Guten Tag Herr Mösch
Fallbeschreibung:
Eine sozialhilfebeziehende Person wurde zwischen 2013 und 2017 von einem Sozialdienst im Kanton SO unterstützt und zog danach in unsere Gemeinde im Kanton BE, wo sie weiterunterstützt wurde. Anschliessend wurde ihr rückwirkend ab 2013 eine ganze IV-Rente zugesprochen, welche mit den vom SD im Kanton SO bevorschussten Leistungen verrechnet wurde. Daraufhin reichten wir für dieselbe Zeitperiode ein EL-Gesuch ein, welche ihr gleichermassen rückwirkend ab 2013 gewährt wurde. Auch die EL-Leistungen wurden vollständig dem SD im Kanton SO im Rahmen der Verrechnung ausbezahlt.
Normalerweise erhält eine sozialhilfebeziehende Person in solchen Fällen am Ende einen grösseren Überschuss ausbezahlt, da der EL-Grundbedarf wesentlich höher ist als der Sozialhilfe-Grundbedarf. Was aber hier nicht geschah. Daraufhin überprüften wir den Verrechnungsantrag des SD an die Ausgleichskasse. Dabei zeigte sich, dass die bevorschussten Sozialhilfeleistungen nicht nur aus den üblichen Sozialhilfeleistungen (Grundbedarf, Miete, Krankheitskosten etc.) für den Lebensunterhalt bestanden, sondern ebenfalls hohe Kosten für Beschäftigungs- und Integrationsprogramme aufwies. Aus unserer Sicht sind solche Kosten jedoch nicht mit der EL verrechnungsfähig, da sie nicht für denselben Zweck bestimmt sind, nämlich zur Deckung des Lebensunterhaltes.
Wir erhoben Einsprache gegen die EL-Verfügung der Ausgleichskasse, dass die Nachzahlung bzw. Verrechnung in dieser Höhe unzulässig sei. Die Einsprache wurde abgelehnt mit dem Hinweis, es sei der Ausgleichskasse nicht möglich, sämtliche Positionen des Verrechnungsantrages des SD zu überprüfen, ob diese zweckidentisch seien. Wir sollten uns an denn SD wenden für eine allfällige Rückerstattung.
Es stellen sich uns zwei Frage:
1. Sind Kosten für Beschäftigungs- und Integrationsprogramme mit Leistungen der EL verrechnungsfähig?
2. Falls nicht, ist es korrekt dass wir und an den SD wenden müssen um diese allenfalls zu unrecht verrechneten Leistungen zurückzuerhalten?
Mit freundlichen Grüssen
G. Heeb
Soziale Dienste Brügg BE
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrter Herr Heeb
1) Die Grundfrage betrifft die sozialhilferechtliche Rückerstattungspflicht. Da ist zu beachten, dass diese Frage primär kantonalrechtlich geregelt ist.
D.2 und E.3.1 der SKoS-Richtlinien sehen vor, dass keine Leistungen zurückgefordert werden sollen, die zur Förderung der beruflichen und sozialen Integration gewährt wurden. Dazu gehören leistungsbezogene Hilfen wie Integrationszulagen und Einkommensfreibeträge, die Kosten für Eingliederungshilfen wie Beschäftigungsprogramme oder auch die situationsbedingten Leistungen in diesem Zusammenhang.
Die Kantone haben dies in ihren Gesetzen zum Teil auch so oder ähnlich geregelt. Zum Teil werden aber auch gesetzlich oder in der Praxis mit Blick auf die verschiedenen Rückerstattungskonstellationen unterschiedliche oder differenzierende Regelungen oder Handhabungen vor.
Im Kanton Bern ist z.B. gemäss Art. 43 Abs. 1 lit. b SHG für den Fall einer allfälligen Rückerstattung wegen verbesserten wirtschaftlichen Verhältnissen eine Befreiung von der Rückerstattung während der Teilnahmen an einer vertraglich vereinbarten Integrationsmassnahme für die gesamte Hilfe (Handbuch Sozialhilfe im Kanton Bern, Stichwort „Rückerstattung“) vorgesehen. Im Kanton Basel Stadt gilt dies auch für Bevorschussungsfälle (vgl. Ziff. 12.7 URL BS); für Bern besteht keine eindeutige Regelung wie in Bevorschussungsfällen diesbezüglich zu verfahren ist, auch das Stichwort der BKSE, auf das sich viele Sozialdienste abstützen, ist insoweit unklar. Die mir bekannten Praxen sind unterschiedlich. Oft werden aber auch die Programmkosten in Bevorschussungsfällen angerechnet.
