Sachverhalt:
Einem Klienten der Berufsbeistandschaft wurde rückwirkend der Anspruch auf Sozialhilfe abgesprochen, weil er in Untersuchungshaft musste (U-Haft ab 30.8.2019). Es wurde jedoch nicht nur der Grundbedarf zum Leben ab September 2019 verneint, sondern auch ebenfalls noch die Unterstützung für die Wohnungsmiete in Untermiete, rückwirkend ab 1.6.2019 bis Ende September 2019 und nun im Schriftenwechsel vor Bezirksrat ebenfalls noch für den Oktober 2019. Das Mietverhältnis wurde durch mich Ende September auf Ende Oktober gekündigt, weil die Staatsanwaltschaft bei einem Telefonat durchblicken liess, dass mit einer baldigen Entlassung aus der U-Haft nicht zu rechnen sei.
Gegen diese Verfügung wurde Rekurs erhoben durch den Klienten. Angefochten wurde nicht die Verneinung des Anspruchs auf Ausrichtung des Grundbedarfs ab 1.9.2020 und gleichzeitig die Rückforderung des Grundbedarfs Sepember 2019 aber angefochten wurde die Verneinung des Unterstützungsanspruchs für die Wohnungsmiete Juni bis und mit Oktober 2019. Dies mit der Begründung, dass bei U-Haft zuerst abzuklären ist, ob die Erhaltung der Wohnmöglichkeit angezeigt ist (U-Haft kann ja auch nur für kurze Zeit angeordnet werden).
Meine Unsicherheit befrifft aber weniger die inhaltliche Frage, sondern die prozessualen Vorbringen des Anwalts der von der Sozialhilfe beigezogen wurde (Pte. 3 -5 der Begründung der Replik vom 6.5.2020). Da traue ich mir eine Einschätzung nicht zu. Ich möchte verhindern, dass der Rekurs aufgrund von formellen oder prozessualen Gründen abgewiesen wird.
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrter Herr Studer
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt :
Nach § 26 Lit. a des Sozialhhilfegesetzes des Kantons Zürich (SHG ZH) ist zur Rückerstattung von wirtschaftlicher Hilfe verpflichtet, wer diese unter Angabe von unwahren oder unvollständigen Angaben erwirkt hat oder mit anderen Worten: Rückerstattungspflichtig wird, wer aufgrund unrechtmässigen Verhaltens mehr Leistungen erhalten hat, als ihm sozialhilferechtlich zugestanden wäre. Entscheidend ist dabei nicht, ob eine unterstützte Person eine Pflichtverletzung begangen hat sondern, ob objektiv zu viel Leistungen, also Leistungen ohne Rechtsgrund ausgerichtet wurden (Guido Wizent, Sozialhilferecht, RZ 807ff., Zürich/St. Gallen 2020).
In einem ersten Schritt gilt es deshalb zu prüfen, ob die vorübergehende Wegweisung und das Annäherungsverbot tatsächlich die rechtliche Wirkung hat, dass kein Mietzins mehr geschuldet ist. Ist dies nicht der Fall und hatte Ihr Klient sozialhilferechtlichen Anspruch auf Mietzins, spielt es keine Rolle, ob er die Wegweisung und das Annäherungsverbot zu spät gemeldet hat, weil er dann nicht mehr Leistungen bezogen hat, als er rechltichen Anspruch darauf hatte.
In § 14 SHG ZH wird festgehalten, dass derjeinige Anspruch auf wirtschaftliche Hilfe hat, der für seinen Lebensunterhalt nicht hinreichend aufkommen kann. Vom Staat sind dabei die üblichen Aufwendungen für den Lebensunterhalt zu bezahlen (§ 15 Abs. 1 SHG ZH). Wie die üblichen Aufwendungen für den Lebensunterhalt bemessen werden, bemisst sich nach § 17 Abs. 1 der Sozialhilfeverordnung des Kantons Zürich (SHV ZH) nach den SKOS-Richtlinien. Diese besagen in Kapitel A.6, dass sich das Unterstützungsbudget aus dem Grundbedarf, der medizinischen Grundversorgung und den Wohnkosten zusammensetzt. Besteht ein Mietverhältnis, sind die Wohnkosten zu übernehen (Kapitel B.3 SKOS-Richtlinien). Auch im Handbuch zum Sozialhilferecht des Kantons Zürich wird festgehalten, dass die Kosten für den Mietzins gemäss Mietvertrag (ortsüblich) zu berücksichtigen seien.
Daraus folgt, dass die Mietkosten für Ihren Klienten während seiner Bedürftigkeit zu übernehmen waren, wenn ein gültiger Mietvertrag bestand und die vorübergehnde polizeiliche Wegweisung und das Annäherungsverbot diesen Mietvertrag nicht aufzuheben vermochten unbesehen davon, ob er die polizeiliche Wegweisung und das Annäherungsverbot rechtzeitig gemeldet hat oder nicht.
Der Mietvertrag ist in Art. 253 ff. des Obligationenrechts (OR) geregelt. Er kann formlos und somit mündlich abgeschlossen werden. Die Kündigung muss bei Wohnungen 3 Monate im Voraus auf einen ortsüblichen Termin in schriftlicher Form erfolgen (Art. 266 b, c und l OR).
Ihr Klient hat auf den 01.03.2019 einen mündlichen Mietvertrag (konkret Untermietvertrag) mit seiner damaligen Freundlin abgeschlossen. Durch den mündlich abgeschlossenen Mietvertrag war Ihr Klient zivilrechtlich durchsetzbar verpflichtet, den vereinbarten Mietzins zu bezahlen. Damit war der Mietzins Bestandteil seines sozialhilferechtlichen Bedarfs, der während seiner Bedürftigkeit von der Sozialhilfe zu finanzieren war. Ihr Klient hatte somit grundsätzlich Anspruch auf die Bezahlung des von ihm rechtlich verpflichtend zu leistenden Mietzinses.
Daran ändern auch die von der Sozialhilfe pauchal ins Feld geführten Grundsätze des Bedarfsdeckungs-, Tatsächlichkeits-, Gegenwärtigkeits-, Individualisierungs-, Final- und Subsidiaritätsprinzips nichts. Ihr Klient war in der fraglichen Zeit unbestrittenermassen bedürftig. Er schuldete aus zivilrechtlicher Sicht den Mietzins, auch wenn er die Wohnung nicht durchgehend bewohnen konnte und verfügte über keine weiteren finanziellen Mittel als die Sozialhilfeleistungen, um den zivilrechtlich geschuldeten Mietzins zu bezahlen.
Nun gilt es zu klären, ob die zeitweilige Wegweisung bzw. das Annäherungsverbot die zivilrechtliche Pflicht zur Mietzinszahlung aufhebt und Ihr Klient damit ab einem bestimmten Zeitpunkt keinen Anspruch mehr auf die Bezahlung des Mietzinses hatte.
Die Wegweisung und das Annäherungsverbot erfolgten durch die Polizei gestützt auf § 3 Abs. 1 Lit. a und c des Gewaltschutzgesetzes (GSG) des Kantons Zürich. Demnach ordnet die Polizei bei Vorliegen von häuslicher Gewalt umgehend die zum Schutz der gefährdeten Person notwendigen Massnahmen an. Sie kann u.a. die gefährdende Person aus der Wohnung weisen, ihr untersagen, von der Polizei bezeichnete Gebiete zu betreten und ihr verbieten, mit den gefährdeten Personen in irgend einer Form Kontakt aufzunehmen. Die Schutzmassnahmen gelten nach § 3 Abs. 2 GSG während 14 Tagen. Die gefährdete Person kann beim Gericht um Verlängerung der Massnahmen ersuchen (§ 6 Abs. 1 GSG). Leben Minderjährige im Haushalt der gefährdeten oder der gefährdenden Person, können nach § 15 GSG flankierende Massnahmen getroffen werden.
Daraus folgt, dass die Schutzmassnahmen nach GSG zwar Auswirkungen auf den erlaubten Aufenthalt einer Person nicht jedoch Wirkung auf zivilrechtliche Verträge haben. Auch wenn Ihr Klient die gemeinsame Wohnung vorübergehend nicht mehr betreten durfte und dort vorübergehend nicht wohnen konnte, bestand der mündlich vereinbarte Mietvertrag nach wie vor, zumal die damalige Partnerin Ihres Klienten als seine Untervermieterin in diesem Zeitpunkt den Vertrag nicht gekündigt hatte. Damit war Ihr Klient nach wie vor verpflichtet, Mietzins zu bezahlen. Zu seinem sozialhilferechtlichen Bedarf gehörte deshalb trotz befristeter Wegweisung der Mietzins.
Es wäre zudem stossend, den Anspruch auf Mietzins abzuerkennen, weil damit die damalige Partnerin und Untervermieterin gestraft worden wäre, da sie dann trotz nicht erfolgter Kündigung ihrerseits keine Mietzinszahlung erhalten hätte. Dabei kann es keine Rolle spielen, ob der Mieter die Mietsache aufgrund seines Verschuldens benutzen kann oder nicht. Eine andere Auslegung wäre vielmehr zynisch gegenüber der damaligen Partnerin und Untervermieterin. Weil sie aufgrund von häuslicher Gewalt die Polizei gerufen hatte und eine Wegweisung und ein Annäherungsverbot erwirkt hatte, hätte sie indirekt bewirkt, dass sie keinen Anspruch mehr auf Mietzins hätte, was Opfer von häuslicher Gewalt tendenziell davon abhalten würde, eine Wegweisung und ein Annäherungsverbot zu erwirken, um nicht den finanziellen Ansprüchen verlustigt zu gehen. Dies kann nicht Sinn und Zweck des Schutzes bei häuslicher Gewalt sein.
Der Anspruch auf Mietzinszahlungen durch die Sozialhilfe geht auch nicht verlustigt, weil Ihr Klient gegenüber seiner damaligen Partnerin und Untervermieterin offenbar Gewalt angewandt hat, denn ausschlaggebend ist einzig, ob sozialhilferechtlich ein Anspruch auf die Mietzinszahlung besteht.
Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass Ihr Klient durchgehend bis Ende Oktobe 2019 (Kündigung) Anspruch auf Mietzinszahlungen der Sozalhilfe hatte und die Zahlungen des Mietzinses deshalb rechtmässig erfolgten unbesehen davon, ob Ihr Klient die Wegweisung und das Annäherungsverbot rechtzeitig gemeldet hat (denn diese Meldung hätte keinen Einfluss auf die Höhe der Unterstützungsleistungen gehabt).
Kommt die Rechtsmittelinstanz entgegen der hier vertretenen Auffassung zum Schluss, dass während der Wegweisungszeit und dem Annäherungsverbot kein Mietzins geschuldet ist, kann jedoch der Anspruch auf Mietzins nicht per se abgesprochen werden. In diesem Fall müsste genau geprüft werden, von wann bis wann die Wegweisung und das Annäherungsverbot bestand. Für die wegweisungsfreie Zeit konnte Ihr Klient die Wohnung nutzen und der Mietzins wäre dann geschuldet. Es würde damit ein Anspruch auf Bezahlung des Mietzinses durch die Sozialhilfe im zeitlichen und betraglichen Umfang der ab Mai 2019 nutzbaren Wohnung bestehen.
Ergänzend ist auszuführen, dasss Ihr Klient Ende August 2019 in Untersuchungshaft gekommen ist. Aber auch diese Tatsache ändert nichts an seinem Anspruch auf Bezahlung des Mietzinses durch die Sozialhilfe.
Die SKOS-Richtlinien, welche für die Bemessung der Unterstützungsleistungen – wie oben ausgeführt – massgebend sind, regeln nicht, ob die Sozialhilfe während der Haft den Mietzins weiterhin zu bezahlen hat. Im Handuch zur Sozialhilfe des Kantons Zürich wird zu diesem Thema lediglich ausgeführt, dass während dem Aufenthalt in einer Vollzugseinrichtung die Lebenskosten, die nicht zu den Haftkosten gehören, von der Sozialhilfe zu tragen sind. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Mietkosten, welche Lebenskosten, die nicht zu den Haftkosten gehören, sind, ab Eintritt in die Haft mindestens bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin zu übernehmen sind, da solange die zivilrechtliche Verpflichtung auf Bezahlung dieser Kosten besteht. Der Mietvertrag wurde auf Ende Oktober 2019 im gegenseitigen Einverständnis mit dem Beistand der Untervermieterin aufgelöst und damit fristgerecht gehandelt. Der Anspruch auf Bezahlung des Mietzinses bis Ende Oktober 2019 bestand deshalb auch aus diesem Grund, weshalb die Voraussetzungen zur Rückerstattung nicht gegeben sind unbesehen davon, ob der Hafteintritt rechtzeitig gemeldet wurde oder nicht.
Keine Rolle kann dabei spielen, dass Ihr Klient aufgrund der Untersuchungshaft die Wohnung nicht benutzen konnte.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach