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Lohnfortzahlungspflicht bei 20% AUF

Veröffentlicht:
01.07.2022
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Liebes Rechtsberatungsteam

Meine Pat. erlitt im 2020 einen Velounfall mit einem leichten Schädel-Hirn-Trauma. Der Unfall ereignete sich, nachdem Sie an ihrer damaligen Arbeitstelle die Kündigung eingereicht hatte. Sie erholte sich soweit gut, dass sie sich in der Lage sah, ab 01/01/2021 wie vereinbart ihre neue Arbeitstelle im Kanton Aargau im vereinbarten Pensum von 80% anzutreten. 

Zwischen 01/01/2021 und 01/09/2021 arbeitete sie trotz sich nicht verbessernden Beschwerden im vollen Pensum von 80%, bis sie sich eingestehen musste, dass sie so nicht mehr weiterarbeiten könne. Sie liess sich 20% krankschreiben und arbeitete fortan nur noch 60%. Die UV lehnte die TG-Leistung ab, da keine keine kausale Adäquanz zwischen dem Unfall und dem aktuellen Leiden bestehe. Die KTGV bezahlte auch nicht, da diese erst ab 25% AUF leistungspflichtg sei. In der Folge verweigerte der AG die Lohnfortzahlung bei Krankheit da er sich auf den Standpunkt stellte, dass wenn die KTGV dies nicht übernehme, er auch keine Verpflichtung habe, diese 20% zu kompensieren.

Wie sieht da die rechtliche Grundlage aus? Die AUF ereignete sich im ersten Anstellungsjahr. Welche Lohnfortzahlungspflicht hat der AG in diesem konkreten Fall?

Wie kann sich die Pat. wirksam wehren, sollte der AG zu Unrecht die Leistungen verweigern? Eine Rechtschutzversicherung hat sie nicht.

Liebe Grüsse

MV

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Guten Tag.

Die Leistungspflicht der Krankentaggeldversicherung, inkl. allfälliger Mindestschwellen der versicherten Arbeitsunfähigkeit, ist aus den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der KTV zu entnehmen. Dort kann geprüft werden, ob die hier behauptete Mindest-AUF für die Leistungspflicht auch so vorgesehen und somit korrekt ist.

Wenn die KTV hier nicht leistungspfichtig ist, so ist die Frage, ob der Arbeitgeber aus dem Arbeitsvertrag eine Leistungspflicht hat. 

Grundsätzlich gilt dabei der Einzelarbeitsvertrag und ev. ein Gesamtarbeitsvertrag. Mindestens aber der Minimalanspruch nach Art. 324a OR.  Dieser bestimmt, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Krankheitsfall den vollen Lohn für eine bestimmte Dauer pro Dienstjahr zu bezahlen hat, sofern das Arbeitsverhältnis bereits mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen wurde. Im ersten Dienstjahr hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Lohn für mindestens 3 Wochen und ab dem zweiten Dienstjahr  angemessen länger zu entrichten (Art. 324a Abs. 2 OR). Die Lohnzahlung beträgt 100% ab dem ersten Krankheitstag. Im Arbeitsvertrag, GAV oder NAV kann eine längere Dauer für die Lohnfortzahlungspflicht vorgesehen werden .Der Anspruch auf Lohnfortzahlung wird pro Dienstjahr berechnet und beginnt mit jedem Dienstjahr von Neuem. Mehrere Absenzen im gleichen Jahr werden zusammengezählt.

Die verpflichtende Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers im Krankheitsfall ist dann abgegolten, wenn die Versicherungslösung, die für die Arbeitnehmende vorgesehen ist, mindestens gleichwertig ist. Nach der Gerichtspraxis sind vertragliche Abmachungen zulässig, wonach der Arbeitgeber während einigen wenigen Karenztagen keinen Lohn zahlen muss (je nach Gericht 1 - 3 Karenztage). Taggelder von 80% des Lohnes während 720 Tagen gelten als gleichwertig wie die gesetzliche Lohnfortzahlung, welche zwar 100% Lohn vorsieht, jedoch für eine viel kürzere Zeitspanne. Für die Gleichwertigkeit ist ferner vorausgesetzt, dass der Arbeitgeber mindestens die Hälfte der Versicherungsprämie bezahlt. Die Frage der Gleichwertigkeit wird allgemein beurteilt; es kommt also nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer im einzelnen Krankheitsfall besser fährt.

Die Frage, ob im vorliegenden Fall die Krankentaggeldversicherungslösung gleichwertig erscheint - und somit auch eine Lohnfortzahlungspflicht bei einer AUF von unter 25% kompensiert - lässt sich nur beantworten, wenn deren Bedingungen genauer analysiert werden.

Eigentlich wäre es notwendig, dass hierzu im Arbeitsvertrag (oder im Personalreglement), bzw. im Reglement der Krankentaggeldversicherung genauer ausgeführt wird, was im Falle einer AUF von unter 25% vorgesehen ist. 

Weil die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers KEINE Untergrenze bei Teilarbeitsunfähigkeit kennt, ist ansonsten im Zweifel von einer entsprechenden Leistungspflicht des Arbeitgebers nach Art. 324a Abs. 2 OR auszugehen. Ganz eindeutig ist die Rechtslage hier aber nicht. Die Qualität der KTV, die Prämientragung und der Leistungsumfang derselbendürften für die Beurteilung durch ein Gericht entscheidend sein

Ich hoffe, das dient.

Prof. Peter Mösch Payot

Vielen Dank für die Rückmeldung.

Im Arbeitsvertrag wird bezüglich Lohnfortzahlung auf die KTGV verwiesen. Es steht nicht explizit,  was bei einer AUF bis 24% geschieht.

Kann sich die Pat. auf den Standpunkt stellen, dass sie im 1. Dienstjahr in ihrem Fall gemäss Berner Skala 3 Wo 100% Lohnfortzahlung zugute hätte und somit bei 20% 15 Wochen Lohnfortzahlung zugute hätte?

Jetzt musste sie sich zwar an den KTG-Prämien beteiligen, hat aber keine gleichwertige Entschädigung bei einer AUF von 20%. 

Oder kann man  nicht so rechenen?

LG

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Guten Tag. Ja, es kann durchaus so argumentiert werden. Zumal offenbar kein Ausschluss der Lohnfortzahlungsleistungen bei Teil-AUF unter 25% vorgesehen ist.

Zulässig und der herrschenden Lehre entsprechend ist auch die Einschätzung, dass wegen Teil-AUF ein entsprechender Anspruch von bis zu 15 Wochen besteht, weil ja der Lohnanspruch pro Zeiteinheit bei einer Teil-AUF entsprechend kleiner ist als bei einem vollen AUF, für welche für drei Wochen ein Anspruch bestünde.

Ob eine solche Forderung gegenüber dem Arbeitgeber allerdings auch einer arbeitsgerichtlichen Prüfung Stand halten würde, ist aber offen. Die Rechtslage ist insosweit nicht eindeutig. Entscheidend dürfte die generelle Qualität der Leistungen der Krankentaggeldversicherung sein.

Beste Grüsse Peter Mösch Payot