Geschätzte Damen und Herren
Wir betreuen zwei Kinder, welche in Einsiedlen fremdplatziert sind. Die Mutter war lange Zeit unbekannten Aufenthalts und erst vor wenigen Mnaten wieder aufgetauch, sie war in einer Gemeinde im Kanton GL angemeldet. Kurze Zeit nach Bekanntwerden des neuen Wohnsitzes der Mutter verstarb diese. Die beiden (unterschiedlichen) Kindsväter sind nicht inhaber der elterlichen Sorge. Nach dem Tod der Mutter hat die KESB vorsorglich Vormundschaften nach Art. 327a ZGB errichtet und es wird nun geklärt, ob die Väter die elterliche Sorge übernehmen können. Gemäss Art. 25 Abs. 2 ZGB bedindet sich der Wohnsitz bevormundeter Kinder am Sitz der KESB. Derzeit sind die Kinder in Einsiedeln zivilrechtlich angemeldet, da die Muter vor rund 10 Jahre in Einsiedlen wohnhaft und anschliessend jahrelang unbekannten Aufenthalts war.
Seit der Einführung des KESR sind die KESB regional organisiert.
Fragen:
1. Hat die Regelung des Wohnsitztes nach Art. 25 Abs. 2 ZGB auch nach Einführung des KESR nach wie vor Gültigkeit und befindet sich der Wohnsitz der Kinder nun am Sitz der KESB, sprich, muss der Wohnsitz von Einsiedeln nach Pfäffikon verlegt werden?
2. Muss der Wohnsitz auch bei einer vorsorglichen Errichtung der Vormundschaft allenfalls schon gewechselt werden oder erst nach den Sorgerechts-Abklärung und einer allenfalls deinitiven Errichtung einer Vormundschaft?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung und freundliche Grüsse
Reto Hensler
Frage beantwortet am
Urs Vogel
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Erwägungen
Die minderjährigen Kinder sind fremdplatziert und halten sich gemäss Sachverhalt in Einsiedeln auf. Bis zum Versterben der alleinsorgeberechtigten Mutter hatten die minderjährigen Kinder, unabhängig ihres Aufenthaltsorte, ihren zivilrechtlichen Wohnsitz abgeleitet von demjenigen der Mutter. Mit dem Tod der Mutter als alleinige Sorgerechtsinhaberin fällt der abgeleitete Wohnsitz des minderjährigen Kindes gemäss Art. 25 Abs. 1 ZGB (erster Satzteil) dahin. In der Lehre ist umstritten, ob sich gemäss Art. 24 Abs. 1 ZGB dieser abgeleitete Wohnsitz perpetuiert (so Steinauer/Fountoulakis, Droit des personnes physique et de la protection de l’adulte, Berne 2014 Rz 367c; BK-Hausheer/Geiser/Reusser, Art. 162 N 34/23; Hausheer/Aebi-Müller, Das Personenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuch, Bern 2016, Rz 09.46) oder ob gemäss Art. 25 Abs. 1 ZGB (letzter Satzteil) das minderjährige Kind am Aufenthaltsort seinen zivilrechtlichen Wohnsitz (so BSK ZGB I-Staehelin, Art. 25 N 9 lit.c; Hegnauer/Meier, Droit suisse de la filiation et de la famille, Berne 1998, Rz 17.23; Meier/Stettler, Droit de la filiation, Genève 2019, Rz 1096; Andreas Bucher, Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz, Basel 2009 Rz 362/363; CR CC I-Eigenmann, Art. 25 N 10; Urs Vogel, Der Wohnsitz des minderjährigen Kindes im Zivil- und Sozialhilferecht, in: Fankhauser/Reusser/Schwander (Hrsg.), FS Geiser, Zürich 2017, S. 580) und damit die Zuständigkeit der KESB begründet. Zum Lehrstreit siehe auch Meier/de Luze, Droit des personnes, Genève 2014 Rz 416 Fn 821, die beide Varianten als anwendbar erachten, differenziert auch BK-Affolter-Fringeli/Vogel, Art. 315-315b N 66, die eine Perpetuierung nur dann zulassen wollen, wenn nicht aufgrund eines bereits bestehenden langdauernden Aufenthaltes der zivilrechtliche Wohnsitz bei Wegfall des abgeleiteten Wohnsitzes am Aufenthaltsort entstanden ist.
Die KESB (ich gehe davon aus, dass es die KESB im Kanton SZ und nicht im Kanton GL war) hat ein Verfahren eröffnet, sei es nun gestützt auf Art. 315 Abs. 1 ZGB als Behörde am zivilrechtlicher Wohnsitz oder auf Art. 315 Abs. 2 ZGB als Behörde am Aufenthaltsort. Im Rahmen dieses Verfahrens hat die KESB vorsorglich eine Vormundschaft für die beiden Kinder errichtet. Mit dieser Errichtung wechselt der zivilrechtliche Wohnsitz nun an den Sitz der KESB gemäss Art. 25 Abs. 2 ZGB, unabhängig davon, ob es sich um einen vorsorglichen oder definitiven Entscheid handelt. Etwas anderes lässt sich aus der Bestimmung von Art. 25 Abs. 2 ZGB nicht ableiten. Die KESB bleibt somit für die Weiterführung des Verfahrens (Abklärung ob Übertragung der el. Sorge auf je die Väter oder definitive Bestätigung der Vormundschaft) zuständig. Dies macht im Übrigen auch aus Praktikabilitätsgründen Sinn, da die KESB mit der gesamten Situation der Kinder, die in ihrem zuständigkeitskreis fremdplatziert sind, vertraut ist.
Kommt die KESB im Verlauf der Abklärungen zum Schluss, dass die elterliche Sorge dem überlebenden Elternteil übertragen werden kann (Art. 297 Abs. 2 ZGB), allenfalls, je nach Situation, unter Beibehaltung des Entzuges des Aufenthaltsbestimmungsrechts zur Sicherung der Pflegeplatzierung (Art. 310 Abs. 3 ZGB), so wechselt der zivilrechtliche Wohnsitz des jeweiligen Kindes, ungeachtet seines Aufenthaltes an den zivilrechtlichen Wohnsitz des jeweiligen alleinigen Sorgerechtsinhabers (BK-Affolter-Fringeli/Vogel, Art. 315-315b N 45).
Kommt die KESB hingegen zum Schluss, dass die Vormundschaft beizubehalten ist und sie definitiv bestätigt, so leitet sich der zivilrechtliche Wohnsitz weiterhin vom Sitz der KESB ab (Art. 25 Abs. 2 ZGB).
Gemäss Art. 17a lit. a EG ZGB SZ leitet sich der Sitz der KESB von derjenigen Gemeinde ab, in welcher das betroffene Kind vor der Errichtung der Vormundschaft seinen zivilrechtlichen Wohnsitz hatte. Ist nun mit der Mehrheit der Lehre und nach der hier vertretenen Meinung davon auszugehen, dass der zivilrechtliche Wohnsitz sich mit dem Tod der Mutter als alleinige Sorgerechtsinhaberin gestützt auf Art. 25 Abs. 1 (letzter Satzteil) am Aufenthaltsort begründet, so ist dies die Gemeinde Einsiedeln. Würde man davon ausgehen, dass sich der zivilrechtlich Wohnsitz bis zur Errichtung der Vormundschaft nach Art. 24 Abs. 1 ZGB perpetuiert, so wäre der letzte zivilrechtliche Wohnsitz in der Gemeinde im Kanton Glarus. Da nun aber die Regelung von Art. 17a lit. a EG ZGB SZ sich nicht auf einen anderen Kanton anwenden lässt, entsteht innerhalb des Kantons SZ ein Interpretationsproblem von § 17a EG ZGB SZ, da diese Fallkonstellation nicht geregelt ist. Ob nun der tatsächlich organisatorische Sitz der KESB zum Wohnsitz des Kindes wird oder ob aufgrund der gesetzgeberischen Bestrebung, keine Belastung des organisatorischen Standortes der KESB durch die Errichtung einer Vormundschaft zu schaffen (BSK ZGB I-Vogel, Art. 442 N 4), der schlichte Aufenthalt des Kindes massgebend ist, kann nicht abschliessend beantwortet werden. Nach meiner Beurteilung jedoch wäre es nach dem Sinn der Gesetzgebung der Aufenthaltsort und nicht der organisatorische Sitz, somit wieder identisch mit der Gemeinde Einsiedeln und nicht die Gemeinde Pfäffikon, in welcher sich der organisatorische Sitz befindet.
Beantwortung der Frage:
1. Die Regelung von Art. 25 Abs. 2 ZGB, wonach der zivilrechtliche Wohnsitz von bevormundeten Kindern sich am Sitz der Kindesschutzbehörde befindet, hat auch unter revidiertem Recht Gültigkeit. Mit der Mehrheit der in der Lehre vertretenen Meinung befindet sich der zivilrechtliche Wohnsitz der Kinder nach dem Tod der alleinsorgeberechtigten Mutter am Aufenthaltsort in Einsiedeln und wird gemäss der innerkantonalen Regelung im Kanton Schwyz bei Errichtung einer Vormundschaft auch zum Sitz der Kindesschutzbehörde. Der zivilrechtliche Wohnsitz befindet sich somit für diese minderjährigen Kinder unter Vormundschaft in Einsiedeln.
2. Mit der Errichtung einer Vormundschaft, unabhängig davon, ob es sich um einen vorsorglichen oder definitiven Entscheid handelt, wechselt der zivilrechtliche Wohnsitz an den Sitz der KESB gemäss Art. 25 Abs. 2 ZGB. Etwas anderes lässt sich aus der Bestimmung von Art. 25 Abs. 2 ZGB nicht ableiten.
Kulmerau, 11. Mai 2020/Urs Vogel