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Nothilfe und situationsbedingte Leistungen

Veröffentlicht:
21.11.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Schnyder,
im Frühling habe ich einen Kurs bei Ihnen besucht wo es um Aufenthalt und Unterstützungswohnsitz ging. Am Rande haben wir das Thema Nothilfe gestreift und Ihre Aussage war. dass die Nothilfe nicht für situatiosbedingte Leistungen herangezogen werden kann, insbesondere nicht bei vulnerablen Personen.
Im konkreten Fall geht es darum, dass Asylbewerber mit Nothilfe in ihrer Rolle als Eltern immer wieder z. B. wegen ernsthafter Erkrankung der eigenen Kinder ins Spital kommen. Bei Notfällen ist häufig unklar, wie lange die Behandlung dauert und die Eltern bleiben über Stunden, manchmal über Nacht im Spital. Unser Klinikpersonal offeriert dann jeweils Verpflegung und macht auch auf die Kostenfolge aufmerksam. Wegen sprachlicher Probleme sind wir nicht sicher, wie viel davon die Kindseltern verstehen. Aus der Verpflegung resultiert eine Rechnung, die nicht von der Krankenkasse übernommen wird und den Sozialdiensten zur Finanzierung vorgelegt wird. Die Kosten pro Mahlzeit sind i. d. R. höher als das tägliche Nothilfe-Budget (9CHF). Regelmässig gelangen die Sozialdienste an uns, mit der Bitte, die Rechnung zu stornieren. Ich bin der Ansicht, dass nicht die Behandler das Kostenrisiko übernehmen müssen, sondern dass die Kosten über Situationsbedingte Leistungen zusätzlich zur Nothilfe finanziert werden müssten.
Wie ist hier die Rechtslage? Gerne bitte ich um Ihre Stellungnahme, wie dies zu beurteilen ist.
Besten Dank & freundliche Grüsse
Anja Keller

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Keller
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Es geht bei Ihrer Frage darum, ob situationsbedingte Leistungen von der Nothilfe umfasst werden. Konkret geht es um Kosten zur Finanzierung von Mahlzeiten der Eltern, wenn sie ihr Kind anlässlich seines Spitalaufenthaltes begleiten.
Nach der Rechtsprechung zu Art. 12 BV umfasst die Nothilfe Leistungen, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind (BGE 142 I 1 E. 7.2). Das Bundesgericht führt im gleichen Entscheid in Erwägung 7.2.1 aus, dass dies «eine auf die konkreten Umstände zugeschnittene, minimale individuelle Nothilfe» umfasse, insoweit unterscheide sich die die Nothilfe vom kantonalen Anspruch auf Sozialhilfe. Zuständig für die Konkretisierung der Nothilfe sind aber wiederum die Kantone. Sie bestimmen über die Art und Weise der Erbringung der Nothilfe. Nach der Lehre umfasst die Nothilfe auch Leistungen für einen persönlichen Hilfebedarf, ferner kann die Nothilfe auch Leistungen für die Teilhabe am sozialen Leben umfassen, wenn der Nothilfebezug andauert (vgl. dazu Guido Wizent, Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Dike 2014, S. 110 ff).
Der Kanton Aargau hat in Art. 19a SPV die Nothilfe für ausreisepflichtige Personen bzw. Personen mit rechtskräftigem Wegweisungsentscheid gemäss Asylrecht, denen eine Ausreisefrist angesetzt wurde, konkretisiert. Nach Ihren Schilderungen gehört die von Ihnen erwähnte Familie offenbar zu dieser Personengruppe. Diese erhalten nach Art. 19a SPV die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlichen Mittel im Form von Natural- und Sachleistungen (Nahrung, Kleidung, Obdach, medizinische Notversorgung), womit gemeint ist, dass keine Geldleistungen im Rahmen der Nothilfe erbracht werden. Für die weitere Bemessung der Nothilfe, können die SKOS-Richtlinien bzw. die Empfehlungen der SODK vom 29.6.12 zur Nothilfe für ausreisepflichtige Personen des Asylbereichs herangezogen werden, welche im Kanton Aargau verbindlich sind (§ 10 Abs. 1 SPV i.V.m. Kap. A.9 SKOS-Richtlinien, das auf die SODK http://www.sodk.ch/fachbereiche/migration/ verweist).
In den Empfehlungen der SODK wird hervorgehoben, dass auch im Bereich der Nothilfe das Individualisierungsprinzip (Ziff. 4.2) gilt und zudem der besonderen Situation vulnerabler Personen, dazu gehören u.a. Kinder und Schwangere (Ziff. 5.1 f.), Rechnung zu tragen ist. Es sind demnach die individuell-konkreten Bedürfnissen mit elementarem Charakter im Rahmen der Nothilfe zu beachten. Diese sind unterschiedlich und in jedem Einzelfall festzustellen. Insoweit handelt es sich durchaus um situationsbedingte Leistungen, welche im Rahmen der Nothilfe erbracht werden. Bei deren Ausgestaltung ist jedoch der Rahmen der Nothilfe zu beachten, welcher auf das für ein menschenwürdiges Dasein Unerlässliche beschränkt ist, wobei einer allfälligen Vulnerabilität Rechnung zu tragen ist.
Anhand dieser Grundsätze wäre zu beurteilen, ob die Mahlzeiten, welche die Eltern im Spital einnahmen, von der Nothilfe abgedeckt sind. Dabei wäre zu prüfen, ob eine Notwendigkeit bestand bzw. es sachlich und zeitlich gerechtfertigt war, dass die Eltern diese Leistungen vor Ort in Anspruch nahmen. Für die Beurteilung der Notwendigkeit wären die Situation und Bedürfnisse des Kindes, die Möglichkeiten der Eltern, sich anders zu verpflegen, und die Kurzfristigkeit der Hospitalisierung des Kindes (Notfall) einzubeziehen. Unzulässig erscheint mir, dass die Kostenübernahme einfach pauschal abgelehnt wird. Bei dieser Beurteilung sollte, wie die SODK schreibt, der gesunde Menschenverstand eine Rolle spielen (Ziff. 4.2).
Nach dem Gesagten deckt die Nothilfe das für ein menschenwürdiges Dasein erforderliche Minimum ab, wobei auch dann besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen ist.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen Ihre Frage soweit beantwortet zu haben, damit Sie die weiteren Schlussfolgerungen im konkreten Fall und für künftige Fälle vornehmen können.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder

Sehr geehrter Frau Schnyder,
Besten Dank für Ihre Ausführungen. Vielleicht habe ich mich nicht präzise genug ausgedrückt. Es handelt sich in den meisten Fälle um Personen nach Art. 17 e SPV. Fallen diese Personen dann die reguläre Sozialhilfe und nicht unter Nothilfe auch wenn die zugrunde gelegten Sätze tiefer sind als Sozialhilfe nach SKOS?
Besten Dank für die Beantwortung & freundliche Grüsse
Anja Keller

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Keller
Entschuldigen Sie die Verzögerung. Ich habe erst spät von Ihrer Nachfrage Kenntnis erhalten und nun verzögerte sich meine Antwort arbeitsbedingt. Es handelt sich bei den Unterstützungsleistungen nach § 17e SPV um sog. Asylsozialhilfe. Diese Ansätze liegen über der Nothilfe, jedoch unter jenen der ordentlichen Sozialhilfe. Die Nothilfe gemäss § 19a SPV ist für ausreisepflichtige Personen vorgesehen. In der Regel sind das Personen mit einem Nichteintretensentscheid.
Die tieferen Ansätze der Asylsozialhilfe haben ihre Grundlage in Art. 82 Abs. 3 AsylG. Dieses Bundesgesetz bestimmt in diesem Artikel Folgendes:
"Für Asylsuchende und Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsbewilligung ist die Unterstützung nach Möglichkeit in Form von Sachleistungen auszurichten. Der Ansatz für die Unterstützung liegt unter dem Ansatz für die einheimische Bevölkerung."
Meine Antwort, welche ich in Bezug auf die Nothilfe verfasst habe, kann meiner Meinung nach sinngemäss auf Asylsuchende übertragen werden. In § 17f SPV wird jedoch festgehalten, dass für weiter situationsbedingte Leistungen vorgängig ein Kostengutsprachegesuch gestellt werden muss. Es ist demnach ratsam in solchen Fällen rechtzeitig mit der zuständigen Gemeinde Kontakt aufzunehmen.
Ich hoffe, Ihnen hilft meine ergänzende Antwort in Ihrer Frage weiter.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder