Guten Tag Herr Pärli
Im Rahmen der Betrieblichen Sozialberatung wurden wir durch die HR-Leitung kontaktiert.
Ein Mitarbeiter wurde beschuldigt, eine Mitarbeiterin sexuell belästigt zu haben. Nach diversen internen Gesprächen mit den beteiligten Personen und einer Zeugin wurde dem Mitarbeiter gekündigt. Ein Schuldeingeständnis oder eine umfassende Abklärung wurde nicht gemacht. Durch die betroffene Person wurde auch keine Anzeige gemacht, weshalb der Verdacht nicht abschliessend verifiziert werden konnte.
Im Kündigungsschreiben wurde kein Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses angegeben.
Gegenüber dem RAV hat nun der Arbeitgeber als Grund für die Kündigung sexuelle Belästigung angegeben. Der Mitarbeiter möchte dies nun geändert haben und droht sonst mit einer Anzeige.
Macht sich der Arbeitgeber strafbar im Sinne des Persönlichkeitsrechts, wenn er diesen Grund angibt? Wir hätten empfohlen, unüberbrückbare Differenzen im zwischenmenschlichen Bereich anzugeben. Oder gibt es gar eine Verpflichtung, wahrheitsgetreu Auskunft zu geben?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung.
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Guten Tag
gerne beantworte ich Ihre Frage zu dieser heiklen Thematik.
Erlauben Sie mir erst eine Vorbemerkung: Sie erwähnen, dass im Kündigungsschreiben keine Begründung angegeben wurde. Nach Art. 335 Abs. 2 OR muss eine Kündigung auf Verlangen schriftlich begründet werden. Das Gesetz schreibt nicht vor, in welcher Frist die Begründung erfolgen muss. Der fragliche Mitarbeiter dürfte auh nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch immer eine schriftliche Begründung der Kündigung einfordern.
Sie erwähnen, dass der Arbeitgeber gegenüber dem RAV die sexuelle Belästigung als Kündigungsgrund angegeben hat. Bei einer Kündigung aus diesem Grund muss der Arbeitnehmer mit Sanktionen (Einstell-Tagen) rechnen. Die Praxis der Arbeitslosenversicherungsbehörden verlangen, dass der Grund für die Kündigung klar vorliegen muss, was vorliegend gemäss Ihren Schilderungen nicht der Fall ist. Korrekterweise meldet die ARbeitgeberin der Arbeitslosenkasse, dass Vorwürfe gegen den Mitarbeiter im Raum standen, dass sich diese aber nicht erhärtet haben. Dies zu tun ist Ausfluss der nachvertraglichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.
Zu beachten ist zudem auch: Der Vorwurf der sexuellen Belästigung ist geeignet, die Ehre einer Person zu verletzen, was durchaus von strafrechtlicher Relevanz ist. Eine strafrechtlich relevante Ehrverletzung könnte vorliegend durch das (angebliche?) Opfer der sexuellen Belästigung vorliegen. Das wäre dann der Fall, wenn der Vorwurf haltlos wäre. Wenn der Arbeitgeber dem RAV ohne Vorliegen des entsprechenden Ergebnisses einer korrekt durchgeführten Untersuchung die Information "Kündigung wegen sexueller Belästigung" bekannt gibt, könnte auch dies eine Ehrverletzung darstellen. Der Mitarbeiter hätte überdies die Möglichkeit, gegen den Arbeitgeber zivilrechtlich vorzugehen (Verletzung der Persönlichkeit nach Art. 28 ZGB). Auch eine Klage wegen Verletzung der nachvertraglichen Kündigungsfrist könnte womöglich erfolgreich sein, wie folgender Bundesgerichtsfall zeigt:
BGer 4A_231/2021
Die A. GmbH und B. standen in einem Arbeitsverhältnis, das dann durch die A. GmbH aufgelöst wurde. B. wurde nach einer kurzen Zeit der Arbeitslosigkeit von der C. AG unbefristet angestellt. Die Arbeitgeberinbescheinigung der A. GmbH hatte für B. insgesamt 24,8 Einstelltage zur Folge. Die C. AG kündigte den Arbeitsvertrag mit B. und gab an, dass der Entscheid eng mit einem Anruf zusammenhänge, der von dessen ehemaliger Arbeitgeberin eingegangen sei und in dem sie ihm dringend davon abriet, mit B. zusammenzuarbeiten. A. verklagt die B. GmbH auf Bezahlung von CHF 30'000 zzgl. Zins, die sich aus CHF 10'936.45 für die 24,8 Einstelltage, CHF 8'833 Lohn, CHF 2'944.45 als anteiliger 13. Monatslohn sowie CHF 7'285.80 für die Differenz zwischen dem versicherten Bruttoverdienst und der über 17 Monate kumulierten Arbeitslosenentschädigung. Die kantonalen Gerichte schützten die Forderungen (Sachverhalt).
Das Bundesgericht erinnerte daran, dass die Arbeitgeberin gegen Art. 328 OR verstösst, wenn sie über die betreffende Person falsche und ehrverletzende Auskünfte erteilt und dadurch eine Arbeitgeberin davon abhält, die betreffende Person einzustellen. Die Vorinstanz hatte festgehalten, dass die A. GmbH von sich aus die neue Arbeitgeberin von B. kontaktierte, um sich dazu zu äussern, ob B. über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung seiner neuen Funktion verfüge oder nicht, und dass sie zum Ausdruck brachte, dass das nicht der Fall sei. Die A. GmbH sagte der neuen Arbeitgeberin auch, dass B. im Rahmen seiner Arbeit weniger Angebote gemacht habe, als es sein Pflichtenheft verlangte, was laut einer erstinstanzlich eingebrachten Zeugenaussage falsch war. Die Vorinstanz stellte fest, dass die A. GmbH diese Tatsachenfeststellungen vor dem kantonalen Gericht nicht bestritten hatte. Daher betrachtete es die Äusserungen als unbegründet und geeignet, die Ehre von B. zu verletzen. Die dagegen vorgebrachten Argumente vermochten das Bundesgericht nicht zu überzeugen (E. 5 und 6)
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Was bedeuten all diese Ausführungen für ihren Fall? Sie fragen, ob es eine Verpflichtung gebe, den Arbeitslosenversicherungsbehörden wahrheitsgemäss Auskunft zu erteilen. Diese Frage kann ohne Weiteres mit JA beantwortet werden. Sie erwähnen aber auch, dass sich der Vorwurf der sexuellen Belästigung nicht erhärtet habe. Insofern lautet die korrekte Antwort gegenüber dem RAV: Kündigung erfolgt, weil Vorwürfe wegen sexuellen Belästiung im Raum standen. Diese haben sich aber nicht erhärtet. Dennoch erwies sich in der Folge eine weitere Zusammenarbeit als nicht mehr zielführend.
Genügen IHnen diese Auskünfte? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli