden hergestellt. Daraufhin hat die SUVA die Versicherungsleistungen eingestellt. Der Fall ging auf KVG weiter - mein Klient bekam Krankentaggeld. Am 13.04 wurde er wiederum für ein medizinisches Gutachten einbestellt. Die Begutachtung sieht keine Arbeitsunfähigkeit (im Widerspruch zum Hausarzt), woraufhin am 04. Mai ein Brief der Krankentaggeldversicherung per Einschreiben an meinen Klienten versendet wurde mit dem Betreff: Einstellung der Taggeldleistungen ab 01.05.2023. Daraufhin hat der Klient am 08. Mai eine Abmahnung des Arbeitgebers erhalten, weil er der Arbeit fernblieb. AUF-Zeugnis des Hausarztes wurde bis ende Mai verlängert.
- wie soll mein Klient auf diesen Abmahnung reagieren?
- Mein Klient hat dem Arbeitgeber die Zeugnisverlängerung des Hausarztes vom 16.05 zugestellt. Daraufhin hat der Arbeitgeber Angaben zum Schadendatum, Unfallzeit etc. für die Versicherungsmeldung verlangt. Wie soll mein Klient darauf reagieren?
- ich fände eine Rechtsberatung bei meinem Klienten sinnvoll, dazu ist er aber aufgrund der Kosten nicht bereit.
Fall 2 hat vieles auch mit anderen Rechtsgebieten zu tun, ich stelle die Frage trotzdem hier, da es eine gewisse Verstrickung mit dem 1. Fall gibt.
Vielen Dank für Ihre Hilfe.
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Guten Tag
Gerne beantworte ich Ihre Fragen.
Zur Ausgangslage: Ihrem Klienten wurde im April und Mai 2023 je nicht der ganze Lohn ausgerichtet. Ihren Schildern zu Folge begründet die Arbeitgeberin ihre Lohnkürzung mit «zuviel bezogenen Ferien». Es entnimmt sich dem Sachverhalt nicht, für welchen Zeitraum die Arbeitgeberin hier die angeblich zu vielbezogenen Ferien zurückfordert.
Die Rechtslage bezüglich Ferien präsentiert sich folgendermassen (aus: ArbR 2006, S. 119, 143)
Der Ferienanspruch des Arbeitnehmers beginnt mit dem ersten Arbeitstag des Dienst- oder Kalenderjahrs und wächst hernach kontinuierlich an. Die Ferien werden im Normalfall bereits im Laufe des Jahres bezogen und es steht der Arbeitgeberin frei, dem Arbeitnehmer mehr Ferien zu gewähren, als ihm zum Zeitpunkt des Ferienbezugs zustehen würden. Folglich kann sich die Situation ergeben, dass ein Arbeitsverhältnis aufgelöst wird und die Arbeitnehmerin dazumal mehr Ferien bezogen hat, als ihr zustehen würden. Ist das Arbeitsverhältnis innerhalb des Dienst- oder Kalenderjahres noch nicht aufgelöst, besteht kein Rückforderungsrecht des Arbeitgebers, ein solches besteht allenfalls dann, wenn ein Arbeitsverhältnis mitten im Dienst- bzw. Kalenderjahr endet und der Arbeitnehmer bereits sämtliche ihm zustehenden Ferien des laufenden Jahres bezogen hat.
Hat der Arbeitgeber die Ferien nach seinen eigenen Bedürfnissen angeordnet, fällt eine Rückforderung ausser Betracht. Wird keine ausdrückliche Abmachung getroffen, verbietet sich immer eine Rückforderung, wenn die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis kündigt. Denn damit verunmöglicht sie dem Arbeitnehmer, die vorbezogenen Ferien noch abzuarbeiten.
Eine Rückforderung zuviel bezahlter Ferien ist möglich, wenn eine Rückzahlungsklausel im Vertrag enthalten ist.
Das Obergericht Luzern hat in einem Urteil vom 29.07.2011 in: LGVE 2011 I Nr. 21, S. 44) festgehalten, nach Art. 329a Abs. 3 OR seien für ein unvollständiges Dienstjahr Ferien entsprechend der Dauer des Arbeitsverhältnisses im betreffenden Dienstjahr zu gewähren. Der Arbeitgeber habe dem Arbeitnehmer auch für die Ferien den gesamten darauf entfallenden Lohn und eine angemessene Entschädigung für Naturallohn zu entrichten (Art. 329d Abs. 1 OR). Ob bei zu viel bezogenen Ferien ein Rückforderungsrecht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer bestehe, sei im Gesetz nicht explizit geregelt. Zum Teil ist ein Rückforderungsrecht zuviel bezogener Ferien in einem GAV verankert, siehe auch hier ein Urteil des Luzerner Obergerichts vom 09.02.2006 in LGVE 2006 I Nr. 20, S. 36: 5.2. Nach Art. 31.7 LGAV kann der Arbeitgeber zu viel bezogene Ferien bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses vom letzten Lohnguthaben abziehen.
Zur Kürzung des Ferienanspruchs bei Krankheit: Eine solche Kürzung ist grundsätzlich zulässig. Die Grundlage dafür findet sich in Art. 329b OR. Nach Art. 329b Abs. 2 OR ist die Kürzung erst zulässig, wenn die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit länger als einen Monat dauert. Ab dieser Zeitdauer darf der Ferienanspruch um einen Zwölftel gekürzt werden.
Was bedeuten diese Ausführungen für Ihren Fall: Ich gehe davon aus, das ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis vorliegt. Nun kommt es darauf an, ob im Betrieb die Ferien nach Dienst- oder Kalenderjahren berechnet werden. Ist zweites der Fall, wären zu vielbezogene Ferien frühestens ende Jahr feststellbar. Oder aber, das Arbeitsverhältnis wird mit Frist vor Ablauf des Kalenderjahres gekündigt und der Arbeitnehmer hat in diesem Zeitpunkt zu viel Ferien bezogen. Ist im Vertrag (oder GAV) eine Rückforderung für solche Fälle vorgesehen, ist es zulässig. Wenn im Betrieb der Ferienanspruch nach Dienstjahres berechnet wird, kommt es darauf an, von wann bei ihrem Klienten ein Dienstjahr gilt.
Ihre zweite Frage betrifft das Beweisrecht. Ihr Klient reicht für den Beweis seiner Arbeitsunfähigkeit ein Zeugnis seines Hausarztes ein. Die Arbeitgeberin ihrerseits stützt sich für den Beweis der Arbeitsfähigkeit auf das versicherungsmedizinische Gutachten. Im Streitfall entscheidet das Gericht, welcher medizinischer Stellungnahme mehr Wahrheitsgehalt zugesprochen wird. Das Gericht kann auch ein Gerichtsgutachten anordnen.
Sie erwähnen, dass die Arbeitgeberin von ihrem Klienten gewisse Angaben verlangt für die Meldung an die Versicherung. Grundlage dafür bildet Art.45 UVG.- Art. 45 Unfallmeldung. Diese Bestimmung hält fest: 1 Der versicherte Arbeitnehmer hat seinem Arbeitgeber oder dem Versicherer den Unfall, der eine ärztliche Behandlung erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat, unverzüglich zu melden. Im Todesfall sind die anspruchsberechtigten Hinterlassenen zur Meldung verpflichtet.
Daraus folgt: Ihr Klient kann dem Unfallversicherer die gewünschten Angaben auch direkt übermitteln. Da jedoch die SUVA ihre Leistungen bereits eingestellt, ist nicht klar, weshalb die SUVA die Informationen braucht. Falls die Krankentaggeldversicherung die Angaben braucht, ist es i.d.R. gestützt auf die Allg. Versicherungsbedingungen der Krankentaggeldversicherung ebenfalls möglich, die erforderlichen Informationen direkt durch den Versicherten an die Versicherung zu übermitteln. Die Arbeitgeberin ist diesfalls zu informieren, das der Arbeitnehmer die Informationen direkt der Versicherung mitteilen wird.
Genügen Ihnen diese Auskünfte? Zögern Sie nicht, bei Fragen erneut an das Forum zu gelangen.
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli