Ausgangslage
Schweizer, ordentliche Pensionierung (bereits angemeldet) im Juli 2020, hatte einen unverschuldeten Skiunfall im Februar 2020. Arbeitete vor dem Unfall 100%, aktuell (und bis zur Pensionierung) 100%AUF, bezieht SUVA Taggeld. IV-Anmeldung eingereicht April 2020.
Prognose
Ziel ist es ohne Rollstuhl nachhause zu gehen, jedoch mit gesundheitlichen Einschränkungen
Fragen
Rente
Ein definitiver IV-Entscheid wird erst nach seiner Pensionierung erfolgen. Daher stellt sich für mich die Frage, wie seine Berentung gestaltet werden würde und wer in welcher Rangordnung wieviel bezahlen müsste:
- vor einem definitiven IV-Entscheid, zum Zeitpunkt seiner Pensionierung?
-bei einer von der IV ausgesprochenen Teilinvalidität (nach seiner Pensionierung)?
-bei einer von der IV ausgesprochenen Voll-Invalidität (nach seiner Pensionierung)?
Hilfsmittel
Hilfsmittel für Wohnen und Mobilität werden von der IV finanziert. Die notwendigen Hilfsmittel werden vermutlich erst kurz vor oder nach seiner Pensionierung bekannt sein.
-werden Hilfsmittel auch nach einer Pensionierung durch die IV weiter finanziert (gilt das Datum des Unfalles-vor Pensionierung- oder das Datum des Antrages-vermutlich nach seiner Pensionierung?)
-wie soll vorgegangen werden, damit Forderungen bewilligt werden?
Vielen Dank für die Antworten.
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
1. Für die IV und die AHV besteht die Regelung, dass der Invalidenrentenanspruch gegenüber der IV erlischt, sobald der Anspruch auf eine Altersrente der AHV entsteht (Art. 30 IVG). Es gilt der Besitzstand.
2. Da und soweit im vorliegenden Fall im Zeitpunkt des Erreichens des AHV-Alters das IV-Verfahren noch nicht abgeschlossen ist (was sehr anzunehmen ist) wird vorerst die Berechnung der AHV-Rente nach den üblichen Grundsätzen erfolgen, ohne Bezugnahme auf die IV-Rente. Wird das Verfahren der IV erst nach dem AHV-Rentenalter abgeschlossen, was ich hier annehme, so erfolgt die Zusprache der IV-Rente nachträglich, und es werden u.U. Nachzahlungen notwendig auf der Basis einer Vergleichsrechnung.
3. Für die Berechnung der Altersrente, die an die Stelle einer Invalidenrente tritt, ist nämlich auf die für die Berechnung der Invalidenrente massgebende Grundlage abzustellen, falls dies für die versicherte Person günstiger ist (Art. 33bis Abs. 1 AHVG), d.h., die Altersrente der AHV entspricht betraglich mindestens der zuvor bezogenen Invalidenrente der IV.
Wird eine IV-Rente durch eine AHV-Rente abgelöst, so ist für die Berechnung der AHV-Rente grundsätzlich auf die für die bisherige IV-Rente massgebende Berechnungsgrundlage, d.h. sowohl auf die Rentenskala als auch auf das massgebende durchschnittliche Jahreseinkommen der bisherigen Invalidenrente abzustellen, falls dies für die berechtigte Person vorteilhafter ist.
Wurde bis vor der AHV-Rente eine Teilrente der IV bezogen (1/4, 1/2, 3/4-Rente), so wird diese für die Berechnung der AHV-Rente entsprechend auf eine Vollrente aufgestockt, falls die Beitragsdauer vollständig ist (Art. 33bis Abs. 3 AHVG).
4. Komplexer kann die Antwort sein, wenn die Person ausländische Versicherungszeiten aufweist (vgl. dazu BGE 131 V 371 für den Anwendungsbereiche des Freizügigkeitsabkommens mit derEU/EFTA).
5. Mit dem AHV-Bezug, bzw. mit dem Vorbezug könnte auch EL beanspruche werden, wenn über die anderen Leistungen das EL-Existenzminimum nicht gedeckt sein sollte. Möglich wäre auch ein Vorbezug der AHV (wenn die Person noch nicht eh schon sehr kurz vor dem AHV-Rentenalter stünde). Würde dann nachher eine IV-Rente zugesprochen werden, könnte praxisgemäss der AHV-Vorbezug rückgängig gemacht werden. Im vorliegenden Fall ist der ordentliche AHV-Bezug aber zeitlich so nahe, dass dies wohl keine Rolle spielt.
6. Zu beachten ist zunächst, dass auch Hilfsmittelansprüche gegenüber der UV bestehen können. Diese Ansprüche gehen koordinationsmässig vor (Art. 65 lit. a ATSG) und sollten primär dort geltend gemacht werden..
Hilfsmittel werden gemäss IVG gewährt, wenn der Gesundheitsschaden objektiv die Versorgung notwendig macht und eines der Eingliederungsziele gemäss Art. 21 IVG erfüllt. Es muss eine voraussehbare Verwendungsdauer von mindestens einem Jahr angenommen werden können. Der Anspruch auf Hilfsmittel besteht bis zum Bezug bzw. Vorbezug der Altersrente (vgl. Kreisschreiben über Hilfsmittel gegenüber der Invalidenversicherung (KHMI) Rz. 1003f. (Stand 1.1.2020). Gestützt auf diese Regelung muss also zunächst für die betreffende Person Anspruch auf ein IV-Hilfsmittel haben, wenn sie (bald) noch keine Altersrente beziehen würde, damit Hilfsmittel nach IVG in Frage kommen.
Im Weiteren gilt auch hier der Besitzstand: Gemäss Art. 4 der Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Altersversicherung – HVA gilt, dass der Anspruch auf Hilfsmittel in Art und Umfang mit Entstehen des Anspruchs auf Altersrenten weiter gelten, soweit die entsprechenden Voraussetzungen weiterbestehen, wenn solche Hilfsmittel bis zum Zeitpunkt des Entstehens der Altersrente erhalten haben.
Die Frage ist nun, was es bedeutet, dass die versicherte Person vor dem Bezug der Altersrente Hilfsmittel der IV „erhalten hat“.
Das Bundesgericht hat in BGE 107 V 76 entschieden, dass dafür nicht etwas auf den Zeitpunkt abzustellen ist, wo die Verfügung ergeht. Sondern es ist auf den Gesuchseingang abzustellen (missverständlich also das Kreisschreiben über Hilfsmittel in der AHV, Ziff. 1003 (Stand 1.1.2020)).
Erfolgt dieser vor Beginn einer Altersrente ist noch die IV zuständig, auch wenn der Entscheid später erlassen wird. Der IV-Entscheid regelt in der Folge auch die Höhe des Anspruchs für Altersrentner bzgl. des Hilfsmittels.
Diese Besitzstandsgarantie gilt auch, wenn eine Hilflosenentschädigung der IV im Rahmen der Verjährungsvorschrift von Artikel 48 Absatz 2 IVG nachzuzahlen ist oder wegen Verjährung erst im Rentenalter beginnen kann (vgl. ZAK 1980 S. 57).
7. Gleiches gilt gemäss Art 43bis Abs. 4 AHVG grundsätzlich für die Hilflosenentschädigung und gemäss Art. 43ter AHVG für einen allfälligen Assistenzbeitrag. Wobei bzgl. Hilflosenentschädigung ein allfälliger Anspruch gegenüber der Unfallversicherung vorgehen würde (vgl. Art. 66 Abs. 3 ATSG).
8. Bitte beachten Sie, dass im vorliegenden Fall wie bereits gesagt auch Ansprüche gegenüber der Unfallversicherung und ev. auch Ansprüche gegenüber der Unfallversicherung auf eine Rente bestehen könnten. Diese sollten explizit geltend gemacht werden. Dort ist die Eintrittsschwelle (10% Invalidität) tiefer als für die IV. Die entsprechenden Ansprüche bestehen hier, weil der Unfall vor dem Rentenalter eingetreten ist. Weil der Anspruch zeitlich nahe liegt beim ordentlichen Rentenalter, werden die Rentenleistungen aber erheblich gekürzt (vgl. Art. 20 Abs. 2ter UVG).
9. Vorgehen: Bzgl. IV ist, soweit noch nicht erfolgt, unbedingt und belegbar auch der Anspruch auf Hilfsmittel sowie eine Hilflosenentschädigung noch vor dem Erreichen des Rentenalters geltend zu machen. Analoges gilt gegenüber der Unfallversicherung. Auch gegenüber der Pensionskasse sind Leistungen wegen einer allfälligen Invalidität schon anzumelden und diese ist ins IV-Verfahren einzubeziehen. Auch dort könnten nach Art. 23 BVG und dem PK-Reglement ev. Ansprüche bestehen. Je nach Reglement können auch Besitzstände eine Rolle spielen.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot