Guten Tag
Ich habe einen Fall zu begleiten, bei dem Eltern ihre Tochter (21) aus der Wohnung wegweisen lassen wollen.
Dieselbe habe bereits 2 Ultimatum verstreichen lassen und auch die Möglichkeit einer Mediation blieb ungenutzt. Die Tochter arbeite aktuell nicht, sei dran sich zu verschulden (Betreibungsregistereintrag erfolgte), aktuell bis Mai arbeitslos und beginne hierauf eine Stelle in einem Call Center. Wie sähe ein konkreter Stufenplan aus? Die Wohnung muss ihr gekündigt werden (und ein letzter Mediationsversuch wird ihr angeboten) und hierauf? Die Befürchtung ist, dass die Tochter sich den Eltern verweigert resp. weder Schlüssel abgeben wird noch sich um die Wohnungssuche bemühen wird, wenn sie weiterhin ohne Probleme dort leben mag. Die Tochter ist für ein Gespräch bei mir erschienen, jedoch hat sie der Mutter die Schuld an der Gesamtsituation gegeben und wollte eine Mediation wahrnehmen - die sie nun bereits einmal verpasst hat. Die Eltern waren beide bei mir und sind zunehmend hilflos, da es bereits fast ein Jahr dauere und sie keinerlei Fortschritt sehen. Ich wäre sehr froh um einen Stufenplan, so dass ich mit den Eltern das Vorgehen besprechen kann - ungeachtet dessen, werde ich versuchen die Tochter zu stützen, da es wohl zu einem massiven Eingriff in deren Leben kommen mag.
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Sehr geehrte Frau Moritz,
in der Beratungsanfrage vom 26.10.2018 „Volljährige Kids aus der Wohnung rauswerfen" finden Sie die konkrete Vorgehensweise. Ich kopiere das Wesentliche hier rein:
Wenn die Eltern ihre Kinder bisher gegen Entgelt beherbergt haben, liegt ein Mietvertrag vor, und sie haben nach den Regeln des Mietrechts vorzugehen. Die Kündigung muss auf einem amtlichen Formular erfolgen. Sind die Kinder hingegen Gast bei den Eltern und haben sie absolut gratis bei ihnen gewohnt (es fliessen keinerlei geldwerte Leistungen, auch keine symbolischen Geldleistungen oder Arbeitsleistungen), handelt es sich rechtlich gesehen um eine Gebrauchsleihe. In diesem Fall kann diese Gastfreundschaft jederzeit aufgekündigt werden; der Gast, der absolut gratis wohnt, kann jederzeit wieder aus der Wohnung gebeten werden (vgl. dazu Merkblatt Gemeinsam Wohnen: Welche Formen sind zu unterscheiden? Des Mieterinnen- und Mieterverbandes Schweiz auf https://www.mieterverband.ch/mv/mietrecht-beratung/ratgeber-mietrecht/top-themen/untermiete-gemeinsam-wohnen.html).
Das ist die rechtliche Seite, welchen den Eltern praktische Probleme bescheren dürfte, dann nämlich, wenn ein Kind sich von der Kündigung nicht beeindrucken lässt. In diesem Fall benötigen die Eltern allenfalls behördliche Hilfe, um das Kinder auszuweisen und den Schlüssel abnehmen zu können. Zieht ein Kind trotz beendetem Mietverhältnis nicht freiwillig aus, bleibt den Eltern nichts anderes übrig, als beim Gericht ein Ausweisungsbegehren zu stellen. Die Ausweisung kann polizeilich vollstreckt werden.
Die Eltern können sich beim Mieterverband telefonisch beraten lassen (vgl. https://www.mieterverband.ch/mv/mietrecht-beratung/hilfe-von-fachleuten.html). Ebenfalls können sich die Eltern an die unentgeltliche Rechtsberatung des Aargauischen Anwaltsverbands wenden, siehe https://www.anwaltsverband-ag.ch/index.asp?inc=rechtsauskunft.asp.
In Ihrem Fall bedeutet das also, dass das Mietverhältnis zuerst formgerecht gekündigt werden muss. Zieht die Tochter mit Ablauf der Kündigungsfrist nicht aus, ist beim Gericht ein Ausweisungsbegehren zu stellen.
Wenn die Beratungen oder die Mediation nicht greifen oder nicht wahrgenommen werden, müssen sich die Eltern entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen. Sie sind nicht verpflichtet, die volljährige Tochter weiterhin bei sich zu beherbergen.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und Grüsse sie freundlich.
Karin Anderer
Luzern, 13.3.2019