Sehr geehrter Herr Mösch
meine Klientin hat nach Abschluss der Erstausbildung per 1.10.18 eine neue Stelle angetreten. Nach Abschluss der Probezeit (1 Monat) erkrankte sie temporär für 6 Wochen an Diagnose 1, die eine OP und eine Arbeitsunfähigkeit von 6 Wochen nach sich zog. Diagnose 1 ist abgeschlossen. Danach hat sie ca. 5 Wochen gearbeitet, erkrankte an Diagnose 2, die nach einer Woche AUF erst gesichert war. Diagnose 2 ist neu, verläuft in Schüben und ist nicht heilbar, sondern wird sich im Laufe der Zeit weiter verschlechtern. Diagnose 2 konnte mit Medikamenten eingestellt werden und führte zum Verschwinden der Symptome. Der Schock von Diagnose 2 und damit verbundene existenzielle Sorgen führten zu grossem Stress und zu Beschwerdesymptomen der Diagnose 3, die bereits während der Ausbildung bestanden (hier kläre ich noch ab, ob es während der Ausbildung ebenfalls eine KTG-Versicherung gab mit einer entsprechenden Freizügigkeit, d. h. ohne Vorbehalt).
Nun zu meiner Frage: Die 3 unterschiedlichen Erkrankungen mit unterschiedlichen Symptomen generieren, so meine ich, beim Krankentaggeld jeweils einen neuen Schadensfall. Kann davon ausgegangen werden, dass Pro Diagnose auch ein Leistungsanspruch von je 720 Tagen Krankentaggeld resultiert? Generiert auch jeder Fall eine eigene Kündigungssperrfrist?
Inzwischen wurde meiner Klientin während der AUF von Diagnose 3 gekündigt, weil die 30 tägige Kündigungssperrfrist im 1 Dienstjahr abgelaufen ist. Müsste hiergegen während laufender Kündigungsfrist Widerspruch eingelegt werden?
Da alle 3 Schadensfälle während der Anstellung begannen: empfiehlt es sich, gegenüber dem Krankentaggeldversicherer (noch unklar ob KVG oder VVG) die 3 verschiedenen Diagnosen zu deklarieren, solange die Anstellung noch dauert? Meine Überlegung war, wenn die Schub-Krankheit nach Ende des Arbeitsverhältnisses erneut auftritt, besteht evtl. kein Versicherungsschutz mehr. Im Arbeitsvertrag steht auch, dass für das Krankentaggeld eine Wartefrist von 61 Tagen besteht. Diese hat meine Klientin bei noch keiner der 3 Diagnosen ausgeschöpft. Kann/soll man dies trotzdem aktenkundig machen?
Besten Dank für die Beantwortung der Frage & freundliche Grüsse
Anja Keller
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrte Frau Keller
a) Bezüglich Kündigungssperrfrist gilt, dass jeder Krankheitsfall eine eigenständige Sperrfirst im Sinne von Art. 336c OR entsteht. Eine neue Sperrfrist entsteht bei einem neuen die Arbeitsunfähigkeit begründenden Krankheitsfall auch bei einer laufenden Sperrfist. (BGE 120 II 124).
Wenn bei Schuberkrankungen eine längere Zeitdauer zwischen der einen Arbeitsunfähigkeit und der nächsten liegt, so beginnt die Sperrfrist jeweils neu.
Eine ordentliche Kündigung während einer laufenden Sperrfrist wäre nichtig.
In Ihrer Fallschilderung besteht am ehesten ein Zweifel an der Zulässigkeit der Kündigung dann, wenn die genannte Diagnose 2 oder 3 faktisch im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht 30 Tage zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt hat. In diesem Fall ist die Kündigung möglichst schnell beim Arbeitgeber anzufechten, und es ist zu verlangen, dass die vertraglichen Pflichten erfüllt werden. Falls dem nicht gefolgt wird, so müsste das Arbeitsgericht angerufen werden. Ich rate dazu, zuvor juristische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
b) Die zentralen Antworten auf Ihre Fragen bezüglich der Krankentaggeldversicherung können präzise nur gegeben werden, wenn das Reglement der Krankentaggeldversicherung und die konkreten Versicherungsbedingungen gesichtet werden. Aufgrund der langen Karenzfrist gehe ich davon aus, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine KTV nach VVG handelt, insoweit ist also das Reglement besonders bedeutsam.
Häufig bestehen dabei die entsprechenden Taggeldanspruch insgesamt, aber nicht pro Fall. Häufig besteht bei bleibender Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch von insgesamt 730 Taggeldern innert 900 Tagen. Je nach Taggeldversicherung kann danach eine neue Rahmenfrist mit weiteren Ansprüchen entstehen. Ebenfalls bestehen häufig besondere Regeln für Rückfälle (wie sie in Ihrem Fall denkbar sind).
c) Es ist bei einer Krankentaggeld mit einer Karenzfrist wie in Ihrem Fall (61 Tage) auf jeden Fall ratsam, das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit gut medizinisch zu dokumentieren, selbst wenn bis zum 61 Tag kein Lohnanspruch besteht. Dies schon deswegen, um die Voraussetzung der 60 Tage Arbeitsunfähigkeit vor dem Leistungsanspruch zu belegen. Die KTV ist möglichst schon vor Ablauf der Karenzfrist einzubeziehen. Obliegenheiten des Versicherten sind mit der KTV zu klären und zu erfüllen.
d) Da im vorliegenden Fall eine Kündigung vorliegt ist zu beachten, dass mit Ablauf der Kündigungsfrist und somit mit der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses sich die Frage stellt, ob die bestehende Krankentaggeldversicherung auch über die Kündigung hinaus im laufenden AUF-Fall Leistungen gewährt, oder ob hierfür ein Übertritt in die Einzelversicherung (und die selbständige Zahlung der Prämien) notwendig ist. Auch dies kann nur nach Information der Krankentaggeldversicherung, bzw. - besser - nach Durchsicht der Versicherungsbedingungen festgestellt werden.
Genügt Ihnen das?
Prof. Peter Mösch Payot