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Unterstützungswohnsitz

Veröffentlicht:
13.11.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Grüezi,
folgende Situation stellt sich mir aktuell: Frau P. ist neu aus der Gemeinde A im Kanton Lu in die Gemeinde B im Kanton NW gezügelt. Sie hat zusammen mit ihrem Partner eine neue Wohnung bezogen, nachdem sie zuvor ohne festen Wohnsitz war.
Im September 2017 hatte Frau P. ihre Wohnung in der Gemeinde A verloren. Die beiden Kinder blieben bei den Grosseltern, welche eine eigene Wohnung im gleichen Haus bewohnen. In den folgenden Monaten war Frau P immer wieder bei verschiedenen Kolleginnen untergekommen, jedoch jeweils nur für kurze Zeiträume. Ab Juni 2018 konnte sie dann überwiegend ebenfalls bei ihren Eltern bleiben, war zeitweise aber auch bei ihrem Partner in der Gemeinde B.
Der Umzug in die Gemeinde B war per 01.10.2018, so dass die Unterstützungspflicht für Frau P. ab dem 01.11.2018 bei der Gemeinde B liegt. Frau P. wollte ihre Kinder mit in die Gemeinde B nehmen. Jedoch appellierte die Beiständin der beiden Kinder dafür, dass die Kinder vorerst bei den Grosseltern bleiben, dies aus verschiedenen Gründen. Die Kindsmutter müsse diverse Auflagen erfüllen, damit die Kinder wieder bei ihr leben können. Einen Obhutsentzug gibt es nicht, Frau P. hat der "Platzierung" zugestimmt. Aktuell gibt es aber auch keinen Pflegevertrag etc.
Es stellt sich nun die Frage nach dem Unterstützungswohnsitz der Kinder. Geht dieser mit der Mutter mit oder bleibt er in der Gemeinde A., da zum Zeitpunkt der Platzierung (ich gehe von September 2017, als die Mutter die Wohnung verloren hat, aus) der Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde A. war. Kann man überhaupt von einer Platzierung sprechen, wenn es auf freiwilliger Basis ist und hat dies Auswirkungen auf den Unterstützungswohnsitz?
Vielen Dank für Ihre Rückmeldungen
F. Müller

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Müller
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage, die die Frage der interkantonalen Zuständigkeit zwischen dem Kanton Luzern und Nidwalden betrifft. Der Unterstützungswohnsitz der Kinder wird in Art. 7 ZUG geregelt, welcher wie folgt lautet:
Art. 7 Minderjährige Kinder
1 Das minderjährige Kind teilt, unabhängig von seinem Aufenthaltsort, den Unterstützungswohnsitz der Eltern.
2 Haben die Eltern keinen gemeinsamen zivilrechtlichen Wohnsitz, so hat das minderjährige Kind einen eigenständigen Unterstützungswohnsitz am Wohnsitz des Elternteils, bei dem es überwiegend wohnt.
3 Es hat eigenen Unterstützungswohnsitz:
a. am Sitz der Kindesschutzbehörde, unter deren Vormundschaft es steht;
b. am Ort nach Artikel 4, wenn es erwerbstätig und in der Lage ist, für seinen Lebensunterhalt selber aufzukommen;
c. am letzten Unterstützungswohnsitz nach den Absätzen 1 und 2, wenn es dauernd nicht bei den Eltern oder einem Elternteil wohnt;
d. an seinem Aufenthaltsort in den übrigen Fällen.
Relevant für die vorliegende Frage ist, welcher Unterstützungswohnsitz die Kinder im Zeitpunkt des Wegzugs erfüllten. Lag ein Unterstützungswohnsitz nach den Absätzen 1 oder 2 von Art. 7 ZUG vor, dann leitet sich der Unterstützungswohnsitz von der Mutter ab. Oder hatten die Kinder einen Unterstützungswohnsitz nach Absatz 3, wobei nach der von Ihnen geschilderten Ausgangslage vorderhand Buchstabe c in Frage käme, dann haben die Kinder einen eigenständigen Unterstützungswohnsitz etabliert.
Art. 7 Abs. 3 Buchstabe c ZUG regelt den Fall, wo ein Kind dauerhaft nicht bei den Eltern oder einem Elternteil wohnt. In diesem Fall gefriert der letzte gemeinsame Unterstützungswohnsitz mit den Eltern bzw. mit dem Elternteil quasi ein und wird zum eigenständigen der Kinder während der gesamten dauerhaften Platzierung. Dabei reicht es, dass die Kinder faktisch dauerhaft gentrennt leben vom Elternteil, eine Fremdplatzierung im klassischen Sinne einer behördlichen Anordnung braucht es nicht. Massgebend ist lediglich, ob im Zeitpunkt der Trennung klar war oder die Umstände klar darauf hinwiesen, dass es sich um eine dauerhafte handelt. War es aber zunächst eine vorübergehende Lösung, dann fehlt es an der Dauerhaftigkeit und Buchstabe c kommt nicht zur Anwendung. Kommt man aber im Verlauf der vorübergehenden Lösung zum Schluss, dass eine dauerhafte Trennung angezeigt ist, oder weisen die Umstände auf eine dauerhafte Platzierung hin (z.B. die Eltern kümmern sich nicht ernstlich um das fremdplatzierte Kind), dann wandelt sich ab diesem Zeitpunkt die vorübergehende Trennung zu einer dauerhaften und es kommt Buchstabe c zur Anwendung.
Diese differenzierte Rechtslage bedingt, dass die Sachlage in jedem Einzelfall eingehend analysiert wird. Ich lege Ihnen dazu einen Artikel von Peter Mösch und mir aus dem Jusletter vom 14.11.2016 zum Thema «Der Unterstützungswohnsitz nach ZUG von der Geburt bis Volljährigkeit» bei. Sie können diesem unter Rz. 55 entnehmen, welche Umstände auf eine vorübergehende oder dauerhafte Trennung hinweisen.
Jedenfalls kann ich aufgrund der vorliegenden Angaben keine abschliessende Einschätzung treffen. Wichtig erscheint mir, dass die Absichten der Mutter und Motive der Beiständin abgeklärt werden, insbesondere im Zeitpunkt des Wohnungsverlustes, des (überwiegenden) Wohnens der Mutter bei den Grosseltern und Kindern und als die Beiständin verhinderte, dass die Kinder mit der Mutter nach B. zogen. Ist eine Dauerhaftigkeit ab Zeitpunkt des Wohnungsverlustes festzumachen, d.h. die Kinder wurden nicht nur einstweilen und primär zum Auffangen des Wohnungsverlustes, sondern definitiv und auf unbestimmte Zeit bei den Grosseltern untergebracht, ist zu prüfen, wie das Wohnen der Mutter bei den Grosseltern zu qualifizieren ist. Falls es sich um einen Versuch des Zusammenlebens handelte, wäre meiner Meinung nach damit die Dauerhaftigkeit noch nicht beendet.
Ergeben Ihre Abklärungen, dass im Zeitpunkt des Wegzugs der Mutter nach B. eine dauerhafte Trennung im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Buchstabe c ZUG vorlag, würden die Kinder ihren Unterstützungswohnsitz beibehalten, den sie im Zeitpunkt, als die Trennung dauerhaft wurde, als eigenen etabliert haben. D.h. der Umzug nach B., Kanton Nidwalden, hätte für den Unterstützungswohnsitz der Kinder keine Relevanz bzw. sie würden den Unterstützungswohnsitz nicht nach B. verlegen.
Ist im Zeitpunkt des Wegzugs nach B. bzw. der Wohnsitznahme in B. (nach wie vor) von einer vorübergehenden Trennung auszugehen, dann leitet sich der Unterstützungswohnsitz der Kinder unter Anwendung von Art. 7 Abs. 2 ZUG von der Mutter ab. D.h. die Kinder würden ihren Unterstützungswohnsitz nach B. verlegen.
Nach dem Gesagten entscheidet sich die Unterstützungszuständigkeit darüber, welche Art von Trennung bzw. Fremdaufenthalt bei den Grosseltern im Zeitpunkt des Wegzuges vorlag. Um dies beurteilen zu können, müssen noch weitere Sachverhaltsabklärungen vorgenommen werden.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort die weiteren Schritte zur rechtlichen Klärung der Frage des Unterstützungswohnsitzes der Kinder aufgezeigt zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder