Sehr geehrte Damen und Herren
Ich bin die Beiständin (Vertretungsbeistandschaft mit Vermögensverwaltung Art. 394 i.V.m. 395 ZGB) von Herrn G. (Jahrgang 1968). Seit Mai 2019 arbeitet Herr G. als Anwendungsspezialist bei einer Strassenbaugesellschaft in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis. Vom 03.09.2018 bis Mai 2019 arbeitete er in derselben Firma, war aber durch ein Temporärbüro angestellt. Vom 21.02 bis 17.04.2020 war Herr G. zu 100 % krankgeschrieben. Am 20.04.2020 ist Herr G. wieder zur Arbeit erschienen. Sein Vorgesetzter überreichte ihm die Kündigung per Ende Mai 2020. Herr G. wollte trotzdem wie gewohnt seinen Dienst antreten, dies liess sein Vorgesetzter jedoch nicht zu. Herr G. wurde wider Willen nach Hause geschickt.
Ich habe mich bereits mit dem Arbeitgeber telefonisch in Verbindung gesetzt und habe nach einer schriftlichen Begründung verlangt. Sein Vorgesetzter gab mündlich an, dass man der Ansicht sei, dass Herr G. gesundheitlich der Arbeit nicht mehr gewachsen sei. Sein Verhalten sei tadellos gewesen.
Welche Schritte sind zu unternehmen? Ist diese Kündigung missbräuchlich?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Hidber
Gerne beantworte ich Ihre Fragen wie folgt: Ihr Klient war vom 21.2. bis 17.04., also während fast zwei Monaten krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Am 20.4. erhielt ihr Klient die Kündigung. Die Kündigung ist gültig, sie erfolgte nicht während einer Sperrfrist im Sinne von Art. 336c OR. Die Kündigung wurde auf Ende Mail ausgesprochen. Im ersten Dienstjahr beträgt die ordentliche Kündigungsfrist einen Monat, ab dem zweiten Dienstjahr zwei Monate. Ihr Klient ist im ersten Dienstjahr beim neuen Arbeitgeber, würde man auch die Temporäranstellung dazuzählen, wäre er bereits im zweiten Dienstjahr. Allerdings kann die ordentlcih Kündigungsfrist im Arbeitsvertrag auch im zweiten Dienstjahr auf einen Monat verkürzt werden.
Es ist davon auszugehen, dass die Kündigung auf den 30.4.2020 gültig ist. Die Kündigung wurde mit einer Freistellung kombiniert, d.h., Ihr Klient erhält den Lohn, muss aber bis zum Ende der Kündigungsfrist nicht arbeiten.
Eine gültige Kündigung kann missbräuchlich im Sinne von Art. 336 OR sein. Die Missbrauchsgründe sind in Art. 336 Abs. 1 und Abs. 2 OR aufgeführt. Missbräuchliche Kündigungen führen zu einer Entschädigungspflicht der Arbeitgeberin (aber die Kündigung bleibt gültig. Wer eine Entschädigung nach Art. 336a OR geltend machen will, muss gegen die Kündigung bis längstens zum Ende der Kündigungsfrist (also Ende ApriL) schriftlich Einsprache erheben.
Um die Einsprache begründen zu können, muss der Kündigungsgrund in Erfahrung gebracht werden. Nach Art. 335 Abs. 2 OR kann vom Arbeitgber eine schriftliche Begründung der Kündigung verlangt werden.
Vorgehensweise:
1. Sofort eine schriftliche Begründung der Kündigung verlangen
(auch wenn keine Antwort erfolgt, sogleich 2.)
2. Schriftliche Eintsprache erheben bei der Arbeitgeberin bis spätestens 30. April 2020.
Inhalt: Einsprache gegen die Kündigung. Nicht einverstanden sein mit der Kündigungsbegründung, Bereitschaft, weiterhin für die Arbeitgeberin tätig sein zu wollen.
Wenn die Einsprache nicht erfolgreich ist, kann innert 180 Tagen seit Ende des Arbeitsverhältnisses Klage beim zuständigen Arbeitsgericht eingereicht werden.
Genügen IHnen diese Auskünfte?
