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Welche Möglichkeiten hat eine Beiständin, wenn sie im Rahmen eines Rechtstreits (Prozessvollmacht und Substitutionsbefugnis von der KESB erteilt) einen Anwalt mandatieren muss und der Vater sich weigert, in Bezug auf die dafür entstehenden Kosten mitzuwir

Veröffentlicht:
26.06.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Die Beiständin zweier Kinder (Jahrgänge 2013 und 2015) wurde von der KESB in Ergänzung zu ihren bisherigen Aufgaben beauftragt, die Finanzierung der gesamten mit einer Platzierung der Kinder verbundenen Kosten, insbesondere Platzierungskosten, Platzierungsnebenkosten und auch vor allem der Kosten für die begleiteten Besuche, sicherzustellen. Der Beiständin wurde dafür Prozessvollmacht sowie Substitutionsbefugnis erteilt.
Sie möchte nun einen Anwalt auffordern, sie bezüglich der Sicherstellung der Fianzierung zu unterstützen.

Die Platzierung sowie die Begleitung der Besuche wurden von der KESB beschlossen. Das zuständige Gemeinwesen wurde zur subsidiären Kostenübernahme verpflichtet. Im Zusammenhang mit den Platzierungskosten besteht aktuell ein Zuständigkeitskonflikt zwischen zwei Gemeinden.

Der Vater der beiden Kinder focht den Entscheid der KESB bezüglich der Aufgabenerweiterung (Platzierungskosten, Prozessvollmacht, ....) nicht an.
Er weigert sich nun jedoch, Kosten für einen Anwalt zu bezahlen oder andere Aufgaben (beispielsweise das Einreichen eines URP-Gesuchs) zu erledigen.

Die Beiständin fragte bei der KESB nach, welche Möglichkeiten sie zu Erfüllung ihrer oben genannten Aufgaben habe, wenn der Vater Auskünfte und die Mitarbeit verweigere?

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi Frau Gmünder

In welchen Kanton ist die KESB? Und sind die zwei Gemeinden, die den Zuständigkeitskonflikt führen, im selben Kanton?

Freundliche Grüsse

Karin Anderer

Sehr geehrte Frau Anderer

Vielen Dank für die super-schnelle Bearbeitung meiner Anfrage.
Die KESB befindet sich im Kanton St. Gallen.
Die beiden Gemeinden befinden sich in den Kantonen St. Gallen und Thurgau.

Freundliche Grüsse
B. Gmünder

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Gmünder

Die KESB hat, gemäss den hier vorliegenden Informationen, die Platzierung und die Begleitung des Besuchsrechts angeordnet. Der Entscheid der KESB ist für das unterstützungspflichtige Gemeinwesen bindend (vgl. Der Einbezug von Sozialhilfebehörden in die Entscheidfindung der Kindesschutzorgane, Empfehlungen der KOKES vom 24. April 2014 abrufbar auf https://www.kokes.ch/assets/pdf/de/dokumentationen/empfehlungen/14_Empfehlungen_Einbezug_SH-Beh__rden_mit_Hinweis_BGer.pdf und Bundesgerichtsentscheid 8C_25/2018 vom 19. Juni 2018).

Vorliegend steht nicht die Finanzierung der Kindesschutzmassnahme im Streit, das kann auch wegen der Bindungswirkung des KESB-Entscheids nicht der Fall sein, umstritten ist hingegen die Frage, welches Gemeinwesen zuständig ist.

Grundsätzlich ist es nicht die Aufgabe der Beiständin, die Finanzierung von behördlich angeordneten Kindesschutzmassnahmen sicherzustellen. Auch muss sie nicht auf die Suche gehen, welches Gemeinwesen zuständig ist (Kurt Affolter, Rollen und Verantwortlichkeiten bei behördlicher Fremdunterbringung eines Kindes - Zur Aufgabenabgrenzung zwischen KESB, Pflegeplatzverantwortlichen, Erziehungsbeistand und kostenpflichtigem Gemeinwesen, in: Roland Fankhauser/Ruth E. Reusser/Ivo Schwander, Brennpunkt Familienrecht, Festschrift für Thomas Geiser zum 65. Geburtstag, Dike Verlag 2017, S. 23 ff., abrufbar auf http://www.affolter-lexproject.ch/Downloads/Affolter_Separatum_Rollen+Verantwortlichkeiten%20Fremdplatzierung.pdf). So hat auch das Kantonsgericht Luzern in LGVE 2014 II Nr. 3 vom 28.04.2014 entschieden, dass für die Zuständigkeitsklärung die KESB bzw. deren Rechtsdienst und nicht ein Beistand zuständig ist.

Nach Art. 23a des Einführungsgesetzes zur Bundesgesetzgebung über das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht (EG-KES) des Kantons St. Gallen vom 24.04.2012 (sGS 912.5) besteht eine Zusammenarbeit zwischen der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde und den finanzierenden Stellen. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde erteilt den zuständigen Stellen die für die Finanzierung und Zuständigkeitsklärung erforderlichen Auskünfte. Zudem gibt sie, wenn die Massnahme zu erheblichen Kosten führt, der politischen Gemeinde Gelegenheit zur Stellungnahme. Es ist somit Aufgabe der KESB, die Zuständigkeit mit den beteiligten Gemeinwesen zu klären.

Die KESB hat gemäss den Angaben ein zuständiges Gemeinwesen eruiert und zur subsidiären Kostenübernahme „verpflichtet“. Ob die KESB eine Rechtsgrundlage hat, eine Sozialhilfebehörde zur Kostenübernahme zu verpflichten, in dem Sinne, dass die Sozialhilfebehörde vorleistungspflichtig würde, konnte ich im St. Galler Recht nicht finden (vgl. dazu bspw. § 57 EG ZGB Luzern, wo geregelt wird, wer die Kosten für Massnahmen des Kindes- und Erwachsenenschutzes zu tragen hat. Die KESB kann das vorleistungspflichtige Gemeinwesen nach § 16 Abs. 4 SHG Luzern bezeichnen. Das vorleistungspflichtige Gemeinwesen hat für die Kosten vorläufig aufzukommen und muss die Zuständigkeit klären. Vorleistungen sind vom tatsächlich zuständigen Gemeinwesen zurückzuerstatten).

Massnahmen zum Schutz von Kindern sind rasch umzusetzen und dürften nicht durch Zuständigkeitskonflikte verzögert werden (BGer 8C_25/2018 vom 19. Juni 2018, E. 4.5. und BGE 135 V 134). Deshalb hat die KESB das Interesse nach finanzieller Sicherstellung zu wahren und darauf hinzuwirken, dass die Umsetzung der KESB-Massnahme durch eine vorläufige Übernahme der anfallenden Kosten sichergestellt wird. Das Vorgehen für solche Situationen kann dem Merkblatt der SKOS „Negative Kompetenzkonflikte im interkantonalen Bereich: Wer ist zuständig für die Unterstützung?“ entnommen werden (abrufbar auf https://skos.ch/fileadmin/user_upload/skos_main/public/pdf/Recht_und_Beratung/Merkblaetter/2012_Empfehlungen_Kompetenzkonflikte-d.pdf). Können sich die hier beteiligten zwei Gemeinden nicht über die Zuständigkeit einigen, so muss eine Einigung über die vorsorgliche Unterstützung getroffen werden (Merkblatt Ziffer 3.2.). Die Sozialhilfebehörde, welche unpräjudiziell und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht vorläufig unterstützt, kann anschliessend die Klärung der Zuständigkeit im sozialhilferechtlichen Kompetenzkonfliktverfahren angehen.

Diesen Prozess hätte die KESB in Gang setzen müssen, ggf. unter Mithilfe der beiden kantonalen Sozialämter.

Nun hat die Beiständin die Aufgabe übertragen bekommen. Ihr wurde eine Prozessvollmacht sowie die Substitutionsbefugnis erteilt. Für die Mandatierung einer Anwaltsperson ist sie somit befugt, es benötigt keine Mitwirkung des Vaters. Zu den Unterhaltskosten gehören auch die in einem Verfahren des Kindes anfallenden Prozesskosten sowie die Kosten der Rechtsvertretung (BGE 119 Ia 134, 135 E.4). Verweigert der Vater seinen Unterhalt, so kann das den Kindern nicht zum Nachteil gereichen. Die Kinder haben einen Anspruch auf die unentgeltliche Rechtspflege. Der Staat, also das Gericht, kann gestützt auf Art. 289 Abs. 2 i.V.m. Art. 276 die Eltern nachträglich ins Auge fassen und die Auslagen der unentgeltlichen Rechtspflege von diesen zurückfordern (so für den Zivilprozess, was m.E. auch im Verwaltungsverfahren gelten muss: Wuffli/Fuhrer, Handbuch unentgeltliche Rechtspflege im Zivilprozess, Zürich/St. Gallen, 161 ff.).

Die Anwaltsperson wird einzig den Prozess bezüglich der Finanzierungszuständigkeit führen zu haben. Ist der Zuständigkeitskonflikt geklärt, so muss das zuständige Gemeinwesen die Massnahmen finanzieren. Wird der Unterhalt eines Kindes ganz oder teilweise aus öffentlichen Mitteln bestritten, so geht der Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber seinen Eltern in diesem Umfang mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über (Art. 289 Abs. 2 ZGB). Für die Dauer der Kindesschutzmassnahme hat das unterstützende Gemeinwesen bei den Eltern die Beiträge einzufordern oder einzuklagen (vgl. dazu SKOS F. 3.3.).

Ich würde vorliegend empfehlen, wenn immer möglich, dass sich die KESB mit dem ihrer Ansicht nach zuständigen Gemeinwesen nochmals über die Bedeutung und Notwendigkeit der vorläufigen Unterstützung auseinandersetzt. Im Zentrum soll die rasche Umsetzung der Kindesschutzmassnahme und nicht der Zuständigkeitskonflikt stehen. Die Abläufe sind, wie bereits erwähnt, geregelt. Es bedarf eigentlich keiner Vertretung durch die Beiständin und auch keiner Anwaltsperson.

Hinweis: Die Unterhaltspflicht der Mutter wäre auch ein Thema.

Vgl. betreffend Zuständigkeit das Merkblatt der SKOS: Welcher Kanton ist für die Ausrichtung von Sozialhilfe zuständig? Örtliche Zuständigkeit in der Sozialhilfe, Bern 2019 abrufbar auf https://skos.ch/fileadmin/user_upload/skos_main/public/pdf/Recht_und_Beratung/Merkblaetter/SKOS-Merkblatt-OErtliche-Zustaendigkeit_01.pdf

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und grüsse Sie freundlich.

Luzern, 29.6.2020

Karin Anderer