Guten Tag liebes Expertenteam
wir haben folgende Situation:
das Kind L. wurde im Herbst 2018 geboren. Seine Mutter hat bei der Geburt den Vater nicht angegeben. Nach vergeblichen Kontaktversuchen von der KESB erhielten wir den Auftrag zur Durchführung eines Beratungsgesprächs und zur Regelung der Kinderbelange. Nach verschiedenen erfolglosen Kontaktversuchen konnten wir die Kindsmutter zu einem Gesprächstermin überzeugen. Dabei gab sie mündlich an, dass ihr Lebensgefährte (der auch bei ihr wohnt) der Kindsvater sei. Weil er aber seine Geburtspapiere in Portugal beschaffen musste, sei die Vaterschaftsanerkennung bisher nicht erledigt worden. Sie sei aber geplant. Bisher ist dies nicht geschehen. Weiter gab sie an, keinen Unterhaltsverstrag errichten zu wollen. Die KESB hat nun vor, für das Kind L. eine Beistandschaft zu errichten. Die Beistandsperson wird mit der Regelung der Vaterschaft und des Unterhalts beauftragt (mit Prozessvollmacht).
Fragen:
- Wie ist das administrative/rechtliche/methodische Vorgehen im beschriebenen Fall?
- Muss / kann die Kindsmutter gegen ihren Willen gezwungen werden, den Kindsvater amtlich anzugeben und einen Unterhaltsvertrag zu errichten? Wird hier das Kindswohl höher gewichtet?
- Was sind für alle Beteiligten die rechtlichen Konsequenzen? Was wäre hier die äusserste Konsequenz, die auf die Kindselteren zukommen könnte?
Besten Dank für Ihre Bemühungen.
Mit freundlichen Grüssen
Sabine Bauer
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Sehr geehrte Frau Bauer
Das Kind hat nach Art. 7 der Kinderrechtskonvention das Recht, soweit möglich, seine Eltern zu kennen. Die Mutter hat nach Art. 272 ZGB die Beistandspflicht, dazu die nötigen Informationen zu liefern. Für das Kind besteht, um seiner Persönlichkeit Willen, ein Anspruch auf Feststellung der Vaterschaft. Es liegt deshalb nicht im Entscheidungsbereich der Mutter, darüber zu befinden, ob das Kindesverhältnis zum Vater festgestellt werden kann oder nicht (BK-Affolter/Vogel, Art. 308 ZGB, N 43 f.).
Die KESB hat im vorliegenden Fall von Amtes wegen zu handeln. Steht die Regelung des Kindesverhältnisses zum Vater in Aussicht, und wird sie in den drei bis sechs Monaten nach der Geburt realisiert, kann auf die Anordnung einer sogenannten Paternitätsbeistandschaft nach Art. 308 Abs. 2 ZGB verzichtet werden.
Gemäss der Fallschilderung sind inzwischen 9 Monate verstrichen, ohne dass es zu einer Anerkennung kam. Bei der Anordnung der Beistandschaft hat die KESB auf die Schwierigkeit der Beschaffung der Papiere Rücksicht zu nehmen, sie muss aber auch die Interessen des Kindes prüfen (BK-Affolter/Vogel, Art. 308 ZGB, N 51). So können bspw. Kindesunterhaltsansprüche (Art. 279 ZGB), nur für die Zukunft und für ein Jahr vor Klageerhebung eingefordert werden, weshalb es in der Regel im Kindesinteresse liegt, mit der Vaterschafts- und Unterhaltsklage klage nicht zuzuwarten (BK-Affolter/Vogel, Art. 308 ZGB, N 47).
Die Eltern können sicherlich nochmals beraten werden, welche Vorteile es mit sich bringt, wenn sie die Beschaffung der Papiere und Anerkennung „vorantreiben“.
Hat der Vater das Kind anerkannt, können die Eltern die gemeinsame elterliche Sorge in einer gemeinsamen Erklärung abgeben. In dieser Erklärung bestätigen die Eltern, dass sie bereit sind, gemeinsam die Verantwortung für das Kind zu übernehmen; und dass sie sich über die Obhut und den persönlichen Verkehr oder die Betreuungsanteile sowie über den Unterhaltsbeitrag für das Kind verständigt haben (Art. 298a Abs. 2 ZGB). Der Abschluss eines Unterhaltsvertrages ist von Gesetzes wegen nicht erforderlich.
Die Erklärung kann zusammen mit der Anerkennung an das Zivilstandsamt abgegeben werden. Eine spätere Erklärung ist an die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zu richten. Vor der Abgabe der Erklärung können sich die Eltern von der Kindesschutzbehörde beraten lassen (Art. 298a Abs. 3 und 4 ZGB).
Den Eltern dürfte mit der gemeinsamen Erklärung vielleicht am besten gedient sein. Der Vater kann sich damit auch ein teures Gerichtsverfahren (Vaterschafts- und Unterhaltsprozess), das er zu berappen hat, ersparen.
Für die weiteren rechtlichen und methodischen Fragen, die ich hier im Rahmen der Kurzberatung nicht abhandeln kann, verweise ich Sie auf das aufschlussreiche Kapitel „Feststellung der Vaterschaft“ in: BK-Affolter/Vogel, Art. 308 ZGB, N 39 ff. Ebenso sind die Kapitel „Vaterschaft durch Urteil“ und „Einsetzung einer Beistandsperson zur Wahrung des Unterhaltsanspruches“ und „Auftrag/Aufgaben Mandatsträger (Art. 308 ZGB)“ im Handbuch Kindes- und Erwachsenschutzrecht, Recht und Methodik für Fachleute, 2. Auflage 2018, Rz. 593 ff. sowie Rz. 914 ff. allenfalls hilfreich.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 30.7.2019
Karin Anderer