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli
Sehr geehrter Herr Pärli
Besten Dank für Ihr rasches Antworten. Mittlerweile habe ich die Begründung der Kündigung erhalten und habe gegen die Kündigung Einsprache erhoben. Ich habe ebenfalls das Personaldossier angefordert. Nun stellt sich mir weiterhin die Frage, ob die Kündigung missbräuchlich war oder nicht. Die Kündigungsgründe nach OR sind ja relativ offen formuliert. Mein Klient ist bereits 51 Jahre alt. Gemäss seinen Aussagen sei einem Arbeitskollegen, der ebenfalls über 50 sei, auch gekündigt worden. Vor einigen Wochen sei dies bereits einmal vorgekommen. Nun habe ich die Vermutung, dass die Kündigung aufgrund seines Alters und der knapp zweimonatigen Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen wurde. Zwischenzeitlich hat sich mein Klient wieder erholt und sich voll arbeitsfähig. Der Arbeitgeber begründet die Kündigung damit, dass Herr G. nicht die gewünschte Leistung erbracht habe. So sei es ihm nicht gelungen, neue Mitarbeiter anzuleiten und die Arbeiten zu koordinieren. Überdies sei er körperlich an seine Grenzen gestossen. So habe er teilweise seine Arbeiten unterbrechen und pausieren müssen. Diese Kritik kann Herr G. nicht nachvollziehen. Er sei auch nie auf seine mangelhafte Arbeitsleistung angesprochen worden. Überdies hätten sie teilweise 18 Stunden ohne Pause arbeiten müsse, da sei er an seine Belastungsgrenze gestossen.
Gehen wir davon aus, dass ihm tatsächlich aufgrund seines Alters und der knapp zweimonatigen Arbeitsunfähigkeit gekündigt wurde, wäre dies missbräuchlich? Sind die gegenüber anderen Mitarbeitern ausgesprochenen Kündigungen bereits ein Beweismittel? Hätte ihn der Arbeitgeber nicht vorgängig für seine mangelhaften Leistungen rügen sollen? Wie stehen aus Ihrer Sicht die Chancen auf Entschädigungszahlungen? Wäre eine Klage vor dem Arbeitsgericht im Falle einer Niederlage kostenpflichtig?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung.
Freundliche Grüsse
J. Hidber
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Hidber
Gerne beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:
Eine Kündigung kann missbräuchlich sein, wenn sie aufgrund einer persönlichen Eigenschaft (Art. 336 Abs. 1 lit. a OR) ausgesprochen wird. Das Alter gehört zur persönlichen Eigenschaft. Der Arbeitnehmer müsste beweisen, dass die Kündigung wegen seines Alters erfolgt ist. Dass auch anderen ü50ig Arbeitnehmenden gekündigt wurde, könnte ein Indiz darstellen, ein voller Beweis ist es aber mit Sicherheit nicht.
Die Missbräuchlichkeit kann auch vorliegen, wenn Arbeitnehmer sich mit guten Gründen über Zustände im Betrieb beschwert, z.B. über (in aller Regel) illegale Beschäftigung von 18 STunden pro Tag und als Reaktion auf diese rechtmässige Beschwerde die Kündigung erhalten (Missbrauchtsgrund Art. 336 Abs. 1 lit. d OR, Verbotene Rachekündigung). Für Sie heisst das: Fragen Sie ihren Klienten, ob er unmittelbar vor der Kündigung gegenüber der Arbeitgeberin (rechtmässige) Forderungen geltend gemacht oder sich in irgendeiner Art beschwert hat. Dies müsste natürlich ebenfalls bewiesen werden können.
Das Bundesgericht hat in schöpferischer Rechtsprechung weitere Gründe als in denjenigen in die Art. 336 Abs. 1 OR aufgeführt sind, als gleichwertig anerkannt, so bsw. auch die Verletzung der Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin, die in einem Kausalzusammenhang mit der ausgesprochenen Kündigung steht. Zur Fürsorgepflicht der ARbeitgeberin gehört auch, bei älteren Arbeitnehmenden mit langjähriger Diensttreue vor eine Kündigung Alternativen zu prüfen und ggf. auch Verwarnungen mit Fristen auszusprechen. Ausgehend vom Leitentscheid BGE 132 III 115, hat das Bundesgericht die Kündigungsfreiheit gegenüber älteren Arbeitnehmenden verstärkt - insbesondere wenn diese viele Jahre im Betrieb tätig waren - zu Gunsten der Verwirklichung der Vertragsgerechtigkeit eingeschränkt. Grundlage des verstärkten Kündigungsschutzes bildet die (erhöhte) Fürsorgepflicht, die vom Arbeitgeber die Prüfung einzelfallgerechter Alternativen zur Kündigung erfordert. Ab welchem Alter Arbeitnehmende in den Schutz der erhöhten Fürsorgepflicht kommen, lässt sich anhand der bisherigen Rechtsprechung (noch) nicht klar feststellen. Das Bundesgericht ist aber im Allgmeinen sehr zurückhaltend, denn als Grundsatz gilt noch immer die Kündiungsfreiheit, dh. eine Kündigung braucht keinen sachlichen Grund und es gibt auch keine Verfahrensvorschriften wie etwa ein Recht auf rechtliches Gehör oder die Pflicht, vor einer (ordentlichen) Kündigung eine Verwarnung auszusprechen.
Eine Verletzung der Fürsorgepflicht kann auch darin bestehen, wenn einem gesundheitlich angeschlagenen Arbeitnehmer gleich nach Ablauf der Sperrfrist gekündigt wird, ohne dass zuvor geprüft wird, ob sich im Betrieb eine dem Gesundheitszustand angepasst Tätigkeit würde finden lassen. Hier spielen Fragen wie die Dienstjahre und das bisherige Verhalten des Arbeitnehmer sowie die konkreten betrieblichen und betriebswirtschaftlichen Möglicheiten ebenfalls eine Rolle.
In einem viel beachteten (und auch kritisierten) Fall kam das Bundesgericht zum Schluss, trotz ungenügender Leistungen sei eine Kündigung missbräuchlich. Die beachtlichen Bemühungen der Arbeitgeberin, den fraglichen Arbeitnehmer zu Verbesserung seiner Leistungen zu unterstützen, änderten an der Missbräuchlichkeit der Kündigung nichts. Der Kündigung hätte eine Verwarnung vorangehen müssen, befand das Bundesgericht (Bger 4A_384/2014 vom 12.11. 2014).
Insgesamt scheinen mir die Erfolgsaussichten einer Klage wegen missbräuchlicher Kündigung zwar nicht sehr gross, aber immerhin so, dass sich die Mühen lohnen könnten. Gefordert werden können maximal sechs Monatslöhne, angesichts Situation würde ich hier nicht mehr als zwei, maximal drei Monatslöhne fordern. So sind Sie bzw. ist ihr Klient (wohl auch) unter der Grenze von 30 000 Franken, bis zu dieser Summe entstehen keine Gerichtskosten. Das Risiko für den Kläger sind im Falle einer Niederlage die Anwaltskosten der Gegenpartei und die allfälligen Kosten eines eigenen Anwaltes. In arbeitsrechtlichen Verfahren ist zudem erst eine (kostenlose) Schlichtung zwingend.
Informationen zu der zuständigen Schlichtungsstelle finden Sie auf den Webseiten der Kantone.
Genügen Ihnen diese Auskünfte?
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli
Sehr geehrter Herr Pärli
Mittlerweile konnte ich mich mit dem Arbeitgeber auf eine Entschädigungszahlung in der Höhe von drei Monatslöhnen einigen. Im Gegenzug wird mein Klient auf weitere rechtliche Schritte verzichten. Ich habe die Stundenblätter angefordert, welche die Berichte meines Klienten hinsichtlich einer massiven Überschreitung der zulässigen Arbeitszeit gestützt haben.
Gibt es nun Punkte, die es bei einer solchen Entlassungsabfindung (sofern dies der korrekte Begriff ist) zu beachten gilt? Kann mein Klient trotz dieser Zahlung einen anrechenbaren Arbeitsausfall beim RAV geltend machen?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung
Judith Hidber
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Hidber
Schön zu lesen, dass Sie eine Entschädigung erwirken konnten. Bei der Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung handelt es sich um eine Art privatrechtliche Strafzahlung, diese hat Genugtuungs- und Strafcharakter, insoweit handelt es sich nicht um Lohn, das heisst, auf der Entschädigung sind keine Sozialversicherungsbeträge geschuldet, siehe Wegleitung über den massgebenden Lohn in der AHV, IV und EO, WML, Rz 2097:
"Nicht zum massgebenden Lohn gehört hingegen die Entschädigung für miss- bräuchliche Kündigung nach Art. 336a Abs. 2 OR und die Entschädigung für ngerechtfertigte Entlassung nach Art. 337c Abs. 3 OR"
Das hat auch Auswirkungen auf die Arbeitslosenversicherung, Taggeldansprüche werden nicht reduziert. Auch steuerrechtlich wird eine Strafzahlung als Genugtuung qualifiziert und ist deshalb steuerfrei. Die sozial- und steuerrechtliche Qualifikation der Zahlung wegen missbräuchlicher Kündigung gilt praxisgemäss sowohl dann, wenn ein Gericht über die Klage entschieden hat als auch dann, wenn mit dem Arbeitgeber ein Vergleich abgeschlossen wurde.
Genügen Ihnen diese Auskünfte?
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli