Sehr geehrte Damen und Herren
Bei meinen zwei Fragestellungen handelt es sich um eine Gemeinde im Kanton St. Gallen.
Sachverhalt 1: Zuzug eines Sozialhilfebezügers (nennen wir sie Frau M.) von einer Gemeinde im Kanton SG in eine andere Gemeinde im selben Kanton. Die Wegzugsgemeinde hat bei Frau M. bereits bestehende überhöhte Wohnkosten übernommen. Frau M. ging deshalb davon aus, dass es die Zuzugsgemeinde ebenso handhabt. Nun ist es so, dass diese die Übernahme der Mietzinsdifferenz ablehnt mit der Begründung, dass sich Frau M. hätte darüber bewusst sein müssen, dass die Sozialämter Begrenzungen bei der Übernahme von Mietzinsen haben. Frau M. befindet sich nun aktiv auf Wohnungssuche. In den KOS-Richtlinien ist aufgeführt, dass überhöhte Wohnkosten so lange zu übernehmen sind, bis eine zumutbare günstigere Lösung zur Verfügung steht und übliche Kündigungsbedingungen in der Regel zu berücksichtigen seien. Zudem ist es bei Frau M. so (IV-Bezügerin, ganze Rente), dass vor Gericht ein Verfahren bzgl. Zuständigkeit der Pensionskasse für die Auszahlung einer BVG Rente läuft. Das laufende Verfahren bringt die Problematik mit sich, dass die Ergänzungsleistungen die Prüfung des Leistungsanspruches vorläufig respektive bis zum Gerichtsentscheid sistiert hat. Dies wird mit grosser Wahrscheinlichkeit auch der Grund sein, weshalb die Wegzugsgemeinde die überhöhten Wohnkosten übernommen hat. Welches Vorgehen empfehlen Sie bzgl. der Handhabung des Sozialamtes der Zuzugsgemeinde?
Sachverhalt 2: Bei diesem Fallbeispiel handelt es sich um dieselbe Gemeinde wie im obgenannten Beispiel. Bei einem Sozialhilfeempfänger hat die Vermieterschaft gewechselt, welche dann an der Liegenschaft wertvermehrende Investitionen vorgenommen und den Mietzins entsprechend erhöht hat. Allerdings sind die dabei berücksichtigten Fristen fragwürdig, weshalb die Schlichtungsstelle miteinbezogen wurde. Nun befindet sich auch dieser Sozialhilfeempfänger ebenfalls aktiv auf Wohnungssuche. Allerdings übernimmt auch hierbei die besagte Gemeinde den Anteil der Mietzinsdifferenz nicht. Hierbei beruft sich das Sozialamt darauf, dass überhöhte Mietzinse nur bei Neuanmeldungen übernommen werden, da diese über die Richtlinien noch nicht informiert seien. Allerdings hatte der Sozialhilfeempfänger in dieser Situation keinen Einfluss auf die Mietzinserhöhung, auch wenn er über die Richtlinien Kenntnisse hatte. Das Sozialamt handelt hierbei nicht entsprechend den Empehlungen der KOS-Richtlinien. Auf meine diesbezügliche Kontaktaufnahme per Mail mit dem Sozialamt gab die Mitarbeiterin zur Antwort, dass eine individuelle Prüfung aufgrund der oben aufgeführten Begründung keinen Sinn mache. Auch hier meine Frage: Welches Vorgehen empfehlen Sie?
Besten Dank für die Unterstützung.
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Huldi
Vielen Dank für Ihre Fragen. Ich beantworte gerne in einer ersten Antwort nur die bezüglich Sachverhalt 1 gestellte Frage und in einer zweiten Antwort dann die bezüglich Sachverhalt 2 gestellte Frage:
In Art. 11 Abs. 1bis des Sozialhilfegesetzes St. Gallen (SHG SG) steht, dass sich die Bemessung der Sozialhilfe nach den Richtlinien der Konferenz der Sozialhilfe St. Gallen richtet. In Art. 11a Abs. 1 SHG SG wird präzisiert, dass die Bemessung aufgrund des Einzelfalls zu erfolgen habe. In Kapitel B.3 der KOS-Richtlinien steht dann konkret zum von Ihnen geschilderten Sachverhalt, dass bei bedürftigen Neuzuzügern, die eine zu teure Wohnung beziehen, die Übernahme der Wohnkosten wegen Missbrauchs verweigert werden kann. Es wird dazu auf einen ZESO Artikel aus dem Jahre 1998 (S. 155) verwiesen. Abgesehen davon, dass die Gemeinde die Übernahme der überhöhten Wohnkosten nicht verweigern muss sondern nur kann, ist dies nur bei Rechtsmissbrauch vorgesehen. Rechtsmissbrauch ist im Zusammenhang mit der Sozialhilfe äusserst zurückhaltend anzunehmen (Guido Wizent, Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Zürich/St. Gallen 2014, S. 227). Von Rechtsmissbrauch wird nur dann gesprochen, wenn das Verhalten der unterstützten Person offentsichtlich einzig darauf ausgerichtet ist, wirtschaftliche Hilfe zu erlangen (Guido Wizent, Sozialhilferecht, Zürich/St. Gallen 2020, RN 413). Schliesslich ist festzuhalten, dass alles staatliche Handeln verhältnismässig sein muss. Es muss zur Erreichung des öffentlichen Ziels geeignet und notwendig sein und in einem vernünftigen Verhältnis zu den Freiheitsbeschränkungen stehen (z.B. BGE 102 Ia 516, 522).
In dem von Ihnen geschilderten Sachverhalt ist ein Bedürftiger umgezogen. Die Wohnung ist zu teuer. Da es sich aber nur rechtfertigt, ohne Übergangsfrist nur den Grenzwert zu übernehmen, wenn der Klient rechtsmissbräuchlich gehandelt hat, ist zu prüfen, ob dies der Fall ist. Meiner Ansicht nach ist dies zu verneinen. Der Klient hat bereits am bisherigen Ort in einer zu teuren Wohnung gelebt. Er ist - davon gehe ich aus - auch bedürftig, wenn er nicht in einer zu teuren Wohnung lebt und hat deshalb die zu teure Wohnung nicht nur aus dem einzigen Grund gemietet, bedürftig zu werden. Aber sogar, wenn das Verhalten des Klienten als rechtsmissbräuchlich gewertetet werden sollte, ist das gewählte Vorgehen meiner Ansicht nach nicht verhältnismässig, d.h. gar nicht notwendig. Dies ist deshalb so, weil der Klient eine ganze Invalidenrente zugesprochen erhalten hat (das ist sehr selten) und deshalb feststeht, dass die Ausgaben der Sozialhilfe mit den Nachzahlungen der Ergänzungsleistungen und Pensionskassenrenten vollumfänglich gedeckt sein werden. Es ist deshalb nicht notwendig und steht in keinem vernünftigen Verhältnis, wenn der Klient nun eine günstigere Wohnung suchen muss und die Sozialhilfe bzw. die Gemeinde ihre aktuellen Ausgaben in einem späteren Zeitpunkt vollumfänglich gedeckt haben wird. Wichtig ist nur, dass der Klient sowohl die Ergänzungsleistungen wie auch die Pensionskasse anweist, die rückwirkenden Zahlungen der Gemeinde zu überweisen.
Ich empfehle Ihnen deshalb, mit der Gemeinde meine Antwort zu besprechen und eine anfechtbare Verfügung zu verlangen und diese dann anzufechten, wenn die Gemeinde nicht auf Ihre Argumente eingehen will.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Huldi
Hier nun meine Antwort zu Sachverhalt 2:
In Kapitel B.3 der KOS-Richtlinien, welche (wie ich in meinen obigen Ausführungen geschrieben habe) im Kanton St. Gallen Anwendung finden, steht zum Thema "überhöhte Wohnkosten", dass diese so lange zu übernehmen sind, als bis eine günstigere Lösung zur Verfügung steht. Die Nichtübernahme der überhöhten Wohnkosten ist nur dann vorgesehen, wenn ohne Einwilligung der Sozialhilfe ein Wechsel in eine teurere Wohnung erfolgt oder nicht in ausreichendem Umfang eine günstigere Wohnung gesucht wird.
In dem von Ihnen geschilderten Sachverhalt ist die unterstützte Person eben gerade nicht umgezogen. Sie bzw. er wohnt nach wie vor in der selben Wohnung. Zudem sucht er nach einer günstigeren Wohnung. Meiner Meinung nach sind deshalb die Voraussetzungen für die Nichtübernahme der überhöhten Wohnkosten nicht gegeben, zumal der Klient ja offenbar auf Wohnungssuche ist. Zudem empfinde ich es als unverhältnismässig, wenn die überhöhten Wohnkosten ohne Übergangsfrist nicht übernommen werden, da der Klient während einer allfälligen Kündigungsfrist ja die überhöhten Wohnkosten bezahlen muss. Anders könnte meiner Ansicht nach der Fall eventuell nur dann liegen, wenn der Klient trotz Wissen um die Erhöhung des Mietzinses darauf verzichtet hätte, eine neue Wohnung zu suchen. Das scheint mir aber vorliegend nicht der Fall zu sein.
Ich empfehle Ihnen deshalb auch bezüglich des 2. Sachverhalts die nochmalige Kontaktaufnahme mit der Gemeinde unter Bekanntgabe meiner rechtlichen Einschätzung. Will die Gemeine nicht einlenken, empfehle ich, eine anfechtbare Verfügung zu verlangen bzw. allenfalls die nächste Budgetverfügung bezüglich Miete anzufechten und im Rechtsmittelverfahren mit einer provisorischen Massnahme zu verlangen, dass während dem Rechtsmittelverfahren die tatsächliche Miete bezahlt wird.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach