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Zahlung von Inkonvenienzen während Krankheit/Unfall

Veröffentlicht:
07.03.2025
Kanton:
Aargau
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Guten Tag,

gerne möchten wir wissen, wie die Zahlungspflicht von Zulagen während Krankheit/Unfall gesetzlich geregelt ist.

Wir haben bei Krankheit und Unfall eine 100% Lohnfortzahlung von

  • in der Probezeit 3 Wochen
  • im 1. Dienstjahr 60 Tage
  • im 2. Dienstjahr 120 Tage
  • ab dem 3. Dienstjahr 180 Tage

Danach tritt unsere Kranken- / Unfalltaggeldversicherung mit einem Taggeld in der Höhe von 80% des versicherten Lohnes während max. 730 Tagen ab Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in Kraft.

Das Dokument von Curaviva.pdf sagt aus, dass bei Krankheit alle regelmässigen Lohnzulagen in durchschnittlicher Höhe weiterbezahlt werden müssen, damit das OR-Minimum erfüllt ist. Weiter steht allerdings auch, dass wenn für die Mitarbeitenden eine günstigere Regelung besteht, insbesondere durch eine betriebliche Krankentaggeldversicherung, keine gesetzliche Pflicht zur Auszahlung der Zulagen besteht.

Dazu hätten wir nun zwei Fragen:

  • Müssen wir die Zulagen bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit in unserem Fall bezahlen? (besser als OR)
  • Können wir vertraglich vereinbaren, dass die Zulagen bei Kurzabsenzen bis zu zwei Wochen - infolge Krankheit oder Unfall - nicht bezahlt werden oder müssen wir die Zulagen zwingend ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit anteilmässig bzw. gemäss Planung auszahlen?

Besten Dank im Voraus für eine Rückmeldung.

Freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Andreas Petrik

Expert*in Arbeitsrecht

Guten Tag

Für die Frage der Lohnfortzahlung ist die Unterscheidung zwischen unfallbedingter krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit insofern relevant, als für den unfallbedingten Lohnausfall ab einem Pensum von 8 Stunden pro Woche eine obligatorische Versicherung besteht. Gemäss Art. 324b Abs. 3 OR muss während der Wartefrist, die in der Unfallversicherung 2 Tage beträgt, vier Fünftel der Lohnes bezahlt werden, wobei sich die Berechnung des Lohnes nach Art. 324a Abs. 1 OR richtet (siehe dazu die nachstehenden Ausführungen).

Die Höhe der Lohnfortzahlung gemäss Art. 324a Abs. 1 OR richtet sich nach dem Lohnausfallprinzip. Die Arbeitnehmerin / der Arbeitnehmer ist so zu stellen, wie wenn die Arbeitsleistungen erbracht worden wäre. Wenn die Einsätze bereits geplant waren, richtet sich die Höhe der Lohnzahlung nach dieser Planung (inkl. Zulagen). Ohne konkret geplante Einsätze, wird auf einen Durchschnittswert abgestellt, wobei dieser auf Grundlage einer aussagekräftigen Periode zu bestimmen ist. Die Dauer der Lohnfortzahlung variiert nach Dienstjahr und Region. Massgebend sind die sogenannten Skalen, die abhängig vom Dienstjahr – mit leichten Unterschieden – eine Dauer von drei Wochen bis sechs Monaten vorsehen (siehe https://www.gerichte-zh.ch/themen/arbeit/waehrend-arbeitsverhaeltnis/arbeitsverhinderung/krankheit-und-unfall.html).

Schriftich kann eine von der gesetzlichen Lohnfortzahlung gemäss Art. 324a Abs. 1 OR abweichende Regelung vereinbart werden. Voraussetzung ist, dass die vom Gesetz abweichende Lösung im Vergleich mit der gesetzlichen Lohnfortzahlung mindestens gleichwertig ist. Einzelne Aspekte der Gleichwertigkeit werden in der Lehre kontrovers diskutiert und die Rechtsprechung ist nicht durchgehend einheitlich. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass bei folgenden Parametern die Gleichwertigkeit gegeben ist: Karenzfrist von maximal drei Tagen (während dieser Frist besteht kein Anspruch auf Lohnfortzahlung), Leistungsdauer gemäss Police von 720 Tagen, Leistungshöhe 70 - 80 % des Lohnes, Arbeitgeberin zahlt min. 50% der Prämie. Die Policen der Versicherer sehen in der Regel diese Bedingungen vor.

Die Grundlage für die Beurteilung der Gleichwertigkeit in Bezug auf die Leistungshöhe bildet der nach Art. 324a Abs. 1 OR geschuldete Lohn. Die versicherte Lohnsumme ist in der Police und in den allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelt. Soweit vertraglich auf den AHV-pflichtigen Lohn abgestellt wird, sind darin auch die Zulagen enthalten. Falls dies nicht der Fall sein sollte, und die Zulagen einen gewissen Anteil am Lohn ausmachen, könnte die Gleichwertigkeit in Frage stehen und die Arbeitgeberin wäre bei nicht gegebener Gleichwertigkeit verpflichtet, die Leistungen gemäss Art. 324a OR zu erbringen.

Die Krankentaggeldversicherung erbringt Taggeldleistungen nach Ablauf der vereinbarten Wartezeit, verbreitet sind Wartezeiten von 30, 60 oder 90 Tagen. Liegt keine Vereinbarung vor, ist während der Wartezeit der Lohn gemäss Art. 324a Abs. 1 geschuldet. Eine Reduktion der Höhe der Lohnfortzahlung während der Wartezeit kann vereinbart werden, wobei die Anforderungen an die Gleichwertigkeit zu beachten sind. Eine Reduktion der Lohnfortzahlung während der Wartezeit auf 80% ist damit ohne Weiteres zulässig. Ob der Brutto- oder Nettolohn 80% betragen muss, ist nicht abschliessend geklärt.

Gemäss Ihren Angaben besteht eine Vereinbarung, wonach während der Wartezeit Anspruch auf 100% des Lohnes besteht. Es stellt sich die Frage, wie diese Regelung zu verstehen ist. Relevant ist, wie der Arbeitnehmer die Vereinbarung nach Treu und Glauben verstehen durfte. Es ist davon auszugehen, dass er davon ausgehen darf, dass es sich dabei um den Lohn im Sinne von Art. 324a Abs. 1 OR handelt und damit Anspruch auf den Lohn zzgl. Zulagen besteht.

Gemäss den obigen Ausführungen darf der Lohn während der Wartezeit vertraglich so weit reduziert werden, dass die Gleichwertigkeit noch gegeben ist. Bei einer Reduktion der Lohnfortzahlung während zwei Wochen auf den Betrag ohne Zulagen, ist die Gleichwertigkeit gegeben und eine solche Regelung wäre zulässig.

Da im Falle einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit ab dem dritten Tag Anspruch auf das Unfalltaggeld besteht und es sich dabei um gesetzliche Leistungen handelt, können diese Leistungen im Arbeitsvertrag nicht herabgesetzt werden. Das Taggeld beträgt 80% des letzten vor dem Unfall bezogenen Lohnes. Eine vertragliche Regelung, wonach während einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit der volle Lohn jedoch ohne Zulagen bezahlt wird, wird in der Regel zu einer Zahlung führen, die höher ist als 80% des Lohnes inkl. Zulagen. Der Arbeitgeber erbringt folglich über das Taggeld der Unfallversicherung hinaus eine zusätzliche Leistung. Das Ausrichten von höheren Leistungen als gesetzlich vorgesehen ist rechtlich unproblematisch.

Freundliche Grüsse

Andreas Petrik