Guten Tag Herr Pärli
Ich erlaube mir, Ihnen folgenden Sachverhalt und folgende Fragen zukommen zu lassen:
Der Klient ist seit Ende 2012 in der Funktion als Geschäftsführer (GF) einer Beteiligungsgesellschaft, vorgesetzte Stelle ist der Verwaltungsratspräsident (VRP) der AG. Während der Gesamtdauer der Anstellung hat kein Mitarbeitendengespräch (MAG) stattgefunden, ebenso gab es niemals eine Ermahnung, Verwarnung, Verweis o.ä. disziplinarische Massnahmen.
Als GF war der Klient wirtschaftlich erfolgreich (jährlich wiederkehrend in einem hart umkämpften Markt Gewinn geschrieben).
Es erfolgte eine zunehmende Einflussnahme der Besitzerin / Mehrheitsaktionärin, insbesondere durch Abwanderung diverser Funktionen zur Besitzergesellschaft. Mehrere Geschäftsleitungsmitglieder wurden bei Weggang nicht mehr ersetzt. Weitgehend übernahm die wegfallenden Funktionen und damit verbundenen Arbeiten soweit machbar der GF. Der Klient hat sich gemäss eigenen Angaben jahrelang überdurchschnittlich für die Firma engagiert.
Am 10.9.19 fand ein normales bilaterales Gespräch (Bila) mit dem VRP statt, in dessen Verlauf der Klient informiert wurde, dass am 12. September 2019 eine ausserordentliche VR Sitzung stattfinde. Es gehe darin um seine Entlassung.
Für den GF kam diese „vorangekündigte Kündigung“ sehr überraschend. Entsprechend bereitete er sich auf die Sitzung vom 12. September 2019 sehr gut vor.
Der GF / Klient erlebte die Sitzung so, dass die Meinungen gemacht waren, er intern keinen Rückhalt mehr hatte und entsprechend auch nicht gehört wurde. Er wurde jedoch informiert, dass man an einem nächsten Termin am 30.9.2019 eine gemeinsame gute Lösung ohne Verlierer suchen wolle.
Ab dem 13.9.2019 hatte der Klient Ferien bis 29.9. Das Gespräch am 30.9.2019 fand wegen Krankheit ohne den VRP statt. Durch ein Mitglied des VR und eine HR-Vertretung der Besitzergesellschaft wurde ihm die Kündigung eröffnet. Unterschrieben ist die Kündigung lediglich durch ein Mitglied des VR.
Nach der Kündigung (mit sofortiger Freistellung) hat der Klient sofort Kontakt zu einem befreundeten Anwalt aufgenommen und sich an die Mitarbeitendenberatung seiner Arbeitgeberin gewandt. In der Zwischenzeit ist er in ärztlicher Behandlung und krank geschrieben.
Betreffend der folgenden Fragestellungen interessiert uns Ihre Einschätzung:
Gültigkeit und allfällige Missbräuchlichkeit der Kündigung?
Grundsätzlich, welche Möglichkeiten und Erfolgsaussichten sehen Sie, wenn der Klient rechtliche Schritte gegen den Arbeitgeber einleitet?
Ich bedanke mich bestens und freue mich auf Ihre Einschätzung und Rückmeldung.
Mit besten Grüssen
Carole Lauper
Beraterin / MSc BFH in Sozialer Arbeit
Movis AG Bern
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Lauper
Gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt:
In der Schweiz "herrscht" im Arbeitsrecht Kündigungsfreiheit, d.h., die Arbeitgeberin kann auch ohne sachlichen Grund künden.
Nach Art. 335 Abs. 2 OR kann ein Arbeitnehmer verlangen, dass die Arbeitgeberin die Kündigung schriftlich begründet.
Bestimmte Kündigungsgründe sind verpönt und haben die Misssbräuchlichkeit einer Kündigung und eine Entschädigungspflicht zur Folge (Art. 336, 336a, 336b OR). Auch eine missbräuchliche Kündigung ist indes eine gültige Kündigung.
Weiter ist auf die Sperrfristenregelung nach Art. 336c OR hinzuweisen. Eine Kündigung während eines Sperrfristenzeitfensters ist nichtig und muss nach Ablauf der Sperrfrist wiederholt werden. Tritt der Sperrfristengrund "krankheits- oder unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit" nach dem Kündigungszeitpunkt aber vor dem Ablauf der Kündigungsfrist auf, so verlängert sich der Ablauf der Kündigungsfrist (Art. 336c Abs. 2 und 3 OR).
Vorerst ist zu prüfen, inwieweit bei Ihrem Klienten die Sperrfristenregelung greift. Im Zeitpunkt der Kündigung war ihr Klient nicht krank geschrieben, dh., die Kündigung ist gültig. Die Kündigung erfolgte am 30.9. mit einer Kündigungsfrist, Sie erwähnen nicht, wie lange diese dauert, ich gehe aber davon aus, dass im Arbeitsvertrag eine Kündigungsfrist drei Monaten (oder sogar länger) vorgesehen ist. Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit fällt also in die Kündigungsfrist, was zur Folge hat, dass sich der Ablauf der Kündigungsfrist um längstens 180 Tage verlängert (sofern Ihr Klient auch die ganze Zeit arbeitsunfähig ist). An dieser Stelle ist sehr wichtig festzustellen, ob es sich nur um eine arbeitsplatzbezogene oder um eine generelle Arbeitsunfähigkeit handelt. Ist ersteres der Fall, so verlängert sich die Kündigungsfrist gemäss einem Teil der Arbeitsrechtslehre und einem Teil der Gerichtspraxis nicht. Eine allgemeine Arbeitsunfähigkeit führt aber zur erwähnten Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit. Entscheidend für das eine oder andere ist die ärztliche Beurteilung.
Wie weit das Verhalten der Arbeitgeberin im vorliegenden Fall die Kündigung als missbräuchlich erscheinen lässt, ist schwierig zu beurteilen. Prima vista liegt keiner der in Art. 336 Abs. 2 lit. a – e OR aufgeführten Missbrauchsgründe vor. Die Gerichtspraxis anerkennt auch weitere Kündigungsgründe als missbräuchlich, namentlich die Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Arbeitgeberin vor einer Kündigung oder persönlichkeitsverletzende Handlungen oder Unterlassungen der Arbeitgeberin vor und/oder im Zusammenhang mit der Kündigung. Die skizzierten Umstände der Kündigung lassen keine verbindliche Schlussfolgerung zu, ob die Kündigung missbräuchlich ist.
Wichtig ist, dass Ihr Klient umgehend eine schriftliche Begründung der Kündigung verlangt. Wichtig ist weiter, dass Ihr Klient bis vor kurzer Zeit immer gute Resultate geliefert hat und ich gehe davon aus, dass ihm dies auch in Mitarbeitergesprächen o.ä. bescheinigt wurde. Auch ist zu empfehlen, dass Ihr Klient noch während der Kündigungsfrist gegen die Kündigung schriftlich Einsprache bei der Arbeitgeberin einreicht. Die rechtzeitige schriftliche Einsprache ist Voraussetzung, damit nach Ende des Arbeitsverhältnisses innert einer Frist von 180 Tagen eine Klage wegen Missbräuchlichkeit der Kündigung eingereicht werden kann. Die Einsprache bei der Arbeitgeberin kann indes auch dafür genutzt werden, mit der Arbeitgeberin eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden. Zu beachten sind hierzu insbesondere auch sozialversicherungsrechtliche Fragen wie soweit reglementarisch möglich Verbleib in der Kollektivkrankentaggeldversicherung (sofern eine vorliegt), Regelungen hinsichtlich Pensionskasse, Formulierungen im Arbeitszeugnis, Abgangsentschädigungen, allenfalls Outplacement-Unterstützung usw. Die Verhandlungsposition des Arbeitnehmers wird gestärkt, wenn die Arbeitgeberin weiss, dass u.U. eine Klage wegen Missbräuchlichkeit der Kündigung eingereicht werden könnte.
Genügen Ihnen diese Auskünfte?
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli
Guten Tag Herr Pärli
ich bedanke mich bereits bestens für die ausführliche Beantwortung meiner Anfrage - sehr hilfreich.
Der Klient hat noch Folgendes angemerkt betr. der Thematik Fürsorgepflicht: Stellt sich allenfalls in der Situation die Frage der erhöhten Fürsorgepflicht für ältere Mitarbeitende, da er in Kürze 60 jährig wird und er mit Beginn noch in diesem Jahr ein Sabbatical (40 Tage) zu Gute gehabt und geplant hat, das er nun nicht beziehen kann?
Falls Sie dazu eine Rückmeldung machen können, wäre das genial.
Ihnen einen guten Tag und beste Grüsse
Carole Lauper
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Lauper
Zur erhöhten Fürsorgepflicht für ältere Arbeitnehmende verweise ich auf meinen Fachbeitrag in der Zeitschrift ARV (Sie finden ihn hier: https://avenir50plus.ch/avplus50/wp-content/uploads/2018/08/Swisslex_ARV-2018-S.-1.pdf . Darin sind alle relevanten Bundesgerichtsentscheide zu Thema aufgeführt.
Ihr Hinweis auf das Sabbatical, das Ihrem Klienten nun zu entgehgen droht, ist wichtig. Allenfalls könnte hier mit dem Missbrauchsgrund Art. 336 Abs. 1 lit. c OR argumentiert werden (Vereitelung von Ansprüchen).
Mit besten Grüssen
Kurt Pärli