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Vermögensentäusserung und Verwandtenunterstützung

Veröffentlicht:
06.09.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Eine mittlerweile 82-jährige Mutter gewährte vor 12 Jahren ihren zwei Kindern einen Erbvorbezug von je CHF 350'000, somit ein Total von CHF 700'000.

Seit 2 Jahren lebt die Mutter in einem Altersheim. Ihr Vermögen ist nun verbraucht und das Renteneinkommen langt nicht um das Altersheim zu finanzieren.

Ihr Antrag um Ergänzungsleistungen wurde abgelehnt, da ihr die SVA Aargau bei der Prüfung des Antrags das freiwillig, im Rahmen des Erbvorbezugs, veräusserte Vermögen als hypothetisches Vermögen anrechnete, abzüglich eines jährlichen Vermögensverzehrs von CHF 10'000 während der letzten 12 Jahre. Dies ergibt ein angerechnetes Vermögen von CHF 580'000, was den Anspruch auf Ergänzungsleistungen ausschliesst.

So weit so gut. Nun stellt die Mutter aber einen Antrag auf Sozialhilfe. Der Sozialdienst findet absolut stossend, dass die öffentliche Hand nun für die Kosten der Mutter aufkommen soll. Beide Kinder leben noch. Ein Sohn lebt in Shanghai und eine Tochter in der Schweiz. Zu den finanziellen Verhältnissen des Sohnes gibt es keine Unterlagen. Die Tochter hat den Erbvorbezug in ein Haus investiert und hat ansonsten ein durchschnittliches Einkommen und ein kleines Sparvermögen.

Nun stellen sich folgende Fragen:

  • Kann der Sozialdienst finanzielle Leistungen an die Mutter mit der Begründung eines Rechtsmissbrauchs verweigern?
  • Kann im Rahmen der Verwandtenunterstützung Rückgriff auf die Kinder genommen werden, d.h. zumindest auf die Tochter welche in der Schweiz wohnt?
  • Kann die Tochter verpflichtet werden eine Hypothek auf das Haus aufzunehmen um damit den Unterhalt der Mutter zu decken?
  • Kennen Sie Kantonale- oder Bundesgerichtliche Entscheide welche sich mit diesem Problem befasst haben?

Besten Dank und freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrter Herr Fenyö

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:

Nach § 5 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Aargau (SPG AG BGS 851.200) besteht Anspruch auf Sozialhilfe, sofern die eigenen Mittel nicht genügen und andere Hilfeleistungen nicht rechtzeitig erhältlich sind oder nicht ausreichen. Nach § 11 SHG AG sind eigene Mittel namentlich Einkünfte und Zuwendungen aller Art sowei Vermögen. In § 11 der Sozialhilfeverordnung des Kantons Aargau (SPV AG, BGS 851.211) wird unter Abs. 3 das Vermögen konkretisiert. Danach gelten als Vermögen alle Geldmittel, guthaben, Forderungen, Wertpapiere, Wertgegenstände, Grundeigentum, Liegenschaften und allgemein andere Vermägenswerte, auf die ein Eigentumsanspruch besteht.

Da das Vermögen, das die Antragstellerin ihren Kindern als Erbvorbezug gegeben hat, nicht mehr in ihrem Eigentum steht bzw. sie darauf keinen Eigentumsanspruch hat, darf es bei der Berechnung der Bedürftigkeit grundsätzlich nicht als ihr Vermögen berücksichtigt werden.

Nun stellten Sie sich die Frage, ob das nicht mehr vorhandene Vermögen dennoch anzurechnen ist, weil das Verhalten der Antragstellerin rechtsmissbräuchlich ist.

Ein Verhalten im Zusammenhang mit der Sozialhilfe wird im Allgemeinen dann als rechtsmissbräuchlich qualifiziert, wenn es "einzig darauf gerichtet ist, in den Genuss von materieller Hilfe zu gelangen" (Guido Wizent, Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Zürich/St. Gallen 2014, S. 224, BGE 8C_927/2008). Da die Antragstellerin ihren Kindern offenbar vor 12 Jahren einen Erbvorbezug gewährt hat, kann meiner Ansicht nach nicht davon ausgegangen werden dass sie diesen einzig gewährt hat, um 12 Jahre später in den Genuss von Sozialhilfe zu gelangen, weshalb ich davon absehen würde, ihr Verhalten als rechtsmissbräuchlich zu bezeichnen. Anders kann es allenfalls nur sein, wenn Sie klare Beweisstücke haben, die belegen, dass der Erbvorbezug einzig aus dem Grund vorgenommen wurde, um später Leistungen der Sozialhilfe zu erlangen. Diesbezüglich ist aber meiner Ansicht nach grosse Zurückhaltung geboten.

Es bleibt deshalb nur noch der Weg der Verwandtenunterstützung. Zu diesem Thema lässt sich dem Handbuch zur Sozialhilfe des Kantons Aargau entnehmen, dass aus Kosten/Nutzen-Überlegungen auf die Verwandtenunterstützung im Ausland gemeinhin zu verzichten ist, da die Verwandtenunterstützung faktisch nicht durchgesetzt werden kann. Es kann deshalb darauf verzichtet werden, die finanziellen Verhältnisse des Sohnes zu klären. Betreffend der in der Schweiz wohnhaften Tochter gelten die Richtlinien über die Geltendmachung von Verwandtenunterstützung (VUR). Diese besagen ind § 1 Abs. 3, dass die Verwandtenunterstützung nach Kapitel F.4 und H.4 der SKOS-Richtlinien zu berechnen sind, wenn in den VUR keine abweichenden Regelungen enthalten sind. Gemäs § 6 Abs. 2 VUR kann eine Prüfung der Verwandtenunterstützungspflicht auch bei geringerem Einkommen und Vermögen sinnvoll sein, wenn ein Vermögenszuwachs einer unterstützungspflichtigen Person ein einem direkten Zusammenhang mit der Bedürftigkeit der unterstützten Person steht, ohne dass rechtsmissbräuchliches Verhalten nachgewiesen werden kann.

Hätte die Antragstellerin ihrer Tochter vor 12 Jahren nicht Fr. 350'000.-- als Erbvorbezug übereignet, wäre sie allenfalls im heutigen Zeitpunkt nicht bedüfrtig, weshalb für mich die Voraussetzungen zur Geltendmachung von Verwandtenunterstützung gegeben sind. Es macht deshalb Sinn, mit der Tochter Kontakt aufzunehmen und ihr die Situation zu schildern und mit ihr zu besprechen, ob sie bereit ist, einen monatlichen Betrag zu bezahlen und wenn ja, wie hoch. Können Sie sich mit der Tochter nicht einigen, könnte die Einreichung einer Klage beim Zivilgericht geprüft werden mit der Begründung, die Antragstellerin sei aufgrund des Vermögenszuwachs der Tochter (und des Sohnes) bedürftig. Meiner Ansicht nach könnte der gesamte Vermögenszuwachs in Form von Verwandtenunterstützung eingefordert werden, zumindest wenn das Vermögen noch vorhanden ist, was hier in Form einer Liegenschaft der Fall zu sein scheint.

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach