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Unterhaltspflicht gegenüber Stiefkinder

Veröffentlicht:
07.12.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Eine Klientin von mir hat zwei minderjährige Kinder aus geschiedener Ehe. Mangels Leistungsfähigkeit des Kindsvaters bzw. Ex-Mannes konnten keine Unterhaltsleistungen für die Ex-Frau und Kinder festgelegt werden. Mit ihren beiden Kindern lebt meine Klientin seit mehreren Jahren mit einem neuen Partner zusammen (gefestigtes Konkubinat / Lebenspartner von der Sozialhilfe nicht unterstützt). Das Paar beabsichtigt im nächsten Jahr zu heiraten. Der Lebenspartner meiner Klientin bzw. künftige Ehemann hat ebenfalls ein minderjähriges Kind aus einer anderen Beziehung, welches bei der Kindsmutter lebt. Er zahlt seit Jahren regelmässig den Unterhalt für dieses Kind. Meine Klientin hat nun eine prov. Existenzberechnung verlangt. Wir haben die Unterhaltszahlungen vom künftigen Mann (Lebenspartner) im Familienbudget (4-Personenhaushalt, meine Klientin, deren Kinder und Lebenspartner bzw. künftige Ehemann) nicht berücksichtigt, was zur Folge hat, dass meine Klientin und ihre Kinder keine Sozialhilfeleistungen mehr erhält. Mit der Berechnung ist der Lebenspartner, bzw. künftige Ehemann nicht einverstanden. Er könne den Unterhalt seines leiblichen Kindes nicht mehr zahlen, stattdessen müsse er nun für den Unterhalt seiner Stiefkinder voll aufkommen, womit seine Stiefkinder gegenüber seinem leiblichen Kind besser gestellt seien. Ist es korrekt, dass der Mann für den Unterhalt seiner neuen Ehefrau und deren Kinder, bzw. seine Stiefkinder vollumfänglich und in erster Linie aufkommen muss und er somit aber nicht mehr den Unterhalt seines leiblichen Kindes bezahlen kann, da die Sozialhilfe seine Alimentenzahlungen nicht berücksichtigen kann?

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Abderhalden
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Das Sozialhilferecht des Kantons Appenzell Ausserrhoden verweist zur Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe auf die SKOS-Richtlinien (Art. 15 SHG i.V.m. Art. 3 SHV), wobei abweichende Bestimmungen in Gesetz und Verordnung vorrangig sind. Ihre Frage beschlägt die Thematik der Unterstützungseinheit und der Berücksichtigung von Alimentenverpflichtungen. Zu diesem Thema sehen weder das SHG noch die SHV besondere Regelungen vor.
Zur Unterstützungseinheit: Es stellt sich die Frage, ob nach der Heirat Mutter, Kinder und Stiefvater als eine Unterstützungseinheit zu betrachten sind, womit die gesamten finanziellen Verhältnisse des Stiefvaters berücksichtigt würden. Die SKOS Richtlinien regeln die Unterstützungseinheit nicht explizit. Nach Guido Wizent (Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Ein Handbuch, 2014 Dike, S. 460) widerspiegelt die Unterstützungseinheit die familienrechtliche Unterhaltspflicht. Nach Art. 163 ZGB besteht bei Verheirateten eine Unterhaltspflicht gegenüber der Familie (Art. 163 ZGB). Der Kindesunterhalt wird in den Art. 276 ff. ZGB konkretisiert. Handelt es sich um Stiefkinder, präzisiert Art. 278 Abs. 2 ZGB Folgendes: «Jeder hat dem andern in der Erfüllung der Unterhaltspflicht gegenüber vorehelichen Kindern in angemessener Weise beizustehen.» Nach Lehre und Rechtsprechung geht dieser Beistandspflicht die Unterhaltspflicht des leiblichen Elternteils der Stiefkinder vor. Bleiben seine Unterhaltsbeiträge aber aus, muss der Stiefelternteil in die Lücke springen (vgl. Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2016, Bruno Roelli, zu Art. 278 ZGB, Ziff. 3). Bei dieser Rechtslage rechtfertigt es sich, familiäre Verhältnisse mit Stiefkindern bzw. Stiefeltern zu einer Unterstützungseinheit zusammenzufassen, soweit alle im gleichen Haushalt leben und solange die Kinder noch minderjährig sind.
Zur Berücksichtigung der Alimentenverpflichtungen des Stiefelternteils gegenüber vorehelichen Kindern: In diesem Zusammenhang besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Unterhaltsrecht und der Sozialhilfe. Dazu F.3.1 der SKOS-Richtlinien: „Wenn unterstützte Personen Alimentenverpflichtungen haben, werden diese nicht ins Unterstützungsbudget aufgenommen, da sie nicht der eigenen Existenzsicherung bzw. derjenigen des eigenen Haushaltes dienen.“ In dem die im Haushalt lebenden minderjährigen Kinder sozialhilferechtlich zur Unterstützungseinheit gehören, kommen ihnen vorrangig die zur Deckung des Unterhalts notwendigen finanziellen Ressourcen des Stiefelternteils zu. Sind die finanziellen Verhältnisse knapp, gehen die vorehelichen Kinder in der Folge leer aus, da die Sozialhilfe die vorehelichen Alimentenverpflichtungen aussen vor lässt. Diese Bestimmung führt demnach unweigerlich dazu, dass im gleichen Haushalt lebende eheliche Kinder gegenüber vorehelichen Kindern bevorzugt werden. Die Besserstellung trifft demnach auch auf Stiefkinder zu, gehören sie, wie oben dargelegt, ebenfalls zur Unterstützungseinheit. Ob dies die Beistandspflicht nach Art. 278 Abs. 2 ZGB überdehnt, war im Bereich der Sozialhilfe noch nicht Gegenstand eines Gerichtsurteils. Im Bereich der Alimentenbevorschussung gibt es ein älteres Urteil des Bundesgerichts, das den Einbezug der stiefelterlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse als zulässig betrachtete, um zu beurteilen, ob überhaupt ein Anspruch auf Bevorschussung besteht (BGE 112 Ia 251 E. 3; auch in diese Richtung Urteil des Bundesgerichts 1P.254/2002 vom 6.11.02). In der Konsequenz sind sich diese Rechtsprechung und die Regelung in der Sozialhilfe nahe. Jedoch unterscheidet sich das zitierte Urteil u.a. darin, dass es dabei um das steuerrechtliche Reineinkommen und Reinvermögen des Stiefelternteils ging, wohingegen bei der Sozialhilfe das volle Nettoeinkommen einbezogen wird. Demnach muss vorliegend die Frage offen gelassen werden, ob die Beistandspflicht nach Art. 278 Abs. 2 ZGB überdehnt wird. Jedenfalls gebietet die Regelung in den SKOS-Richtlinien, welche für die Sozialhilfe in Appenzell Ausserrhoden verbindlich ist, die Alimentenverpflichtungen vorehelicher Kinder nicht zu berücksichtigen. Nach Art. 3 SHV kann jedoch bei besonderen Umständen von den SKOS-Richtlinien abgewichen werden.
So wäre es sicher legitim insbesondere bei Stiefeltern andere Lösungen anzudecken, um voreheliche Kinder nicht zu benachteiligen. Es ist auch möglich, dass der am 1.1.17 in Kraft getretene Art. 276a ZGB eine andere Sicht der Dinge rechtfertigen könnte. Diese Regelung hält fest, dass dem Minderjährigenunterhalt gegenüber dem übrigen Familienunterhalt, u.a. dem Ehegattenunterhalt, Vorrang zukommt. Diese Bestimmung könnte die Vorzugsstellung des neuen Ehegatten gegenüber vorehelichen Kindern in Frage stellen. Denn der neue Ehegatte kommt durch die Zugehörigkeit zur Unterstützungseinheit im Vergleich zum vorehelichen Kind ebenfalls in eine bessere Lage - gleich wie die (Stief-)Kinder im gleichen Haushalt. Zwar ist die Regelung von Art. 276a ZGB nicht neu, wurde sie doch durch jahrelange Gerichtspraxis begründet, jedoch ist neu, dass sie nun im ZGB festgehalten ist (und noch differenzierter ausgestaltet wurde). Es fragt sich demnach, ob die ins kantonale Recht übernommene Regelung der SKOS in F.3.1 nicht dahin gehend relativiert werden müsste, dass diese Vorgabe nur so lange gilt, als nicht minderjährige Kinder gegenüber Ehegatten benachteiligt werden. Diese Frage kann vorliegend jedoch nicht abschliessend beantwortet werden.
Nach dem Gesagten ist es korrekt, die Familie mit Stiefkindern als Unterstützungseinheit zusammenzufassen. Auch ist es zulässig, gestützt auf F.3.1 SKOS-Richtlinien in Verbindung mit Art. 3 SHV die Alimentenverpflichtungen gegenüber vorehelichen Kindern aussen vor zu lassen. Sieht der Sozialdienst besondere Umstände, die ein Abweichen zulassen würde, wäre dies nach Art. 3 SHV zulässig.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Angaben gedient zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder