Zum Inhalt oder zum Footer

Rückzahlungsverpflichtung aus Weiterbildungsvereinbarung bei "unverschuldeter" Funktionsänderung

Veröffentlicht:
20.05.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Guten Tag

ich erlaube mir, Sie in folgender Situation um eine Einschätzung anzufragen:

Situationsbeschreibung
Die Klientin arbeitet als Teamleiterin bei einer Organisation im Bereich ambulante Pflege. Um diese Funktion zu übernehmen hat sie von Herbst 2017 – Sommer 2018 eine entsprechende Führungsweiterbildung – CAS Leadership (auch auf Anraten des Betriebs hin) absolviert. Für diese wurde eine Weiterbildungsverpflichtung über den Zeitraum von 3 Jahren ab Weiterbildungsende vorgenommen.
Im Februar 2018 wurde durchs Kader gemeinsam mit dem Vorstand eine neue Betriebsstrategie entwickelt, welche selbstorganisierte Teams ohne Teamleitungen vorsieht. Dafür sollen die Aufgaben der bisherigen Teamleitung unter verschiedenen Teammitgliedern aufgeteilt werden. Dabei wurde definiert, dass es auch Teams geben kann, bei welchen die Aufgaben der bisherigen Teamleitung gruppiert verteilt werden. Im Zusammenhang mit der zukünftigen Strategie sollen Hierarchien im Betrieb (mit Ausnahme der rechtlich erforderlichen Hierarchiestufe des Geschäftsleitungsteams) abgebaut werden. Die Ergebnisverantwortung soll neu durch alle Teammitglieder gemeinsam getragen werden.
Seit Anfang 2019 arbeiten einige Pilotteams in der zukünftigen selbstorganisierten Struktur. Hierfür wurden im Gesamtbetrieb zahlreiche Prozesse überprüft und an die neue Struktur angepasst. Auch in den Teams, welche noch über Teamleitungen verfügen, wurden die Zuständigkeiten neu definiert (sie als Leitung ist bspw. noch bei 3 Aufgabengebieten hauptverantwortlich, zuvor hat sie in allen Gebieten ausser der Berufsbildung die Hauptverantwortung für das Team getragen). Zudem wurden die Sitzungs- und Austauschgefässe angepasst (es gibt keine Kadersitzungen sowie Arbeitsbesprechungen mit  direkten Vorgesetzten mehr, stattdessen finden themenbezogene Sitzungen statt). Auf Formularen und in Prozessen wird bereits verbreitet auf die Bezeichnung einer Teamleitung verzichtet.
Definiert wurde, dass die Pilotphase bis Ende 2019 laufen soll, danach ist geplant, die Strategie zur Umsetzung im Gesamtbetrieb freizugeben, oder aufgrund der Evaluation der Pilotphase anpassen oder auszusetzen. Diesbezüglich fiel bereits ein Vorentscheid an einer Kadertagung: Ab 2020 sollen alle Teams als selbstorganisierte Teams funktionieren. Da der Klientin das Arbeiten so nicht zusagt und sie sich nicht vorstellen kann, lediglich  teilverantwortlich für das Team zu sein, hat sie ihre Anstellung per Ende Mai 2019 gekündet.      In diesem Zusammenhang hat sie den Betrieb um wohlwollende Prüfung ihrer Weiterbildungs-verpflichtung (insbesondere für den Zeitraum ab 2020) gebeten.
Die Entscheidung der GL hierzu lautet: Die Verpflichtung wurde geprüft, es ist der volle rückzahlungspflichtige Betrag ab Juni 2019 geschuldet (über CHF 6000.-).  

Fragestellung
In der Vereinbarung findet sich folgende Klausel: Kündigt oder ändert die mitarbeitende Person ihre Funktion im Betrieb und hat dadurch die Weiterbildung keinen direkten Zusammenhang mehr mit dem neuen Aufgabenprofil, schuldet sie dem Arbeitgeber den rückzahlungspflichtigen Betrag. Und weiter: Ändert der Betrieb die Funktion der mitarbeitenden Person, übernimmt er keine Kosten für Ausbildungsschritte, die nach der Veränderung des Arbeitsverhältnisses erfolgen. Bereits geleistete Beiträge sind zurückzuerstatten (ausgenommen sind unverschuldete Funktionsänderungen der mitarbeitenden Person).
Die Klientin ist der Ansicht, dass es sich im vorliegenden Fall klar um eine unverschuldete Funktionsänderung, spätestens ab 2020, handelt. Sie hätte die Möglichkeit, sich auf eine Stelle im Coaching-Bereich im Betrieb zu bewerben. Auch in dieser Funktion wäre jedoch klar, dass Sie die Breite an Aufgaben und Verantwortungen als Führungsperson abzugeben hätte.
Daher die Frage: Wie beurteilen Sie die Rückerstattungsverpflichtung aus der Weiterbildungsvereinbarung in der aktuellen Situation?

Auf Ihre Rückmeldung bin ich gespannt und bedanke mich bereits bestens.

Andrea Aldous
Movis AG Bern

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Sehr geeehrte Frau Aldous

Im Arbeitsvertragsrecht finden sich keine Regelungen, die diese Fragen ausdrücklich regeln. Gemäss arbeitsgerichtlicher Praxis bietet sich jedoch an, das Fortbestehen der Rückzahlungsvereinbarung bei Kündigungen nach den Bestimmungen über den Wegfall des Konkurrenzverbotes nach Art. 340c Abs. 2 OR zu prüfen. Ein nachvertragliches Konkurrenzverbot fällt dahin, wenn die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis kündigt, ohne dass der Arbeitnehmer dafür einen begründeten Anlass gesetzt hat oder, wenn der Arbeitnehmer kündigt und die Kündigung aus einem vom Arbeitgeber zu verantworteten Anlass erfolgte.

Was bedeutet dies nun für den konkreten Fall: Die Neugestaltung der Organisation führte dazu, dass die Mitarbeiterin ihre Führungsfunktion nicht mehr im ursprünglichen Sinne aufrechterhalten konnte. Es fragt sich, ob darin – in Analogie zur Bestimmung in Art. 340c Abs. 2 OR, ein Grund erblickt werden kann, dass die Arbeitnehmerin quasi entschuldbar die Stelle gekündigt hat (mit der Rechtsfolge, dass die Rückerstattungsklausel dann dahinfallen würde).

Die Antwort auf diese Frage fällt nicht glasklar auf.

Was spricht für die Position der Arbeitgeberin?

-          Es ist Mit Umstrukturierungen muss ein/e Mitarbeiter/in grundsätzlich rechnen.

-          Die Weiterbildung war klar nicht nur im Interesse der Arbeitgeberin, vielmehr qualifizierte die Weiterbildung die Arbeitnehmerin und erhöhte somit deren Chance auf dem Arbeitsmarkt

Was spricht für die Position der Arbeitnehmerin?

Die Weiterbildung erfolgte auf Initiative der Arbeitgeberin, die Arbeitnehmer hat sich darauf eingelassen und durfte damit rechnen, auch einen entsprechenden Job ausüben zu können.

Unter den gegebenen Umständen würde ich der Arbeitnehmerin raten, gegenüber der Arbeitgeberin darauf zu bestehen, dass ihr mindestens ein Teil der Rückerstattung erlassen wird. Es gibt dafür gute rechtliche Gründe, aber wie erwähnt, es gibt auch Aspekte, die für die Arbeitgeberin sprechen.

Genügen Ihnen diese Ausführungen? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli