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Stipendienberechtigung für obligatorisches Praktika

Veröffentlicht:
05.02.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Die Klientin (21 J alt) befindet sich momentan in einem (faktisch) obligatorischen Jahrespraktikum für die angestrebte Lehre, FaBe, Kleinkinderzieherin. Ihr Antrag auf Stipendien wurde im Wintersemester`19 mündlich abgelehnt, da ihr Praktikum nicht stipendienberechtigt sei. Sie wird von der Sozialhilfe Basel-Stadt unterstützt. 

Wir 1)  argumentierten wie folgt dagegen: 

Auch wenn das Praktikum nicht gesetzlich, reglementarisch für den Erwerb eines Diploms vorausgesetzt ist, so ist es in Basel-Stadt faktisch geboten, vor Antritt einer Lehre als FaBe, Kleinkinderzieherin, ein Jahrespraktikum vorab absolviert zu haben. Damit gilt das Jahrespraktikum in diesem Bereich als obligatorisch und müsste unserem Verständnis nach, stipendienberechtigt sein. Die Rechtssprechung des BGE bestätigt dies ebenfalls im Falle der Rechtssprechung einer bestehenden Anspruchsvoraussetzung auf Ausbildungszulagen (vgl. http://relevancy.bger.ch/php/clir/http/index.php?highlight_docid=atf%3A%2F%2F139-V-209%3Ade&lang=de&type=show_document und http://www.servat.unibe.ch/dfr/bge/c5139209.html).

Daraufhin erhielten wir 2) folgende Antwort des Rechtsdienstes des Amtes für Ausbildungsbeiträge:

„Wir sehen aufgrund des von Ihnen erwähnten Bundesgerichtsentscheids keinen Handlungsbedarf im Bereich der Ausbildungsbeiträge.

Das Bundesgericht beurteilte in dem besagten Fall, ob bei einem Praktikum im Hinblick auf eine Lehre als Kleinkindererzieherin ein Anspruch der Eltern auf Familien- bzw. Ausbildungszulagen für ihr Kind besteht. Es bejahte dies mit der Begründung, dass das Praktikum bereits Teil der Ausbildung bilde.

Nach der für den Entscheid massgebenden Familienzulagengesetzgebung  soll mit den Familienzulagen die finanzielle Belastung der Familienhaushalte durch ein oder mehrere Kinder teilweise ausgeglichen werden (Art. 2 FamZG). Die Familienzulagen umfassen Zulagen ab der Geburt eines Kindes bis zu dem Zeitpunkt, in dem es eine Ausbildung abschliesst, längstens jedoch bis zum Ende des Monats, in dem es das 25. Altersjahr vollendet (Art. 3 Abs. 1 FamZG). Mit der Gewährung von Ausbildungsbeiträgen soll dagegen der Zugang zu Bildung erleichtert, die Chancengleichheit gefördert sowie die Existenzsicherung während der Ausbildung unterstützt werden (Art. 2 lit. a–c Stipendienkonkordat). Anspruchsberechtigt sind nicht die Eltern, sondern das in Ausbildung stehende bzw. damit beginnende Kind (§ 4 f. Ausbildungsbeitragsgesetz; § 7 Ausbildungsbeitragsverordnung). Die Beitragsberechtigung besteht für Ausbildungen auf der Sekundarstufe II oder höher.

Daraus erhellt, dass mit den beiden Gesetzgebungen unterschiedliche Ziele und Stossrichtungen verfolgt werden: Die Familienzulagengesetzgebung zielt auf die Entlastung der Familienhaushalte von den Unterhaltskosten von Kindern ab deren Geburt bis zu deren Ausbildungsabschluss, d.h. also während der Dauer der zivilrechtlichen Unterstützungspflicht der Eltern (Art. 277 ZGB). Das Kind, das ein Praktikum im Hinblick auf eine (erste) Lehre absolviert, hat im Sinne der Familienzulagengesetzgebung offensichtlich noch keine Ausbildung abgeschlossen und dessen Eltern sind somit ausbildungszulagenberechtigt. Mit den Ausbildungsbeiträgen sollen dagegen nicht die Familienhaushalte von den Unterhaltskosten von Kindern entlastet werden. Sie zielen nur, aber immerhin darauf, einem Kind bzw. einer Person eine Ausbildung auf Sekundarstufe II zu ermöglichen, wenn dessen bzw. deren finanzielle Leistungsfähigkeit oder die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eltern für die Absolvierung der Ausbildung nicht ausreichend ist (Art. 3 Stipendienkonkordat: Grundsatz der Subsidiarität der Leistung). 

Entsprechend besteht im Anwendungsbereich der Ausbildungsbeitragsgesetzgebung grundsätzlich kein Grund, die Anspruchsberechtigung zeitlich auf ein einer Lehre vorausgehendes Praktikum auszudehnen, und entfaltet der Bundesgerichtsentscheid auch keine präjudizielle Wirkung auf Ihre Praxis, wonach Praktikas im Hinblick auf eine Lehre nicht stipendiert werden.“

Uns würde 3) Ihre Einschätzung zur Sachlage interessieren. Da wir häufiger solche Praktikasituationen (auch ohne Sozialhilfebedürftigkeit) im Beratungsalltag haben, hat der Fall für uns präjudizierende Auswirkung. Für Ihre Bemühungen danke ich Ihnen bereits im Voraus ganz herzlich.

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrter Herr Walter

Die Ausführungen des Rechtsdienstes des Baselstädter Amtes für Ausbildungsbeiträge zur (fehlenden) präjudiziellen Wirkung der Rechtsprechung für Kinder- und Ausbildungszulagen auf die Ansprüche auf Stipendien sind im Prinzip korrekt.

Namentlich wenn ein Praktikum ein integraler Bestandteil einer Ausbildung ist, also formale (und nicht nur faktisch erwartete) Voraussetzung oder besser noch Teil der Ausbildung, so dürfte es materiell allerdings schwer zu begründen sein, weswegen Stipendien für jene Zeit ganz grundsätzlich nicht gewährt werden.

Im Einzelnen wäre aber für die hier interessierende Fragen das kantonale Stipendienrecht (in Konkretisierung des Stipendienkonkordates) zu analysieren. Und in einem geeigneten Fall (wenn namentlich das Praktikum auch formal, von der Konzeption der Ausbildung her)  wäre eine sorgfältig begründete Beschwerde ans kantonale Gericht ratsam, um die Frage zu klären.

Ich hoffe, das dient Ihnen.

Prof. Peter Mösch Payot