Guten Tag
Ich gelange mit folgender Anfrage an Sie:
Ein Klient wurde im Zeitraum von April 2021 bis Oktober 2022 mit Sozialhilfe unterstützt. Er konnte sich dann von der Sozialhilfe ablösen, weil er sich seine Pensionskassengelder von rund CHF 103’000.- hat auszahlen lassen.
Anlässlich des Abschlussgespräches beim Sozialdienst im Oktober 2022 wurde ihm mitgeteilt, dass er gemäss erweiterten Budget mit dem Geld bis Juni 2026 leben muss. (Er erhielt diesbezüglich aber nie eine Verfügung oder eine schriftliche Mitteilung)
Gemäss aktuellem Vermögensstand wird er ab Januar 2024 Anspruch auf finanzielle Unterstützung haben, da er bereits sein gesamtes Vermögen bis auf den Vermögensfreibetrag von CHF 4'000.- aufgebraucht hat.
Er hat sonst keine grösseren Auslagen getätigt, welche den übermässigen Bezug des Geld würden belegen können. (Schulden, grössere Anschaffungen etc.)
Der Klient ist 61 Jahre alt und aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeitsfähig. Somit ist von einer Sozialhilfeunterstützung bis zur Vorpensionierung auszugehen.
Nach Rücksprache mit der Dienststelle für Sozialwesen darf der Klient somit bis und mit Juni 2026 maximal mit Nothilfe von CHF 300.- pro Monat plus Miete unterstützt werden.
Gemäss Art. 30 Abs. 1 b vom Gesetz über die Eingliederung und die Sozialhilfe gilt: «Die materielle Hilfe unterliegt dem Subsidiaritätsprinzip unter der Berücksichtigung:
(…)
b) ihrer Vermögenswerte sowie der Vermögenswerte, auf die sie Anspruch hätten und auf die sie verzichtet haben. «
Und in Art. 32 Abs. 2 GES steht: «Erfolgte die Entäusserung während eines Bezugszeitraums von materieller Hilfe oder zwischen zwei Zeiträumen, kann die Gewährung der ordentlichen Sozialhilfe und der gekürzten Hilfe verweigert werden.»
Für uns Sozialarbeitende stehen diese gesetzlichen Grundlagen entgegen den Prinzipien der Sozialhilfe gemäss SKOS. Da sie unserer Ansicht nach das Finalprinzip aushebelt.
Ist dieses Vorgehen der Dienststelle für Sozialwesen gesetzeskonform? Kann sich der Klient hier wehren und wie stehen seine Chancen? (Kann-Formulierung in Art. 32 Abs. 2 GES)
Vielen Dank im Voraus für die Prüfung dieser Anfrage.
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Ich bedanke mich für Ihre Frage und beantworte diese gerne folgendermassen:
Sie schreiben richtig, dass nach SKOS-RL A.3 das Finalprinzip gilt und die Leistungen nicht von der Ursache einer Notlage abhängig gemacht werden dürfen. Vorbehalten bleiben nach SKOS-RL A.3 Erläuterungen lit. d die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und das Verbot des Rechtsmissbrauchs. Allerdings stellen die SKOS-RL lediglich Empfehlungen zu Handen der Kantone dar. Sie sind in einem Kanton nur verbindlich, wenn dieser sie für verbindlich erklärt. In Art. 28 Abs. 5 des Gesetzes über die Eingliederung und die Sozialhilfe des Kantons Wallis (GES) wird festgehalten, dass die Normen für die Bestimmung der materiellen Hilfe sowie die Modalitäten für ihre Gewährung vom Staatsrat unter Berücksichtigung der Empfehlungen der SKOS festgelegt werden. Daraus kann gelesen werden, dass der Kanton Wallis die SKOS-RL lediglich berücksichtigt, diese aber nicht direkt verbindlich sind. So hat denn der Kanton Wallis bezüglich dem Finalprinzip partiell auch von den SKOS-RL abweichende gesetzliche Bestimmungen erlassen. Diese gehen den SKOS-RL vor.
Gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. b GES sind Vermögenswerte, auf die ein Anspruch bestehen würde und auf die verzichtet wurde, bei der Berechnung der materiellen Hilfe zu berücksichtigen. In Art. 32 Abs. 2 GES wird präzisiert, dass wenn eine Person Vermögenswerte zwischen zwei Bezugszeiträumen veräussere, die Gewährung der ordentlichen Sozialhilfe und der gekürzten Hilfe verweigert werden könne. In den Weisungen zur Anwendung des GES wird in Kapitel 22.3.1 lit. präzisiert, wie Art. 32 Abs. 2 GES zu verstehen ist. Es wird festgehalten, dass wenn der Vermögensverzicht zwischen zwei Bezugszeiträumen erfolgt sei, die Behörde prüfen müsse, ob und für welchen Zeitraum der Betrag, auf den verzichtet wurde, der Person eine finanzielle Selbständigkeit entsprechend einem erweiterten Budget ermöglicht hätte. Dazu wird auf Kapitel 17.1 der Weisung verwiesen. Nach Kapitel 17.1 beim erweiterten Budget die üblichen Grundsätze zu befolgen. Es gelten allerdings folgende Besonderheiten: tatsächliche Wohnkosten, medizinische Kosten der Grund- und Zusatzversicherung, tatsächliche Zahnarztkosten, laufende Steuern (sofern ordentlich beglichen), tatsächliche Rückzahlung von Schulden und Unterhaltsbeiträge für nicht im selben Haushalt wohnende Kinder.
Im vorliegenden Fall hat der Klient sich sein Pensionskassengeld im Oktober 2022 ausbezahlen lassen. Er verfügt damit gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung (BGE 8C_441/2021) über ein nicht mehr geschütztes Vermögen, das von der Sozialhilfe berücksichtigt werden darf.
Von Oktober/November 2022 bis Dezember 2023 wurde der Klient vorliegend nicht unterstützt. Es kommt deshalb betreffend Vermögen Art. 32 Abs, 2 GES und damit Kapitel 22.3.1 der Weisungen zur Anwendung des GES zur Anwendung. Mittels eines erweiterten Budgets ist demnach zu berechnen, wie lange der Klient mit dem Vermögen hätte selbständig leben können. Bis dahin kann nach Art. 32 Abs. 2 GES grundsätzlich die Gewährung der wirtschaftlichen Hilfe verweigert werden.
Sie schreiben aber richtig, dass es sich bei Art. 32 Abs. 2 GES um eine Kann-Bestimmung handelt. Dies bedeutet, dass der Sozialhilfe ein Ermessenspielraum zusteht und die wirtschaftliche Hilfe nur dann verweigert oder eingeschränkt werden darf, wenn es im Einzelfall angebracht ist.
Ich setze mich im Folgenden deshalb damit auseinander, ob die Einschränkung der wirtschaftlichen Hilfe auf Nothilfe vorliegend angebracht ist.
Nach Art. 1 Abs. 1 lit. c GES wird festgehalten, dass das GES als Zweck jeder und jedem ein menschenwürdiges und eigenständiges Leben ermöglichen wolle. Die Bundesverfassung (BV) hält in Art. 7 ebenfalls fest, dass die Menschenwürde zu achten ist, ohne sie zu definieren. In Art. 12 BV wird wiederholt, dass für Personen, die in Not geraten und nicht in der Lage sind, für sich zu sorgen, Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel haben, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Ein menschenwürdiges Dasein ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung (BGE 121 I 367 Erw. 2b) dann erfüllt, wenn die elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Obdach gesichert sind. Zu einem menschenwürdigen Dasein gehört aber auch, dass jemand sozial nicht ausgeschlossen ist und angemessen am Sozialleben teilhaben kann. Um ein menschenwürdiges Dasein führen zu können, ist deshalb ein soziales Existenzminimum notwendig (Guido Wizent, Sozialhilferecht, Zürich und St. Gallen 2020, N 160ff.).
Vorliegend ist die Dienststelle der Ansicht, dass der Klient bis Juni 2026 d.h. noch ½ Jahr mit Nothilfe leben muss. Das ist eine lange Zeit. Mit Nothilfe wird es dem Klienten unmöglich sein, am Sozialleben teilzuhaben. Ebenfalls wird er seine Grundbedürfnisse über diese lange Zeit nur unzureichend stillen können. Damit ist ihm kein menschenwürdiges Dasein möglich. Es rechtfertigt sich vorliegend meiner Ansicht nach deshalb nicht, Art. 32 Abs. 2 GES dahingehend auszulegen, dass der Klient bis Juni 2026 nur Anspruch auf Nothilfe hat. Vielmehr ist in Ausübung des Ermessens darauf zu verzichten, dem Klienten so lange Nothilfe auszurichten, zumal mit der Kann-Formulierung ein Ermessensspielraum gegeben ist.
Fazit: Vorliegend gilt es einerseits zu prüfen, ob die Dienststelle unter Berücksichtigung des erweiterten Budgets richtig berechnet hat, bis wann der Klient mit seinem im Oktober 2022 ausbezahlten Vermögen seine Bedürfnisse decken kann. Andererseits ist Ermessen auszuüben und zu überlegen, dass der Klient mit Nothilfe für einen so langen Zeitraum (voraussichtlich Juni 2026) kein menschenwürdiges Dasein führen kann. Aus diesem Grund ist meiner Meinung nach auf die Verweigerung der Sozialhilfe bis Juni 2026 zu verzichten. Allenfalls kann in Anwendung des Ermessens für eine kurze Zeit auf die Sozialhilfe verzichtet werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn aufgrund des Sachverhalts davon ausgegangen werden muss, dass das Vermögen nicht aufgebraucht sondern tatsächlich irgendwo noch vorhanden ist.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort helfen zu können.
Freundliche Grüsse