Guten Tag
Ich habe einen etwas komplizierten Fall, bei dem ich Ihre Einschätzung bräuchte;
Eine Klientin von mir ist seit Februar 2016 zu 100% AUF wegen einer psychischen Erkrankung. Der Arbeitgeber hat eine Taggeldversicherung, welche während 730 Tagen Leistungen erbringt. Die Mitarbeiterin wurde im Frühjahr 2016 schwanger und im Dezember 2016 hat sie ihr Kind geboren. Bereits vor der Niederkunft war für die Klientin wie auch deren Arbeitgeber klar, dass sie nach dem Mutterschaftsurlaub nicht mehr an den Arbeitsplatz zurückkehren wird, da die Klientin "nur" noch 50% arbeiten möchte, ihr Arbeitgeber aber kein Teilzeitjob für sie hat. Nun ist die Mitarbeiterin aber immer noch wegen ihrer psychischen Erkrankung zu 100% krankgeschrieben. Der Arbeitgeber fordert von der Klientin nun, dass sie noch diesen Monat die Kündigung einreiche, da "sie ja eh nicht mehr an den Arbeitsplatz zurückkehren wird".
Mir ist etwas unwohl bei dem Gedanken, dass die Klientin während der Krankschreibung kündigt, zumal bei ihrem Gesundheitszustand noch keine grossen Verbesserungen eingetreten sind.
Wie schätzen Sie die Situation ein? Sollte sie kündigen, was hat sie bezüglich den Leistungen der Krankentaggeldversicherung und einer späteren Anmeldung bei der Arbeitslosenversicherung zu erwarten?
Gerne höre / lese ich von Ihnen und bedanke mich jetzt schon für Ihre Antwort.
Freundliche Grüsse, Andrea Aldous
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrte Frau Aldous
1) Tatsächlich mahne auch ich zur Vorsicht und rate ab von einer Kündigung durch die Betroffene. Hinsichtlich der Arbeitslosenversicherung drohen erhebliche Einstelltage, wenn trotz Sperrfrist für die Kündigung des Arbeitgebers seitens der Arbeitnehmerin selber gekündigt wird.
2) Arbeitsrechtlich ist zu prüfen, ob hier auch seitens des Arbeitgebers eine Kündigung möglich ist. Dafür ist der Arbeitsvertrag/das Personalreglement zu konsultieren, bzw. das Personalgesetz bei einer Anstellung bei einer staatlichen Stelle.
Je nach Arbeitsvertrag geht der Kündigungsschutz über das OR hinaus. Aber auch gemäss den Mindestschutzregeln des OR besteht hier noch Kündigungsschutz - sicher bis 16 Wochen nach der Geburt, aber bei bestehender Krankheit auch darüber hinaus. Die konkrete Schutzdauer hängt ab von der Dauer der Anstellung.
Vgl. dazu Art. 336c OR:
Art. 336c G. Beendigung des Arbeitsverhältnisses / III. Kündigungsschutz / 2. Kündigung zur Unzeit / a. durch den Arbeitgeber
- Kündigung zur Unzeit
a. durch den Arbeitgeber
1 Nach Ablauf der Probezeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht kündigen:
(…)
b. während der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder durch Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist, und zwar im ersten Dienstjahr während 30 Tagen, ab zweitem bis und mit fünftem Dienstjahr während 90 Tagen und ab sechstem Dienstjahr während 180 Tagen;
c.während der Schwangerschaft und in den 16 Wochen nach der Niederkunft einer Arbeitnehmerin;(…)
2 Die Kündigung, die während einer der in Absatz 1 festgesetzten Sperrfristen erklärt wird, ist nichtig; ist dagegen die Kündigung vor Beginn einer solchen Frist erfolgt, aber die Kündigungsfrist bis dahin noch nicht abgelaufen, so wird deren Ablauf unterbrochen und erst nach Beendigung der Sperrfrist fortgesetzt.
3) Die konkreten Auswirkungen einer Kündigung der Arbeitnehmerin hinsichtlich des laufenden Krankentaggeldes lassen sich auch nur feststellen, wenn die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Taggeldversicherung konsultiert werden.
Je nach Taggeldversicherung kann eine Kündigung und damit die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses dazu führen, dass die weiteren Leistungen davon abhängig gemacht werden, dass die Betroffene in die Einzeltaggeldversicherung übertritt (und erhebliche Prämien selber trägt), oder dass gar die Leistungen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den laufenden Fall generell beschränkt werden.
Ohne eine genaue Analyse der Folgen und möglichen Nachteile für die Betroffene insbesondere bzgl. der Krankentaggeldversicherung ist also hier von einer Kündigung klar abzuraten. Insb. auch mit Blick auf mögliche Einstelltage der Arbeitslosenversicherung.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot