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Möglichkeiten Geltendmachung Unterhaltsanspruch durch Sozialdienst

Veröffentlicht:
05.09.2022
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag

Unser Sozialdienst richtet wirtschaftliche Sozialhilfe für eine Mutter und ihr Kind aus, für welches noch kein Unterhaltsanspruch festgelegt wurde. Im Rahmen der einvernehmlichen Unterhaltsberechnung über unseren Sozialdienst zeichnet sich ab, dass die Verhandlungen zu keinem behördlich genehmigungsfähigen Ergebnis führen werden: Beide Eltern ziehen einen unangemessen tiefen Unterhalt anstelle des errechneten Unterhalts vor. Dies insbesondere, da die Kindsmutter ohnehin noch längerfristig keine Chancen auf Ablösung von der Sozialhilfe hat und ihr daher lieber ist, wenn der Kindsvater sein Geld behalten kann. Unsere beraterischen Möglichkeiten scheinen ausgeschöpft (längerfristige Perspektiven aufzeigen, Appellieren an die Unterhaltspflicht der Eltern etc.). 

Was sind nun die Handlungsmöglichkeiten des Sozialdienstes?

In BGer 5A_75/2020 schliesst das Bundesgericht soweit ich verstehe derzeit aus, dass der Sozialdienst selbst den künftigen Unterhaltsanspruch einklagt. Wenn unser Sozialdienst klagen würde, könnten wir also nur den rückwirkenden Unterhalt einklagen und es bestünde kein Titel für die laufenden Beiträge. Oder beurteilen Sie dies anders resp. sehen Sie hier noch Handlungsmöglichkeiten?

Wir würden die Kindsmutter also parallel unter Kürzungsandrohung weisen, den Unterhaltsanspruch geltend zu machen (Schlichtungsgesuch einzureichen). Welcher Kürzungsumfang wäre hier nun zulässig - 30% des Grundbedarfs der Kindsmutter (was nur ein ganz kleiner Bruchteil des errechneten Unterhaltsanspruchs wäre) oder gar die Anrechnung des gesamten errechneten Betrags als ein der Klientel zustehendes, bezifferbares und nach wie vor durchsetzbares Ersatzeinkommen, auf dessen Geltendmachung die Klientel pflichtwidrig verzichtet?

Freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Melanie Studer

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Vielen Dank für Ihre Frage - ich möchte gerne einen Aspekt noch mit meinen Kolleginnen besprechen, bevor ich Ihnen eine ausführliche Antwort geben kann und danke Ihnen für Ihre entsprechende Geduld. 

Beste Grüsse

Melanie Studer 

Das können Sie gerne, ich danke herzlich für Ihre Abklärungen und bin gespannt auf die Rückmeldungen.

Frage beantwortet am

Melanie Studer

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Danke für Ihre Geduld! 

Der Unterhaltsanspruch gegenüber Dritten – also hier des Kindes gegenüber dem Vater – geht der Sozialhilfe i.S. der Subsidiarität grundsätzlich vor. Insofern steht es nicht im Belieben der Eltern, einen Unterhalt zu vereinbaren, der der finanziellen Leistungsfähigkeit des Vaters nicht gerecht wird; somit ist es grundsätzlich korrekt, dass Sie darauf hinwirken, dass angemessene Unterhaltsbeiträge festgelegt werden. Zumal steht der Anspruch auf Unterhalt dem Kind zu und nicht der Mutter (vgl. Art. 289 Abs. 1 ZGB).

Nun interpretieren Sie das von Ihnen erwähnte Urteil des Bundesgerichts richtig: für die Zukunft kommt dem Gemeinwesen kein Klagerecht (mehr) zu; nur für bereits effektiv bevorschusste Beiträge, kann durch den Sozialdienst nachträglich eine Anpassung verlangt werden.

In Bezug auf das weitere Vorgehen gilt es zu beachten, dass – und ich gehe hier davon aus, dass die Eltern nicht verheiratet sind – eine allfällige Unterhaltsvereinbarung zwischen den Eltern durch die KESB zu genehmigen ist (Art. 287 Abs. 1 ZGB). Dabei prüft die KESB, die getroffenen Regelung darauf, ob sie allen materiellen Vorgaben des Gesetzes gerecht wird, insbesondere ob sie angemessen ist (vgl. Herzig/Christener/Rosch, N 889 in: Rosch/Founoulakis/Heck, Handbuch Kindes- und Erwachsenenschutz, 2. Aufl, Haupt 2018). Die Genehmigung würde also verweigert, wenn tatsächlich ein deutlich unter den Leistungsmöglichkeiten des Vaters liegender Unterhalt vereinbart würde. An sich wäre es dann schon möglich, wie von Ihnen skizziert vorzugehen und der Mutter die Auflage zu machen, den Unterhalt gerichtlich durchzusetzen. In der geschilderten Konstellation, ist aber fraglich, ob die Mutter hier tatsächlich die geeignete Person wäre, um die Interessen des Kindes zu vertreten, bestehen doch gegenteilige Hinweise.

Es wäre hier wohl zielführender, das weitere Vorgehen mit der KESB zu klären und darauf hinzu wirken, dass nicht die Mutter den Prozess für das Kind führt, sondern dass dem Kind ein Prozessbeistand beigeordnet wird und so die Interessen des Kindes vertreten werden und eine gerichtliche Lösung angestrebt wird. Das Kind ist zwingend Partei in diesem Verfahren und wenn unklar ist, ob die gesetzliche Vertretung (hier die Mutter) tatsächlich i.S. der Interessen des Kindes handelt, wäre dies zum Schutz des Kindeswohls der einzuschlagende weg.

Der Vollständigkeit halber – sollte in einer anderen Konstellation doch dem sozialhilferechtlich unterstützen Elternteil die Auflage gemacht werden, den Unterhaltsanspruch des Kindes gerichtlich durchzusetzen, wäre abzuklären, ob die betroffene Person überhaupt dazu in der Lage ist, diese Auflage umzusetzen. Allenfalls wäre dann auch im Rahmen der persönlichen Hilfe, Unterstützung zu leisten beim Befolgen der Auflage, unter Umständen auch wiederum die KESB zu involvieren, da es ja eben um die Interessen des Kindes geht, die zu wahren sind.

Eine Kürzungsandrohung könnte – unter der vorgenannten Voraussetzung – grundsätzlich möglich sein, wobei hier auch die Auswirkungen der Kürzung auf das Kind mitzuberücksichtigen wäre und eine Kürzung von 30% prima vista eher nicht angemessen wäre; eine Einstellung käme meines Erachtens jedoch nicht in Betracht, da wohl der Anspruch nur schwer klar zu beziffern ist. Die Höhe des Unterhaltsbeitrags hängt von diversen Parametern ab und solange der Betrag eben nicht durch eine von der KESB genehmigten Vereinbarung oder gerichtlich festgesetzt wurde, ist der Betrag kaum bezifferbar – und nicht durchsetzbar. Schliesslich wäre von einer Einstellung meines Erachtens auch abzusehen, da es ja im Grundsatz um einen Anspruch geht, der dem Kind zusteht und eine Einstellung der Unterstützungsleistungen hier das Kind mitbetreffen wird.

Sollten Sie zu Aufgaben und Rolle der KESB in einem solchen Fall weitere Fragen haben, können Sie diese gerne auch im entsprechenden Forum unterbringen. Ansonsten hoffe ich, die Antwort helfe Ihnen weiter.

Beste Grüsse