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Vermittelbarkeit Teilinvalider bei Teilzeitanstellung in IV-Werkstatt

Veröffentlicht:
21.08.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Guten Tag
Die Arbeit im Zwischenverdienst in einer IV-Werkstatt wird ja in der Regel mit dem Argument der nicht branchenüblichen Löhne von der ALK abgelehnt.
Hätte eine ALK aber eine rechtliche Grundlage, einem Teilrentner eine Teilanstellung in einer IV-Werkstatt zu verweigern?
Beispiel: Herr X erhält neu eine 3/4-Rente bei einem IV-Grad von 61%.
Stempeln kann er dann also noch für 39% - und muss dann also auch nur für 39% vermittelbar sein.
Wenn er also jetzt einen WS-Vertrag über ein 50%-Pensum abschliessen würde, gäbe es ja sogar noch eine Reserve von 11% für den doppelten Arbeitsweg.
Ist meine Argumentation soweit für Sie schlüssig?
Oder gibt es eine Gerichtspraxis zu dieser Frage?
Freundliche Grüsse
M.Blindow

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrter Herr Blindow
Für Ihre Frage ist zu unterscheiden, inwieweit bei bestehender Arbeitslosigkeit ein Zwischenverdienst vorliegt, der dazu führt, dass der Verdienstausfall zu entschädigen ist (siehe a) und die Frage, was und wie die Arbeitslosenversicherung (das RAV) zur Schadenminderung verlangen kann (b). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen werde ich dann Ihre Frage beantworten.
a) Für die Dauer eines unselbstständigen oder selbstständigen Zwischenverdienstes nach Art. 24 AVIG und Art. 41a AVIV gilt die versicherte Person, unabhängig von ihrem Beschäftigungsgrad, weiterhin als arbeitslos.
Gemäss C 123 der Verwaltungsweisung AVIG-Praxis (Stand 1.1.2018 ) gilt als Zwischenverdienst jedes Einkommen aus unselbstständiger oder selbstständiger Erwerbstätigkeit, das die versicherte Person innerhalb einer Kontrollperiode erzielt und das geringer ist als die ihr zustehende ALE. Die Anrechnung von Zwischenverdienst fällt ausschliesslich in den Aufgabenbereich der Arbeitslosenkasse.
Aus der in der AVIG-Praxis in C 130ff. zusammengefassten Praxis ergibt sich, dass nicht als Zwischenverdienst eine Tätigkeit gilt, die Bestandteil einer Aus- oder Weiterbildung ist.
Im Weiteren hat die arbeitslose Person hat Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls. Dabei gilt der Verdienstausfall als Differenz zwischen dem in der Kontrollperiode erzielten Zwischenverdienst, mindestens aber dem berufs- und ortsüblichen Ansatz für die betreffende Arbeit und dem versicherten Verdienst.
Wenn in einem Zwischenverdienst kein berufs- und ortsüblicher Lohn ausgerichtet, hat die Ar-beitslosenkasse eine Aufrechnung für die betreffende Tätigkeit vorzunehmen. Die berufs- und ortsübliche Entlöhnung kann aufgrund von Gesetzesvorschriften, Lohnstatistiken, branchen- oder firmenüblichen Massstäben, Musterverträgen oder Gesamtarbeitsverträgen festgestellt werden. Allenfalls können auch Richtlinien von Berufsverbänden herangezogen werden.
Ein berufs- und ortsüblicher Lohn ist bereits ab Beginn einer Zwischenverdiensttätigkeit anzurechnen, selbst dann, wenn in den ersten Monaten noch kein Einkommen erzielt wird.
Wird im Rahmen der Schadenminderungspflicht als «Praktikum» eine ordentliche Erwerbstätigkeit aufgenommen, die nicht nach orts- und berufsüblichen Ansätzen entschädigt wird, ist für die Ermittlung der Kompensationszahlungen von orts- und berufsüblichen Ansätzen auszugehen.
Aus der Rechtsprechung ergibt sich aber, dass ein Zwischenverdienst nicht anzunehmen ist, wenn eine Tätigkeit nicht zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit dient, sondern in erster Linie zu Ausbildungszwecken, oder zum Erwerb beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten aufgenommen wird (vgl. EVG C 308/02 vom 27.7.2005).
Andererseits gilt, dass wenn es sich aber um eine Tätigkeit handelt, die der Vermeidung der Arbeitslosigkeit dient, dafür ein berufs- oder branchenüblicher Lohn anzurechnen ist, BGE 8C_774/2008 vom 3.4.2009), auch wenn die versicherte Person keinen oder nur einen geringen Lohn erzielt.
Vor dem Hintergrund der bestehenden Gerichtspraxis ist anzunehmen, dass die Tätigkeit in einer geschützten Werkstatt von ihrem Sinn und Zweck her weiterhin eher als Tätigkeit gilt zum Erwerb von Fertigkeiten, und sie daher nicht als Zwischenverdienst betrachten wird. Es wird also kein
Verdienstausfall (zum üblichen Lohn) entschädigt.
b) Die Arbeitslosenversicherung kann niemandem eine Tätigkeit verweigern. Aber wenn AL-Entschädigungen beantragt werden, so ist der Betroffene verpflichtet, jede zumutbare Arbeit anzunehmen und an Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen (Art. 15 AVIG). Dabei gilt (unter anderem) nur eine Tätigkeit als zumutbar, bei der die Entlöhnung berufs- und ortsüblich ist und den normal- oder gesamtarbeitsvertraglichen Ansätzen entspricht (Art. 16 AVIG; BGE 124 V 63 E. 3c) und deswegen dürfte es rechtskonform sein, wenn die RAV im Regelfall eine andere, arbeitsmarktnähere Tätigkeit für den Betroffenen vorsehen als diejenige in einer geschützten Werkstatt.
Erfüllt man diese Auflagen nicht riskiert man Einstelltage oder aber der Anspruch wird wegen fehlender Vermittlungsfähigkeit (als Anspruchsvoraussetzung) abgelehnt oder aufgehoben.
Davon sind aber Ausnahmen möglich. Einerseits können die RAV auch zu Eingliederungsmassnahmen verpflichten (Art. 15 Abs. 1 AVIG) und da sind Aktivitäten in einer geschützten Werkstatt je nach Ausgestaltung die Tätigkeit nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Im Weiteren gilt, dass Versicherte, die mit Bewilligung der KAST (kant. Amtsstelle) freiwillige Tätigkeiten im Rahmen von Projekten für Arbeitslose ausüben, als vermittlungsfähig gelten (Art. 15 Abs. 4 AVIG). Auch insoweit sind Angebote geschützter Werkstätten nicht zum Vornherein ausgeschlossen. Es bräuchte dafür aber die Bewilligung der KAST.
c) Bei Teilinvaliden gilt, dass sie auch nur teilweise arbeitslos sind. Insoweit kann also – wie sonst auch - die Vermittlungsfähigkeit abgesprochen und der Anspruch abgelehnt werden, wenn die Bedingungen an die gesuchte Tätigkeit eine neue Beschäftigung verunmöglichen oder erheblich erschweren (z.B. bzgl. Lage der möglichen Arbeitszeit). Vgl. dazu BGE 112 V 218 E. 2.
Es ist vor diesem Hintergrund bei einer Beschäftigung in einer geschützten Werkstatt darauf zu achten, dass die gesuchte Teilzeitstelle, auf die sich die Arbeitslosigkeit bezieht, flexibel ausgestaltet sein kann.
Im Übrigen aber ist eine Teilarbeitslosigkeit möglich und Arbeitslosigkeit bzw. Vermittlungsfähigkeit möglich, und wenn die übrigen Voraussetzungen (Beitragszeit oder Befreiung davon etc.) gegeben sind, ein Anspruch auf ALE denkbar.
Zu beachten ist, dass dabei der IV-Grad nicht zeitmässig angibt, in welchem Umfang eine Vermittlungsfähigkeit besteht. Dies schon deswegen, weil der IV-Grad bei Erwerbstätigen den Lohnausfall repräsentiert. Es wird also im konkreten Fall zu prüfen sein, inwieweit der Betroffene auch zeitlich bereit und in der Lage ist dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Seit BGE 115 V 431 E. 2b und 2c gilt dabei, dass für Teilarbeitslose für eine Arbeitsaunahme mindestens Zeit im Umfang von 20% einer Vollanstellung zur Verfügung stehen müssen (BGE 115 V 431 E. 2b und 2c).
Vor dem Hintergrund dieser diversen Fallen und insb. auch, weil sich zu Ihrer Frage bisher keine klare Rechtsprechung herausgebildet hat, rate ich Ihnen, die Teilanstellung in der geschützten Werkstatt und das Verhältnis zu (anderen) Massnahmen des RAV möglichst in Absprache mit dem RAV-Berater zu planen. Und Absprachen schriftlich zu vereinbaren. So kann das Risiko für den Betroffenen, dass ihm durch die Tätigkeit in der Werkstatt eine Verletzung der Schadenminderung vorgeworfen, bzw. gar die Vermittelbarkeit abgesprochen wird, verringert werden.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Peter Mösch Payot