Im vorliegenden Fall geht es wohl um die Kosten der Massnahme, um die Hilfe, die während dieser Zeit gewährt wurde und zwar im Kanton Solothurn.
Gemäss § 14 Abs. 1 lit. b Sozialgesetz Solothurn sind rechtmässig bezogene Sozialhilfeleistungen unter anderem zurückzuerstatten, wenn sie bevorschussend gewährt wurden im Hinblick auf Leistungen von Sozialversicherungen.
Gemäss § 14 Abs. 4 SG Solothurn sind die während der Dauer der Teilnahme an beruflichen oder sozialen Integrationsmassnahmen ausgerichtete oder mit Gegenleistungen abgegoltenen Sozialhilfeleistungen nicht rückerstattungspflichtig. Ebenso wenig die Programmkosten selber. Siehe auch § 147 Abs. 2 und § 148 Abs. 2 SHG Solothurn und das Behördenhandbuch: https://sozialhilfehandbuch.so.ch/praxis-sozialhilfe/massnahmen-integration/massnahmen-sozialhilfe/massnahme-integration-in-der-sozialhilfe-ueberblick-ami/
Mangels anderer Rechtsgrundlagen bemisst sich die Berechnung der sozialhilferechtlichen Rückerstattungspflicht in Solothurn nach den Richtlinien der SKOS (siehe D.2, E.3.1; vgl. auch Praxisbeispiel in der ZeSo 3/2019: https://skos.ch/aktuell/artikel/neues-praxisbeispiel-rueckerstattungspflicht-auch-fuer-integrationsmassnahmen/).
Es ist im Weitern keine Grundlage ersichtlich (und ich habe auch in Urteilen des Verwaltungsgerichts Solothurn nichts gefunden), dass dies bei Bevorschussungsfällen nicht gelten soll. Soweit hier eine entsprechende Massnahme stattgefunden hat und insbesondere wenn auch die Kosten für diese Massnahme verrechnet werden, kann eine Anfechtung ratsam sein.
Vor diesem Hintergrund ist es lohnend, dass der Klient (bzw. in seinem Namen) die entsprechende Verrechnung des Solothurner Dienstes kritisch prüft, Akteneinsicht- und eine Verfügung verlangt, bzw. eine Rückzahlung wegen unrechtmässiger Verrechnung. Insoweit ist ein rasches Vorgehen wegen der möglichen Verjährung und Verwirkung ratsam.
Die entsprechende Prüfung sollte namens des Klienten erfolgen, da ihr als Gemeinde wohl nur bedingt aktivlegitimiert sind. Insoweit kann aber, weil es ja ein interkantonaler Fall ist, und sich somit die Anwendung des Zuständigkeitsgesetzes (ZUG) für eine Rückforderung stellt, eine Rückfrage bei der zuständigen Stelle der GSI des Kantons Bern bzgl. des Vorgehens sinnvoll sein.
2. Im laufenden Verfahren gegenüber der IV sind nach erfolgter Auszahlung zur Verrechnung mit der Sozialilfe eines anderen Dienstes die Chancen auf einen Erfolg der Anfechtung sehr klein. Chancen bestünden nur, wenn die Abrechnung des anderen Dienstes offensichtlich erkennbar falsch war, also eine eindeutige Pflichtwidrigkeit der auszahlenden Sozialversicherung vorliegen würde. Die Hürden hierfür sind aber ziemlich hoch (vgl. dazu Art. 78 ATSG und Kieser Ueli, Kommentar ATSG zu Art. 78 ATSG). Falls nicht offensichtliche Fehler vorhanden sind, sehe ich eher geringe Chance. Will man diese doch genauer prüfen, so könnten immerhin noch die entsprechenden Akten bei der Sozialversicherung einverlangt werden und die Frist für eine allfällige Einsprache verlängert werden, bzw. eine Verfügung verlangt werden, wenn noch nicht erfolgt.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot